Blinkende Windparks und riesige Maiswüsten
Im Norden wird die Energiewende besonders eifrig betrieben. Doch manche Anwohner sind unzufrieden mit den gravierenden Eingriffen in die Landschaft. Der grüne Umweltminister muss Überzeugungsarbeit leisten.
Sie sind nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören: Das Landschaftsbild in Schleswig-Holstein – vor allem entlang der Nordseeküste – ist inzwischen geprägt von Windkraftanlagen. Die nüchternen Fakten: Im vergangenen Jahr wurden in Schleswig-Holstein 455 neue Anlagen mit einer Nennleistung von mehr als 1300 Megawatt installiert, das entspricht gut einem Viertel der 2014 insgesamt in Deutschland durch neue Windkraftanlagen hinzugewonnen Leistung. Zahlen, Daten, Fakten, die dem grünen Energiewendeminister in Kiel, Robert Habeck, ganz gut gefallen:
"Jedes Jahr bauen wir quasi ein Atomkraftwerk installierter Leistung dazu – das können wir, also wir wissen, wie man Windkraftanlagen errichtet. Wir haben auch eine geübte Form der Bürgerbeteiligung, der Akzeptanz. Viele, die allermeisten Anlagen sind als Bürgerwindparks geplant – also die Menschen beteiligen sich daran, die Wertschöpfung kommt in die Region, das funktioniert alles."
Aber von "blühenden Energiewendelandschaften" mag der Minister trotzdem nicht sprechen. Bei aller Akzeptanz in der Bevölkerung – Robert Habeck weiß genau, dass der Windenergie-Boom nicht nur auf Gegenliebe stößt:
"Es ist auch ein extremer Wandel der Landschaft, ein großer Eingriff in das Land. Und wenn man sich einige Regionen anschaut, dann sind da 'Windindustriegebiete' entstanden. Also, es ist ein Mega-Industrialisierungsprojekt für das Land mit entsprechenden auch negativen Folgewirkungen und einer Debatte über Identität und Heimat, die an Schärfe und an Bedeutung zunehmen wird."
Wildwuchs der Windkraftanlagen
Landwirt Jürgen Dithmer zum Beispiel führt diese Debatte fast täglich. In seinem Wohnort Fedderingen in Dithmarschen an der Westküste Schleswig-Holsteins ist er permanent mit den angesprochenen Folgewirkungen konfrontiert. Direkt hinter seinem Haus am Ortsrand beginnt eine weite Niederungs- und Moorlandschaft, die ein paar Kilometer weiter westlich in die Marsch übergeht und schließlich am Nordseedeich endet. Wenn er Richtung Westen schaut, dann fällt sein Blick auf eines dieser "Windindustriegebiete" – das wird der Minister wohl gemeint haben, glaubt Jürgen Dithmer:
"In einigen Ortschaften hier, wie zum Beispiel Wöhrden oder Hemme, hat es fast eine Art Wildwuchs gegeben, es wurden überall Windkraftanlagen aufgestellt. Mittlerweile sieht man sie von hier – Windkraftanlage an Windkraftanlage in unterschiedlichen Größen, unterschiedlichen Ausführungen, von unterschiedlichen Herstellern."
In Zahlen klingt das dann so: Ende 2014 waren in Dithmarschen 682 Windmühlen in Betrieb, etwas mehr als 100 waren fast fertig gebaut und etwa 70 Anlagen befanden sich im Genehmigungsverfahren. Dithmarschen ist damit Windkraftanlagen-Spitzenreiter in Schleswig-Holstein. Man bekommt hier in der Tat einen gewissen Eindruck davon, was mit dem Wort "Windindustriegebiet" gemeint sein könnte. Und das bleibt auch für die Bewohner dieser Regionen nicht ohne Folgen:
"Wer mal in die Nähe einer Windkraftanlage kommt, merkt, wie hoch die Getriebegeräusche sind, die Windgeräusche an den Flügeln – und es ist eine Permanentbelastung, es geht Tag und Nacht. Zudem kommt hinzu, dass die Großanlagen, die jetzt gebaut werden, befeuert sind, das heißt: Es blinkt der Himmel. Wir sehen drüben in südlicher Richtung – da ist ein Windpark entstanden mit fünf Großanlagen, ich glaube dreieinhalb Megawatt, und die haben eine Befeuerung – die sind ... Flügelspitzenhöhe haben die 200 Meter – da ist der Himmel hell nachts."
