Literatur
Burger K: Warum nehmen Essstörungen zu? Spektrum.de vom 24. Feb. 2017
Hoffmann C, Schönburg A: "Heidi-Klum-Show ist mörderisch!" Bild-Online 30. April 2015
Brettschneider AK et al: Updated prevalence rates of overweight and obesity in 4- to 10-year-old children in Germany. Results from the telephone-based KiGGS Wave 1 after correction for bias in parental reports. European Journal of Pediatrics 2017/ epub ahead of print
Schadwinkel A: "Wir therapieren Achtjährige, die Anorexie haben". Zeit-Online 8. Jan. 2016
Anon: Kinderärzte warnen vor "Diäten-Hype". Spiegel.de 13. Sept. 2016
Götz M, Mendel C: "So you lose weight and end up ill" Germanys next topmodel and ist role in eating disorders. TeleVizion 2016; H.29: 62-67
Anon: "Germany’s next Topmodel" fördert gefährliche Essstörungen. Stylebook.de 30. April 2015
Robert-Koch-Institut: Störungen des Essverhaltens. In: Erkennen - Bewerten - Handeln: Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Berlin 2008, S.51-56
Universitätsklinikum Heidelberg, Zentrum für Psychosoziale Medizin: Essstörungen – für Kollegen. https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Fuer-Kollegen.109900.0.html
Weber N: So schlank, so krank. Spiegel.de 23. April 2015
Huebner HF: Endorphins, Eating Disorders ans Other Addictive Behaviors. Norton, New York 1993
Anon: Essstörungen vorprogrammiert: Diäten sind für Kinder und Jugendliche tabu. Berliner-Zeitung.de 24. Aug. 2011
Dixon DP et al: Development of, and recovery from, activity-based anorexia in female rats. Physiology & Behavior 2003; 80: 273-279
Mauritz E: Kinderpsychiater fordert eine Klinik für Essstörungen. Kurier.at 27. Feb. 2017
Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, ANAD e.V. Versorgungszentrum Essstörungen (Hrsg): Warum seh ich nicht so aus? Fernsehen im Kontext von Essstörungen. München 2016
Ahrens W et al: Prevalence of overweight and obesity in European children below the age of 10. International Journal of Obesity 2014; 38: S99-S107
Wie ein großes Problem klein gerechnet wird
Die Schlankheitswelle kommt wieder ins Rollen. Das Flaggschiff zur Anbetung von Untergewicht ist sicherlich "Germany's next Topmodel". Zahllose junge Mädchen nehmen dies zum Maßstab ihres jungen Lebens. Und kentern damit, wie ein leichtes Boot in schwerem Sturm. Ein Kommentar von Udo Pollmer.
In einer Zeit, die von der Idee einer Übergewichts-Epidemie überzeugt ist, irritieren manche Schlagzeilen: "So schlank, so krank", "Kinderärzte warnen vor 'Diäten-Hype'", oder Jugendpsychiater klagen: "Wir therapieren Achtjährige, die Anorexie (also Magersucht) haben". Als besonders fatal haben sich Programme zur Förderung eines normalen Gewichts erwiesen. Sie machen unsere Kinder nicht etwa gesünder, sondern verrückt. Wer die Kids auffordert, sich mit ihrem Gewicht und ihrem Aussehen zu befassen, erreicht nur, dass pubertierende Mädchen ängstlich die Entwicklung ihrer Fettpölsterchen beobachten. Die Folge: Jedes zweite Mädchen findet sich zu dick.
Dann gibt’s Diäten, dann wird gehungert, dann werden beim Joggen "Kalorien verbrannt". Viele geraten so in einen Teufelskreis: Die Kombination von Ausdauersport wie Joggen mit einer Diät kann zu einer Hypercortisolämie führen, also zu einem hohen Cortisolspiegel. Dies ist bei hagerem Wuchs oft mit einer Euphorie verbunden. Der Hunger wirkt allmählich wie eine Droge und zieht seine Opfer ins Verderben.
Das Prinzip funktioniert auch bei Ratten
Das Prinzip funktioniert auch beim Tier: Man setze Ratten auf Diät und gebe ihnen zum Joggen ein Laufrad. Viele werden alsbald stark untergewichtig und rennen, bis sie tot sind. Nur am Rande: Menschen, die zur Korpulenz neigen, bekommen vom Hungern und Rennen keine Euphorie, sondern werden depressiv! Sie werden nicht mager, sondern immer fetter. Die Willensstarken unter ihnen zeigen eher Neigung zur Bulimie, zur Brechsucht.
Die Zahl der an Essstörungen erkrankten Kinder steigt kontinuierlich. Nach den Ergebnissen des Robert-Koch-Institutes weist bereits jedes fünfte Kind erste Anzeichen einer Essstörung auf. Magersucht ist die tödlichste psychische Erkrankung. Zehn bis 15 % der betroffenen jungen Frauen sterben daran. Doch statt zur Besinnung zu kommen und Kinder nicht mehr mit Körperidealen zu traktieren, fordern die Wölfe im Schafspelz mit sanfter Stimme noch mehr Ernährungsaufklärung, um die Kids durch intensivere Information vor Essstörungen zu schützen.
Fettreduzierte Magermodels im Rampenlicht
Gerade hat eine neue Staffel von "Germany‘s next Topmodel" begonnen. Heerscharen von jungen Mädchen bewerben sich, um als fettreduziertes Magermodel im Rampenlicht zu stehen.
Eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen hat ergeben, dass von 241 befragten Magersüchtigen 70 erklärten, diese Sendung habe zur Entstehung ihrer Sucht beigetragen. Der Sender wies dies zurück und erklärte, die Show sei natürlich ein Appell, sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben. Außerdem sei Übergewicht ein größeres Problem.
Der Psychiater Manfred Lütz war empört:
"Magersüchtige Mädchen achten penibel auf ihre Ernährung und treiben übermäßig Sport, um auch dadurch Kalorien zu verlieren. Und festzustellen, dass Übergewicht gesellschaftlich ein viel größeres Problem sei, ist so, als ob ein Dealer sich damit herausredet, der Alkohol sei (...) ein größeres Problem als Heroin. So etwas ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten!"
Fast jedes zehnte Kind hat extremes Untergewicht
Dabei ist die Behauptung, das Übergewicht sei das größere Problem, unzutreffend: Denn inzwischen liegen aktuelle Daten der KiGGS-Studie vor, einer Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts. Demnach sind 4 % der Kinder adipös, also "fettsüchtig". Aber doppelt so viele, gut 9 % weisen ein extremes, also lebensbedrohliches Untergewicht auf.
Doch ein solches Ergebnis passt überhaupt nicht ins Bild. Also wurden die Daten massiert. Begründung: Die Menschen würden ihr Gewicht nach unten schummeln. Bei Magersüchtigen gilt aber das Gegenteil. Sie halten sich für zu "fett" – sie schummeln ihr Gewicht nach oben, um weiter hungern zu können. Das Robert-Koch-Institut hat nun die ermittelten 9 % (9,1%, Konfidenzintervall 7,7-10,6) nicht etwa nach oben korrigiert, sondern auf gut 2 % heruntergerechnet – womit die Katastrophe erst mal vertuscht wäre.
Man sieht: Ernährungserziehung zeigt Wirkung. Die stete Beschäftigung mit dem Essen und der Wunsch nach einem tollen Körper treibt immer mehr Kinder in die Hungersucht - bei vollen Tellern. Mahlzeit!