Schinkels Sterne
Schinkels Sternenhimmel an der Kirchendecke von Neuhardenberg soll wieder im alten Glanze leuchten. Dies haben sich die Bürger des kleinen Städtchens im Oderbruch für dieses Jubiläumsjahr des großen preußischen Architekten fest vorgenommen. Dieses Kleinod gehört - zusammen mit anderen Bauten in Neuhardenberg - zur frühen Periode seines Schaffens, das am Ende mit 150 Gebäuden vom Rheinland bis nach Russland reicht.
Dabei war Schinkel weit mehr als nur königlicher Baubeamter: Als Bühnenbildner, Maler, Produktdesigner und Denkmalpfleger hinterließ er insgesamt ein Werk, das schon zu seinen Lebzeiten hohe Anerkennung fand und bis in die Gegenwart nachwirkt. Eine Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am Neuen Markt in Potsdam lässt diesen "Star" des klassischen Preußens besonders hell leuchten.
Neuhardenberg, 80 Kilometer östlich von Berlin, fast an der polnischen Grenze: Der Ort ist ein Anziehungspunkt für Bewunderer des preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Wer von Westen in den Ort hineinkommt, sieht schon von weitem den leuchtend weißen Kirchturm mit seinem merkwürdig ellipsenförmigen Glockengeschoss als Abschluss. Wer sich von Osten aus der Richtung Seelow nähert, blickt auf ein tempelartiges Mausoleum mit säulenbestandener Vorhalle an der Rückseite des Kirchenschiffs. Schinkel hatte es nach dem Tod seines Auftraggebers in Neuhardenberg, des Fürsten und Staatskanzlers Carl August von Hardenberg, im Jahr 1822 als Begräbnisplatz angefügt. Die Kirchentür steht fast immer offen, Besucher sind willkommen:
"Dann begrüße ich Sie erstmal ganz herzlich im Namen des Gemeindekirchenrates unserer Kirche Neuhardenberg und auch im Namen des Fördervereins Schinkelkirche, dem ich auch angehöre und heiße Sie in unserer Kirche herzlich willkommen, ich werde sie mit unserer Kirche vertraut machen."
Die alte Dorfkirche war 1801 abgebrannt, der damalige Gutsherr, der preußische Finanzrat Bernhard von Prittwitz, beauftragte den blutjungen Architekten Karl Friedrich Schinkel mit ersten Skizzen für den Wiederaufbau. Diese müssen ihn überzeugt haben, denn er schrieb:
"Schinkels Zeichnung ist allerliebst. Wir bekommen so die schönste Land-Kirche in der Mark."
Auf den alten Grundmauern errichtete Schinkel 1809 die neue Kirche. Erst unter dem preußischen Staatskanzler Fürst Carl August von Hardenberg, der das damalige Gut Quilitz 1814 für seine Verdienste vom König geschenkt bekommen hatte, wurde auch der Innenraum im klassizistischen Stil neu gestaltet. Schlanke Holzsäulen tragen die Emporen, die mit blauen Blüten bemalt sind. Christa Starke weist stolz auf die flache Holzdecke des Kirchenschiffs:
"Wir haben das Glück, dass uns Schinkel eine Sternendecke damals gemalt hatte, die im Original zurückgeführt ist nach dem Bühnenbild zu Mozarts Zauberflöte. Herr Rosenberg vom Förderverein hat dann gesagt, die Sterne werden wir verpaten."
Vor vier Jahren wurde im Kircheninneren zuerst der Sternenhimmel restauriert. Jetzt schimmern wieder unzählige goldene Sterne auf blauem Grund von der Decke. Die Gemeinde hat bereits über 4000 Patenschaften für die größeren und kleineren Sterne vergeben, um Geld für die weitere Sanierung zu sammeln. Am Reformationstag 2007 soll alles fertig sein. Dann nämlich feiert die Schinkelkirche Jubiläum: 190 Jahre zuvor war sie nach ihrem Wiederaufbau durch Karl Friedrich Schinkel geweiht worden.
"Nächstes Jahr wird noch die Kanzel restauriert, sie war der Blickkontakt vom Pfarrer zur Patronatsloge, hier oben, wo wir den Keilerkopf haben, da saß der Staatsminister im Gottesdienst und das bleiverglaste Wappn in der Patronatsloge hatte man zerschlagen, weil man mit Grafen und Junkern nichts mehr zu tun haben wollte, man hat den Namen Neuhardenberg auch ausgelöscht und den Ort in Marxwalde umbenannt, am 1. Mai 1949, noch vor der DDR-Gründung, man hat den Ort als sozialistisches Vorzeigedorf mit Pflanzen- und Tierproduktion und Regierungs- und Jagdgeschwader von Honecker, wir sind dann von 1280 Einwohnern bäuerlicher Herkunft auf 3500 Menschen atheistischer Herkunft angewachsen, so ist es hier geblieben. Wir haben seit drei Jahren keine Konfirmanden hier, es ist eigentlich traurig, dass die Neuhardenberger sich nicht entschließen können, wieder in die Kirche zu gehen, für mich ist das selbstverständlich, ich sag immer, Gott schenke mir die Kraft, das alles zu schaffen."
Östlich des Dorfangers, mitten im schönen Lenné-Park, liegt Schloss Neuhardenberg, heute die Kultur- und Bildungsstätte des Sparkassen- und Giroverbandes. Fürst Carl August von Hardenberg hatte das Qulitzsche Gutshaus ebenfalls nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel 1820 bis 1822 aufstocken und im frühklassizistischen Stil zu einem Landschloss ausbauen lassen. Anders als die Schinkel-Kirche ist es allerdings nur am Sonntagnachmittag für Führungen geöffnet, in den Nebengebäuden und Anbauten ziehen die Kulturveranstaltungen der Stiftung Schloss Neuhardenberg an den Wochenenden vor allem ein Berliner Publikum an.
