Schlau wie ein Affe?
Laut Thomas Bugnyar hat das komplizierte Sozialleben der Raben für die relativ zu anderen Vogelarten große Gehirnentwicklung geführt. Raben müssten immer wieder Probleme mit Ihresgleichen lösen. Ihre Schlauheit lasse sich durchaus vergleichen mit der von Primaten.
Ulrike Timm: Dass Raben kluge Wesen sind, das ist lange bekannt. In Märchenwelt und Mythologie stehen sie für Weisheit, auch für Trauer und für Melancholie, der nordische Gott Odin etwa hatte der Sage nach auf jeder Schulter einen Raben und fragte ihn gerne um Rat. Kurz: Dass Raben kein Spatzenhirn haben, das wissen wir, wie weit ihre Fähigkeiten aber tatsächlich gehen, das erforscht Thomas Bugnyar. Er arbeitet in der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle der Universität Wien und fordert dort täglich die Intelligenz der Raben heraus. Schönen guten Tag, Herr Bugnyar!
Thomas Bugnyar: Guten Tag!
Timm: Wie schlau sind denn Raben tatsächlich?
Bugnyar: Ja, das ist genau die Frage, die uns interessiert und auf die wir noch keine ultimative Antwort haben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie relativ schlau sind im Vergleich zu vielen anderen Vögeln und dass ihre Schlauheit sich in bestimmten Bereichen durchaus vergleichen lässt mit dem, was wir von Primaten zum Beispiel kennen.
Timm: Dann wäre es ja eine ganz hohe Intelligenz im Tierreich. Wie haben Sie die beobachtet, woran merkt man das bei Raben?
Bugnyar: Es ist relativ einfach eigentlich. Man muss Raben beziehungsweise Rabenvögel generell nur ein bisschen beobachten, dann sieht man Verhaltensweisen, die einem von Vögeln normalerweise nicht so geläufig sind. Zum Beispiel sind sie extrem verspielt, oder wenn sie streiten, intervenieren sie. Zum Beispiel kommt ein Dritter dazu und hilft einem von den beiden, die gerade gestritten haben, oder wenn einer nicht hilft bei einem Streit, dann ist es relativ wahrscheinlich, dass er dann später kommt und sich extrem nett zu dem Raben verhält, der gerade verprügelt worden ist, was, unter Anführungszeichen, Richtung Tröstung geht. Das sind alles so Verhaltensweisen, die relativ auffällig sind. Die Frage ist dann immer nur, wie man es interpretiert. Und rein vom Beobachten kann man mit allen möglichen Interpretationen daherkommen, da muss man dann ins Labor gehen und anfangen, experimentell zu testen. Das heißt, die Raben gehen, unter Anführungszeichen, dann bei uns in die Schule, und wir versuchen herauszufinden, was sie dabei wirklich verstehen oder denken, wenn sie solche verschiedenen interessanten Verhaltensweisen machen.
Timm: Sie haben also eine Art wissenschaftliche Rabenschule, und wenn Raben Streit untereinander schlichten können, dann setzt das ja voraus, sie haben Einfühlungsvermögen füreinander, ein gewisses Maß an Reflexion, sonst kann ja der eine Rabe den anderen nicht beruhigen. Wie ausgeprägt ist das und wie haben Sie das überhaupt wirklich entdeckt?
