Die Lebensader Rhein schrumpft
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Der Klimawandel lässt im Rhein die Pegelstände sinken. Der Schiffsverkehr auf der wichtigen Wasserstraße ist gefährdet, darüber täuschen auch herbstliche Regenfluten nicht hinweg. Was tun – die Fahrrinne weiter vertiefen oder auf flachere Schiffe setzen?
Eine Rheinfähre erreicht nach wenigen Minuten Fahrt vom Hafen im rheinland-pfälzischen Bingen das andere Ufer im hessischen Rüdesheim. Eine wichtige Verkehrsverbindung auch für Berufspendlerinnen und Pendler, da die nächste Brücke, die Schiersteiner Brücke in Mainz, rund 25 Kilometer entfernt und oft verstopft ist. Doch der Klimawandel sorgt in den letzten Jahren dafür, dass die Fähren immer öfter stillgelegt werden müssen – wegen Niedrigwasser:
"Das hatten wir im Jahr 2018 massiv, diese Situation. Dass die Fähren den Betrieb einstellen mussten. Wir haben üblicherweise 20 Tage Niedrigwasser pro Jahr im Rhein gehabt in unserem Abschnitt. In diesem Jahr waren es 132. Mit entsprechenden Auswirkungen bis hin zum Stillstand der Schifffahrt", sagt die hessische CDU- Landtagsabgeordnete Petra Müller-Klepper.
Der Rhein ist das prägende Element
Ich treffe sie ein paar Kilometer von Rüdesheim entfernt in ihrem Haus in den Weinbergen des Rheingaus:
"Ja, ich bin Rheingauerin, bin hier geboren und aufgewachsen und habe die große Ehre und Freude, die Region seit 2005 im hessischen Landtag zu vertreten. Und der Rhein ist unsere Lebensader. Er ist das prägende Element unserer Kulturlandschaft. Und wir waren doch alle insbesondere im Sommer 2018 sehr geschockt, als es den historisch niedrigsten Pegelstand gegeben hat. So wenig Wasser wie nie im Rhein. Was dann auch entsprechend massive, negative Auswirkungen auf die Schifffahrt hatte bis hin zum Stillstand."
"Nächster Halt – Probsthof-Nord. Ausstieg in Fahrtrichtung links."
Die Straßenbahnhaltestelle Probsthof-Nord in Bonn ist ein wichtiger Ort, um herauszufinden, wie man den Auswirkungen des Klimawandels auf den Rhein technisch gegensteuern kann. Denn unweit der Haltestelle hat Professor Hans-Heinrich Witte seinen Dienstsitz.
"Ich bin Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. Und damit zuständig in der Bundesrepublik Deutschland für alle unsere Bundeswasserstraßen. Im Mittelpunkt natürlich im Binnenbereich der Rhein. Das sind zirka 7.300 Kilometer Binnenwasserstraßen und dann die Zufahrten zu unseren ganzen deutschen Seehäfen, Nordsee, Ostsee. Das sind nochmal 23.000 Quadratkilometer, die noch dazu gehören."
12.500 Mitarbeiter für die Pflege der Wasserstraßen
Professor Hans-Heinrich Witte ist gelernter Bauingenieur und Chef von rund 12.500 Mitarbeitern, die die Wasserstraßen hierzulande intakt halten sollen.
"Die aufgeteilt sind einmal hier auf unsere Direktion, hier mit dem Sitz in Bonn und unsere Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter, die in den Revieren sitzen, die Schleusen betreiben, die Ufer unterhalten und so weiter und so fort."