Wer auf Schinkels Spuren durch das Oderbruch reist, trifft wenige Kilometer nordwestlich von Neuhardenberg auf ein weiteres Zeugnis des preußischen Baumeisters: Bärwinkel, das ehemalige Vorwerk von Quilitz-Neuhardenberg. Abseits der Hauptstraße steht ein ungewöhnlich großes Haus mit breitem Giebel, die Seiten wie Nebenschiffe einer Basilika etwas niedriger. Vor dem Gebäude fahren Männer mit Schubkarren Steine umher, innen wird gehämmert und gesägt. Maik Troschke wohnt nebenan. Der arbeitslose Rinderzüchter beaufsichtigt die Bauarbeiten und packt auch mit an:
"Fußboden wird rinn gemacht, sauber gemacht, dann soll ja eröffnet werden."
Die Fassade des Gebäudes besteht aus einem Feldsteinsockel, über dem merkwürdig porös wirkende rost-braune Steine gemauert sind. Maik Troschke klärt auf:
"Ja, Raseneisenstein ist ditte, findet man hier heute noch bei Neuhardenberg, haben wir früher ausgepflügt, drei bis vier Trecker-Anhänger liegen noch da."
Damit bessern die Arbeiter Schäden aus. Im Obergeschoss sind die Wände mit Gipsplatten verkleidet, hier soll es – noch als Baustelle - am 3. Juni eine erste Ausstellung zum Frühwerk Schinkels eröffnet werden. Dann hat der Berliner Architekt Frank Augustin die erste große Etappe geschafft. Seit der Wende kümmert er sich um dieses frühe Zeugnis des preußischen Baumeisters, gründete einen Förderverein, beantragte Fördergelder, entwickelte die Idee zu einem Museum. Fasziniert hat den Berliner Architekten und Schinkel-Verehrer das Gebäude seit einem ersten Besuch vor 20 Jahren. Damals war das Gebäude völlig überwuchert:
"Dieses Rostrot und dazu das frische Grün, das war Liebe auf den ersten Blick."
Der Nachweis, dass es sich um einen echten Schinkel-Bau handelte, war schwierig:
"In eigenen Niederschriften nichts erwähnt, aber evident ist die Substanz und die Qualität, darüber berichtet der 1. Direktor des Alten Museums, Friedrich Waagen, der Schinkel auf Reisen begleitete, die Nachricht, das S. selbst es zu den merkwürdigsten und eigentümlichsten Häusern seines Frühwerks hält."
Inzwischen hat Frank Augustin Licht in die Geschichte von Bärwinkel bringen können: Das Vorwerk war nach englischem Vorbild als eine so genannte "ornamented farm" errichtet worden. 1802 bis 1803 hatte Karl Friedrich Schinkel das Verwalter- und Molkenhaus im Stil einer neoromanischen Basilika mit Rundbogenfenstern, Mittelschiff und schmalen Seitenschiffen entworfen.
Für ein Gebäude der landwirtschaftlichen Produktion wählte er eine ungewöhnliche Schmuckform. Doch das Molkenhaus war mehr:
"Im Mittelschiff der Basilika im Parterre gab es eine herrschaftliche Stube, das ist baulich betrachtet die salla terrana, im 1. Stockwerk aber gab einen herrschaftlichen Salon, den die Herrschaft aus Quilitz aufsuchte, um mit Gästen dort oben ein Glas Molke zu trinken und den Blick ins Bruch zu genießen."
Langfristig soll Bärwinkel Museum werden und den Blick auf die Lehrjahre des preußischen Baumeisters lenken - eine schöne Ergänzung zu Schloss und Kirche von Neuhardenberg.
Auf schmalen Straßen fahren wir durch grüne Wiesen und Felder, an verlassenen Gehöften vorbei. Wenige Kilometer weiter in Richtung Oder treffen wir im Städtchen Letschin auf weitere Spuren Schinkels. Dort erhebt sich mitten auf dem Marktplatz ein einsamer Turm in neogotischem Stil. Aus einem quadratischem hell geputzen Schaft wächst die ziegelrote, mit Bögen und Profilen fein gegliederte Turmspitze in den Himmel. Karl Friedrich Schinkel hatte das grazile Bauwerk 1818 bis 1819 an eine bestehende Backsteinkirche angebaut. Gabriele Axmann, Mitarbeiterin der Heimatstube, erklärt, warum der Turm heute so einsam auf dem Platz steht:
"So wie jetzt hier die anderen Steine sind und die Hecke, so war mal das Kirchenschiff Der Turm sollte auch abgerissen werden, aber da haben sie sich stark gemacht, der ist dann geblieben. Die Spitze, da war mal ein Einschlag, die war auch weg, die ist jetzt neu gemacht worden.
Da ging man dann in die Kirche rein, jetzt mit Glas. Die Glocken läuten immer noch von unserem Turm, da sind wir auch mächtig stolz drauf."
Nach sorgfältiger Restaurierung wurde hier 2002 eine kleine Ausstellung eingerichtet. Hier findet man auch eine Karte, die zu weiteren Schinkelbauten im Oderbruch führt.
Doch das preußische Königreich, in dessen Diensten Karl Friedrich Schinkel stand, reichte weiter als nur bis zur Oder, der fleißige Architekt war zudem auch für auswärtige Auftraggeber tätig. In Schinkels 225. Geburtsjahr gibt jetzt die Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Anregungen zum Besuch erhaltener Schinkel-Bauten zwischen Aachen im Westen und St. Petersburg Osten mit seiner Ausstellung "Schinkel – Künstler, Preuße, Brandenburger". Der Kunsthistoriker Andreas Behrend hat sie konzipiert:
"Die Ausstellung will das gesamte Spektrum des Schaffens Schinkels präsentieren, nicht was er gemacht hat, sondern pars pro toto, fächert das Schaffen in 13 Kapitel auf, will Schwerpunkte schaffen, fordert auf, das hier gesehene, was die Architektur nur mittelbar präsentiert, das heißt im Vorentwurf oder in der Darstellung nach der Fertigstellung, sich als gebautes Projekt anzusehen. Deswegen gibt es begleitend zur Ausstellung als Publikation diesen Reiseführer, mit dem man dann durch die Lande fahren kann, damit sich das gebaute Werk und in der Realität und die Kunstwerke in der Ausstellung gewissermaßen ergänzen."
