Schilderung aller Grausamkeiten
Jochanan Shelliem hat ein Feature über Adolf Eichmann verfasst, das jetzt als Hörbuch herausgekommen ist. Eichmann war als Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zentral mitverantwortlich für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Menschen.
Eichmanns Ankläger in Israel bereiten elf Monate lang den Prozess vor, die Verhöre werden auf Tonband aufgezeichnet. Dabei wird die Verteidigungsstrategie des ehemaligen SS-Obersturmbannführers schnell klar.
Eichmann zu Polizeihauptmann Less:
"Wie kann man denn einfach da hinein knallen, auf eine Frau und auf Kinder? Wie ist denn das möglich, sag ich. Die Leute müssen ja entweder wahnsinnig werden oder sie werden Sadisten. Unsere eigenen Leute!"
Die Massenerschießungen habe er kaum ertragen, behauptet der Organisator des Völkermordes, auch beim Blick in die Gaskammern in Auschwitz sei ihm schlecht geworden. Er beruft sich auf einen angeblichen Befehlsnotstand, er sei nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen. Alles Lüge, stellt die Historikerin Bettina Stangneth klar, auf deren Forschungsergebnissen Shelliems Feature weitgehend fußt:
"Wenn Sie sich ansehen, wie sich Eichmann darstellt in Jerusalem und das vergleichen können damit, wie sich Eichmann darstellt in Argentinien und wie er sich dargestellt hat in der Nazizeit, denn auch darüber haben wir ja Zeugnisse, dann können Sie sehen, wie Manipulation funktioniert, wenn er es ist, der manipuliert."
Den Vergleich zu ermöglichen, die vielen Gesichter Eichmanns nebeneinander zu stellen: Das ist das große Verdienst dieses Features, das mit Hilfe der sorgsam ausgewählten Stimmen von Udo Schenk und Jürgen Holtz auch 50 Jahre nach dem Prozess gegen Eichmann fesselt. In Argentinien hatte der sich wenige Jahre vor seinem Prozess noch ganz anders geäußert:
"Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, hätten wir von den 10,3 Millionen Juden 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet!"
Er sei kein Befehlsempfänger gewesen, sondern "Idealist" und habe den Massenmord aktiv voran getrieben, so Eichmann ganz offen im Haus von Willem Sassen in Buenos Aires. Ein großer Kreis der dorthin geflüchteten Nazis arbeitet damals an einer revisionistischen Darstellung des Nationalsozialismus – und der niederländische ehemalige SS-Mann und Kriegsberichterstatter Sassen lässt ein Tonbandgerät mit laufen. Doch während Sassen sich bemüht, die Opferzahlen klein zu rechnen, prahlt Eichmann mit seinen "Verdiensten".
"Das Interessante an allen Zeugnissen, die wir über Eichmann haben, also an Protokollen aus seiner Machtzeit, als auch den Tonbändern aus Argentinien, als auch denen in Israel, ist, dass wir überall einen anderen Eichmann sehen. Wir sehen, wie klug und wie geschickt dieser Mann Rollen spielen kann."
Das herausragende, zweieinhalb Stunden lange Feature, das nun auch als Hörbuch heraus gekommen ist, verbindet die O-Töne aus den Sassen-Gesprächen zum ersten Mal mit bisher unveröffentlichten Mitschnitten von Eichmanns Polizeiverhör in Israel. Das führt - ausgesucht höflich - der in Berlin geborene Polizeioffizier Avner Less, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde. Er lässt ihn reden, den Mann, der für Hannah Arendt die "Banalität des Bösen" verkörperte.
Less zu Eichmann:
"Ich glaube, es wäre angebracht, wenn Sie vielleicht mit Ihrem Lebenslauf anfangen würden, ja? Bitteschön." Eichmann: "Ich wurde am 19. März 1906 in Solingen im Rheinland geboren."
Es ist widerwärtig zu erleben, wie Eichmann sich bei Hauptmann Less anbiedert. Wie er sich die Legende des Schreibtischtäters drechselt, seine Rolle im Holocaust verharmlost und sich sogar selbst als Opfer stilisiert, weil er die Gräuel mit ansieht. Dem entsprechend ist dann auch seine Haltung im Prozess:
"Eichmann bekennt sich "nicht schuldig"
Genützt hat es ihm nichts: Das Todesurteil wegen Verbrechen gegen die Menschheit wurde im Mai 1962 durch den Strang vollstreckt, seine Leiche verbrannt, die Asche ins Meer gestreut. Der Eichmann-Prozess, mit der Schilderung aller Grausamkeiten, war auch heilsam, das macht dieses erschütternde Hörbuch noch einmal deutlich: 100 Zeugen aus allen Ländern der Vernichtung traten auf. Ihre Aussagen riefen den Holocaust in das Gedächtnis einer breiten Öffentlichkeit zurück. Doch manche Überlebende der Konzentrationslager waren der Erinnerung kaum gewachsen, brachen im Gerichtssaal zusammen:
"Zeuge bricht im Saal zusammen."
Warum es dennoch so wichtig für die Opfer war, über die von Eichmann organisierten Verbrechen zu sprechen, schildert der Schriftsteller Ahron Appelfeld:
"Der Eichmann-Prozess war das erste Mal, dass Leute, die kamen von den Lagern, von den Wäldern, konnten sprechen, es war erlaubt, zu sprechen. Du hast dir es erlaubt zu sprechen. Über dein Leben, über deine Eltern, was geschah. Das war das erste Mal. Und viele haben darüber gesprochen, ja."