An der Wand des Bonner Büros von Hans-Heinrich Witte hängt hinter einem Glasrahmen eine Deutschland-Landkarte mit den bunt hervorgehobenen Flüssen und Kanälen, die von seiner Großbehörde bewirtschaftet werden. Der Klimawandel hat für Witte und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwei Seiten. Während man sich bei den Binnengewässern langfristig auf sinkende Pegelstände einstellt, zwingt der steigende Meeresspiegel zu höheren Deichen an der Küste:
"Wir bauen ja zurzeit am Nord-Ostsee-Kanal, den ertüchtigen wir ja intensiv. Ein 2,5 Milliarden-Projekt, was wir dort an der Backe haben. Da sind unsere Schleusen. Sowohl auf der Ostsee- als auch auf der Nordsee-Seite. Das ist die erste Deichlinie. Und natürlich beim Neubau der Schleuse in Brunsbüttel berücksichtigen wir den Meeresspiegel-Anstieg und bauen die Schleusentore höher, als die letzten gebaut wurden. Das Gleiche auch an der Ostsee. Diese Auswirkungen sind da, aber der steigende Meeresspiegel beeinflusst zurzeit nicht direkt die Schifffahrt. Ganz anders als im Binnenbereich, wo uns das Wasser fehlt."
Die Wasserqualität ist immer besser geworden
Auf der Wasserstraßen-Karte von Hans-Heinrich Witte ist der Rhein zweifarbig eingezeichnet. Der Oberrhein von Basel bis Mainz ist braun, der Mittel- und Niederrhein schwarz. Mit der Wasserqualität hat das nichts zu tun, die ist in den vergangenen Jahrzehnten immer besser geworden.
Die Farben, die den Abschnitten des Stroms zugeordnet sind, markieren die jeweils zuständigen regionalen Wasser- und Schifffahrtsämter. Die machen sich zunehmend auch über die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Rheinschifffahrt Gedanken, so Hans-Heinrich Witte:
"Wir müssen weiterdenken, ja. Abschmelzende Gletscher, die Schneeschmelze – den Rhein ja prägend in seinem Abflussregime, das ist zumindest im Think Tank etwas, wo wir drüber nachdenken müssen, was können wir denn tun? Dann geht es im Wesentlichen darum: Kann Wasserspeicher geschaffen werden, wo bei höheren Abflüssen gespeichert wird und hinterher wieder zugegeben wird? Kann man sich auch mal über den Bodensee Gedanken machen, ob der bewirtschaftet werden könnte?"
Ungewisse Zukunft als befahrbarer Wasserweg
Stauwehre am Bodensee? Das ist noch Zukunftsmusik - wie auch weitere Staustufen, um den Strom von den Niederlanden bis Basel auch in immer heißeren und trockeneren Sommern schiffbar zu halten: "Natürlich, vom Denken her ist es auch richtig zu prüfen, müssen wir den Rhein weiter stauregeln. Die unterste Staustufe im Rhein ist Iffezheim."
Iffezheim liegt rund 30 Kilometer südlich von Karlsruhe. Rund 45.000 Schiffe überwinden jährlich mit zirka 25 Millionen Tonnen Fracht diese Staustufe, hinter der es stromabwärts bis jetzt keine weitere gibt - bis zum Mündung in die Nordsee. Würde unterhalb von Iffezheim jedoch auf Dauer zu wenig Wasser aus den Alpen ankommen, müsste irgendwann stromabwärts doch die nächste Staustufe gebaut werden, um den Strom befahrbar zu halten.
"Wir tun alles dafür, Sedimentmanagement im Rhein, damit dies nicht passiert. Ja, denken muss man es. Das ist aber keine Lösung für Morgen oder Übermorgen", sagt Professor Witte.
In diesem Herbst ist der Pegelstand des nahegelegenen Rheins nach ausgiebigem Regen unbedenklich - der Schiffsverkehr läuft gut. Doch ein trockener Winter könnte das schnell wieder ändern.
Bei Niedrigwasser wird der Rhein zu warm
Noch näher am Rheinufer als die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt liegt ein Büro des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland – kurz BUND. Doch nicht in Bonn, sondern stromaufwärts am anderen Ende des Mittelrheingebietes – am Hindenburgplatz in Mainz. Dort treffe ich Sabine Yacoub, die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende der Umweltorganisation. Sie macht sich seit langem Sorgen darüber, dass der Rhein insbesondere bei Niedrigwasser zu warm wird. Mit enormen Auswirkungen auf die Wanderfische im Strom:
"Wir haben gerade die Langstreckenwanderer wie den Lachs und die Forelle, die eben ab Wassertemperaturen über 20 Grad anfangen, sich nicht mehr sehr wohl zu fühlen und zum Teil dann einfach nicht mehr weiterwandern. Das heißt, die kommen dann entweder nicht mehr oder nicht mehr rechtzeitig in ihre Laichgebiete. Und so sind eben auch Fischbestände bedroht."