Mit dem Schinkel-Reiseführer im Gepäck lohnt es, die Schinkel-Tour auf der östlichen Oderseite fortzusetzen: Die Grenze bei Küstrin/Kostrzyn ist schnell passiert:
Unweit von Kostrzyn, am südlichen Rand des Warthebruchs, liegt Slonsk, das ehemalige Sonnenburg. Hier hatte im 14. Jahrhundert der Johanniterorden ein mächtiges Schloss und eine Kirche errichtet. Wo sich einst der Ortsmittelpunkt befand, herrscht heute ländliche Ruhe. Von dem stolzen Adelssitz, der zuletzt unter Fürst Johann Moritz von Naussau-Siegen nach 1650 umgebaut und erneuert wurde, stehen heute nur noch die Umfassungsmauern: Während der Restaurierungsarbeiten in den 1970er Jahren brannte das Gebäude völlig aus. Umso stolzer erhebt sich ihm gegenüber die Johanniterkirche, umgeben vom alten Schulhaus und weiteren Bauten der Komturei. Wir klingeln an einem der Häuser:
Pfarrer Josef Drozda spricht leider kein Deutsch, er drückt uns aber bereitwillig den Schlüssel für die Kirchentür in die Hand und bringt sogar schnell noch einen Maiglöckchenstrauß in der Kirche vorbei. Um den Besuchern die Geschichte von Kirche und Turm zu erläutern, schickt er Blorzej Kaczmarek, Vorsitzender des Kultur- u. Touristikvereins in Slonsk:
"… das wir vor uns sehen, feiert nächstes Jahr seinen 500. Geburtstag: die Kirche wurde 1507 erbaut. Der Turm selber wurde erst später fertig gestellt. Dort oben befinden sich drei wunderschöne Glocken, auf denen eine Inschrift der Johanniter zu lesen ist. Der Turm wurde im 19. Jahrhundert von Schinkel angebaut und vor einigen Jahren restauriert, die Kirche bekam ein neues Dach. Nicht nur das Gebäude, auch der Altar ist sehr kostbar, er besteht aus Alabaster und weißem Marmor. Der Altar wurde von Slonsker Handwerkern und Restauratoren aus Stettin wiederhergestellt. Ich lade Sie herzlich ein, hereinzukommen."
Das wunderbare ausgemalte Netzrippengewölbe im Kirchenschiff und der kostbare Altaraufsatz, der aus der Kapelle des Berliner Schlosses stammt, wären allein einen Besuch wert. Aber auch Schinkel-Touristen kommen auf ihre Kosten: 1814 wurden Dach und Turm der Kirche bei einem Brand zerstört und unter Mitwirkung Karl Friedrich Schinkels wiederaufgebaut. Für den Turm lieferte er jedoch einen eigenen Entwurf, um die architektonische Bedeutung des Gotteshauses nach außen sichtbar zu steigern. Kunsthistoriker Andreas Bernhard:
"Schinkel ging es darum, dieses gotische Bauwerk zu ergänzen, das Gebäude wurde verputzt, der Turm als Putzbau hochgezogen, mit wenigen Ziegelgliederungen, Schinkel versuchte mit diesen Filialen, die auch die Ecken des Turmes betonen, eine gewisse Eleganz hineinzusetzen, gegen das schwergewichtige Kirchendach die Leichtigkeit eines Vertikalakzentes zu setzen."
Wie der Turm der Kathedrale von Westminster, findet unser Slonsker Kirchenführer Blozej Kaczmarek. Die Fernwirkung ist gelungen, auch wenn er bedauert, dass er die Besucher nicht hinaufführen kann, zumindest im Geiste kann man sich den schönen Ausblick auf das Warthebruch vorstellen:
"Es wäre sehr schön, wenn man nach oben steigen könnte, sich die Sonne anschauen. Man hätte eine sehr schöne Aussicht auf die Landschaft. Man sieht unsere Kirche sogar von Kostrzyn aus. Die Felder, die zu Zeiten Friedrichs II. angelegt wurden, könnte man von oben sehr schön erkennen. Auch die Sicht auf die Stadt, auf Wälder und Fluss wäre sehr schön."
Statt den Ausblick von oben zu genießen, fahren wir also durch die Landschaft des Warthebruchs bis nach Glisno, dem einstigen Gleissen, etwa 20 Kilometer weiter nach Osten. Still und verschlafen wirkt der Ort am Rande eines großen Wald- und Seengebiets.
Dass dies nicht immer so war, davon zeugt das würdige klassizistische Gotteshaus noch heute, das mitten auf dem Dorfanger steht. Schade nur, dass ein als Ruine stehengebliebener Neubau direkt davor den Blick auf die Turmfront verwehrt, wenn man von der Landstraße in den Ort kommt.
