Schilderung eines Ethnozids
Jamil Ahmad war in den 60er-Jahren Beamter in der westpakistanischen Grenzregion. Nun hat er Erzählungen von damals veröffentlicht – aus einer Region, die heute zu einer der umkämpftesten überhaupt gehört und als Rückzugsgebiet von al-Qaida und Taliban gilt. Protagonist des Buches ist ein Junge, der einer verbotenen Liebe entstammt.
Jamil Ahmad, Jahrgang 1933, war bis vor zwei Jahren ein unbeschriebenes Blatt in der Literatur Pakistans. Dann zog er einen Zyklus von Erzählungen aus der Schublade, die er in den Sechzigerjahren geschrieben hatte, während er in der westpakistanischen Grenzregion als Beamter diente.
Diese ist inzwischen zu einem der am heftigsten umkämpften Flecken des Planeten geworden und gilt als Rückzugsgebiet von al-Quaida und Taliban. Das Buch wurde wohl deshalb zum Überraschungserfolg, obwohl es tatsächlich in einer längst vergangenen Welt spielt.
Einer entführt seine Geliebte. Auf der Flucht vor den Verfolgern lassen sie sich neben einem unwirtlichen Außenposten der Armee nieder. Sie bekommen ein Kind. Als die Eltern Jahre später doch von ihren Verfolgern gefunden und erschlagen werden, wird das Kind neben den Leichen zurückgelassen. Dieses Kind ist der Falke, dessen "Weg" durch die Geschichten das Leitmotiv abgibt. Die eigentlichen Helden sind immer die anderen, die das Kind finden und aufnehmen, zum Beispiel die Belutschen, die sich gegen den Staat erheben, weil ihnen ein unerwünschtes Oberhaupt vorgesetzt wird.
Sie finden ein Flugblatt, das ihnen freies Geleit zusichert. Aber in der Stadt angekommen, werden sie ohne Umstände zu Tode verurteilt. "Über die Belutschen, ihr Anliegen, ihr Leben und ihren Tod wurde absolutes Stillschweigen vereinbart. Kein Zeitungsredakteur riskierte, sich ihretwegen eine Strafe einzuhandeln. Was mit ihnen starb, war ein Teil des Belutschenvolkes selbst."
"Der Weg des Falken" ist nichts geringeres als die Schilderung eines Ethnozids an jenen, die vor diesem Buch nie eine Stimme, ein Gewicht, einen Erzähler hatten. Das raue Leben der Nomaden in den pakistanischen Grenzregionen wird dabei nicht verherrlicht. Es wird aber auch nicht verurteilt, so leicht das wäre. Den im 20. Jahrhundert neugegründeten Nationalstaaten der Region sind die Menschen, deren Geschichten Jamil Ahmad erzählt, suspekt.
Seit jeher sind sie im Rhythmus der Jahreszeiten gewandert, erfahren wir in "Das Sterben der Kamele", und nie haben sie Dokumente gehabt. Nun sollen sie auf einmal an der pakistanisch-afghanischen Grenze ihre Pässe vorzeigen. Als sie dennoch einfach weiterziehen, werden sie mitsamt ihren Tieren niedergemetzelt. Nicht alle Erzählungen enden so tragisch. Aber dass die Welt, die hier beschrieben wird, von der Auslöschung bedroht ist – dieses Wissen schwingt in jeder Zeile mit.
Die Geschichten zeichnen sich durch einen einfachen, unprätentiösen Stil aus. Ihr Reiz besteht in der Erzählperspektive, die genau den richtigen Abstand hält: Noch entfernt genug, um diese untergehende Welt von außen zu sehen; nah genug aber, um diese Distanz nie in eine innere umkippen zu lassen und die Figuren dem Leser zu entfremden, so fremd sie ihm unweigerlich sind.
Besprochen von Stefan Weidner
Jamil Ahmad: Der Weg des Falken
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2013, 188 Seiten, 19,99 Euro
Diese ist inzwischen zu einem der am heftigsten umkämpften Flecken des Planeten geworden und gilt als Rückzugsgebiet von al-Quaida und Taliban. Das Buch wurde wohl deshalb zum Überraschungserfolg, obwohl es tatsächlich in einer längst vergangenen Welt spielt.
Einer entführt seine Geliebte. Auf der Flucht vor den Verfolgern lassen sie sich neben einem unwirtlichen Außenposten der Armee nieder. Sie bekommen ein Kind. Als die Eltern Jahre später doch von ihren Verfolgern gefunden und erschlagen werden, wird das Kind neben den Leichen zurückgelassen. Dieses Kind ist der Falke, dessen "Weg" durch die Geschichten das Leitmotiv abgibt. Die eigentlichen Helden sind immer die anderen, die das Kind finden und aufnehmen, zum Beispiel die Belutschen, die sich gegen den Staat erheben, weil ihnen ein unerwünschtes Oberhaupt vorgesetzt wird.
Sie finden ein Flugblatt, das ihnen freies Geleit zusichert. Aber in der Stadt angekommen, werden sie ohne Umstände zu Tode verurteilt. "Über die Belutschen, ihr Anliegen, ihr Leben und ihren Tod wurde absolutes Stillschweigen vereinbart. Kein Zeitungsredakteur riskierte, sich ihretwegen eine Strafe einzuhandeln. Was mit ihnen starb, war ein Teil des Belutschenvolkes selbst."
"Der Weg des Falken" ist nichts geringeres als die Schilderung eines Ethnozids an jenen, die vor diesem Buch nie eine Stimme, ein Gewicht, einen Erzähler hatten. Das raue Leben der Nomaden in den pakistanischen Grenzregionen wird dabei nicht verherrlicht. Es wird aber auch nicht verurteilt, so leicht das wäre. Den im 20. Jahrhundert neugegründeten Nationalstaaten der Region sind die Menschen, deren Geschichten Jamil Ahmad erzählt, suspekt.
Seit jeher sind sie im Rhythmus der Jahreszeiten gewandert, erfahren wir in "Das Sterben der Kamele", und nie haben sie Dokumente gehabt. Nun sollen sie auf einmal an der pakistanisch-afghanischen Grenze ihre Pässe vorzeigen. Als sie dennoch einfach weiterziehen, werden sie mitsamt ihren Tieren niedergemetzelt. Nicht alle Erzählungen enden so tragisch. Aber dass die Welt, die hier beschrieben wird, von der Auslöschung bedroht ist – dieses Wissen schwingt in jeder Zeile mit.
Die Geschichten zeichnen sich durch einen einfachen, unprätentiösen Stil aus. Ihr Reiz besteht in der Erzählperspektive, die genau den richtigen Abstand hält: Noch entfernt genug, um diese untergehende Welt von außen zu sehen; nah genug aber, um diese Distanz nie in eine innere umkippen zu lassen und die Figuren dem Leser zu entfremden, so fremd sie ihm unweigerlich sind.
Besprochen von Stefan Weidner
Jamil Ahmad: Der Weg des Falken
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2013, 188 Seiten, 19,99 Euro