Schlagen und geschlagen werden

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Der Tod eines Häftlings in der JVA Siegburg sorgte 2006 für Diskussion. Basierend auf diesem Missbrauchsfall greift Philip Koch mit seinem Debütfilm "Picco" die Verrohung von Häftlingen im deutschen Jugendstrafvollzug auf.
Ein Häftling wirft einen Tennisball gegen die Wand. Ein monotones Geräusch, immer und immer wieder. Vier Jugendliche in zwei Etagenbetten, eine Toilettenschüssel, ein Tisch zum Essen: eine abgeschlossene Welt in tristen Farben. Der einzige Ausblick ist der Innenhof der Strafanstalt mit den vergitterten Fenstern. Manchmal kommen Schulklassen zu Besuch, aber sie sehen nicht mehr als die Oberfläche.

"Na essen tun wir hier drin, es gibt keinen Essensraum. Da ist das Klo, Waschbecken, also die Duschen sind woanders, das dürfen wir dreimal die Woche und dann hat jeder noch so einen Spind, wo er seine Sachen reintun kann. Glotzen gibt´s halt nur mit Sondergenehmigung. Das sind halt unsere Betten."

Thomas, der junge Gefangene zeigt die enge Gemeinschaftszelle und ahnt noch nicht, dass er hier sterben wird. Der Film zeigt einen grausamen Mikrokosmos voller geschriebener und ungeschriebener Regeln, voller Hierarchien und Gewalt. Der Titel des Films bezeichnet den Letzten in der Hackordnung, den Neuankömmling.

"Du machst den Abwasch heute!"

"Ich wasch doch nicht eure Sachen."

"Und ob du das machst."

"Ne, mach ich nicht."

"Mann alle Piccos machen das, du Arschloch. Und wenn nicht, dann knallts."

"Hör lieber auf den!"

Aber in der internen Hackordnung stehen die Neuankömmlinge immer noch nicht ganz unten, an letzter Stelle stehen die wirklichen und vermeintlichen Homosexuellen. Einer von ihnen wird schikaniert, vergewaltigt und bringt sich schließlich um. Das Gefängnispersonal bekommt nichts mit und will es auch gar nicht, Psychologen und Wärter sind überfordert. Und auch unter den jungen Häftlingen gilt das Gesetz des Schweigens.

"Jeder ist hier drin für sich selber verantwortlich. Kapierst du das nicht? Jeder muss schauen, wo er landet, so einfach."

"Scheiße"

"Du teilst aus, oder du steckst ein. Check das doch mal"

"Du kapierst es nicht?"

"Bist du ein Opfer? Dann hör auf, dich wie eins aufzuführen. Ok?"

"Du musst die ganze Scheiße nur positiv sehen. Jetzt haben wir ein Problem weniger und kriegen nicht noch ein Jahr drauf wegen unterlassener Hilfeleistung. Das ist doch geil!"

"Du müsstest dich mal reden hören, das ist doch geil. Ey, der hat sich umgebracht. Ok?"

"Mann Tommy, du bist so feige."

"Ich bin nicht feige, ich weiß nur, wie ich mich hier benehmen muss."

Aber auch die Anpassung schützt den Häftling nicht. Erst wird ausgegrenzt, dann vernichtet, wird gefoltert, getötet, die Hackordnung funktioniert fast beiläufig.

"Oh Mann, du Spast. So ´ne Scheiße, schau dir den mal an."

"Ey, bleib mal ruhig."

"Ich bleib nicht ruhig. Schau dir den doch mal an. Der hat frische Verletzungen am Kopf. Das sieht doch nicht mehr aus wie Selbstmord!"

Besonders beeindruckend ist das realistische fast spröde Spiel der Hauptdarsteller und ihre Entwicklung bis hin zum gemeinschaftlich verübten Mord. Angeregt wurde Regisseur Philip Koch zu seinem Debütfilm durch die grausamen Vorgänge in der Jugendhaftanstalt in Siegburg im Jahre 2006, bei denen drei Gefangene einen Mithäftling folterten und zum Selbstmord zwangen. Dabei zeigt der Film sehr wenig explizite Gewalt, und trotzdem wird der spürbare Druck immer stärker, fast unerträglich.

"In Picco war es mir ganz besonders wichtig, die Gewalt erst ganz am Ende des Films zu zeigen. Gewalt, ohne eine gewisse Empathie wird nie funktionieren, wird nie eine emotionale Wirkung haben. Deshalb war es fundamental wichtig in den ersten wirklich 70 Minuten des Films ganz wenig mit Gewalt zu arbeiten und wirklich die Figuren kennenzulernen und auch in so persönlichen, intimen Momenten, wie zum Beispiel dieser Besucherszene, wo man einen Einblick in das Leben dieser Menschen gewährt bekommt, eigentlich ganz schwachen Momenten, wo sie diesen Mantel des Rolle des Sozialdarwinismus ablegen."

Philip Koch hat ein beeindruckendes und bedrückendes Kammerspiel von seelischer und körperlicher Gewalt inszeniert, bis hin zum tödlichen Ende. Dabei geht es geht auch um mangelnde Zivilcourage. Bei manchen Aufführungen auf Festivals reagierte das Publikum teilweise hefig auf den Film, die Zuschauer verließen das Kino. Für Regisseur Philip Koch, liegt das auch daran, dass er sich bewusst der Sehnsucht des Zuschauers nach einem moralischen Happy End verweigert.

"Also der Zuschauer ist ja selber in der Situation, wie würde er handeln? Und er ist natürlich sehr wütend darüber, dass die Hauptfigur eigentlich die Schwäche zeigt, nicht so zu handeln. Was letzten Endes aber auch eine eigne Wut ist, weil ich glaube, dass wirklich 90 Prozent, der Menschen genau dasselbe tun würden und ich glaube, die Zuschauer erkennen das und das ist letzten Endes, was sie so aufregt."

Einen netten Kinoabend bietet einem dieser Film gewiss nicht, eher ein meisterhaft inszeniertes, klaustrophobisches Erlebnis. Ein Gefängnisfilm, an dessen Ende nicht die genretypische Revolte steht, nicht die Explosion der Freiheit, sondern die Implosion der Langeweile und der Perspektivlosigkeit: die Grausamkeit und der tödliche Sadismus, der Schwachen gegen die noch Schwächeren. Der Film zeigt die Absurdität des Jugendstrafvollzuges und lässt wenig Hoffnung, selbst der kleinste Lichtblick ist vergittert. Aber gerade diese Hoffnungslosigkeit macht den Film so beklemmend und so beeindruckend.