Bugnyar: Das mit dem Einfühlungsvermögen ist eine Hypothese, die wir im Moment haben, die die Ergebnisse, die wir soweit bekommen haben, am besten erklären kann. Es gibt noch Alternativen, muss ich dazu sagen. Es kann sein zum Beispiel auch – beim Menschen ist es ähnlich –, also auch beim Menschen wird zum Beispiel diskutiert, dass wenn wir einander trösten, dass das entweder rein altruistisch ist, das heißt, wir versuchen dem anderen quasi Gutes zu tun, oder dass es egoistisch ist, dass man dem anderen Gutes tut, nur um sich selbst wieder zu beruhigen, wenn man selbst auch nervös wird, wenn es einem anderen nicht gut geht. Im Moment laufen einige Studien, wo wir versuchen, ein bisschen da näher reinzugehen, indem wir einerseits manipulieren, mit wem die Raben zusammen sein können, also ob es überhaupt zur Tröstung kommen kann oder nicht, beziehungsweise wir manipulieren, inwieweit Tröstung überhaupt notwendig ist. Was wir machen zum Beispiel, wir setzen Raben in ein kleines Kompartment, wo er nicht sehen kann, was draußen passiert, er kann aber was hören. Und was er hören kann, das spielen wir ihm vor. Wir spielen ihm die Rufe von anderen Raben vor, und wir simulieren dadurch einen Streit. Und dann kann er dann glauben, mein Freund ist da gerade ziemlich verprügelt worden, dann lassen wir ihn raus. Und wenn wir richtig sind, sollte er zum Freund rüberfliegen und versuchen, möglichst nett zu ihm zu sein, sich neben ihn zu setzen, ihn zu kraulen, ihn zu berühren. Das sind ja Verhaltensweisen, die wir Menschen eigentlich auch machen.
Timm: Ich möchte noch mal zurück zum Umgang mit Verlierern, denn so ganz klar ist mir das nicht, warum ein Rabe einen Verlierer in einem Streit tröstet, man könnte ja auch meinen, ganz darwinistisch, die Stärkeren verbünden sich und die Schwächeren fallen eben raus.
Bugnyar: Das ist eine gute Frage, ich habe das vergessen, vorhin zu erklären, und zwar es geht darum, sie sind sehr selektiv, wann sie das machen, ob sie das machen. Und sie machen es nur mit bestimmten Freunden. Und die Hypothese, die wir vertreten, ist, dass sie versuchen, den anderen möglichst schnell wieder in eine emotionale Balance zu bringen, sodass er für sie auch quasi, unter Anführungszeichen, brauchbar ist. Denn das, was Freunde machen, ist, dass sie einander immer wieder helfen, einerseits im Streiten, einerseits um Futter zu kriegen, sie teilen Futter, sie zeigen einander, wo was ist. Und wenn einer dann gerade verprügelt worden ist und emotional down, dann sitzt er irgendwo am letzten Eck und traut sich nicht raus beziehungsweise ist, unter Anführungszeichen, für seinen Partner nicht wirklich brauchbar. Und deswegen ist die Idee, dass es sich evoluieren könnte, also in der Evolution herausbilden könnte ein Verhalten, das dazu dient, den anderen möglichst schnell wieder aufzubauen. Die Frage ist jetzt, wenn man so ein Verhalten entwickelt, um den anderen möglichst schnell wieder aufzubauen, was braucht es dazu, Einfühlungsvermögen, also Empathie, oder reicht es rein, wenn man nach bestimmten Daumenregeln vorgeht? Daumenregel heißt, dass sie nach relativ einfachen, assoziativ gelernten Schema vorgehen, weiß ich, zum Beispiel wenn der andere so sich verhält, dann mach besser das. Das haben sie ja gelernt im Laufe der Entwicklung, also in der Individualentwicklung, dass ihnen das irgendwie besser hilft.
Timm: Das klingt ja, wenn ich es zuspitze, als wären Raben hin und wieder die besseren Menschen. Gibt es denn auch Freundschaften, also so platonische Freundschaften zwischen Rabenmann und Rabenfrau, oder kommt denen da auch immer der Sex dazwischen?
Bugnyar: Schwer zu sagen. Also ich würde sagen, dass platonische Freundschaften, ich habe keine Evidenz dafür, dass es so etwas gibt, ich will auch nicht behaupten, dass Raben die besseren Menschen sind, auf keinen Fall. Ihr soziales System ist extrem komplex, aber ist nicht eins zu eins vergleichbar mit dem, was wir haben. Sie haben mehrere Freundschaften, nur sie machen meistens nicht alle gleichzeitig oder behandeln nicht alle Freunde gleich gut, sondern sie haben immer Präferenzen für einen oder maximal zwei bestimmte Individuen. Das kann dann wechseln. Sie können diese Präferenzen dann verschieben, sie können auch neue Freunde quasi inkludieren und alte wiederum auslassen. Das geht allerdings dann über mehrere Jahre, also es geht definitiv die ersten drei, vier Jahre so in den Volieren, also in Gefangenschaft. Mit drei Jahren werden sie etwa geschlechtsreif. Zu dieser Zeit gibt es noch keinen Sex, die ersten drei Jahre ist das, unter Anführungszeichen, wenn Sie wollen platonisch – wobei ich das nicht so unterstreichen würde, das ist jetzt wirklich nur eine Metapher.
