Das Gehirn als Muskelpaket
Die kalifornische Psychiaterin Sophia Vinogradov hat Computerspiele entwickeln lassen, mit denen bestimmte Hirnareale bei Menschen mit Schizophrenie gestärkt werden sollen. Eignet sich dieses Training wirklich, ihnen zu helfen - oder ist das zu mechanisch gedacht?
Der Spielende hört ein paar Silben, die anschließend in Schriftform auf dem Bildschirm erscheinen. So schnell es geht, soll er sie in der eben gehörten Reihenfolge anklicken. Nach und nach werden es dann mehr Silben.
Man kann sich inhaltlich und auch grafisch kaum ein simpleres Spiel vorstellen. Doch bestehe auch nicht der Anspruch, dass es sich hier um ein ausgewachsenes Computerspiel handelt, sagt die Psychiaterin Sophia Vinogradov, die dieses und andere Spiele gemeinsam mit der Firma Posit Science entwickelt hat:
"Es sind Übungen, die wie Spiele aussehen, damit die Patienten Spaß haben, die Übungen zu machen. Sie wurden basierend auf dem Wissen entwickelt, das wir über die Störungen im Gehirn von Menschen mit Schizophrenie haben. Hieraus sind Übungen entstanden, die das Gehirn fitter machen sollen, akustische Informationen zu verarbeiten, andere fördern das Erkennen von Gesichtern und Emotionen. Wir wissen, dass Menschen mit Schizophrenie in den Hirnregionen, wo diese Dinge verarbeitet werden Beeinträchtigungen haben."
Verbessertes Lern- und Erinnerungsvermögen
Mit bildgebenden Verfahren konnte festgestellt werden, dass die Mehrheit der Schizophrenie-Patienten einen verkleinerten Hippocampus aufweist, der als Teil des limbischen Systems mit der Erzeugung, Archivierung und dem Abruf von Inhalten des Langzeitgedächtnisses zu tun hat. Doch er ist auch einer der Orte im Gehirn, an dem immer neue Nervenzellen geboren werden:
"Wenn Menschen mit Schizophrenie diese Übungen machten, verbesserten sich ihr Lern- und ihr Erinnerungsvermögen. Die Teilnehmer der Studie waren Erwachsene, die schon länger erkrankt sind, sie trainierten über 10 Wochen jeden Tag eine Stunde. Das Gehirn konnte anschließend Informationen besser verarbeiten. Es zeigten sich auch allgemeine Verbesserungen in der Lebensqualität, als wir die Patienten einige Monate nach dem Training abermals befragten."
Die gestörten Gehirnregionen waren bei den meisten Probanden nach dem Training deutlich aktiver als zuvor, doch gab es auch Patienten, bei denen die Übungen gar keine Wirkung zeigten.
Zu den Symptomen der schizophrenen Psychose können Wahnvorstellungen zählen, Halluzinationen - z.B. in Form von miteinander sprechenden oder Befehle erteilenden Stimmen - und massive Störungen der Denkabläufe. Doch gibt es kein einheitliches Bild, die Krankheit ist in ihrer Ausprägung vielfältig. Die Probanden, die über drei Monate das Gehirntraining mitgemacht hatten, zeigten eher milde Symptome, sonst hätten sie auch kaum teilnehmen können.
Gehirntraining am Computer
Das Erkennen von Gesichtern bereitet den Betroffenen Schwierigkeiten. Doch auch das kann trainiert werden. So ist in einem weiteren Spiel zunächst kurz das Gesicht eines Menschen zu sehen, das anschließend in einer Auswahl mehrerer Gesichter wieder erkannt werden soll:
"So wird das Gehirn trainiert, zu sehen, zu verarbeiten, in Erinnerung zu behalten und dann diese Informationen zu nutzen, um ein Gesicht wiederzuerkennen. Das Gehirn wird immer effizienter darin, Gesichtsinformationen zu erfassen und auch deren ausgedrückte Emotionen zu erkennen."
Für Sophia Vinogradov lässt sich das Gehirntraining am Computer durchaus mit dem Besuch eines Fitnesscenters vergleichen:
"Sobald wir wissen, welcher Teil des Netzwerkes in einem Gehirn nicht gut genug funktioniert, nicht stark genug ist, können wir Übungen entwickeln, um das zu verbessern. Es ist wie mit Muskeln, die nicht stark genug sind, für die können wir auch Übungen entwickeln, damit sie besser funktionieren."
Wechselwirkung zwischen Körper und Seele
Thomas Bock, Psychotherapeut und Leiter der Psychosen-Ambulanz am UKE in Hamburg sieht das dagegen eher kritisch:
"Wenn Sie das so formulieren, dass Sie Ihr Gehirn trainieren wollen, wie einen Muskel, dann macht mir das Angst. Denn es hat ja Gründe, warum der Muskel nicht trainiert ist, warum das Gehirnareal vielleicht unterfunktioniert."
Betroffene erlebten ja häufig eine Ausgrenzung in ihrer Umgebung, durch die soziale Kontakte stark eingeschränkt werden.
"Wenn ein Mensch sehr zurückgezogen gelebt hat, weil er vor Menschen Angst hat, dann haben seine sozialen Fähigkeiten nachgelassen oder sind vielleicht auch bestimmte Hirnareale reduziert. Es gibt da eine tiefe Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper. Und es ist nicht an einer Stelle etwas defizitär, was nun trainiert werden muss, damit der Mensch wieder funktioniert, sondern ich muss ihn als Person begreifen."
Weshalb in erster Linie eine therapeutische Beziehung notwendig sei:
"In einer Psychose ist jemand in einer tiefen Krise. Hat die Grenzen verloren zwischen Innen und Außen. Ist ein Stück orientierungslos geworden. Was würden Sie sich wünschen, wenn Sie gerade orientierungslos geworden sind? Irgendein Gegenüber, der erstmal verlässlich da ist und nicht irgendein Computerspiel. Auf der anderen Seite will ich gar nicht ausschließen, dass für bestimmte Fähigkeiten Trainingsprogramme hilfreich sein können, um überhaupt sich wieder zu erinnern oder um bestimmte Ereignisse wieder zuzuordnen."
Und auch Sophia Vinogradov betont, dass das Gehirntraining am Computer nur einen Teil einer Therapie ausmachen kann. Doch in der Geschichte der Forschung zur schizophrenen Psychose gab es schon manches Mal Ansätze, in denen die Krankheit auf Gehirnfunktionen reduziert wurde. Und da liege die Gefahr, meint Thomas Bock:
"Dass man dann meint, mit dem Training hätte man das Problem gelöst, das Gehirn würde wieder funktionieren und dann ist die Psychose weg. Das funktioniert so nicht. Hier hab ich manchmal das Gefühl, es gibt eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Und ich würde sagen, die gibt's zum Glück nicht, dafür ist der Mensch zum Glück viel zu kompliziert."