Lärm, Schlagschatten, Lichtverschmutzung. Nach den Windkraftanlagen soll jetzt auch die notwendige Infrastruktur folgen – Stichwort Netzausbau. Direkt an Fedderingen vorbei soll künftig eine 380-KV-Leitung führen. Die soll den Strom der vielen Windkraftanlagen einsammeln und Richtung Süden transportieren. Bisher steht auf der Trasse eine 110-KV-Leitung. Kein Vergleich zu der geplanten Stromautobahn, betont Jürgen Dithmer:
"Das sind völlig unterschiedliche Bauwerke, das eine ist schon groß genug – und das andere ist ein Gigant, der in die Landschaft gesetzt wird. Die ganze Strecke führt hier durch eine Niederung, durch Landschaftsschutzgebiete und direkt an einem Naturschutzgebiet vorbei – also, wir finden es ruinös für die Landschaft."
Angst vor dem Elektrosmog
Außerdem spielt natürlich auch die Sorge um die Gesundheit der Anwohner eine große Rolle: Ängste vor Elektrosmog, das, aus Sicht vieler, unkalkulierbare Risiko verschiedener Krebserkrankungen, Leukämie bei Kindern – alles Gründe für Jürgen Dithmer, sich in der Bürgerinitiative "Westküste trassenfrei" zu engagieren. Seine prinzipielle Akzeptanz für die Energiewende und ihre direkten Folgen habe eben auch Grenzen, betont er:
"Es gibt hier viele Landeigentümer, die am Rand des Dorfes wohnen und diese Leitung so nicht akzeptieren wollen – die wollen eine Verlegung um weitere 200 Meter. Und es wird einige Landeigentümer bestimmt darunter geben, die dann den Klageweg auch einhalten wollen."
Nach "blühender Energiewendelandschaft" klingt das wahrlich nicht. Die immer wieder beschworene positive Grundeinstellung der meisten Schleswig-Holsteiner gegenüber der Energiewende ist offenbar nicht ganz so tragfähig, wie es sich Minister Robert Habeck erhofft hatte. Und der hat gerade noch ein weiteres richtiges Problem bekommen: Das Oberverwaltungsgericht in Schleswig hat vor wenigen Wochen die Regionalplanung des Landes teilweise für ungültig erklärt.
Seit dem Jahr 2012 hatte die Landesregierung mit Hilfe des Regionalplans spezielle Windeignungsgebiete ausgewiesen. Hier sollte es möglich sein, ohne große bürokratische Hürden Windkraftanlagen zu errichten – außerhalb dieser Eignungsgebiete dann aber nicht. Der Ausbau der Windenergie sollte so zwar zügig, aber doch gesteuerter vonstatten gehen. Unter anderem einige Gemeinden, die nicht in einem solchen Eignungsgebiet lagen, hatten aber dann dagegen geklagt, weil sie ja möglicherweise auch gerne mal Windparks auf ihren Gebieten geplant hätten – es aber nicht durften. Jetzt, nach diesem Urteil, dürfen sie – und das bereitet auch dem Energiewendeminister Robert Habeck einige Sorgen. Denn: Etwa 1,7 Prozent der Landesfläche sollten laut Regionalplanung eigentlich als Standort für Windparks prinzipiell in Fragen kommen, so der Minister:
"Jetzt sind es 50 Prozent, die potenziell in Frage kommen. Und da stellen sich ganz andere Fragen – nämlich die politischen Fragen. Es ist im Grunde ausgeschlossen, dass das so kommen darf. Dann ist die Akzeptanz weg, dann haben wir ein riesen Naturschutzproblem, dann sind die Flächen für die Landwirtschaft nicht mehr zu bezahlen, unsere Netze reichen hinten und vorne nicht – auch die großen Ausbauanstrengungen, die wir jetzt machen, reichen alle nicht. Die EEG-Umlage fliegt uns um die Ohren, so darf es nicht kommen."
... aber, so Habeck weiter, die Landesregierung habe, solange keine neue Regionalplanung vorliege, erst einmal keine konkrete Handhabe mehr, steuernd in die Entwicklung einzugreifen. Und darum macht sich im ganzen Land derzeit wieder die Sorge vor noch mehr unkontrolliertem "Wildwuchs" breit.