Timm: Raben faszinieren durch ihr komplexes Verhalten. Thomas Bugnyar erforscht sie und erzählt uns davon im Rahmen unserer Vogelwoche hier bei Deutschlandradio Kultur. Herr Bugnyar, das mit dem Trösten, mit dem Sozialverhalten haben Sie uns ausgiebig erklärt, Raben nutzen aber auch ihre Intelligenz für Täuschungsmanöver, für Tricksereien – was beobachten Sie da täglich in Ihrer Rabenforschung? Wie tricksen die einander aus?
Bugnyar: Das Tricksen ist relativ leicht zu beobachten, und zwar machen sie es hauptsächlich im Kontext von Futterverstecken. Also was die machen, ist, wenn sie Futter bekommen oder an Futter rankommen, was ihnen wirklich gut schmeckt, dann haben sie meistens das Problem, dass andere Raben das auch wollen, und dann fressen sie kaum etwas, sondern versuchen möglichst viel von dem Futter, was da liegt, was ihnen eben sehr gut schmeckt, wegzubringen, also für sich selbst quasi auf die Seite zu bringen. Und das machen sie, indem sie es verstecken. Sie horten Futter, um einen Vorrat für sich anzulegen, und die, die kein Futter haben, versuchen diesen Vorrat zu plündern. Und dann hat man eben zwei Spieler im System, wenn man so will, den Verstecker und den Plünderer – der Verstecker versucht zu vermeiden, dass er gesehen wird, was sonst plündert es der andere, und der Plünderer versucht zuzuschauen.
Timm: Wie können Sie eigentlich als Forscher unterscheiden, ob da Tiere nur einfach geschickt sind, was gelernt haben, oder ob sie ihren Kopf wirklich gezielt benutzen?
Bugnyar: Das ist, indem man eine Reihe von Experimenten macht, Verhaltensexperimente, wo man Situationen nachstellt und nur eine Variable immer ändert. Zum Beispiel habe ich zwei Raben nebeneinandersitzen, einer kann sehen, wenn ein Mensch ein Versteck macht, und der andere kann nicht sehen, wenn der Mensch ein Versteck macht. Die beiden Raben können aber einander sehen. Und dann lasse ich sie gemeinsam rein. In dem Fall geht der Rabe, der das Futter gesehen hat, nicht sofort zum Versteck, sondern wartet, bis der Rabe, der das nicht gesehen hat, möglichst weit weg ist, und dann holt er sich erst die Belohnung. Das heißt, er scheint zu wissen, dass der andere nicht weiß, wo das Futter ist.
Timm: Das heißt, Sie können per Versuch nachweisen, dass die Tiere über Intelligenz verfügen ...
Bugnyar: Genau.
Timm: ... und nicht einfach nur besonders geschickt, besonders tricky sind, wie der Wellensittich zu Hause, der irgendwann lernt, durch einen Reifen zu trudeln oder irgendwie mit einem Ball zu spielen. Was meinen Sie, wozu den Raben als Spezies das nützt, warum die Natur sie mit dieser Intelligenz ausgestattet hat, die ja herausragend ist?
