Schlank durch Schlaf?
Udo Pollmer schreibt in seinem neuesten Buch "Esst endlich normal": Das Lamento ist wohl bekannt, eine Generation von Schlaffis verfettet, weil der einzige Frühsport einer verweichlichten Jugend im Abhorchen von Luxusmatratzen besteht. Keine Bewegung, kein Kalorienverbrauch … Die Daten sprechen aber eine andere Sprache. Schauen wir mit dem Autor des Buches die Datenlage an.
Das Lamento ist wohlbekannt: Eine Generation von Schlaffis verfettet, weil der einzige Frühsport einer verweichlichten Jugend im Abhorchen von Luxusmatratzen liegt. Keine Bewegung, kein Kalorienverbrauch. Den Seinen gibt's der Herr bekanntlich im Schlaf. Ob das wohl auch für Extra-Pfunde gilt? Betrachten wir also die Datenlage zur Frage: Sind Langschläfer dicker als "aufgeweckte" Kinder?
Die erste Überraschung ist, dass die etwa zwei Dutzend Studien, die es gibt, fast ausnahmslos zum gleichen Ergebnis kommen. Die zweite ist das Ergebnis selbst: Kinder, die spät ins Bett kommen und früh aufstehen müssen, neigen viel eher zu Übergewicht als Gleichaltrige, die früh zu Bett gehen und morgens länger liegen bleiben dürfen. Das ergab eine Untersuchung an 8200 japanischen Schülern im Alter von sechs bis sieben Jahren. Vergleichbare Ergebnisse liegen aus aller Welt vor, auch aus Deutschland. Ein Team der Universität München kommt anhand der Daten von 7700 Kindern im Alter von fünf bis sechs zur gleichen Schlussfolgerung: "Mit der Schlafdauer sank die Häufigkeit von Übergewicht", stellten die Autoren fest. Außerdem scheint dieser Effekt "unabhängig von anderen Risikofaktoren für Übergewicht im Kindesalter« aufzutreten. Und er ist beeindruckend: Zwei Stunden mehr Schlaf bedeuten zwei Drittel weniger dicke Kinder.
Dabei hatten die Forscher kaum einen denkbaren Einflussfaktor außer Acht gelassen. Sie überprüften nicht nur die verspeisten Kalorien und die sportlichen Aktivitäten, sondern auch ganz gezielt den Chipsverzehr vor dem Fernseher, die Anzahl von Mahlzeiten, die das Kind alleine essen musste, das Alter, in dem es das erste Gläschen bekommen hatte, das Stillen usw. Am Ende blieben als Risikofaktoren das Gewicht der Eltern übrig, gefolgt vom Geburtsgewicht und den Stunden vor dem Fernseher. Auf den hinteren Plätzen landeten die Chips vor der Glotze sowie die Zigaretten, die die Mutter während der Schwangerschaft geraucht hatte. Aus Sicht der Autoren erlaubt das nur den Schluss, dass "die Wirkung der Schlafdauer auf das Übergewicht mit keinem der vielen genetischen, soziodemographischen, konstitutionellen oder Lebensstil-Risikofaktoren für Übergewicht im Kindesalter erklärt werden kann".
Was für Kinder zutrifft, gilt auch für junge Erwachsene: Die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht war bei den Twens mit dem kürzesten Schlaf um den Faktor sieben erhöht. Auch andere Untersuchungen an Erwachsenen bestätigen, dass das Gewicht mit sinkender Schlafdauer steigt. Woran könnte das liegen? Schließlich bewegt man sich während des Schlafens ja kaum. Wer länger aktiv ist, sollte auch mehr Kalorien verbrauchen. Glaubt man der Theorie, müssten "Schnarchnasen" davon "wie im Schlaf" drall werden. Oder liegt es umgekehrt vielleicht daran, dass Übergewicht müde macht? Also das Schlafbedürfnis mit steigendem Gewicht ebenfalls steigt?