Besprochen von Vanja Budde
Jochanan Shelliem: "Begegnung mit einem Mörder: Die vielen Gesichter des Adolf Eichmann"
Audio Verlag, Berlin 2011, 3 CDs, 150 Minuten
Empfohlener Preis: 19,99 Euro
Eichmann zu Polizeihauptmann Less:
"Wie kann man denn einfach da hinein knallen, auf eine Frau und auf Kinder? Wie ist denn das möglich, sag ich. Die Leute müssen ja entweder wahnsinnig werden oder sie werden Sadisten. Unsere eigenen Leute!"
Die Massenerschießungen habe er kaum ertragen, behauptet der Organisator des Völkermordes, auch beim Blick in die Gaskammern in Auschwitz sei ihm schlecht geworden. Er beruft sich auf einen angeblichen Befehlsnotstand, er sei nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen. Alles Lüge, stellt die Historikerin Bettina Stangneth klar, auf deren Forschungsergebnissen Shelliems Feature weitgehend fußt:
"Wenn Sie sich ansehen, wie sich Eichmann darstellt in Jerusalem und das vergleichen können damit, wie sich Eichmann darstellt in Argentinien und wie er sich dargestellt hat in der Nazizeit, denn auch darüber haben wir ja Zeugnisse, dann können Sie sehen, wie Manipulation funktioniert, wenn er es ist, der manipuliert."
Den Vergleich zu ermöglichen, die vielen Gesichter Eichmanns nebeneinander zu stellen: Das ist das große Verdienst dieses Features, das mit Hilfe der sorgsam ausgewählten Stimmen von Udo Schenk und Jürgen Holtz auch 50 Jahre nach dem Prozess gegen Eichmann fesselt. In Argentinien hatte der sich wenige Jahre vor seinem Prozess noch ganz anders geäußert:
"Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, hätten wir von den 10,3 Millionen Juden 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet!"
Er sei kein Befehlsempfänger gewesen, sondern "Idealist" und habe den Massenmord aktiv voran getrieben, so Eichmann ganz offen im Haus von Willem Sassen in Buenos Aires. Ein großer Kreis der dorthin geflüchteten Nazis arbeitet damals an einer revisionistischen Darstellung des Nationalsozialismus – und der niederländische ehemalige SS-Mann und Kriegsberichterstatter Sassen lässt ein Tonbandgerät mit laufen. Doch während Sassen sich bemüht, die Opferzahlen klein zu rechnen, prahlt Eichmann mit seinen "Verdiensten".
"Das Interessante an allen Zeugnissen, die wir über Eichmann haben, also an Protokollen aus seiner Machtzeit, als auch den Tonbändern aus Argentinien, als auch denen in Israel, ist, dass wir überall einen anderen Eichmann sehen. Wir sehen, wie klug und wie geschickt dieser Mann Rollen spielen kann."
Das herausragende, zweieinhalb Stunden lange Feature, das nun auch als Hörbuch heraus gekommen ist, verbindet die O-Töne aus den Sassen-Gesprächen zum ersten Mal mit bisher unveröffentlichten Mitschnitten von Eichmanns Polizeiverhör in Israel. Das führt - ausgesucht höflich - der in Berlin geborene Polizeioffizier Avner Less, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde. Er lässt ihn reden, den Mann, der für Hannah Arendt die "Banalität des Bösen" verkörperte.
Less zu Eichmann:
"Ich glaube, es wäre angebracht, wenn Sie vielleicht mit Ihrem Lebenslauf anfangen würden, ja? Bitteschön." Eichmann: "Ich wurde am 19. März 1906 in Solingen im Rheinland geboren."
Es ist widerwärtig zu erleben, wie Eichmann sich bei Hauptmann Less anbiedert. Wie er sich die Legende des Schreibtischtäters drechselt, seine Rolle im Holocaust verharmlost und sich sogar selbst als Opfer stilisiert, weil er die Gräuel mit ansieht. Dem entsprechend ist dann auch seine Haltung im Prozess:
"Eichmann bekennt sich "nicht schuldig"
Genützt hat es ihm nichts: Das Todesurteil wegen Verbrechen gegen die Menschheit wurde im Mai 1962 durch den Strang vollstreckt, seine Leiche verbrannt, die Asche ins Meer gestreut. Der Eichmann-Prozess, mit der Schilderung aller Grausamkeiten, war auch heilsam, das macht dieses erschütternde Hörbuch noch einmal deutlich: 100 Zeugen aus allen Ländern der Vernichtung traten auf. Ihre Aussagen riefen den Holocaust in das Gedächtnis einer breiten Öffentlichkeit zurück. Doch manche Überlebende der Konzentrationslager waren der Erinnerung kaum gewachsen, brachen im Gerichtssaal zusammen:
"Zeuge bricht im Saal zusammen."
Warum es dennoch so wichtig für die Opfer war, über die von Eichmann organisierten Verbrechen zu sprechen, schildert der Schriftsteller Ahron Appelfeld:
"Der Eichmann-Prozess war das erste Mal, dass Leute, die kamen von den Lagern, von den Wäldern, konnten sprechen, es war erlaubt, zu sprechen. Du hast dir es erlaubt zu sprechen. Über dein Leben, über deine Eltern, was geschah. Das war das erste Mal. Und viele haben darüber gesprochen, ja."
Besprochen von Vanja Budde
Jochanan Shelliem: "Begegnung mit einem Mörder: Die vielen Gesichter des Adolf Eichmann"
Audio Verlag, Berlin 2011, 3 CDs, 150 Minuten
Empfohlener Preis: 19,99 Euro