Schlechte Aussichten für die Wahl
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler geht davon aus, dass viele Wähler bei der Bundestagswahl am 22. September zu Hause bleiben werden. Auch Anhänger der Union würden nicht zur Wahl gehen, denn aus Sicht vieler Wähler sei die Wahl bereits entschieden, sagte Münkler.
Jörg Degenhardt : Freiheit statt Sozialismus – lang ist's her, aber das war in den 80ern mal ein richtiger Wahlkampfslogan. Das heißt, ob er richtig war, weiß ich nicht, auf alle Fälle hatte er etwas Alternatives. Und heute, wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2013?
Das politische Leben in Berlin scheint weitgehend wegzudösen, die Kanzlerin macht Urlaub. Politik mit ihren Akteuren findet, wenn überhaupt, in Papierform als Wahlwerbung statt, oder als Schlechtmachen des politischen Konkurrenten. Große Debatten? Vielleicht die NSA-Geschichte, ansonsten doch eher Fehlanzeige.
"Was steht zur Wahl? Über die Zukunft der Politik", so ist ein Buch betitelt, das heute vorgestellt wird und das eine Gesprächsrunde zusammenfasst zwischen der Schriftstellerin Julia Zeh, dem ägyptischen Politikwissenschaftler, Hamel Abdel Samad und Professor Dr. Herfried Münkler von der Humboldt-Universität Berlin. Er hat dort den Lehrstuhl für die Theorie der Politik inne, überdies hat er mit mehreren Werken Maßstäbe in der Politik- und Geschichtswissenschaft gesetzt. Und er ist jetzt am Telefon – guten Morgen, Herr Münkler!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Erst mal, am 22. September steht Angela Merkel zur Wahl. Reicht das nicht?
Münkler: Ja, in welcher Hinsicht soll das reichen? Also ich meine, wenn man eine Wahl hat, bei der man keine Wahl hat, dann ist das zu wenig. Man bräuchte sozusagen eine Alternative, die als Alternative auch sichtbar ist, die die Fantasie der Wähler beschäftigt, die auch ihre Intellektualität herausfordert, also das Nachdenken darüber, wie wir leben wollen. Das sind eigentlich die Vorgänge, die in einer Demokratie, zugegebenerweise nicht bei jeder Wahl, aber verschiedentlich bei Wahlen als die eigentlichen Revitalisoren wirken, die also dazu führen, dass diese Demokratie lebt und nicht erstarrt und altert.
Degenhardt: Aber vielen, zumal auch in ihrer Partei, reicht Angela Merkel schon, zumal sie ja in den Umfragen haushoch in Führung liegt. Wird diese Bundestagswahl eine einseitige Angelegenheit? Machen Sie sich, Herr Münkler, vielleicht sogar schon Sorgen um die Wahlbeteiligung?
Münkler: Die Wahlbeteiligung wird eher niedrig liegen, denn auch bei den Anhängern Frau Merkels oder denjenigen, die eher ihr zuhängen, wird sich eine Stimmung breit machen, die sagt, na ja, die Wahl ist ja eigentlich entschieden, sodass also nicht dieses Gefühl, ich sollte zur Wahl gehen, ich muss zur Wahl gehen, weil sonst die Dinge auf Messers Schneide stehen und schief gehen können, aufkommen wird, sondern es wird eine relativ ruhige Wahl vermutlich sein, und, na ja, letzten Endes kann man sagen, es geht um die Frage, mit wem Frau Merkel koalieren wird.
Degenhardt: Die Deutschen sind bei Wahlen, sagen Sie, durchaus experimentierfreudig. Da wählen sie mal rechts oder auch mal ausgeprägter links, aber nur bei Landtags- und Europawahlen. Bei Bundestagswahlen sei das nicht so, da wählen wir auf Sicherheit. Warum ist das so?
Münkler: Das hat auch etwas mit dem politischen Spektrum in Deutschland zu tun und den Mentalitäten, die sich hier ausgeprägt haben. In den romanischen Ländern, Frankreich und Italien zumal, kann man sagen, gibt es eine rechte Mitte, eine linke Mitte, und die stehen bei Wahlen alternativ gegenüber. Bei uns sind Wahlen eigentlich eher Mitte-zentriert. Also Mitte ist etwas, was jede Partei für sich in Anspruch nimmt. Die obere Mitte, die untere Mitte, wie auch immer. Das kann man an den Slogans sehen. Und von daher sind bei uns die Gegensätze nicht so ausgeprägt.
Das hat sicherlich auch viel für sich, lebt aber davon, dass es den Parteien gelingt, aus dem gemeinsamen Anspruch heraus, die Mitte zu vertreten, die neue Mitte, die alte Mitte, wie auch immer, doch programmatische Differenzen aufzubauen und natürlich letzten Endes auch personelle Differenzen, weil das Programmatische häufig so schwierig ist nachzulesen, dass man sagen kann, der oder die steht für das. Das ist im Augenblick bei Frau Merkel klar, aber sonst ist nicht sehr viel klar.
