Tiefer Schlaf fördert das Gedächtnis
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Für ein gutes Gedächtnis hilft es, lange zu schlafen - und tief. Eine entscheidende Rolle dabei spiele der sogenannte Deltaschlaf, sagt der Tübinger Schlafforscher Jan Born. Der gegenüber dem REM-Schlaf wichtiger sei als früher angenommen.
Stephan Karkowsky: Guter Schlaf ist eine ganz tolle Sache. Wenn bei uns, also beim Frühteam vom Deutschlandfunk Kultur, zwischen halb drei und drei der Wecker klingelt, dann weiß man, ausreichend Schlaf ist was anderes.
Welche Funktion der Schlaf genau hat, ist noch immer nicht restlos auserforscht, doch Schlafforscher wie Professor Jan Born arbeiten bereits an der Enträtselung der letzten Schlafgeheimnisse. Der Neurowissenschaftler leitet das Institut für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Tübingen. Guten Morgen, Herr Born!
Jan Born: Guten Morgen!
Karkowsky: Haben Sie gut geschlafen?
Born: Ja, eigentlich schon. Wenn mich mein Sohn nicht mitten in der Nacht geweckt hätte, dann wäre es absolut optimal gewesen.
Karkowsky: Das Schicksal junger Eltern. Wie definiert denn ein Experte wie Sie guten Schlaf, oder ist das eine rein subjektive Bewertung?
Born: Nein, das ist nicht subjektiv, das ist vor allen Dingen durch das Schlaf-EEG, die Polysomnographie, das heißt, wir zeichnen da die Hirnströme während des Schlafes auf, und mit diesen Aufzeichnungen können wir dann verschiedene Schlafphasen differenzieren.
Dort differenziert man vor allen Dingen den Tiefschlaf oder Deltaschlaf, der durch hohe, langsame sogenannte Deltawellen im EEG gekennzeichnet ist, und den REM-Schlaf, das ist eigentlich ein paradoxer Schlaf, der aber auffällt durch eben solche Rapid Eye Movements, deswegen auch der Name REMs.
Die Tiefe der Deltawellen entscheidet über die Schlafqualität
Karkowsky: Also, wenn mich demnächst jemand fragt, wie hast du geschlafen, dann könnte ich zum Beispiel antworten, ach, ich weiß nicht, mein Deltaschlaf war irgendwie nicht lang genug heute.
Born: Eigentlich ist das völlig richtig. Der Deltaschlaf scheint schon der wichtigere zu sein, vor allen Dingen die Tiefe des Deltaschlafs, die Höhe der Deltawellen, die Ausgeprägtheit dieser Deltawellen sind entscheidend tatsächlich für die Qualität des Schlafes, übrigens auch für die subjektive Empfindung, dass der Schlaf gut war.
Das heißt, wenn Sie viele hohe Deltawellen im Tiefschlaf hatten, dann werden Sie am Morgen sicherlich eher sagen, Sie fühlen sich ausgeschlafen, als wenn sozusagen diese Wellen eher flacher waren und weniger lang anhaltend.
Karkowsky: Was passiert genau, während wir schlafen? Ist das wirklich eine Form der Bewusstlosigkeit?
Born: Ja, das würde ich schon so sehen, auf jeden Fall ist es ein verändertes Bewusstsein. Im Tiefschlaf, würde ich sagen, verlieren wir mehr oder weniger vollkommen unser Bewusstsein. Beim REM-Schlaf ist es so, wenn wir aufwachen aus dem REM-Schlaf, können wir häufig Träume, bizarre Träume erinnern, das heißt, der REM-Schlaf ist wahrscheinlich mit so etwas wie einer eher sehr bizarren Form des Bewusstseins ausgestattet. Das heißt, hier ist keine restlose Bewusstlosigkeit vorhanden.
Karkowsky: In Ihrer Forschung interessiert Sie besonders die Frage, welche Funktion hat der Schlaf für unser Gedächtnis. Was weiß man denn heute darüber?
Born: Dass Schlaf Gedächtnis, insbesondere das Langzeitgedächtnis, fördert, das ist eigentlich schon sehr, sehr lange bekannt. Früher dachte man, dass vor allen Dingen der REM-Schlaf, der ja auch mit Träumen assoziiert ist, der wichtige Schlaf ist. Heute weiß man – das ist, glaube ich, die wesentliche Erkenntnis der letzten Jahrzehnte –, dass der Deltaschlaf, der Tiefschlaf sehr viel wichtiger ist für diese Langzeitgedächtnisbildung, die da im Schlaf stattfindet.
Karkowsky: Wie funktioniert die genau, diese Gedächtnisbildung?
Born: Wir gehen davon aus, dass auf neuronaler Ebene im Tiefschlaf so etwas wie eine Art Reaktivierung, eine Wiederholung der Erlebnisse des Tages, der Tage zuvor stattfindet und dass diese neuronale Reaktivierung von frisch aufgenommenen Gedächtnisinhalten – das passiert nur auf der neuronalen Ebene –, dass diese Reaktivierung so was wie einen Transferprozess anstößt, im Laufe dessen die frisch aufgenommene Information oder bestimmte Teile in den Langzeitspeicher hinübergeschoben wird.
Schlafen: Je länger, je besser?
Karkowsky: Weiß man schon etwas darüber, welcher Mechanismus im Gehirn auswählt, diese Erinnerung bitte speichern, zum Beispiel, gestern waren die Enkel zu Besuch, schön, und die andere Erinnerung bitte löschen, etwa meine Brille liegt in der Küche?
Born: Jein, muss man sagen. Das ist eigentlich die Fragestellung, die uns auch momentan sehr stark beschäftigt: Was sind die Kriterien dieses Selektionsprozesses? Man weiß, dass bereits bei der Aufnahme der Information, beim Encodieren sagen wir, bestimmte Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel Pläne. Wenn man bei der Aufnahme der Information weiß, oh, diese Information brauche ich später einmal, ich sollte sie also in meinem Langzeitgedächtnis parat haben, dann wird der Schlaf genau diese Information auch präferenziell in den Langzeitspeicher verschieben.
Karkowsky: Und glauben Sie, dass längeres Schlafen besser ist für ein gutes Gedächtnis als Pillen mit Ginkgo und Knoblauch?
Born: Das ist richtig. Es gibt einige Studien, die zeigen ja, Schlaflänge hat etwas mit diesem Gedächtnisprozess zu tun, wir wissen aber überhaupt nicht um die Mechanismen, die dahinterstehen. Tatsächlich ist es so, dass vor allen Dingen die Tiefe des Tiefschlafes, des Deltaschlafes, entscheidend zu sein scheint, und der findet vor allen Dingen zu Beginn des nächtlichen Schlafes statt. Wieso dann sozusagen das nach hinten heraus Verlängern des Schlafes auch eine Rolle spielt, wissen wir nicht, es spielt aber eine Rolle.
Karkowsky: Also, noch längst nicht alles aufgeklärt, die Geheimnisse des Schlafes, aber Schlafforscher wie Professor Jan Born arbeiten dran.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.