Ökologische Bedenken
Mehr Staustufen im Rhein, wie sie von der Wasserstraßenverwaltung des Bundes zumindest für die Zukunft diskutiert werden, sähe Sabine Yacoub nicht gerne. Sie verweist auf die Mosel, die heute schon eine "Aneinanderreihung von Stehgewässern" sei:
"Das ist aus ökologischer Sicht wirklich schlecht. Und gerade bei der Mosel haben wir auch immer wieder das Problem mit Algenblüten im Sommer, die eben weder für das Gewässer, noch für den Menschen, wenn er denn baden gehen will, gut sind. Und wir haben tatsächlich noch so Problematiken, wenn es ganz extrem wird, dass wir in so Staubereichen sogar so etwas wie Methanbildung haben. Was dann eben wieder eine Wirkung ist, die dem Klimaschutz entgegenwirkt."
Der BUND ist auch Mitglied der internationalen Rheinschutz-Kommission, in der sich länderübergreifend Behörden und Verbände auch um die ökologische Situation des Stroms und seiner Zuflüsse kümmern. Sabine Yacoub plädiert dafür, zunächst die Schiffe an die immer wahrscheinlicher werdenden niedrigen Pegelstände anzupassen, bevor man die Fahrrinne des Stroms ausbaggert oder neue Stauwehre baut:
"Und was natürlich ein grundsätzliches Problem bei uns ist, was auch schwierig anzugehen ist: Wir transportieren einfach viel zu viel Zeug."
Den Rhein auf der einen Seite vertiefen
Noch einmal rheinaufwärts – nach Bonn. Dort, wo nun die letzten Vorbereitungen laufen, damit die Schiffe trotz tendenziell sinkender Pegelstände am Mittelrhein auch künftig in der Fahrrinne noch genug Wasser unterm Kiel haben. Hans-Heinrich Witte, der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, erklärt wie dies mit technischen Mitteln bewerkstelligt werden soll:
"Vom Ziel her: Wir versuchen den Wasserabfluss in der Schifffahrtsrinne zu konzentrieren. Das heißt auf der einen Seite die Rinne, wo erforderlich, wo Felsspitzen sind, etwas zu vertiefen."
Anderseits sollen neue, kleine Strömungshindernisse im Uferbereich den Abfluss des dortigen Wassers verlangsamen. Eine Maßnahme, die die hessische CDU-Landtagsabgeordnete Petra Müller-Klepper und ihre Landtagskolleginnen und Kollegen von Grünen und FDP ausdrücklich begrüßen und gerne schneller als bisher geplant 2030 realisiert sehen möchten: "Wir sagen, die Maßnahme ist sinnvoll, ökologisch und ökonomisch", sagt Müller-Klepper.
Skepsis beim BUND
Die rheinland-pfälzische BUND-Vorsitzende Sabine Yacoub ist auch bei dieser Maßnahme skeptischer: "Auch wenn man sich natürlich bemüht, es behutsam zu machen, sind es natürlich schon immer große Eingriffe. Man weiß dann auch nicht, wie lange sie halten. Denn im Augenblick kann, glaube ich, keiner abschätzen, wie das mit dem Rhein überhaupt so weitergeht."
Am Fähranleger Rüdesheim hofft man jetzt erst einmal auf einen feuchten Winter- vor allem in den Alpen. Viel Schnee hilft auch dem Mittelrhein und seinen Anwohnern. Doch die Menschen, die hier am Strom leben, ahnen: Das nächste Dauerniedrigwasser kommt bestimmt. Der Klimawandel wird den Schiffsverkehr immer öfter beeinträchtigen.