Schlechter Schwedenkrimi

Ein neuer Krimi: Ein Chefredakteur wird ermordet. In einer ersten Rezension mutmaßt die "Welt", beim Opfer handele es sich um Frank Schirrmacher ("FAZ"). Wenig später räumt der Verlag ein, dass sich hinter dem Pseudonym "Per Johanson" der Literaturchef der "SZ", Thomas Steinfeld, verbirgt. Aber auch dadurch wird das Buch nicht besser - sagt unser Kritiker Thomas Wörtche.
Kann man bei dem ganzen Getöse um den Roman von Per Johanson mit dem shakespeare-anspielenden Titel "Der Sturm" (man könnte auch an Sebastian Jungers Bestseller "Der Sturm" denken), einfach über dessen Qualität als Kriminalroman schreiben? Zumal plötzlich der schwedische Debütant zum Autorenduo Thomas Steinfeld und Martin Winkler mutierte?

Geht ganz einfach, denn ein schlechter "Schwedenkrimi" bleibt ein schlechter "Schwedenkrimi". Wobei "Schwedenkrimi" hier einen ungeschickt klonierten Wallander-Roman meint, in dem die Welt nach Schonen kommt, wo sich melancholische Helden dann mit Übeln herumschlagen müssen, die recht eigentlich – so sah es Wallander, so sehen es die Figuren von Steinfeld/Winkler - in die bösen Städte gehören.

Hier ist der melancholische Held kein Kommissar, sondern ein heruntergekommener Lokalreporter, der allerdings eher durch die Handlung tapert, denn aktiv irgendetwas aufklärt. Aufhänger des Buches ist der Tod des Chefredakteurs einer deutschen Zeitung, dessen Leiche, schon fast vom Dachs abgenagt, auf einem Waldbauernhof gefunden wird.

Bevor wir am Ende wissen, wer der Mörder ist, was uns gar nicht so sehr interessiert, weil der Roman von ganz anderen Themen dominiert wird, werden wir Zeuge einen Titanenkampfes: Die Weltwirtschaft und damit die Welt steht am Abgrund, eine amerikanische Firma für Systemsicherheit und eine Art Cyberterrorist mit Assange- und Wikileaks-Zügen, Occupy-, Anonymous- und "Piraten"-Elementen, auf jeden Fall heftig politisch-populistisch, scheinen sich eine Art letztes Duell zu liefern. Die Server der Aggressoren stehen in Schweden, im Gut eines schwerreichen Adligen, dem der deutsche Journalist zu sehr auf den Leib gerückt war.

Was diesen Journalisten aber immer noch nicht zu einem wichtigen Protagonisten des Romans macht, er ist Funktion und keine Figur. Das Verhältnis zwischen Systembewahrer und Systemangreifer war dann wohl doch nicht so antagonistisch, und eine Menge Beziehungskram macht die ganze Angelegenheit nicht durchsichtiger, logischer oder spannender. Aktuelle Themen (Wirtschaftskrise, Banken etc.) schwirren belanglos durch die Luft wie Lifestyle-Partikel und Designer-Namen von Möbelentwicklern, und dass eine Leiche an einem Ikea-Kunstwerk hängt, ist vielleicht - sucht man nach Witz und Esprit - der einsame Höhepunkt des Buches.

Neben bleischwerer Langeweile nerven alle Untugenden, die man sich vorstellen kann: Redundanzen, die etwas hundertmal erklären ("die Scheune, in der ein deutscher Chefredakteur gelegen hatte", ca. 15 bis gefühlte 50 Mal), seltsam ungelenke Sätze ("Und auch Frauen waren Lorenz so fern gewesen, wie sie Ronny gewesen waren"), Reiseführererklärungen über Schweden (für die Fiktion eines schwedischen Verfassers tödlich), steife Imperfektdialoge und so weiter.

Mit Kriminalliteratur auf der Höhe der Zeit hat der Roman so wenig zu tun wie ein Ritterschmöker à la "Die Wanderhure" mit der Artus-Epik. "Der Sturm" versucht, tagespolitische Themen mit der biedersten kriminalliterarischen Ästhetik zu verhandeln. Das war auch die Achilles-Ferse der Wallander-Romane – insofern wäre die ursprüngliche Schweden-Fiktion schon sinnvoll gewesen. Das Getöse um das Buch ist ein anderes Thema.

Besprochen von Thomas Wörtche

Thomas Steinfeld und Martin Winkler: Der Sturm
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012
336 Seiten, 18,99 Euro

Bis zum 17.08.2012 erschien das Buch unter den folgenden bibliographischen Angaben:

Per Johanson: Der Sturm
Deutsch von Alexandra Grafenstein.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012
336 Seiten, 18,99 Euro


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