Den entscheidenden Hinweis liefert ein kleines Detail: Bei Kindern besteht nicht nur ein Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gewicht, sondern auch zwischen dem Zeitpunkt des Zubettgehens und dem Gewicht. Je früher die Kids in die Falle kommen, desto schlanker sind sie. Dieser Effekt trat unabhängig von der Schlafdauer auf. Also: Kinder, die früh zu Bett gehen und lange schlafen sind im statistischen Mittel schlanker als solche, die früh ins Bett gehen und früh aufstehen, oder solche, die nicht ins Bett kommen, aber dafür lange schlafen. Am dicksten sind die mit zwei Risikofaktoren: spät ins Bett und kurzer Schlaf.
Wie soll das funktionieren? Ganz einfach: Der Cortisolspiegel unterliegt bekanntlich einer Tag-Nacht-Rhythmik. Insofern erscheint es durchaus plausibel, dass – wie in der eingangs zitierten japanischen Arbeit gezeigt – der Zeitpunkt des Zubettgehens eine Rolle spielt. Die Schlafdauer beeinflusst die Cortisolproduktion. Wie ein Experiment mit jungen, gesunden Männern zeigte, genügen bereits wenige Tage mit verkürzten Schlafzeiten, damit das Cortisol seine Tagesrhythmik verliert und Störungen des Blutzucker- und des Insulinspiegels auftreten. Über diesen Mechanismus ließe sich auch erklären, warum Schichtarbeiter und Menschen, denen anhaltende Probleme den Schlaf rauben, häufiger unter gesundheitlichen Problemen leiden.
Warum, um Himmels willen, müssen Kinder in Deutschland eigentlich oft schon um halb acht in der Grundschule zum Unterricht antreten? Angesichts peinlicher PISA-Studien ist es vielleicht nicht uninteressant zu hören, dass darunter auch der Unterricht leidet. Ein späterer Schulbeginn, das haben Versuche in den USA gezeigt, erhöht Konzentration und Lernerfolg der Kinder. Stattdessen führt man hierzulande die Sommerzeit ein, damit die biologischen Rhythmen von Mensch und Nutzvieh noch ein bisschen mehr zu knabbern haben. Und was bitte haben Sechsjährige im Winter zu nachtschlafender Zeit auf der Straße verloren? Sollen sie vielleicht auf die Frühschicht bei VW oder Daimler vorbereitet werden? Lesen und Schreiben können sie offenbar noch später auf dem zweiten Bildungsweg in der Abendschule lernen.
In den USA soll die Schlafdauer in den letzten Jahrzehnten um zwei Stunden abgenommen haben. Daten für Deutschland fehlen, dürften aber in der Tendenz den amerikanischen Erfahrungen entsprechen. Fragt sich nur, warum heute mehr Kinder als früher Schlafprobleme haben. Bei aller Kritik am frühen Schulbeginn und den langen Schulwegen: die Schule hat auch schon vor 30 Jahren zu nachtschlafender Zeit begonnen.
Aber etwas anderes hat sich verändert, das Nachmittags- und Abendprogramm der Kinder und Jugendlichen. Hier ist der Zusammenhang evident: Diejenigen, die sich täglich im Freien aufhalten, schlafen deutlich besser als Stubenhocker. Ist es also die Bewegung an der frischen Luft, toben, die müde macht und gut schlafen lässt? Klingt zwar plausibel, trifft es aber wieder einmal nicht. Es ist, wie bereits in diesem Buch ausgeführt, das Tageslicht, das das gesamte hormonelle System des Körpers steuert. Es reguliert über die HPA-Achse Cortisol, Sexualhormone und das Gewicht des Menschen.
Das Lebewesen Mensch ist an das natürliche Tageslicht mit seinem Spektrum und seiner Rhythmik angepasst; es bringt uns gut durch Tag und Nacht. Wer sich den ganzen Tag im Freien aufgehalten hat, ist am Abend anders müde, als jemand, der zerschlagen aus dem halogenhellen Büro kommt. Wer den Tag im Haus verbringen muss, mit künstlicher Beleuchtung, wer seine tägliche Arbeit ohne Tageslicht am Bildschirm verrichtet, wer in seiner Freizeit oder als Schichtarbeiter die Nacht zum Tage macht, dessen Rhythmusgeber kommt durcheinander, dessen innere Uhr tickt nicht mehr richtig. Das bringt die Cortisolregulation durcheinander. Und das macht fett.
