Schiller als menschliches Puppenspiel

Von Michael Laages |
Das "Berliner Ensemble” zeigt Schillers Spätwerk "Der Parasit” in ungewohnter Form: Die Schauspieler tauchen auf mehreren Etagen hinter Rampen auf, sind fast immer nur bis zum Bauchnabel zu sehen und tragen umgehängte Halbpuppen-Kostüme.
Wer einen direkten Zusammenhang vermuten wollte zwischen der Amtseinführung der Minister im neuen Berliner Regierungskabinett und der Polit-Satire "Der Parasit”, die Friedrich Schiller 1803, zwei Jahre vor seinem Tod, nach einer französischen Vorlage als Auftragsarbeit für das Weimarer Hoftheater schrieb, der läge ziemlich weit daneben - das hieße, die Weitsicht von Theatermachern beträchtlich zu überschätzen. Der Termin der Neuwahlen mag bekannt gewesen sein, als dieses Stück in den Spielplan gelangte am "Berliner Ensemble”, der des Amtseids mit Sicherheit nicht.

Und bei genauerer Betrachtung ist "Der Parasit” in Schillers Stück ja gerade auch nicht der Minister selber; der ist ein wohlwollender, gerechter Mann. Er gibt nur das Wirtstier ab für eine niedere Charge, eine Schranze am Hof, die schon dem vorigen Minister diente, für den wohl manches finstre Geschäftchen gedeckt und auch manch andere Karriere behindert hat - Schillers im Vergleich zum Original stark zugespitzte und angeschärfte Story spielt in den mittleren Ebenen der höfischen Hierarchie. Dort wird intrigiert und wider-intrigiert; und eines der früheren Opfer des Parasiten lockt den Tunichtgut bei Gelegenheit des Ministerwechsels nun derart verbindlich in die Falle, dass schlussendlich dessen böses Treiben sein gutes Ende findet.

Eine Komödie halt.

Am "Berliner Ensemble” zeigt sie der Haus-Regisseur Philip Tiedemann in sehr spezieller Form: und einen Schiller wie diesen gab's vielleicht noch nie und nirgends. Mit dem Bühnenbildner Etienne Pluss hat Tiedemann eine Idee weiter gesponnen, die neulich schon für Christian Dietrich Grabbes "Hermannsschlacht” am Osnabrücker Theater recht nützlich war – die Geschichte wird in eine Art Puppentheater gepflanzt. Auf mehreren Etagen tauchen die Schauspieler hinter Rampen und wie Kai aus der Kiste auf; sie sind (fast immer) nur bis zum Bauchnabel zu sehen und tragen umgehängte Halbpuppen-Kostüme, Beine und Füße mit Hose und Schuhen werfen sie beim Auftreten stets schwungvoll über die Rampe vor sich.

Das ist als Effekt sehr komisch und gibt der immens stark (auf nur 100 Minuten!) verdichteten fünf-Akte-Dramaturgie ziemlich viel Tempo und Dynamik. Der schöne Trick allerdings engt die weiteren Qualitäten des Ensembles allerdings auch beträchtlich ein – logischerweise, denn die Akteurinnen und Akteure können zwar an immer neuen Stellen in der Kletterwand auftauchen und mit den Beinen baumeln, aber richtiges Miteinander-Spielen ist praktisch unmöglich.

Zudem neigt der immergleiche Effekt auch in noch weniger als 100 Minuten schnell zur Ermüdung - weil Tiedemanns Team das aber weiß, setzt es auf einen Schelm anderthalbe: und lässt einen realen Musiker das launige Spiel noch launiger ausgestalten. Sehr comicmäßig (Ratsch! Zack! Peng! Boing!) begleitet der nun als Geräuschemacher mindestens jede zweite Aktion auf der Bühne; und da Schiller obendrein ein wenig singbare Lyrik in die Text hinein strickte, wird auch fleißig gesungen, bis ins Finale, wo die Moral von der Geschicht' zum wackeren Chörchen wird: Das Mittelmäßige setzt sich immer durch, und Recht und Moral gibt's nur auf der Bühne!

Stimmt. Dieser Wahrheit sind andere "Parasit”-Aufführungen (obwohl es gar nicht so viele gab in jüngerer Zeit) mit interpretatorischem Handwerk auf die Spur gekommen - das "Berliner Ensemble” hat dafür die Puppenstube zum Einsatz gebracht. Das macht eine Weile großen Spaß - lässt allerdings eher das Nahen der Sylvester- und Karnevals-Zeit ahnen, als dass es ein Kommentar zur Minister-Lage der Nation hätte werden können.