Fühlen wie ein Flüchtling
Ausgerechnet auf dem Theaterplatz in Dresden, auf dem einst mehr als 10.000 Pegida-Anhänger demonstrierten, stand ein riesiges Schlauchboot. Das Kunstprojekt war begehbar - und sollte zum Gespräch über die andauernde Flüchtlingstragödie anregen.
Es ist eng, man muss sich bücken. Wer einen Rucksack aufhat, bleibt an der Öffnung hängen, durch die die Besucher das Lifeboat betreten, jenes überdimensionale weiße Schlauchboot, das an diesem Nachmittag auf dem Dresdner Theaterplatz eingeschwommen ist.
Man betritt es heckseitig, steht dann in einer etwa 2,50 Meter hohen Röhre.
Dazu hört man Homers Odyssee, verlesen in sieben unterschiedlichen Sprachen. Sie kommt aus Lautsprechern, die zwischen mit Sand gefüllten Plastiksäcken aufgebaut sind. Auf denen kann man sich niederlassen und zuhören. Nur eine Handvoll Menschen sind unterwegs im Lifeboat an diesem Nachmittag.
Schwitzen im Lifeboat
Es riecht nach Zeltplatz, und besonders wenn die Sonne auf das Boot scheint, treibt die Temperatur einem den Schweiß auf die Stirn.
"Je suis venu du Chad, en Libye, en voiture. 15 jours, on est arrivé en Libye. J’ai gagné un peu d’argent."
Man hört Geschichten von Geflüchteten, wie die von Ibrahim, geflohen aus dem Tschad. Über Libyen und das Mittelmeer.
Dann wieder die Odyssee in sieben unterschiedlichen Sprachen. Das hat den Effekt, dass man sich immer fremd fühlt. 30 Meter geht es zur Spitze des Bootes, dann auf der anderen Seite zurück, bis sich die Besucher am Ausgang wieder durch eine enge Öffnung quetschen müssen.
Der Architekt Marco Canevacci hat das Lifeboat ursprünglich für ein Festival in Neukölln konzipiert. Die Geschichte von Odysseus kenne jeder, und die Parallelen zur heutigen Situation seien offensichtlich:
"Dass viele Leute verlieren alle Freunde, verlieren das Boot, und müssen schwimmen, lange Zeit, um am Ufer zu stranden, wenn sie Glück haben. Sonst ertrinken sie. Andersrum können sie auch das Ufer erreichen und sie würden dann nicht so genau empfangen, wie Odysseus empfangen wurde. Um das klarzustellen: Odysseus wurde manchmal sehr gut empfangen, manchmal sehr schlecht empfangen."
Er kehre von dannen, ohne der Götter Geleit, und ohne der sterblichen Menschen.
Auch wenn man in die Geschichten des Lifeboats eintaucht: Man hört doch immer die Geräusche des Theaterplatzes, die daran erinnern, dass das Boot auf einer der touristischen Attraktionen Dresdens steht. Zwischen Semperoper, Zwinger und Schloss, wo sich Touristen und Dresdner begegnen.
"Ein etwas bunteres Bild vermitteln"
Ganz bewusst habe man das Lifeboat mit seiner deutlichen Botschaft auf den Platz geholt, auf dem Pegida einst mehr als 10.000 Menschen zu Demonstrationen zusammengebracht hat, sagt Peter Thiele von der Dresdner Städtischen Kunstgalerie:
"Wir wollen ein etwas bunteres Bild vermitteln von dieser Stadt, dass alle Menschen in Dresden, die vielleicht auch Zeichen brauchen und sich gegenseitig auch versichern müssen, dass sie nicht alleine sind und nur die anderen immer so regelmäßig demonstrieren kommen. Ich glaube, das ist wichtig, dass man auf dem Theaterplatz mit Kultur dieser Art antwortet."
Das scheint zu funktionieren, etwa wenn Thiele mit Touristen über Geflüchtete ins Gespräch kommt. Aber bei anderen führt der Gang durch das Lifeboat an diesem Nachmittag auch zu Missverständnissen:
"Das war schon faszinierend gewesen, also beeindruckend, auch wie die da gesessen haben, die ausländischen Leute, die Bürger, die sind wohl ins Gebet übergegangen oder sowas. Es war schon faszinierend gewesen."
Ein Missverständnis. In freiwilligen Helfern des Projekts hat er Betende erkannt. Wie hätte er erkennen können, dass er falsch liegt? Fragen, miteinander reden, das hätte in dem Fall helfen können.
"Lifeboat Chapter V" ist ein Projekt der Architektur-Plattform Plastique Fantastique im Rahmen des Kunstfestivals "At the River – Am Fluss".