Entnommen aus: Pollmer U. "Esst endlich normal!" (mit ausführlichem Literaturverzeichnis), Piper-Verlag, München 2005, ISBN 3-492-04791-2;
Die erste Überraschung ist, dass die etwa zwei Dutzend Studien, die es gibt, fast ausnahmslos zum gleichen Ergebnis kommen. Die zweite ist das Ergebnis selbst: Kinder, die spät ins Bett kommen und früh aufstehen müssen, neigen viel eher zu Übergewicht als Gleichaltrige, die früh zu Bett gehen und morgens länger liegen bleiben dürfen. Das ergab eine Untersuchung an 8200 japanischen Schülern im Alter von sechs bis sieben Jahren. Vergleichbare Ergebnisse liegen aus aller Welt vor, auch aus Deutschland. Ein Team der Universität München kommt anhand der Daten von 7700 Kindern im Alter von fünf bis sechs zur gleichen Schlussfolgerung: "Mit der Schlafdauer sank die Häufigkeit von Übergewicht", stellten die Autoren fest. Außerdem scheint dieser Effekt "unabhängig von anderen Risikofaktoren für Übergewicht im Kindesalter« aufzutreten. Und er ist beeindruckend: Zwei Stunden mehr Schlaf bedeuten zwei Drittel weniger dicke Kinder.
Dabei hatten die Forscher kaum einen denkbaren Einflussfaktor außer Acht gelassen. Sie überprüften nicht nur die verspeisten Kalorien und die sportlichen Aktivitäten, sondern auch ganz gezielt den Chipsverzehr vor dem Fernseher, die Anzahl von Mahlzeiten, die das Kind alleine essen musste, das Alter, in dem es das erste Gläschen bekommen hatte, das Stillen usw. Am Ende blieben als Risikofaktoren das Gewicht der Eltern übrig, gefolgt vom Geburtsgewicht und den Stunden vor dem Fernseher. Auf den hinteren Plätzen landeten die Chips vor der Glotze sowie die Zigaretten, die die Mutter während der Schwangerschaft geraucht hatte. Aus Sicht der Autoren erlaubt das nur den Schluss, dass "die Wirkung der Schlafdauer auf das Übergewicht mit keinem der vielen genetischen, soziodemographischen, konstitutionellen oder Lebensstil-Risikofaktoren für Übergewicht im Kindesalter erklärt werden kann".
Was für Kinder zutrifft, gilt auch für junge Erwachsene: Die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht war bei den Twens mit dem kürzesten Schlaf um den Faktor sieben erhöht. Auch andere Untersuchungen an Erwachsenen bestätigen, dass das Gewicht mit sinkender Schlafdauer steigt. Woran könnte das liegen? Schließlich bewegt man sich während des Schlafens ja kaum. Wer länger aktiv ist, sollte auch mehr Kalorien verbrauchen. Glaubt man der Theorie, müssten "Schnarchnasen" davon "wie im Schlaf" drall werden. Oder liegt es umgekehrt vielleicht daran, dass Übergewicht müde macht? Also das Schlafbedürfnis mit steigendem Gewicht ebenfalls steigt?
Den entscheidenden Hinweis liefert ein kleines Detail: Bei Kindern besteht nicht nur ein Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gewicht, sondern auch zwischen dem Zeitpunkt des Zubettgehens und dem Gewicht. Je früher die Kids in die Falle kommen, desto schlanker sind sie. Dieser Effekt trat unabhängig von der Schlafdauer auf. Also: Kinder, die früh zu Bett gehen und lange schlafen sind im statistischen Mittel schlanker als solche, die früh ins Bett gehen und früh aufstehen, oder solche, die nicht ins Bett kommen, aber dafür lange schlafen. Am dicksten sind die mit zwei Risikofaktoren: spät ins Bett und kurzer Schlaf.