An der Kirche treffen wir niemanden an, der Deutsch spricht und Auskunft erteilen kann, das Gotteshaus ist geschlossen. Offenbar wird die Kirche von einem Pfarrer aus dem Nachbarort mitbetreut, denn sie wird benutzt. Der Turm ist frisch restauriert und leuchtet in hellem Gelb, das Kirchenschiff mit seiner klassizistischen Fassadengliederung wartet auf einen neuen Anstrich, hinter dem Gotteshaus lagert Baumaterial. Glisno gehört zu den zahlreichen preußischen Bauten, die dem eifrigen Direktor der preußischen Oberbaudeputation manchmal auch, um den Tourismus anzukurbeln, zugeschrieben werden, ohne dass es einen direkten Nachweis dafür gibt. Andreas Bernhard, der Schinkel-Spezialist, über Geschichten und Geschichte in Glisno:
"Die Kirche in Glisno, die eine besondere Herkunft hat, als dass der Bauauftraggeber der jüdischen Gutspatron Henoch war, der Schinkel mit dem Auftrag betraut hat, es ist nur immer im Ort tradiert worden, dass der Gutsbesitzer Henoch, der mosaischen Glaubens war, ihm noch direkt den Auftrag gegeben hat im Hinblick – das ist das besondere – darauf, dass er es seinen christliche Glaubensbrüdern als Gotteshaus baute. Das Ganze ist eine dieser typischen Emporenhallen, im Innern durch Holzstützen bis zur Decke abgeteilt, die Seitenschiffe mit Emporen gefüllt.""
Von Glisno etwa 30 Kilometer weiter östlich liegt Miedzyrzecz, früher Meseritz. In dem quirligen Landstädtchen nimmt die Kirche einen herausragenden Platz am Markt gleich gegenüber dem Rathaus ein. Miedzyrzecz ist offenbar ein lebendiges Zentrum kirchlichen Lebens. Nachmittags um vier Uhr zieht eine dreißigköpfige Grundschulklasse singend zur Messe ein.
Auch wenn der schmutzigbraune Putz der Kirche eine Auffrischung verdiente und die klassizistischen Spuren innen durch Bilder und Ausschmückungen einer katholischen Gemeinde verwischt sind: Auch hier ist man stolz auf das Schinkel-Bauwerk. Pater Ryszard Kolano nimmt sich kurz vor Beginn der Messe noch Zeit, um aus einem polnischen Informationsblatt ein paar Daten über die Geschichte des Gotteshauses vorzulesen:
"Die örtliche römisch-katholische Kirche mit dem heiligen Wojciech als Namenspatron steht an einem Ort, an dem sich früher das erste katholische Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert befand sowie drei nachfolgende evangelische Kirchen. Sie wurden jeweils bei Stadtbränden in den Jahren 1666, 1731 und 1827 zerstört. 1827 sammelte die evangelische Gemeinde nahezu 33.000 Taler über Spenden für den Wiederaufbau. Es wurden fünf Parzellen, die um die alte Kirche gelegen waren, hinzugekauft. So gewann man viel Platz für die neue Kirche. Am 1. Mai 1828 wurde der Grundstein gelegt. Doch es verging viel Zeit, bis der von Schinkel erarbeitete Bauplan genehmigt wurde."
Der Pater beherrscht nur wenige Brocken Deutsch, das Führungsblatt ist nur auf Polnisch zu haben. Jetzt muss er erstmal die Messe für die Schulkinder halten.
Informationen über die Kirche von Miedzyrzecz müssen sich deutsche Schinkel-Touristen anderswo besorgen. Künftig verspricht der Schinkel-Reiseführer, der die Potsdamer Ausstellung von Andreas Bernhard ergänzt, Hilfe. Hier erfährt man, dass die preußische Oberbaudeputation, der Schinkel vorstand, 1828 eher zufällig erfahren hatte, dass in Meseritz bereits ein Kirchenneubau im Rohbau stand. Verärgert griff Schinkel ein und suchte, den mangelhaften Entwurf in qualitätvolle Architektur zu verwandeln. 1834 wurde die Kirche, ein Rechteckbau mit Dreiecksgiebel und Rundbogenfenstern, schließlich geweiht. Andreas Bernhard meint dennoch:
"Das berühmte Meseritz, wo er eingegriffen hat, als sie schon im Bau war und wo er es trotzdem geschafft hat, dass ein wunderschöner Bau entstanden ist, der wie aus einem Guss erscheint, dem man nicht ansatzweise ansieht, das er in mehreren Bauphasen immer wieder umgeplant worden ist."
Wer sich an den Kirchen satt gesehen hat, kann weiter fahren bis in die Messe- und Handelsstadt Poznan/Posen. In ihrem Umkreis befinden sich gleich drei Schlösser, die Karl Friedrich Schinkel errichtet hat. Nur wenige Kilometer nördlich der Stadt befindet sich beispielsweise Schloss Owinsk, das auch Schinkel-Kennern relativ unbekannt ist. Gert Streidt, Direktor des Hauses der Brandenburg-Preußischen Geschichte, hat es in Vorbereitung der Potsdamer Ausstellung besucht:
"Ein Schloss, was nördlich von Posen liegt, wenige Kilometer entfernt, ein Bau der bisher im Werk von Schinkel keine Rolle gespielt hat, war nicht klar, ob wirklich von Schinkel, wenn, wie der Anteil, die neuesten Forschungen von Eva Börsch-Supan haben klargelegt, dass es doch Schinkel zuzuschreiben ist, passt auch klar in die Zeit von 1800, als Schinkel Bauaufträge von dem verstorbenen Freund Fr. Gilly übernahm und nachweislich sich in der Posener Gegend aufgehalten hat. Wenn man sich das Gebäude anguckt, in diesen Formen, die von Gilly herkommen, mit denen Schinkel sich in dieser Zeit auch stark beschäftigt hat, ein klar gegliederter, einfacher Bau, ein Landschloss, mit einem ganz eigenen Charme, ehemals umgeben von großem Garten, mit vorgelagerten See, war von Fahrweg umschlossen, da sind so viele Parallelen zu Paretz, was nach einem ähnlichen Prinzipien gebaut war."
Gert Streidt wirbt für den Besuch von Owinsk, auch wenn es heute noch nicht zu besichtigen ist:
"Es wurde ein Förderverein gegründet und man entwickelt Pläne, wie man das Schlossareal künftig nutzen möchte, die Vorstellungen gehen von einer internationalen Schule bis zu Hotelbau, das ist nicht so ganz klar, was da jetzt an bürgerschaftliche Engagement entwickelt wurde, das ist beachtenswert."