Zwei Meter hoch Mais
Einen ganz ähnlichen Boom, und damit einhergehend auch einen "Wildwuchs", hat es in den vergangenen Jahren bei Biogasanlagen in Schleswig-Holstein gegeben. Anfangs als ein wichtiges Standbein der Energiewende, zum Teil sogar als Hoffnungsträger vor allem in den ländlichen Regionen gefeiert, sind Biogasanlagen inzwischen doch arg unter Beschuss geraten. Auch sie haben das Landschaftsbild in Schleswig-Holstein stark verändert – nicht gerade sehr positiv, findet Fritz Heydemann vom Naturschutzbund NABU. Überwiegend werden diese Anlagen nämlich mit Mais beschickt – und der wird in einigen Regionen des Landes inzwischen sehr intensiv angebaut, vor allem im äußersten Norden, im Kreis Schleswig-Flensburg:
"Mais über Mais – da gibt es Gemeinden, da besteht die Ackernutzung im Grunde genommen nur noch aus Mais. Und das ist natürlich schon eine Monokultur, eine Maiswüste, wo auch schon Touristen sagen: Wir können hier einfach eine Radtour nicht mehr genießen, weil wir gar nicht mehr in die Landschaft schauen können – um uns herum zwei Meter hoch Mais."
Das sieht jetzt, so früh im Jahr, natürlich ganz anders aus – aber auch nicht gerade besser. In der Nähe der Stadt Plön zeigt Fritz Heydemann an einem typischen Beispiel die Probleme, die der intensive Maisanbau auch für die Natur mit sich bringt.
"Die Äcker sind jetzt kahl, ganz im Gegensatz zu Getreideäckern, die ja begrünt sind, und das ist natürlich eine Einladung für den Stickstoff und so, nach unten abzugehen, das Trinkwasser zu verderben, abgeschwemmt zu werden – das ist eine große Krux beim Maisanbau."
Der Traum der Umweltbewegung sah anders aus
Direkt neben diesen Äckern, auf denen erst im Frühjahr wieder Mais angesät wird, steht die Biogasanlage. 500 Kilowatt elektrische Leistung, das sind die typischen Anlagen in Schleswig-Holstein, rund 620 gibt es derzeit davon – jede braucht für den Betrieb rund 200 Hektar Maisanbaufläche.
"Es werden – so mal ganz vorsichtig geschätzt – so 180.000 Hektar Mais dafür benötigt. 100.000 Hektar Energiemais werden in Schleswig-Holstein angebaut, und dann wird eben noch ein sehr großer Teil aus Dänemark, aus Jütland eingeführt, aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, also wir sind dann auch noch sozusagen Mais-Importland."
Dabei wollten wir doch mal ganz etwas anderes, betont Fritz Heydemann. Ursprünglich waren Biogasanlagen geplant, in denen Reststoffe verarbeitet werden sollten:
"Gibt es auch – aber wirklich im einstelligen prozentualen Rahmen, nicht mehr. Das war ja mal sozusagen unser Traum der ganzen Umwelt- und Alternativenergie-Bewegung: Reststoffe, Gülle, Mist und was sonst so abfällt, dort zu verarbeiten. Da hat sich eigentlich keiner vorgestellt – ich glaube, auch nicht aus der Politik – dass das alles letztendlich auf Mais und einige wenige andere Energiepflanzen zulaufen wird."
Immerhin konnten die Biogasanlagen sich im vergangenen Jahr deutschlandweit auf Platz zwei bei der Stromerzeugung aus regenerativen Energien schieben – hinter der Windkraft. Vielen Kritikern, vor allem aus dem Umwelt- und Naturschutz, ist aber der Preis dafür zu hoch. Und gerade einem grünen Minister ist diese Kritik natürlich nicht egal – Robert Habeck bekommt sie selbst regelmäßig zu spüren. Aber sein Ziel, Schleswig-Holstein zu einem Vorreiter in Sachen Energiewende zu machen, will er auch nicht aus den Augen verlieren. Seine Rechnung auf dem Weg hin zu den "blühenden Energiewendelandschaften" klingt zumindest ganz einfach:
"Ich finde die Eingriffe und die Drangsal, die damit zu tun hat, allemal akzeptabler als Atomkraftwerke, die wir nicht beherrschen und Kohlekraftwerke, die uns dann den Klimawandel bescheren. Und insofern bin ich doch zufrieden, sehr zufrieden, wie zügig wir vorangekommen sind."