Schlager unterm Regenbogen

Wird Helene Fischer politisch?

Helene Fischer bei der Aufzeichnung der Helene Fischer Show im ZDF am 08.12.2018.
Helene Fischer bei der Aufzeichnung einer Show für das ZDF: "Wir sind mehr" © picture alliance/dpa/Foto: Rolf Vennenbernd
Jens Balzer im Gespräch mit Andreas Müller |
Helene Fischer hat kürzlich mit der lesbischen Schlagersängerin Kerstin Ott das Lied "Regenbogenfarben" gesungen. Viele feierten das als "starkes Statement". Musikkritiker Jens Balzer schaut etwas nüchterner auf Fischers Engagement.
Bei ihrer letzten Weihnachtssendung im ZDF hatte Helene Fischer zusammen mit der lesbischen Schlagersängerin Kerstin Ott das Lied "Regenbogenfarben" gesungen, was viel Aufmerksamkeit erregte. Die gelernte Lackiererin Kerstin Ott ist seit ihrem Hit "Die immer lacht" einer der größten deutschen Schlagerstars. Fast sechs Millionen Fernsehzuschauer haben das Duett in Helene Fischers Weihnachtssendung gesehen, im Publikum wurden Regenbogenflaggen geschwenkt. "Starkes Statement", hieß es danach in der Bild-Zeitung. Wie politisch wird Helene Fischer?

Reaktion auf Chemnitz

"Das wir uns das noch einmal fragen würden!" meint unser Musikkritiker Jens Balzer - und schränkt zugleich ein, dass Helene Fischer-Statements dieser Art gar nicht wirklich neu seien. Bereits nach den Ausschreitungen von Chemnitz im Sommer 2018 hatte die Sängerin über die Sozialen Netzwerke den Hashtag #wirsindmehr gepostet. Außerdem hatte sie auf ihrem Instagram-Account "Musik als Zeichen der Verbundenheit und immer ist es Liebe, die gewinnt" geschrieben.
"Das wurde damals schon als großes politisches Statement gewertet und jetzt eben dieses Duett mit Kerstin Ott, der – soweit ich sehe – ersten Butch-Lesbe, die es in die deutschen Charts geschafft hat. Die dann gemeinsam singen, ich zitiere noch einmal die entscheidende Zeile: ´Er und er / Zwei Eltern die ihr Kind zur Kita bringen / Sie und sie tragen jetzt den gleichen Ring / Alles ganz normal.` Starkes Statement kann man sagen. Man kann aber auch sagen, dass alle Menschen die Freiheit haben sollten, so zu sein, wie sie wollen, und so zu lieben, wie sie wollen und auch wen. Das ist doch das Selbstverständlichste auf der Welt."


Dass solche Zeilen heutzutage als starkes Statement gefeiert werden, ist für Jens Balzer eher ein Zeichen, "wie krass der Rechtsruck der letzten Jahre war, wie borniert und blockiert diese Gesellschaft geworden ist". Da bräuchte man nur ins Internet schauen, wo gleich wieder etwas von "Gender-Wahnsinn" geschwafelt werde, so Balzer.
Kerstin Ott im Dezember 2018 in Suhl
Kerstin Ott in der Show "Das Adventsfest der 100.000 Lichter"© picture alliance/dpa/Foto: arifoto UG

Helene Fischers Spiel mit der queeren Ästhetik

Es sei auch nicht neu, dass Helene Fischer mit einer queeren Ästhetik spiele:
"Ich möchte hier nur an das erste große Freilichtkonzert erinnern, das sie im Sommer 2011 in der Berliner Waldbühne gespielt hat, auch schon wieder acht Jahre bald her. Da hat sie unter anderem ein Medley aus Stücken der Gruppe Queen dargeboten, von ´We Will Rock You` bis ´We Are the Champions` und hat mit dramatischer Geste Freddie Mercury imitiert, immerhin den ersten großen offenen schwul lebenden Rockstar."
Auch habe sie damals schon "Pokerface" von Lady Gaga gesungen, die zu dieser Zeit bereits als queere Ikone galt, sagte Balzer. Fischers Mitmusiker hätten sich entsprechend dazu wasserstoffblonde Drag-Queen-Perücken aufgesetzt. Schon damals hätte sich Helene Fischer auch gern als "Lady Gaga des Schlagers" etikettieren lassen.


Der Ursprung der Regenbogensymbolik liege in dem Lied "Somewhere Over The Rainbow" aus dem Film "The Wizard of Oz", berichtete Balzer.
Judy Garland (m) in dem Musicalfilm "Der Zauberer von Oz" 
Schauspielerin Judy Garland (Mitte) in dem Musicalfilm "Der Zauberer von Oz" aus dem Jahr 1939. © imago/United Archives International
"Sie spielt in dem Film das kleine Mädchen Dorothy, das in dem Lied davon singt, dass es irgendwo jenseits des Regenbogens eine Welt gibt, in der es zuhause sein kann. Garland war schon in den 1950er-Jahren eine der großen Ikonen der schwulen Szenen in den USA."
Judy Garland starb im Juni 1969 und wurde am 27. Juni in New York begraben – einen Tag vor den sogenannten Stonewall Riots, die ersten großen Demonstrationen der queeren Community gegen die staatlichen Repressionen. Auf dieses geschichtliche Ereignis geht auch die Symbolik zurück.


In Deutschland gab es in den 1970er-Jahren hingegen Marianne Rosenberg. So wurde der Schlager zum Sound der schwulen Kultur- und Emanzipationsbewegung. Es sei allerdings eine "deutsche Spezialität", dass ausgerechnet solch eine konservative Musik diese Rolle spiele, sagte Balzer.
Marianne Rosenberg im Oktober 2017 auf dem internationalen Schlagerfest in Dortmund.
Marianne Rosenberg im Oktober 2017 auf dem internationalen Schlagerfest in Dortmund.© imago/osnapix
"In den USA ist das anders. Da war in den 70ern natürlich Disco der Sound der queeren Kultur. In Großbritannien war es der Glamrock und später New Wave. Das sind alles Genres, die in Deutschland erstmal gar nicht oder nur in eher nicht so queeren Varianten angekommen sind."

Helene Fischers Doppelrolle

In Deutschland habe es nur den Schlager gegeben, den sich das queere Publikum habe aneignen können, so Balzer. Helene Fischer spiele in diesem Zusammenhang eine Doppelrolle. Einerseits war sie diejenige, die den Schlager "entironisiert" habe, andererseits habe sie ihn hitparadentauglich an die elektronische Tanzmusik angeschlossen, erläuterte der Musikkritiker. Mit ihren Kostümen und Inszenierungen habe sie dem Schlager echten Glamour verliehen. Damit habe sie sowohl ein klassisches Bierzelt-Publikum als auch die queere Szene angesprochen.
Das Duett mit Kerstin Ott sei ein Zeichen an die queere Community. Das hindere Helene Fischer aber nicht daran, auch mit dem österreichischen Volksmusiksänger Andreas Gabalier aufzutreten, der keine Gelegenheit auslasse, sich über den ihn umgebenden "Gender-Wahnsinn" zu beklagen, gab Balzer zu bedenken.

(jde)
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