Auf dieses Engagement für die Bauten Karl Friedrich Schinkels östlich der Oder, die Bewunderung der polnischen Verantwortlichen für das bauliche Erbe des preußischen Baumeisters, haben wir überall angetroffen. Wenngleich mangelnde gegenseitige Sprachkenntnisse noch immer eine Barriere zu bilden scheinen, schlägt die Begeisterung für die Baukultur Karl Friedrich Schinkels Brücken der Verständigung über die Oder hinweg.
Neuhardenberg, 80 Kilometer östlich von Berlin, fast an der polnischen Grenze: Der Ort ist ein Anziehungspunkt für Bewunderer des preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Wer von Westen in den Ort hineinkommt, sieht schon von weitem den leuchtend weißen Kirchturm mit seinem merkwürdig ellipsenförmigen Glockengeschoss als Abschluss. Wer sich von Osten aus der Richtung Seelow nähert, blickt auf ein tempelartiges Mausoleum mit säulenbestandener Vorhalle an der Rückseite des Kirchenschiffs. Schinkel hatte es nach dem Tod seines Auftraggebers in Neuhardenberg, des Fürsten und Staatskanzlers Carl August von Hardenberg, im Jahr 1822 als Begräbnisplatz angefügt. Die Kirchentür steht fast immer offen, Besucher sind willkommen:
"Dann begrüße ich Sie erstmal ganz herzlich im Namen des Gemeindekirchenrates unserer Kirche Neuhardenberg und auch im Namen des Fördervereins Schinkelkirche, dem ich auch angehöre und heiße Sie in unserer Kirche herzlich willkommen, ich werde sie mit unserer Kirche vertraut machen."
Die alte Dorfkirche war 1801 abgebrannt, der damalige Gutsherr, der preußische Finanzrat Bernhard von Prittwitz, beauftragte den blutjungen Architekten Karl Friedrich Schinkel mit ersten Skizzen für den Wiederaufbau. Diese müssen ihn überzeugt haben, denn er schrieb:
"Schinkels Zeichnung ist allerliebst. Wir bekommen so die schönste Land-Kirche in der Mark."
Auf den alten Grundmauern errichtete Schinkel 1809 die neue Kirche. Erst unter dem preußischen Staatskanzler Fürst Carl August von Hardenberg, der das damalige Gut Quilitz 1814 für seine Verdienste vom König geschenkt bekommen hatte, wurde auch der Innenraum im klassizistischen Stil neu gestaltet. Schlanke Holzsäulen tragen die Emporen, die mit blauen Blüten bemalt sind. Christa Starke weist stolz auf die flache Holzdecke des Kirchenschiffs:
"Wir haben das Glück, dass uns Schinkel eine Sternendecke damals gemalt hatte, die im Original zurückgeführt ist nach dem Bühnenbild zu Mozarts Zauberflöte. Herr Rosenberg vom Förderverein hat dann gesagt, die Sterne werden wir verpaten."
Vor vier Jahren wurde im Kircheninneren zuerst der Sternenhimmel restauriert. Jetzt schimmern wieder unzählige goldene Sterne auf blauem Grund von der Decke. Die Gemeinde hat bereits über 4000 Patenschaften für die größeren und kleineren Sterne vergeben, um Geld für die weitere Sanierung zu sammeln. Am Reformationstag 2007 soll alles fertig sein. Dann nämlich feiert die Schinkelkirche Jubiläum: 190 Jahre zuvor war sie nach ihrem Wiederaufbau durch Karl Friedrich Schinkel geweiht worden.
"Nächstes Jahr wird noch die Kanzel restauriert, sie war der Blickkontakt vom Pfarrer zur Patronatsloge, hier oben, wo wir den Keilerkopf haben, da saß der Staatsminister im Gottesdienst und das bleiverglaste Wappn in der Patronatsloge hatte man zerschlagen, weil man mit Grafen und Junkern nichts mehr zu tun haben wollte, man hat den Namen Neuhardenberg auch ausgelöscht und den Ort in Marxwalde umbenannt, am 1. Mai 1949, noch vor der DDR-Gründung, man hat den Ort als sozialistisches Vorzeigedorf mit Pflanzen- und Tierproduktion und Regierungs- und Jagdgeschwader von Honecker, wir sind dann von 1280 Einwohnern bäuerlicher Herkunft auf 3500 Menschen atheistischer Herkunft angewachsen, so ist es hier geblieben. Wir haben seit drei Jahren keine Konfirmanden hier, es ist eigentlich traurig, dass die Neuhardenberger sich nicht entschließen können, wieder in die Kirche zu gehen, für mich ist das selbstverständlich, ich sag immer, Gott schenke mir die Kraft, das alles zu schaffen."
Östlich des Dorfangers, mitten im schönen Lenné-Park, liegt Schloss Neuhardenberg, heute die Kultur- und Bildungsstätte des Sparkassen- und Giroverbandes. Fürst Carl August von Hardenberg hatte das Qulitzsche Gutshaus ebenfalls nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel 1820 bis 1822 aufstocken und im frühklassizistischen Stil zu einem Landschloss ausbauen lassen. Anders als die Schinkel-Kirche ist es allerdings nur am Sonntagnachmittag für Führungen geöffnet, in den Nebengebäuden und Anbauten ziehen die Kulturveranstaltungen der Stiftung Schloss Neuhardenberg an den Wochenenden vor allem ein Berliner Publikum an.
Wer auf Schinkels Spuren durch das Oderbruch reist, trifft wenige Kilometer nordwestlich von Neuhardenberg auf ein weiteres Zeugnis des preußischen Baumeisters: Bärwinkel, das ehemalige Vorwerk von Quilitz-Neuhardenberg. Abseits der Hauptstraße steht ein ungewöhnlich großes Haus mit breitem Giebel, die Seiten wie Nebenschiffe einer Basilika etwas niedriger. Vor dem Gebäude fahren Männer mit Schubkarren Steine umher, innen wird gehämmert und gesägt. Maik Troschke wohnt nebenan. Der arbeitslose Rinderzüchter beaufsichtigt die Bauarbeiten und packt auch mit an:
"Fußboden wird rinn gemacht, sauber gemacht, dann soll ja eröffnet werden."