Wie soll das funktionieren? Ganz einfach: Der Cortisolspiegel unterliegt bekanntlich einer Tag-Nacht-Rhythmik. Insofern erscheint es durchaus plausibel, dass – wie in der eingangs zitierten japanischen Arbeit gezeigt – der Zeitpunkt des Zubettgehens eine Rolle spielt. Die Schlafdauer beeinflusst die Cortisolproduktion. Wie ein Experiment mit jungen, gesunden Männern zeigte, genügen bereits wenige Tage mit verkürzten Schlafzeiten, damit das Cortisol seine Tagesrhythmik verliert und Störungen des Blutzucker- und des Insulinspiegels auftreten. Über diesen Mechanismus ließe sich auch erklären, warum Schichtarbeiter und Menschen, denen anhaltende Probleme den Schlaf rauben, häufiger unter gesundheitlichen Problemen leiden.
Warum, um Himmels willen, müssen Kinder in Deutschland eigentlich oft schon um halb acht in der Grundschule zum Unterricht antreten? Angesichts peinlicher PISA-Studien ist es vielleicht nicht uninteressant zu hören, dass darunter auch der Unterricht leidet. Ein späterer Schulbeginn, das haben Versuche in den USA gezeigt, erhöht Konzentration und Lernerfolg der Kinder. Stattdessen führt man hierzulande die Sommerzeit ein, damit die biologischen Rhythmen von Mensch und Nutzvieh noch ein bisschen mehr zu knabbern haben. Und was bitte haben Sechsjährige im Winter zu nachtschlafender Zeit auf der Straße verloren? Sollen sie vielleicht auf die Frühschicht bei VW oder Daimler vorbereitet werden? Lesen und Schreiben können sie offenbar noch später auf dem zweiten Bildungsweg in der Abendschule lernen.
In den USA soll die Schlafdauer in den letzten Jahrzehnten um zwei Stunden abgenommen haben. Daten für Deutschland fehlen, dürften aber in der Tendenz den amerikanischen Erfahrungen entsprechen. Fragt sich nur, warum heute mehr Kinder als früher Schlafprobleme haben. Bei aller Kritik am frühen Schulbeginn und den langen Schulwegen: die Schule hat auch schon vor 30 Jahren zu nachtschlafender Zeit begonnen.
Aber etwas anderes hat sich verändert, das Nachmittags- und Abendprogramm der Kinder und Jugendlichen. Hier ist der Zusammenhang evident: Diejenigen, die sich täglich im Freien aufhalten, schlafen deutlich besser als Stubenhocker. Ist es also die Bewegung an der frischen Luft, toben, die müde macht und gut schlafen lässt? Klingt zwar plausibel, trifft es aber wieder einmal nicht. Es ist, wie bereits in diesem Buch ausgeführt, das Tageslicht, das das gesamte hormonelle System des Körpers steuert. Es reguliert über die HPA-Achse Cortisol, Sexualhormone und das Gewicht des Menschen.
Das Lebewesen Mensch ist an das natürliche Tageslicht mit seinem Spektrum und seiner Rhythmik angepasst; es bringt uns gut durch Tag und Nacht. Wer sich den ganzen Tag im Freien aufgehalten hat, ist am Abend anders müde, als jemand, der zerschlagen aus dem halogenhellen Büro kommt. Wer den Tag im Haus verbringen muss, mit künstlicher Beleuchtung, wer seine tägliche Arbeit ohne Tageslicht am Bildschirm verrichtet, wer in seiner Freizeit oder als Schichtarbeiter die Nacht zum Tage macht, dessen Rhythmusgeber kommt durcheinander, dessen innere Uhr tickt nicht mehr richtig. Das bringt die Cortisolregulation durcheinander. Und das macht fett.
Entnommen aus: Pollmer U. "Esst endlich normal!" (mit ausführlichem Literaturverzeichnis), Piper-Verlag, München 2005, ISBN 3-492-04791-2;