Bugnyar: Mein Erklärungsansatz dafür ist, dass es das komplexe Sozialleben der Raben ist, sie sind einerseits Nahrungsgeneralisten, aber haben eine Vorliebe für Fleisch, und Fleisch ist schwierig zu kriegen. Sie sind Singvögel, das heißt, sie können alles bis zur Rattengröße selbst erbeuten, aber sie fressen eigentlich wesentlich öfter Fleisch von größeren Tieren. Dazu braucht es schon mal Prädatoren, wie, weiß ich, Wölfe oder auch menschliche Jäger, und es ist immer schwer dann, an so ein Fleisch heranzukommen. Und was sie dann dabei machen, ist, dass sie zusammen helfen, also mehrere Raben arbeiten zusammen, um überhaupt einmal Zugang zu haben. Sobald sie Zugang haben, gibt es wieder einmal Problem, dann müsste man eigentlich teilen mit den anderen Raben, die einem gerade geholfen haben. Und dann fangen sie an, möglichst viel für sich selber in Sicherheit zu bringen, also zu verstecken. Das heißt, wir haben Kooperation, Konkurrenz, und es gibt immer wieder so ein Wechselspiel zwischen diesen beiden großen Strategien. Das findet man ... jetzt in dem Fall war es gerade meine Erklärung im Futterkontext oder im Nahrungskontext, aber man findet es auch in anderen Kontexten. Das heißt, es scheint wirklich so zu sein mit den Raben, dass das Sozialleben von ihnen immer wieder Probleme aufwirft, die nicht einfach zu lösen sind und dadurch es zu einem relativ starken Selektionsdruck in puncto Gehirnentwicklung gekommen ist und eben dementsprechend auch zu relativ leistungsstarken hohen kognitiven Fähigkeiten.
Timm: Sie haben Ihr ganzes Leben lang Raben erforscht bislang, was bewundern Sie an ihnen ganz persönlich am meisten?
Bugnyar: Ich bewundere an ihnen am meisten, dass sie so schwer zum Vorhersagen sind. Bei einigen Dingen bin ich schon ganz gut, aber sie schaffen es immer wieder, mich, auch unter Anführungszeichen, auszutricksen oder zu überraschen. Wenn man lange mit einer bestimmten Tierart zu tun hat, dann glaubt man eben zu wissen, wie sie ticken, und das ist bei Raben noch immer nicht der Fall, zumindest nicht bei mir.
Timm: Thomas Bugnyar, Rabenforscher an der Universität in Wien, im Gespräch. Vielen Dank! Unsere Vogelwoche hier im Deutschlandradio Kultur, die geht weiter – zum einen in der Debatte, da können Sie einen Experten befragen über alles, was Sie in Sachen Vögel auf dem Herzen haben, und morgen Vormittag dann, da geht es um tote Vögel, um Seevögel im Netz, denn jedes Jahr sterben 20.000 Seevögel qualvoll als Beifang.
Thomas Bugnyar: Guten Tag!
Timm: Wie schlau sind denn Raben tatsächlich?
Bugnyar: Ja, das ist genau die Frage, die uns interessiert und auf die wir noch keine ultimative Antwort haben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie relativ schlau sind im Vergleich zu vielen anderen Vögeln und dass ihre Schlauheit sich in bestimmten Bereichen durchaus vergleichen lässt mit dem, was wir von Primaten zum Beispiel kennen.
Timm: Dann wäre es ja eine ganz hohe Intelligenz im Tierreich. Wie haben Sie die beobachtet, woran merkt man das bei Raben?
Bugnyar: Es ist relativ einfach eigentlich. Man muss Raben beziehungsweise Rabenvögel generell nur ein bisschen beobachten, dann sieht man Verhaltensweisen, die einem von Vögeln normalerweise nicht so geläufig sind. Zum Beispiel sind sie extrem verspielt, oder wenn sie streiten, intervenieren sie. Zum Beispiel kommt ein Dritter dazu und hilft einem von den beiden, die gerade gestritten haben, oder wenn einer nicht hilft bei einem Streit, dann ist es relativ wahrscheinlich, dass er dann später kommt und sich extrem nett zu dem Raben verhält, der gerade verprügelt worden ist, was, unter Anführungszeichen, Richtung Tröstung geht. Das sind alles so Verhaltensweisen, die relativ auffällig sind. Die Frage ist dann immer nur, wie man es interpretiert. Und rein vom Beobachten kann man mit allen möglichen Interpretationen daherkommen, da muss man dann ins Labor gehen und anfangen, experimentell zu testen. Das heißt, die Raben gehen, unter Anführungszeichen, dann bei uns in die Schule, und wir versuchen herauszufinden, was sie dabei wirklich verstehen oder denken, wenn sie solche verschiedenen interessanten Verhaltensweisen machen.