Die Fassade des Gebäudes besteht aus einem Feldsteinsockel, über dem merkwürdig porös wirkende rost-braune Steine gemauert sind. Maik Troschke klärt auf:
"Ja, Raseneisenstein ist ditte, findet man hier heute noch bei Neuhardenberg, haben wir früher ausgepflügt, drei bis vier Trecker-Anhänger liegen noch da."
Damit bessern die Arbeiter Schäden aus. Im Obergeschoss sind die Wände mit Gipsplatten verkleidet, hier soll es – noch als Baustelle - am 3. Juni eine erste Ausstellung zum Frühwerk Schinkels eröffnet werden. Dann hat der Berliner Architekt Frank Augustin die erste große Etappe geschafft. Seit der Wende kümmert er sich um dieses frühe Zeugnis des preußischen Baumeisters, gründete einen Förderverein, beantragte Fördergelder, entwickelte die Idee zu einem Museum. Fasziniert hat den Berliner Architekten und Schinkel-Verehrer das Gebäude seit einem ersten Besuch vor 20 Jahren. Damals war das Gebäude völlig überwuchert:
"Dieses Rostrot und dazu das frische Grün, das war Liebe auf den ersten Blick."
Der Nachweis, dass es sich um einen echten Schinkel-Bau handelte, war schwierig:
"In eigenen Niederschriften nichts erwähnt, aber evident ist die Substanz und die Qualität, darüber berichtet der 1. Direktor des Alten Museums, Friedrich Waagen, der Schinkel auf Reisen begleitete, die Nachricht, das S. selbst es zu den merkwürdigsten und eigentümlichsten Häusern seines Frühwerks hält."
Inzwischen hat Frank Augustin Licht in die Geschichte von Bärwinkel bringen können: Das Vorwerk war nach englischem Vorbild als eine so genannte "ornamented farm" errichtet worden. 1802 bis 1803 hatte Karl Friedrich Schinkel das Verwalter- und Molkenhaus im Stil einer neoromanischen Basilika mit Rundbogenfenstern, Mittelschiff und schmalen Seitenschiffen entworfen.
Für ein Gebäude der landwirtschaftlichen Produktion wählte er eine ungewöhnliche Schmuckform. Doch das Molkenhaus war mehr:
"Im Mittelschiff der Basilika im Parterre gab es eine herrschaftliche Stube, das ist baulich betrachtet die salla terrana, im 1. Stockwerk aber gab einen herrschaftlichen Salon, den die Herrschaft aus Quilitz aufsuchte, um mit Gästen dort oben ein Glas Molke zu trinken und den Blick ins Bruch zu genießen."
Langfristig soll Bärwinkel Museum werden und den Blick auf die Lehrjahre des preußischen Baumeisters lenken - eine schöne Ergänzung zu Schloss und Kirche von Neuhardenberg.
Auf schmalen Straßen fahren wir durch grüne Wiesen und Felder, an verlassenen Gehöften vorbei. Wenige Kilometer weiter in Richtung Oder treffen wir im Städtchen Letschin auf weitere Spuren Schinkels. Dort erhebt sich mitten auf dem Marktplatz ein einsamer Turm in neogotischem Stil. Aus einem quadratischem hell geputzen Schaft wächst die ziegelrote, mit Bögen und Profilen fein gegliederte Turmspitze in den Himmel. Karl Friedrich Schinkel hatte das grazile Bauwerk 1818 bis 1819 an eine bestehende Backsteinkirche angebaut. Gabriele Axmann, Mitarbeiterin der Heimatstube, erklärt, warum der Turm heute so einsam auf dem Platz steht:
"So wie jetzt hier die anderen Steine sind und die Hecke, so war mal das Kirchenschiff Der Turm sollte auch abgerissen werden, aber da haben sie sich stark gemacht, der ist dann geblieben. Die Spitze, da war mal ein Einschlag, die war auch weg, die ist jetzt neu gemacht worden.
Da ging man dann in die Kirche rein, jetzt mit Glas. Die Glocken läuten immer noch von unserem Turm, da sind wir auch mächtig stolz drauf."
Nach sorgfältiger Restaurierung wurde hier 2002 eine kleine Ausstellung eingerichtet. Hier findet man auch eine Karte, die zu weiteren Schinkelbauten im Oderbruch führt.
Doch das preußische Königreich, in dessen Diensten Karl Friedrich Schinkel stand, reichte weiter als nur bis zur Oder, der fleißige Architekt war zudem auch für auswärtige Auftraggeber tätig. In Schinkels 225. Geburtsjahr gibt jetzt die Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Anregungen zum Besuch erhaltener Schinkel-Bauten zwischen Aachen im Westen und St. Petersburg Osten mit seiner Ausstellung "Schinkel – Künstler, Preuße, Brandenburger". Der Kunsthistoriker Andreas Behrend hat sie konzipiert:
"Die Ausstellung will das gesamte Spektrum des Schaffens Schinkels präsentieren, nicht was er gemacht hat, sondern pars pro toto, fächert das Schaffen in 13 Kapitel auf, will Schwerpunkte schaffen, fordert auf, das hier gesehene, was die Architektur nur mittelbar präsentiert, das heißt im Vorentwurf oder in der Darstellung nach der Fertigstellung, sich als gebautes Projekt anzusehen. Deswegen gibt es begleitend zur Ausstellung als Publikation diesen Reiseführer, mit dem man dann durch die Lande fahren kann, damit sich das gebaute Werk und in der Realität und die Kunstwerke in der Ausstellung gewissermaßen ergänzen."
