Sticheln gegen Merkel
In der Bevölkerung sinkt die Zustimmung zur Politik von Kanzlerin Merkel. Zwischen den Schwesterparteien in der Union herrscht Eiszeit. Die Kanzlerin hört nur noch Groll aus München, dieser Unmut über Merkel ist auch in Berlin zu spüren. Nur öffentlich will ihn keiner äußern.
"Wir schaffen das!" - seit die Bundeskanzlerin diesen einen Satz gesagt hat und Anfang September syrische Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland holte, ist alles anders. Angela Merkel hat agiert und nicht nur reagiert. Jetzt herrscht Eiszeit zwischen den Schwesterparteien in der Union. Die Kanzlerin hört nur noch Groll aus München:
"Das war ein Fehler."
Wie Ministerpräsident Seehofer empfindet seine Landtagsfraktion. Und dieser Unmut über Merkel ist zu spüren - bis Berlin, bis in die Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Nur öffentlich will ihn keiner so richtig äußern. Obwohl die Berliner Abgeordneten der CSU den Druck aus München schon spüren. Von dort ist vor allem zu hören, dass die Forderungen der CSU in Berlin nicht ernst genug genommen worden seien - zum Beispiel der Ruf nach strengeren Regelungen für diejenigen ohne Bleibeperspektive, wozu die meisten Flüchtlinge vom Balkan gehören. Das wird jetzt mit dem neuen Gesetz, das noch im November in Kraft treten soll, kommen.
"Der Eindruck ist natürlich schon der, man hätte etwas früher reagieren können, wenn man früher auf die Bayern gehört hätte."
Daniela Ludwig teilt diesen Eindruck ihrer Landtagskollegen. Sie ist Bundestagsabgeordnete für den Landkreis Rosenheim. Das liegt nahe der Grenze zu Österreich, also dort, wo besonders viele Flüchtlinge ankommen. Aber Ludwig sitzt zwischen den Stühlen. In Berlin gehört sie immer noch der Großen Koalition an, kann die Kanzlerin deshalb nicht so angreifen, wie die Landtags-CSU. Also sagt sie einerseits: Aus humanitärer Sich könne sie Merkels Entscheidung nachvollziehen. Die Kanzlerin habe nach wie vor ihre volle Unterstützung. Auf der anderen Seite ist sie auch eben Teil der CSU und sie kann den Groll des Parteivorsitzenden und ihrer Kollegen aus dem Landtag gut nachvollziehen. Seehofer habe sich zur Lage in Bayern äußern müssen, sagt sie:
"Da muss man manchmal auch zu etwas krasseren Worten finden. So ist das."
Schwappt Seehofers Groll auf Merkel auch über in die CDU? Wer in Berlin mit CDU-Abgeordneten spricht, hört durchaus Unverständnis für die Kanzlerin heraus. Und auch vielen an der Parteibasis gefällt Merkels Kurs nicht - so heißt es. Kritik, die die Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen mit nach Berlin bringen - so heißt es. Ob das jemand öffentlich bestätigen kann? Anfrage in mehreren Abgeordnetenbüros.
Das Thema scheint zu heikel zu sein. So heißt es aus dem Büro eines eigentlich nicht pressescheuen Christdemokraten, er wolle sich nicht in den Vordergrund spielen mit Kritik an Merkel, das sollten lieber andere machen. Wolfgang Bosbach zum Beispiel - der hat kürzlich erst den Vorsitz des Innenausschusses aus Ärger über Merkels Griechenland Politik niedergelegt und sowieso nichts mehr zu verlieren. Er ist sofort bereit sich zu äußern. Bosbach steht dazu, dass er den Kurs der Kanzlerin momentan so nicht vertreten kann. Für die Entscheidung Merkels, den am Budapester Bahnhof festsitzenden Flüchtlingen zu helfen, hatte er – übrigens auch viele andere in ihrer Unionsfraktion – noch Verständnis. Dann folgt ein Aber:
"Aber man hätte von Anfang an sagen müssen, das ist eine Entscheidung in einer ganz besonderen Lage und kein Priodiez für die Zukunft."
Als Kritik an der Person Merkel will Wolfgang Bosbach das aber nicht verstanden wissen.
"Im Grunde ist es eine Mischung aus großer Sympathie und Loyalität zur Bundeskanzlerin, gepaart mit wachsenden Zweifeln, dass wir es bei stetig steigenden Zahlen tatsächlich schaffen können."
Die Flüchtlingsfrage zu Merkels Agenda 2010 hochzustilisieren - gemeint ist das Projekt, über das ihr Vorgänger Gerhard Schröder gestolpert ist - das hält Bosbach für übertrieben. Die CDU-Vorsitzende habe nach wie vor einen unglaublich großen Rückhalt in Partei und Fraktion. Und das gilt aus seiner Sicht auch für die CSU.
"Die Frage, 'ist es um Angela Merkel einsam geworden?', kann man ernsthaft nur wirklich dann stellen, wenn man vom Innenleben der Union und der Fraktion überhaupt keine Ahnung hat. Nein."
Und doch finden sich wenige aus der Bundestagsfraktion, die bereit sind, über Merkels augenblickliches Standing überhaupt in ein Mikrophon zu sprechen. Michael Kretschmer erlaubt sich nicht mal die leiseste Kritik an ihrem Kurs in der Flüchtlingsfrage:
"Das war eine besondere Situation, weil so viele tausend Menschen ohne vernünftige Versorgung in Ungarn waren."
Kein klares Wort vom Generalsekretär der sächsischen CDU zu Merkel. Gesprächiger wird er erst, als man ihn auf den gegen Merkel polternden bayerischen Ministerpräsidenten anspricht.
"Wie dort über Monate zehntausende, hunderttausende Menschen aufgenommen worden sind, das kann man sich nicht vorstellen. Das ist etwas, was mir höchsten Respekt abverlangt."
Kein Lob für Merkel, aber für Seehofer. Und Lob für Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im kommenden März. Sie verkörpert nicht gerade das Bild des weltoffenen Deutschlands, das Merkel zur Zeit repräsentiert. Klöckner fährt den konservativen Kurs in der Asylpolitik und fordert unter anderem ein Integrationsgesetz – also eine Pflicht zur Integration – dafür erhält sie in den eigenen Reihen großen Zuspruch:
"Die Julia Klöckner hat da genau den richtigen Punkt getroffen."
Merkel wird also nicht offen angegriffen oder kritisiert – ihr wird aus den eigenen Reihen aber auch nicht applaudiert.