Timm: Sie haben also eine Art wissenschaftliche Rabenschule, und wenn Raben Streit untereinander schlichten können, dann setzt das ja voraus, sie haben Einfühlungsvermögen füreinander, ein gewisses Maß an Reflexion, sonst kann ja der eine Rabe den anderen nicht beruhigen. Wie ausgeprägt ist das und wie haben Sie das überhaupt wirklich entdeckt?
Bugnyar: Das mit dem Einfühlungsvermögen ist eine Hypothese, die wir im Moment haben, die die Ergebnisse, die wir soweit bekommen haben, am besten erklären kann. Es gibt noch Alternativen, muss ich dazu sagen. Es kann sein zum Beispiel auch – beim Menschen ist es ähnlich –, also auch beim Menschen wird zum Beispiel diskutiert, dass wenn wir einander trösten, dass das entweder rein altruistisch ist, das heißt, wir versuchen dem anderen quasi Gutes zu tun, oder dass es egoistisch ist, dass man dem anderen Gutes tut, nur um sich selbst wieder zu beruhigen, wenn man selbst auch nervös wird, wenn es einem anderen nicht gut geht. Im Moment laufen einige Studien, wo wir versuchen, ein bisschen da näher reinzugehen, indem wir einerseits manipulieren, mit wem die Raben zusammen sein können, also ob es überhaupt zur Tröstung kommen kann oder nicht, beziehungsweise wir manipulieren, inwieweit Tröstung überhaupt notwendig ist. Was wir machen zum Beispiel, wir setzen Raben in ein kleines Kompartment, wo er nicht sehen kann, was draußen passiert, er kann aber was hören. Und was er hören kann, das spielen wir ihm vor. Wir spielen ihm die Rufe von anderen Raben vor, und wir simulieren dadurch einen Streit. Und dann kann er dann glauben, mein Freund ist da gerade ziemlich verprügelt worden, dann lassen wir ihn raus. Und wenn wir richtig sind, sollte er zum Freund rüberfliegen und versuchen, möglichst nett zu ihm zu sein, sich neben ihn zu setzen, ihn zu kraulen, ihn zu berühren. Das sind ja Verhaltensweisen, die wir Menschen eigentlich auch machen.
Timm: Ich möchte noch mal zurück zum Umgang mit Verlierern, denn so ganz klar ist mir das nicht, warum ein Rabe einen Verlierer in einem Streit tröstet, man könnte ja auch meinen, ganz darwinistisch, die Stärkeren verbünden sich und die Schwächeren fallen eben raus.
Bugnyar: Das ist eine gute Frage, ich habe das vergessen, vorhin zu erklären, und zwar es geht darum, sie sind sehr selektiv, wann sie das machen, ob sie das machen. Und sie machen es nur mit bestimmten Freunden. Und die Hypothese, die wir vertreten, ist, dass sie versuchen, den anderen möglichst schnell wieder in eine emotionale Balance zu bringen, sodass er für sie auch quasi, unter Anführungszeichen, brauchbar ist. Denn das, was Freunde machen, ist, dass sie einander immer wieder helfen, einerseits im Streiten, einerseits um Futter zu kriegen, sie teilen Futter, sie zeigen einander, wo was ist. Und wenn einer dann gerade verprügelt worden ist und emotional down, dann sitzt er irgendwo am letzten Eck und traut sich nicht raus beziehungsweise ist, unter Anführungszeichen, für seinen Partner nicht wirklich brauchbar. Und deswegen ist die Idee, dass es sich evoluieren könnte, also in der Evolution herausbilden könnte ein Verhalten, das dazu dient, den anderen möglichst schnell wieder aufzubauen. Die Frage ist jetzt, wenn man so ein Verhalten entwickelt, um den anderen möglichst schnell wieder aufzubauen, was braucht es dazu, Einfühlungsvermögen, also Empathie, oder reicht es rein, wenn man nach bestimmten Daumenregeln vorgeht? Daumenregel heißt, dass sie nach relativ einfachen, assoziativ gelernten Schema vorgehen, weiß ich, zum Beispiel wenn der andere so sich verhält, dann mach besser das. Das haben sie ja gelernt im Laufe der Entwicklung, also in der Individualentwicklung, dass ihnen das irgendwie besser hilft.
