Indigene entdecken den Islam
Wie kommt es, dass seit einigen Jahren in den peruanischen Anden eine Gruppe von Schiiten lebt? Das Fernsehen berichtete, sie würden in den Djihad ziehen wollen. Die Reporterin Hildegard Willer hat die peruanischen Muslime besucht.
Ich mache mich auf den Weg ins peruanische Hinterland nach Abancay, um zu erfahren, was und wer hinter den Muslimen in den Anden steckt. Nach 16 Stunden Busfahrt von der Hauptstadt Lima erreiche ich den Talkessel, in dem Abancay liegt. Hohe Berge umgeben die Stadt und ihre 60.000 Einwohner. Die Menschen auf der Strasse bewegen sich gemächlich, aus den Geschäften und Autos erschallt laute Musik
Vom Islam haben hier die wenigsten gehört:
"Das ist eine Religion, nicht wahr? Darüber habe ich kaum gelesen. Hier in Abancay gibt es keine."
Dabei gibt es in Abancay seit vier Jahren eine Gruppe von Studenten, die zum Islam konvertiert sind. Ich treffe sechs von ihnen, vier Männer und zwei Frauen, in ihrem Gebetsraum in einem kleinen unauffälligen Haus in der Nähe der Universität. Hier treffen sie sich jedes Wochenende zur Unterweisung, hier halten sie auch ihre Gebete ab. Jhon Hilton Felix begrüsst mich auf Arabisch.
Anstatt mir die Hand zu geben oder mich, wie in Peru üblich, zur Begrüßung auf die Wange zu küssen, macht Jhon Hilton Felix eine kleine Verbeugung. Er ist 23 Jahre alt, kräftig gebaut, trägt Jeans und ein verblichenes blaues T-Shirt. Er stammt aus einer sehr katholischen Familie, früher wollte er sogar einmal Priester werden. Doch dann überzeugte ihn das bescheidene Auftreten eines islamischen Gelehrten aus dem Iran:
Für die Ausbildung in den Iran
Jhon Hilton: "Der Islam ist die Religion, die am meisten zur Kenntnis einlädt, sowie zu einem guten Betragen, zum Respekt vor den Eltern und vor allem vor der Frau."
Sadek, wie Jhon Hilton seit seiner Bekehrung zum Islam heißt, ist auch der Vorbeter der Gruppe. Er lebte zwei Jahre in der für die Schiiten heiligen Stadt Qom im Iran, um die arabische Sprache zu lernen und die Riten des Islam und die Auslegung des Korans zu studieren. Die theologische Hochschule Al-Musafa im iranischen Qom vergibt großzügige Stipendien an die jungen Muslime aus Abancay, um die Ausbreitung des Islam zu fördern. Rund 20 von ihnen waren bereits für mehrmonatige Kurse im Iran. Die Möglichkeit, ein anderes fernes Land kennenzulernen und dort zu studieren, ist attraktiv für die jungen Studierenden, die meist aus armen Familien kommen.
Für das Mittagsgebet gehen wir alle in einen Gebetsraum im dritten Stock des Hauses. Jhon Hilton, alias Sadek, wirft sich einen schwarzen Kaftan über, die beiden jungen Frauen und ich hüllen uns in eine Art Leintuch und stehen in der hintersten Reihe, während Sadek beginnt, auf Arabisch zu beten.
Während des Gebetes stehe ich neben Carmen. Ihre braunen Augen strahlen aus dem runden Gesicht. Der Rest des Kopfes und das Haar ist von einem goldfarbenen Kopftuch mit schwarzen Tupfen, dem sogenannten Hijab bedeckt. Carmen Solis ist 18 Jahre alt und seit fünf Jahren Muslima, sie studiert im 6. Semester Jura. Den Hijab verteidigt sie vehement.
Carmen: "Es ist besser, dass die Frau bedeckt ist. So sieht man die Frau nicht als Sexobjekt, sondern als Person. Der Mann verliebt sich in ihren Intellekt zuerst."
Dass der schiitische Islam bis nach Abancay gekommen ist, ist in gewisser Weise ein Vermächtnis des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Der linke Chávez wollte vor gut 12 Jahren die südamerikanische Freihandelszone ALBA aus der Taufe heben – ohne und gegen die USA. Der Iran stand wie Venezuela mit den USA auf Kriegsfuß, und getreu dem Motto "die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde", lud Chávez den Iran als assoziiertes Mitglied in die ALBA-Runden ein.
Gemeinsamkeiten von Islam und indianischen Traditionen
Heute ist Hugo Chávez tot und der ALBA trat nie in Kraft. Iranische Geistliche aber konnten in den Jahren ihre Saat säen, bei unzähligen ALBA-Treffen in Lateinamerika. So auch bei Edwar Quiroga, dem Gründer und Leiter der jungen Schiitengemeinde in Abancay. Vor vier Jahren trat er zum Islam über. Ausschlaggebend war die Begegnung mit dem schiitischen Sheikh Suheil Assad in Caracas. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und der indianischen Tradition überzeugten ihn.
Edwar Quiroga: "Als ich ihm die Geschichte von Tupac Amaru erzählte, liefen ihm die Tränen runter, auch die anderen weinten, als sie hörten wie unserer Indigener Widerstandsheld Tupac Amaru und seine Frau Micaela Bastidas getötet wurden. Und Sheikh Suheil sagte mir, dass alle Völker der Welt irgendwann einmal eine solche Unterdrückungsgeschichte hatten. Er erzählte mir vom Imam Hussein, der für die Verteidigung des Islam gestorben ist. "
Ich treffe Edwar Quiroga nicht in seinem Heimatort Abancay, sondern in der Hauptstadt Lima. Das Bildnis des iranischen Revolutionsführers Chomeini hängt in seinem Gebets- und Wohnraum in der Altstadt.
In den Medien würden sie als Terroristen beschimpft, sogar mit der Seuche Ebola verglichen, erzählt Quiroga.
Ganz sicher sind die jungen Muslime von Abancay keine islamistischen Gotteskrieger, wie sie das peruanische Fernsehen dargestellt hat. Dagegen steht der in den Anden übliche Synkretismus, die Vermischung der Religionen, wie sie auch Edwar Quiroga bezeugt:
Edwar Quiroga: "Es ist eine große Nähe zwischen dem Christentum und dem Islam. Ich könnte nicht sagen, dass der Islam Feind des Christentums oder umgekehrt ist. Wir stammen alle vom gleichen Vater Abraham ab".