Ein neues Schiffshebewerk - aber nur wenig Schiffe
In Niederfinow geht ein neues Schiffshebewerk in Betrieb, das das bisherige ersetzen soll. Doch größere und längere Schiffe können vorerst nicht gehoben werden – weil die Brücken rundherum zu niedrig sind.
Das alte Schiffshebewerk von 1934 in Niederfinow bei Eberswalde nördlich von Berlin ist eine Art mobile Schleuse. Wie in einem Aufzug werden Schiffe nach oben oder nach unten transportiert. Hier vor dem Oderbruch, wenige Kilometer vor Polen, sind 36 Meter Höhenunterschied zu überwinden, um den Kanal, der Havel und Oderaue verbindet, nutzen zu können.
Eine Wasserscheide: Die Havel fließt in die Nordsee, die Oder in die Ostsee. Der Oder-Havel-Kanal verbindet Berlin mit Stettin. Die polnische Stadt ist so etwas wie der Seehafen Berlins. In den vergangenen 13 Jahren ist am selben Ort des alten ein zweites, neues Schiffshebewerk in die Höhe gezogen worden, knapp hundert Meter entfernt vom alten und wird nun offiziell für den Verkehr freigegeben.
Ein 30 Jahre alter Plan
Ein aufwendiges Projekt von über zehn Jahren Bauzeit und mehr als einer halben Milliarde Euro Kosten ist endlich fertiggestellt. Doch es bleibt die Frage, ob dieses Wasserbauwerk überhaupt benötigt wird.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas entstanden neue Verkehrs- und Warenströme. Das führte vor bald 30 Jahren zu dem Plan, ein modernes Schiffshebewerk an dieser Stelle zu bauen, ein größeres für noch größere Schiffe. Nicht mehr 80 Meter lange, sondern 110 Meter lange Frachter sollten hier passieren können. Nicht mehr mit eingeschossiger Ladung, sondern mit zwei Lagen Containern. So sah man es auf Seiten der Baubefürworter.
Seit ein paar Jahren ist die Argumentation etwas bescheidener, auch weil sich der tatsächliche Warenverkehr in Grenzen hält. Jetzt heißt es: Das alte Hebewerk hält nicht ewig, ein neues wäre sowieso irgendwann nötig gewesen. Für Rolf Dietrich vom Wasserstraßen-Neubauamt Berlin ist das "Schiffshebewerk eine ganz normale Infrastrukturanlage": "Und die haben halt eine beschränkte Lebensdauer."
Bei einer Brücke rechne man mit 70, bei einem Schiffshebewerk mit 80 bis 100 Jahren. "Und wir bauen auch in dem Sinne ja kein zweites Hebewerk, sondern das neue wird das alte ersetzen."
Längere Schleusen, höhere Brücken
Für größere Schiffe sind breitere und tiefere Kanäle nötig, längere Schleusen, höhere Brücken und eben auch ein leistungsstärkeres Hebewerk. Axel Heinzel-Berndt vom BUND kritisiert die Erweiterungen: "Die Umweltfreundlichkeit des Binnenschiffes ist eigentlich nur gewährleistet, wenn die vorhandenen Wasserstraßen genutzt werden." Der Ausbau von Wasserstraßen für größere Schiffe sei immer ein Eingriff in die Natur: "Und das ist natürlich aus unserer Sicht problematisch."
Heinzel-Berndt zweifelt sogar den Bedarf für ein größeres Hebewerk an, weil es eben auch möglich ist, anstelle eines großen Gütermotorschiffes zwei kleinere fahren zu lassen: "Meine Beobachtung ist, dass der Güterverkehr auf den Wasserstraßen eigentlich stagniert."
Die amtlichen Zahlen bestätigen das. Rund 12.000 Wasserfahrzeuge pro Jahr werden dort nach Angaben von Rolf Dietrich vom Wasserstraßen-Neubauamt Berlin geschleust: "Ein Drittel sind Güterschiffe, ein Drittel Fahrgastschiffe und ein Drittel Sportboote oder Freizeitfahrzeuge."
12.000 Fahrzeuge im Jahr - das sind etwa 30 am Tag. Und wenn ein Drittel davon Güterschiffe sind, heißt das: Ganze zehn Frachtschiffe nutzen täglich den Wasserweg zwischen Oder und Havel. Aus Polen kommen zum Beispiel Schiffe mit Schrott, die in Eberswalde entladen werden und dann leer zurück nach Polen fahren.
Acht Jahre Verzögerung
Im März 2009 wurde mit dem Bau des neuen Schiffshebewerks begonnen, fünf Jahre später sollte die Anlage nutzbar sein. Warum sich die Fertigstellung um mehr als acht Jahre verzögert hat, deutet Projektleiter Carsten Genetzke nur an: "Das ist vielleicht auf den ersten Blick irritierend, lässt sich aber plausibel erklären." Schiffshebewerke seien keine Brücken, die zum Tagesgeschäft der ausführenden Firmen gehören. "Das letzte Schiffshebewerk in Deutschland wurde in den 1970er-Jahren gebaut."
520 Millionen Euro soll das neue Bauwerk den Steuerzahler jetzt kosten. 185 Millionen Euro waren ursprünglich veranschlagt. Nach Auftragsvergabe an die private Bauwirtschaft war das Budget auf 300 Millionen Euro erhöht worden. Bei diesem Kostendeckel bleibe es, hieß es jahrelang von Seiten der Bauherrin, der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Rolf Dietrich vom Wasserstraßen-Neubauamt: "2014 sollten wir fertig werden, da fallen Mehrkosten an, und die sind natürlich auch abzuschreiben bei den Unternehmen."
Während der Bund die Baufirmen für die Kostenerhöhung in die Pflicht nahm, sah man es bei denen etwas anders. Es kam zum Streit, für den die Projektparteien sogar ein Gericht bemühten. Doch inzwischen seien alle "Streitigkeiten" beigelegt, teilt das Wasserstraßen-Neubauamt mit.
Von Stettin nach Berlin
Um den Weg zwischen Stettin und Berlin für die angepeilten großen und hohen Frachtschiffe überhaupt nutzen zu können, muss allerdings noch ein entscheidendes Hindernis beseitigt werden: die Brückendurchfahrten. Sie müssen alle angehoben werden, von 4,50 auf 5,25 Meter.
Das ist bisher zwischen Stettin und Eberswalde geschehen, aber noch nicht zwischen Eberswalde und Berlin, so Rolf Dietrich: "Mit jeder neuen Brücke, die dort ersetzt wird, wird eben auch die Durchfahrtshöhe angehoben, so dass langfristig in zehn, fünfzehn Jahren auch die 5,25 Meter bis nach Berlin nutzbar sein werden." Im Klartext heißt das: In den kommenden Jahren nützt die neue Anlage wenig. Große Containerschiffe können erst einmal nicht zwischen Berlin und Stettin verkehren.
Langfristiger, teurer und womöglich von begrenztem Wert - das kennt man von einer Reihe anderer Großprojekte in Deutschland: dem noch nicht fertiggestellten Stuttgarter S21-Bahnhof oder dem Berliner BER-Flughafen. Steht die neue Fahrstuhlschleuse im Oderbruch in dieser Reihe?
Was in Niederfinow jetzt begutachtet werden kann, ist vor allem eine architektonische Attraktion. Zwei ungleiche Twin Tower, der eine in Fachwerkstahlstruktur, der andere in schlanker Betonbauweise ohne Dach. Das alte Hebewerk soll, selbst wenn es seinen Betrieb in ein paar Jahren einstellt, auf jeden Fall stehen bleiben. Aus Denkmalschutzgründen.