Timm: Das klingt ja, wenn ich es zuspitze, als wären Raben hin und wieder die besseren Menschen. Gibt es denn auch Freundschaften, also so platonische Freundschaften zwischen Rabenmann und Rabenfrau, oder kommt denen da auch immer der Sex dazwischen?
Bugnyar: Schwer zu sagen. Also ich würde sagen, dass platonische Freundschaften, ich habe keine Evidenz dafür, dass es so etwas gibt, ich will auch nicht behaupten, dass Raben die besseren Menschen sind, auf keinen Fall. Ihr soziales System ist extrem komplex, aber ist nicht eins zu eins vergleichbar mit dem, was wir haben. Sie haben mehrere Freundschaften, nur sie machen meistens nicht alle gleichzeitig oder behandeln nicht alle Freunde gleich gut, sondern sie haben immer Präferenzen für einen oder maximal zwei bestimmte Individuen. Das kann dann wechseln. Sie können diese Präferenzen dann verschieben, sie können auch neue Freunde quasi inkludieren und alte wiederum auslassen. Das geht allerdings dann über mehrere Jahre, also es geht definitiv die ersten drei, vier Jahre so in den Volieren, also in Gefangenschaft. Mit drei Jahren werden sie etwa geschlechtsreif. Zu dieser Zeit gibt es noch keinen Sex, die ersten drei Jahre ist das, unter Anführungszeichen, wenn Sie wollen platonisch – wobei ich das nicht so unterstreichen würde, das ist jetzt wirklich nur eine Metapher.
Timm: Raben faszinieren durch ihr komplexes Verhalten. Thomas Bugnyar erforscht sie und erzählt uns davon im Rahmen unserer Vogelwoche hier bei Deutschlandradio Kultur. Herr Bugnyar, das mit dem Trösten, mit dem Sozialverhalten haben Sie uns ausgiebig erklärt, Raben nutzen aber auch ihre Intelligenz für Täuschungsmanöver, für Tricksereien – was beobachten Sie da täglich in Ihrer Rabenforschung? Wie tricksen die einander aus?
Bugnyar: Das Tricksen ist relativ leicht zu beobachten, und zwar machen sie es hauptsächlich im Kontext von Futterverstecken. Also was die machen, ist, wenn sie Futter bekommen oder an Futter rankommen, was ihnen wirklich gut schmeckt, dann haben sie meistens das Problem, dass andere Raben das auch wollen, und dann fressen sie kaum etwas, sondern versuchen möglichst viel von dem Futter, was da liegt, was ihnen eben sehr gut schmeckt, wegzubringen, also für sich selbst quasi auf die Seite zu bringen. Und das machen sie, indem sie es verstecken. Sie horten Futter, um einen Vorrat für sich anzulegen, und die, die kein Futter haben, versuchen diesen Vorrat zu plündern. Und dann hat man eben zwei Spieler im System, wenn man so will, den Verstecker und den Plünderer – der Verstecker versucht zu vermeiden, dass er gesehen wird, was sonst plündert es der andere, und der Plünderer versucht zuzuschauen.
Timm: Wie können Sie eigentlich als Forscher unterscheiden, ob da Tiere nur einfach geschickt sind, was gelernt haben, oder ob sie ihren Kopf wirklich gezielt benutzen?