Mit dem Schinkel-Reiseführer im Gepäck lohnt es, die Schinkel-Tour auf der östlichen Oderseite fortzusetzen: Die Grenze bei Küstrin/Kostrzyn ist schnell passiert:
Unweit von Kostrzyn, am südlichen Rand des Warthebruchs, liegt Slonsk, das ehemalige Sonnenburg. Hier hatte im 14. Jahrhundert der Johanniterorden ein mächtiges Schloss und eine Kirche errichtet. Wo sich einst der Ortsmittelpunkt befand, herrscht heute ländliche Ruhe. Von dem stolzen Adelssitz, der zuletzt unter Fürst Johann Moritz von Naussau-Siegen nach 1650 umgebaut und erneuert wurde, stehen heute nur noch die Umfassungsmauern: Während der Restaurierungsarbeiten in den 1970er Jahren brannte das Gebäude völlig aus. Umso stolzer erhebt sich ihm gegenüber die Johanniterkirche, umgeben vom alten Schulhaus und weiteren Bauten der Komturei. Wir klingeln an einem der Häuser:
Pfarrer Josef Drozda spricht leider kein Deutsch, er drückt uns aber bereitwillig den Schlüssel für die Kirchentür in die Hand und bringt sogar schnell noch einen Maiglöckchenstrauß in der Kirche vorbei. Um den Besuchern die Geschichte von Kirche und Turm zu erläutern, schickt er Blorzej Kaczmarek, Vorsitzender des Kultur- u. Touristikvereins in Slonsk:
"… das wir vor uns sehen, feiert nächstes Jahr seinen 500. Geburtstag: die Kirche wurde 1507 erbaut. Der Turm selber wurde erst später fertig gestellt. Dort oben befinden sich drei wunderschöne Glocken, auf denen eine Inschrift der Johanniter zu lesen ist. Der Turm wurde im 19. Jahrhundert von Schinkel angebaut und vor einigen Jahren restauriert, die Kirche bekam ein neues Dach. Nicht nur das Gebäude, auch der Altar ist sehr kostbar, er besteht aus Alabaster und weißem Marmor. Der Altar wurde von Slonsker Handwerkern und Restauratoren aus Stettin wiederhergestellt. Ich lade Sie herzlich ein, hereinzukommen."
Das wunderbare ausgemalte Netzrippengewölbe im Kirchenschiff und der kostbare Altaraufsatz, der aus der Kapelle des Berliner Schlosses stammt, wären allein einen Besuch wert. Aber auch Schinkel-Touristen kommen auf ihre Kosten: 1814 wurden Dach und Turm der Kirche bei einem Brand zerstört und unter Mitwirkung Karl Friedrich Schinkels wiederaufgebaut. Für den Turm lieferte er jedoch einen eigenen Entwurf, um die architektonische Bedeutung des Gotteshauses nach außen sichtbar zu steigern. Kunsthistoriker Andreas Bernhard:
"Schinkel ging es darum, dieses gotische Bauwerk zu ergänzen, das Gebäude wurde verputzt, der Turm als Putzbau hochgezogen, mit wenigen Ziegelgliederungen, Schinkel versuchte mit diesen Filialen, die auch die Ecken des Turmes betonen, eine gewisse Eleganz hineinzusetzen, gegen das schwergewichtige Kirchendach die Leichtigkeit eines Vertikalakzentes zu setzen."
Wie der Turm der Kathedrale von Westminster, findet unser Slonsker Kirchenführer Blozej Kaczmarek. Die Fernwirkung ist gelungen, auch wenn er bedauert, dass er die Besucher nicht hinaufführen kann, zumindest im Geiste kann man sich den schönen Ausblick auf das Warthebruch vorstellen:
"Es wäre sehr schön, wenn man nach oben steigen könnte, sich die Sonne anschauen. Man hätte eine sehr schöne Aussicht auf die Landschaft. Man sieht unsere Kirche sogar von Kostrzyn aus. Die Felder, die zu Zeiten Friedrichs II. angelegt wurden, könnte man von oben sehr schön erkennen. Auch die Sicht auf die Stadt, auf Wälder und Fluss wäre sehr schön."
Statt den Ausblick von oben zu genießen, fahren wir also durch die Landschaft des Warthebruchs bis nach Glisno, dem einstigen Gleissen, etwa 20 Kilometer weiter nach Osten. Still und verschlafen wirkt der Ort am Rande eines großen Wald- und Seengebiets.
Dass dies nicht immer so war, davon zeugt das würdige klassizistische Gotteshaus noch heute, das mitten auf dem Dorfanger steht. Schade nur, dass ein als Ruine stehengebliebener Neubau direkt davor den Blick auf die Turmfront verwehrt, wenn man von der Landstraße in den Ort kommt.
An der Kirche treffen wir niemanden an, der Deutsch spricht und Auskunft erteilen kann, das Gotteshaus ist geschlossen. Offenbar wird die Kirche von einem Pfarrer aus dem Nachbarort mitbetreut, denn sie wird benutzt. Der Turm ist frisch restauriert und leuchtet in hellem Gelb, das Kirchenschiff mit seiner klassizistischen Fassadengliederung wartet auf einen neuen Anstrich, hinter dem Gotteshaus lagert Baumaterial. Glisno gehört zu den zahlreichen preußischen Bauten, die dem eifrigen Direktor der preußischen Oberbaudeputation manchmal auch, um den Tourismus anzukurbeln, zugeschrieben werden, ohne dass es einen direkten Nachweis dafür gibt. Andreas Bernhard, der Schinkel-Spezialist, über Geschichten und Geschichte in Glisno:
"Die Kirche in Glisno, die eine besondere Herkunft hat, als dass der Bauauftraggeber der jüdischen Gutspatron Henoch war, der Schinkel mit dem Auftrag betraut hat, es ist nur immer im Ort tradiert worden, dass der Gutsbesitzer Henoch, der mosaischen Glaubens war, ihm noch direkt den Auftrag gegeben hat im Hinblick – das ist das besondere – darauf, dass er es seinen christliche Glaubensbrüdern als Gotteshaus baute. Das Ganze ist eine dieser typischen Emporenhallen, im Innern durch Holzstützen bis zur Decke abgeteilt, die Seitenschiffe mit Emporen gefüllt.""