Degenhardt: Haben wir vielleicht auch das Problem, dass mittlerweile alle etablierten Parteien mehr oder weniger für das Gleiche stehen, dass sie das Gleiche versprechen, den stabilen Euro, niedrige Mieten, sauberen Strom – ich meine, wie soll da eine Wechselstimmung im Land entstehen?
Münkler: Das ist sicherlich eines der großen Probleme, dass es Frau Merkel mit wirklich ausgesprochenem Geschick gelungen ist, alle möglichen alternativen Themen zu ihrer Position abzuräumen, indem sie gesagt hat, na ja, die übernimmt sie dann. Warum soll sie etwas nicht übernehmen, was sie für vernünftig hält? Und auf diese Weise es der Opposition ausgesprochen schwer gemacht hat, gegen sie aufzukommen und Konturen zu gewinnen. Aber es ist natürlich, mit Verlaub, das Geschäft der Opposition, es trotzdem hinzubekommen und sich nicht von einer so geschickten Kanzlerin gewissermaßen die Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Degenhardt: Verglichen mit der letzten Bundestagswahl, gibt es ja zumindest eine kleine Veränderung, oder zwei: Es gibt zwei neue Parteien. Die Alternative für Deutschland und die Piraten. Herr Münkler, wie ernst sind diese beiden Parteien zu nehmen?
Münkler: Ich glaube, dass sie bei dieser Wahl keine entscheidende Rolle spielen werden. Also allenfalls darin, dass, wenn eine von ihnen in den Bundestag kommt, dass es dann für Schwarz-Gelb nicht reichen wird, aber sie stellen keine prinzipielle Alternative dar, jedenfalls, was die Bereitschaft der Wähler anbetrifft, auf sie zuzugehen.
Das hat etwas mit dem chaotischen Agieren der Piraten zu tun, die ja vor einem Jahr noch eigentlich glänzende Aussichten hatten, das Unzufriedenheitspotenzial aufzusammeln und auf den Punkt zu bringen. Und die Alternative für Deutschland mit dieser zentralen Fokussierung auf den Euro, die ist letzten Endes, wiewohl sie als konservative Partei antritt, doch für uns so unbehaglich, weil wir nicht genau wissen, was das heißen würde, aus dem Euro herauszugehen, oder eher befürchten, dass es so weitreichende Veränderungen hat, dass sie für uns ökonomisch unbequem sein werden. Dass dieses eine Thema wohl nicht ausreicht, in den Bundestag zu bringen.
Degenhardt: Wahlkampfthemen, Wahlkampfdebatten dringend gesucht. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl war das am Telefon von Deutschlandradio Kultur Professor Doktor Herfried Münkler von der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Münkler, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen einen guten Tag!
Münkler: Ich bedanke mich auch und wünsche Ihnen ebenfalls einen guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das politische Leben in Berlin scheint weitgehend wegzudösen, die Kanzlerin macht Urlaub. Politik mit ihren Akteuren findet, wenn überhaupt, in Papierform als Wahlwerbung statt, oder als Schlechtmachen des politischen Konkurrenten. Große Debatten? Vielleicht die NSA-Geschichte, ansonsten doch eher Fehlanzeige.
"Was steht zur Wahl? Über die Zukunft der Politik", so ist ein Buch betitelt, das heute vorgestellt wird und das eine Gesprächsrunde zusammenfasst zwischen der Schriftstellerin Julia Zeh, dem ägyptischen Politikwissenschaftler, Hamel Abdel Samad und Professor Dr. Herfried Münkler von der Humboldt-Universität Berlin. Er hat dort den Lehrstuhl für die Theorie der Politik inne, überdies hat er mit mehreren Werken Maßstäbe in der Politik- und Geschichtswissenschaft gesetzt. Und er ist jetzt am Telefon – guten Morgen, Herr Münkler!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Erst mal, am 22. September steht Angela Merkel zur Wahl. Reicht das nicht?
Münkler: Ja, in welcher Hinsicht soll das reichen? Also ich meine, wenn man eine Wahl hat, bei der man keine Wahl hat, dann ist das zu wenig. Man bräuchte sozusagen eine Alternative, die als Alternative auch sichtbar ist, die die Fantasie der Wähler beschäftigt, die auch ihre Intellektualität herausfordert, also das Nachdenken darüber, wie wir leben wollen. Das sind eigentlich die Vorgänge, die in einer Demokratie, zugegebenerweise nicht bei jeder Wahl, aber verschiedentlich bei Wahlen als die eigentlichen Revitalisoren wirken, die also dazu führen, dass diese Demokratie lebt und nicht erstarrt und altert.
Degenhardt: Aber vielen, zumal auch in ihrer Partei, reicht Angela Merkel schon, zumal sie ja in den Umfragen haushoch in Führung liegt. Wird diese Bundestagswahl eine einseitige Angelegenheit? Machen Sie sich, Herr Münkler, vielleicht sogar schon Sorgen um die Wahlbeteiligung?