Bugnyar: Das ist, indem man eine Reihe von Experimenten macht, Verhaltensexperimente, wo man Situationen nachstellt und nur eine Variable immer ändert. Zum Beispiel habe ich zwei Raben nebeneinandersitzen, einer kann sehen, wenn ein Mensch ein Versteck macht, und der andere kann nicht sehen, wenn der Mensch ein Versteck macht. Die beiden Raben können aber einander sehen. Und dann lasse ich sie gemeinsam rein. In dem Fall geht der Rabe, der das Futter gesehen hat, nicht sofort zum Versteck, sondern wartet, bis der Rabe, der das nicht gesehen hat, möglichst weit weg ist, und dann holt er sich erst die Belohnung. Das heißt, er scheint zu wissen, dass der andere nicht weiß, wo das Futter ist.
Timm: Das heißt, Sie können per Versuch nachweisen, dass die Tiere über Intelligenz verfügen ...
Bugnyar: Genau.
Timm: ... und nicht einfach nur besonders geschickt, besonders tricky sind, wie der Wellensittich zu Hause, der irgendwann lernt, durch einen Reifen zu trudeln oder irgendwie mit einem Ball zu spielen. Was meinen Sie, wozu den Raben als Spezies das nützt, warum die Natur sie mit dieser Intelligenz ausgestattet hat, die ja herausragend ist?
Bugnyar: Mein Erklärungsansatz dafür ist, dass es das komplexe Sozialleben der Raben ist, sie sind einerseits Nahrungsgeneralisten, aber haben eine Vorliebe für Fleisch, und Fleisch ist schwierig zu kriegen. Sie sind Singvögel, das heißt, sie können alles bis zur Rattengröße selbst erbeuten, aber sie fressen eigentlich wesentlich öfter Fleisch von größeren Tieren. Dazu braucht es schon mal Prädatoren, wie, weiß ich, Wölfe oder auch menschliche Jäger, und es ist immer schwer dann, an so ein Fleisch heranzukommen. Und was sie dann dabei machen, ist, dass sie zusammen helfen, also mehrere Raben arbeiten zusammen, um überhaupt einmal Zugang zu haben. Sobald sie Zugang haben, gibt es wieder einmal Problem, dann müsste man eigentlich teilen mit den anderen Raben, die einem gerade geholfen haben. Und dann fangen sie an, möglichst viel für sich selber in Sicherheit zu bringen, also zu verstecken. Das heißt, wir haben Kooperation, Konkurrenz, und es gibt immer wieder so ein Wechselspiel zwischen diesen beiden großen Strategien. Das findet man ... jetzt in dem Fall war es gerade meine Erklärung im Futterkontext oder im Nahrungskontext, aber man findet es auch in anderen Kontexten. Das heißt, es scheint wirklich so zu sein mit den Raben, dass das Sozialleben von ihnen immer wieder Probleme aufwirft, die nicht einfach zu lösen sind und dadurch es zu einem relativ starken Selektionsdruck in puncto Gehirnentwicklung gekommen ist und eben dementsprechend auch zu relativ leistungsstarken hohen kognitiven Fähigkeiten.
Timm: Sie haben Ihr ganzes Leben lang Raben erforscht bislang, was bewundern Sie an ihnen ganz persönlich am meisten?
Bugnyar: Ich bewundere an ihnen am meisten, dass sie so schwer zum Vorhersagen sind. Bei einigen Dingen bin ich schon ganz gut, aber sie schaffen es immer wieder, mich, auch unter Anführungszeichen, auszutricksen oder zu überraschen. Wenn man lange mit einer bestimmten Tierart zu tun hat, dann glaubt man eben zu wissen, wie sie ticken, und das ist bei Raben noch immer nicht der Fall, zumindest nicht bei mir.
Timm: Thomas Bugnyar, Rabenforscher an der Universität in Wien, im Gespräch. Vielen Dank! Unsere Vogelwoche hier im Deutschlandradio Kultur, die geht weiter – zum einen in der Debatte, da können Sie einen Experten befragen über alles, was Sie in Sachen Vögel auf dem Herzen haben, und morgen Vormittag dann, da geht es um tote Vögel, um Seevögel im Netz, denn jedes Jahr sterben 20.000 Seevögel qualvoll als Beifang.