Von Glisno etwa 30 Kilometer weiter östlich liegt Miedzyrzecz, früher Meseritz. In dem quirligen Landstädtchen nimmt die Kirche einen herausragenden Platz am Markt gleich gegenüber dem Rathaus ein. Miedzyrzecz ist offenbar ein lebendiges Zentrum kirchlichen Lebens. Nachmittags um vier Uhr zieht eine dreißigköpfige Grundschulklasse singend zur Messe ein.
Auch wenn der schmutzigbraune Putz der Kirche eine Auffrischung verdiente und die klassizistischen Spuren innen durch Bilder und Ausschmückungen einer katholischen Gemeinde verwischt sind: Auch hier ist man stolz auf das Schinkel-Bauwerk. Pater Ryszard Kolano nimmt sich kurz vor Beginn der Messe noch Zeit, um aus einem polnischen Informationsblatt ein paar Daten über die Geschichte des Gotteshauses vorzulesen:
"Die örtliche römisch-katholische Kirche mit dem heiligen Wojciech als Namenspatron steht an einem Ort, an dem sich früher das erste katholische Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert befand sowie drei nachfolgende evangelische Kirchen. Sie wurden jeweils bei Stadtbränden in den Jahren 1666, 1731 und 1827 zerstört. 1827 sammelte die evangelische Gemeinde nahezu 33.000 Taler über Spenden für den Wiederaufbau. Es wurden fünf Parzellen, die um die alte Kirche gelegen waren, hinzugekauft. So gewann man viel Platz für die neue Kirche. Am 1. Mai 1828 wurde der Grundstein gelegt. Doch es verging viel Zeit, bis der von Schinkel erarbeitete Bauplan genehmigt wurde."
Der Pater beherrscht nur wenige Brocken Deutsch, das Führungsblatt ist nur auf Polnisch zu haben. Jetzt muss er erstmal die Messe für die Schulkinder halten.
Informationen über die Kirche von Miedzyrzecz müssen sich deutsche Schinkel-Touristen anderswo besorgen. Künftig verspricht der Schinkel-Reiseführer, der die Potsdamer Ausstellung von Andreas Bernhard ergänzt, Hilfe. Hier erfährt man, dass die preußische Oberbaudeputation, der Schinkel vorstand, 1828 eher zufällig erfahren hatte, dass in Meseritz bereits ein Kirchenneubau im Rohbau stand. Verärgert griff Schinkel ein und suchte, den mangelhaften Entwurf in qualitätvolle Architektur zu verwandeln. 1834 wurde die Kirche, ein Rechteckbau mit Dreiecksgiebel und Rundbogenfenstern, schließlich geweiht. Andreas Bernhard meint dennoch:
"Das berühmte Meseritz, wo er eingegriffen hat, als sie schon im Bau war und wo er es trotzdem geschafft hat, dass ein wunderschöner Bau entstanden ist, der wie aus einem Guss erscheint, dem man nicht ansatzweise ansieht, das er in mehreren Bauphasen immer wieder umgeplant worden ist."
Wer sich an den Kirchen satt gesehen hat, kann weiter fahren bis in die Messe- und Handelsstadt Poznan/Posen. In ihrem Umkreis befinden sich gleich drei Schlösser, die Karl Friedrich Schinkel errichtet hat. Nur wenige Kilometer nördlich der Stadt befindet sich beispielsweise Schloss Owinsk, das auch Schinkel-Kennern relativ unbekannt ist. Gert Streidt, Direktor des Hauses der Brandenburg-Preußischen Geschichte, hat es in Vorbereitung der Potsdamer Ausstellung besucht:
"Ein Schloss, was nördlich von Posen liegt, wenige Kilometer entfernt, ein Bau der bisher im Werk von Schinkel keine Rolle gespielt hat, war nicht klar, ob wirklich von Schinkel, wenn, wie der Anteil, die neuesten Forschungen von Eva Börsch-Supan haben klargelegt, dass es doch Schinkel zuzuschreiben ist, passt auch klar in die Zeit von 1800, als Schinkel Bauaufträge von dem verstorbenen Freund Fr. Gilly übernahm und nachweislich sich in der Posener Gegend aufgehalten hat. Wenn man sich das Gebäude anguckt, in diesen Formen, die von Gilly herkommen, mit denen Schinkel sich in dieser Zeit auch stark beschäftigt hat, ein klar gegliederter, einfacher Bau, ein Landschloss, mit einem ganz eigenen Charme, ehemals umgeben von großem Garten, mit vorgelagerten See, war von Fahrweg umschlossen, da sind so viele Parallelen zu Paretz, was nach einem ähnlichen Prinzipien gebaut war."
Gert Streidt wirbt für den Besuch von Owinsk, auch wenn es heute noch nicht zu besichtigen ist:
"Es wurde ein Förderverein gegründet und man entwickelt Pläne, wie man das Schlossareal künftig nutzen möchte, die Vorstellungen gehen von einer internationalen Schule bis zu Hotelbau, das ist nicht so ganz klar, was da jetzt an bürgerschaftliche Engagement entwickelt wurde, das ist beachtenswert."
Auf dieses Engagement für die Bauten Karl Friedrich Schinkels östlich der Oder, die Bewunderung der polnischen Verantwortlichen für das bauliche Erbe des preußischen Baumeisters, haben wir überall angetroffen. Wenngleich mangelnde gegenseitige Sprachkenntnisse noch immer eine Barriere zu bilden scheinen, schlägt die Begeisterung für die Baukultur Karl Friedrich Schinkels Brücken der Verständigung über die Oder hinweg.