Münkler: Die Wahlbeteiligung wird eher niedrig liegen, denn auch bei den Anhängern Frau Merkels oder denjenigen, die eher ihr zuhängen, wird sich eine Stimmung breit machen, die sagt, na ja, die Wahl ist ja eigentlich entschieden, sodass also nicht dieses Gefühl, ich sollte zur Wahl gehen, ich muss zur Wahl gehen, weil sonst die Dinge auf Messers Schneide stehen und schief gehen können, aufkommen wird, sondern es wird eine relativ ruhige Wahl vermutlich sein, und, na ja, letzten Endes kann man sagen, es geht um die Frage, mit wem Frau Merkel koalieren wird.
Degenhardt: Die Deutschen sind bei Wahlen, sagen Sie, durchaus experimentierfreudig. Da wählen sie mal rechts oder auch mal ausgeprägter links, aber nur bei Landtags- und Europawahlen. Bei Bundestagswahlen sei das nicht so, da wählen wir auf Sicherheit. Warum ist das so?
Münkler: Das hat auch etwas mit dem politischen Spektrum in Deutschland zu tun und den Mentalitäten, die sich hier ausgeprägt haben. In den romanischen Ländern, Frankreich und Italien zumal, kann man sagen, gibt es eine rechte Mitte, eine linke Mitte, und die stehen bei Wahlen alternativ gegenüber. Bei uns sind Wahlen eigentlich eher Mitte-zentriert. Also Mitte ist etwas, was jede Partei für sich in Anspruch nimmt. Die obere Mitte, die untere Mitte, wie auch immer. Das kann man an den Slogans sehen. Und von daher sind bei uns die Gegensätze nicht so ausgeprägt.
Das hat sicherlich auch viel für sich, lebt aber davon, dass es den Parteien gelingt, aus dem gemeinsamen Anspruch heraus, die Mitte zu vertreten, die neue Mitte, die alte Mitte, wie auch immer, doch programmatische Differenzen aufzubauen und natürlich letzten Endes auch personelle Differenzen, weil das Programmatische häufig so schwierig ist nachzulesen, dass man sagen kann, der oder die steht für das. Das ist im Augenblick bei Frau Merkel klar, aber sonst ist nicht sehr viel klar.
Degenhardt: Haben wir vielleicht auch das Problem, dass mittlerweile alle etablierten Parteien mehr oder weniger für das Gleiche stehen, dass sie das Gleiche versprechen, den stabilen Euro, niedrige Mieten, sauberen Strom – ich meine, wie soll da eine Wechselstimmung im Land entstehen?
Münkler: Das ist sicherlich eines der großen Probleme, dass es Frau Merkel mit wirklich ausgesprochenem Geschick gelungen ist, alle möglichen alternativen Themen zu ihrer Position abzuräumen, indem sie gesagt hat, na ja, die übernimmt sie dann. Warum soll sie etwas nicht übernehmen, was sie für vernünftig hält? Und auf diese Weise es der Opposition ausgesprochen schwer gemacht hat, gegen sie aufzukommen und Konturen zu gewinnen. Aber es ist natürlich, mit Verlaub, das Geschäft der Opposition, es trotzdem hinzubekommen und sich nicht von einer so geschickten Kanzlerin gewissermaßen die Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Degenhardt: Verglichen mit der letzten Bundestagswahl, gibt es ja zumindest eine kleine Veränderung, oder zwei: Es gibt zwei neue Parteien. Die Alternative für Deutschland und die Piraten. Herr Münkler, wie ernst sind diese beiden Parteien zu nehmen?
Münkler: Ich glaube, dass sie bei dieser Wahl keine entscheidende Rolle spielen werden. Also allenfalls darin, dass, wenn eine von ihnen in den Bundestag kommt, dass es dann für Schwarz-Gelb nicht reichen wird, aber sie stellen keine prinzipielle Alternative dar, jedenfalls, was die Bereitschaft der Wähler anbetrifft, auf sie zuzugehen.
Das hat etwas mit dem chaotischen Agieren der Piraten zu tun, die ja vor einem Jahr noch eigentlich glänzende Aussichten hatten, das Unzufriedenheitspotenzial aufzusammeln und auf den Punkt zu bringen. Und die Alternative für Deutschland mit dieser zentralen Fokussierung auf den Euro, die ist letzten Endes, wiewohl sie als konservative Partei antritt, doch für uns so unbehaglich, weil wir nicht genau wissen, was das heißen würde, aus dem Euro herauszugehen, oder eher befürchten, dass es so weitreichende Veränderungen hat, dass sie für uns ökonomisch unbequem sein werden. Dass dieses eine Thema wohl nicht ausreicht, in den Bundestag zu bringen.
Degenhardt: Wahlkampfthemen, Wahlkampfdebatten dringend gesucht. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl war das am Telefon von Deutschlandradio Kultur Professor Doktor Herfried Münkler von der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Münkler, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen einen guten Tag!
Münkler: Ich bedanke mich auch und wünsche Ihnen ebenfalls einen guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.