Der Bauerngarten wird wieder hip
Wohin man schaut – eine Blumen- und Kräutervielfalt. Bis ins 20. Jahrhundert war der Bauerngarten in Schleswig-Holstein eine Selbstverständlichkeit. Heute ist er in seiner Urform nur selten zu finden, aber langsam besinnen sich die Menschen wieder auf diese alte Tradition.
Etwa 30 Kilometer weit ragt die Halbinsel Eiderstedt vom nordfriesischen Festland nach Westen in die Nordsee hinein. Eiderstedt ist das Land der Haubarge – so heißen die typischen Bauernhöfe der Region. Einwanderer aus Westfriesland brachten Ende des 16. Jahrhunderts diese Bauweise mit in den hohen Norden. Mensch und Tier lebten jahrhundertelang unter einem Dach, aber in voneinander getrennten Bereichen. Typisch für diese z.T. sehr großen Bauernhöfe waren auch die hinter dem Haus angelegten Gärten. Je nach Wohlstand des Bauern konnten sie recht üppig ausfallen – aber nur selten erreichten sie Ausmaße wie der Hochdorfer Garten in dem kleinen Ort Tating, etwa acht Kilometer östlich von St. Peter-Ording. Eingefasst von großen Buchenhecken ist der Garten von außen kaum zu erkennen – am Eingang wartet Hans-Georg Hostrup auf mich.
"Wir stehen jetzt hier vor diesem kleinen Mitteleingang und gehen jetzt in den Park hinein – und dort steht ein wunderbarer Spruch seit 120 Jahren: Für jedermann ist jeder Gang, für jeden Müden jede Bank, für jedes Auge jede Blume zum allgemeinen Eigentume. Für Herz und Sinn ist alles dir – nur für die Finger ist nix hier!"
Alles klar – anschauen und genießen ja, Blumen pflücken nein! Die Botschaft ist angekommen. Hans-Georg Hostrup ist Leiter der Richardsen-Bruchwitz-Stiftung, der der Garten seit 1905 gehört. Die letzten Eigentümer, Jacob Richardsen und seine Ehefrau Doris Bruchwitz, waren kinderlos gestorben. Ihr Besitz ging an die nach ihnen benannte Stiftung, deren Ziel es ist, den Garten – so wörtlich – "für alle Zeiten" als öffentlich zugänglichen Dorfpark zu erhalten. Ein enger, gewundener Weg führt durch die mehr als zweit Meter hohen Buchenhecken weiter in den Garten hinein.
"Ganz eng – wir gehen jetzt hintereinander, damit wir hier durchkommen. Ja, und jetzt stehen wir fast in einer anderen Welt – herzlichen willkommen im Hochdorfer Garten! Er ist der bedeutenste bäuerlicher Gartenkultur in Schleswig-Holstein – kommt nicht von mir, sondern vom Landesamt für Denkmalpflege in Kiel – und neben dem Nolde-Garten in Seebüll, dem Künstlergarten, und dem Husumer Schlossgarten ist das auch das drittwichtigste Gartenensemble hier in Nordfriesland, worauf wir in Tating auch ganz stolz sind."
Historischen Eckdaten eines Gartens
Vor uns liegt ein schnurgerader Kiesweg, rechts und links eingefasst von Rasen, Blumenbeeten und Bäumen. Am Ende des Weges schimmert strahlend weiß die Fassade eines hoch-herrschaftlichen Haubargs hindurch. Gemütlich schlendert Hans-Georg Hostrup den Weg entlang, bis er vor dem alten Bauernhaus steht. Die historischen Eckdaten des Hochdorfer Gartens:
"Also – er ist 1764 hier entstanden, und zwar im Zusammenhang mit dem Bau eines neuen Haubargs. Dort haben die damaligen Besitzer einen fünf Hektar großen Garten anlegen lassen – und zwar wie es zu der damaligen Zeit üblich war, also ganz klare Achsen, ganz klare Linien, zwei 120 Meter lange Lindenalleen rechts und links von hier, wo man auch mit Pferd und Kutsche reinfahren konnte, und in der Mitte den kleinen Gang, durch den wir gerade durchgegangen sind."
Dieser zentrale Weg ist gesäumt von zahlreichen teils exotischen Nadel- und Laubgehölzen – dazu ein paar Blumenbeete. Dieser Bereich des Gartens wirkt streng formal: Die in Ost-West-Richtung verlaufende zentrale Hauptachse, rechtwinklig dazu mehrere Querwege und an den Kreuzungspunkten, als Rondelle angelegt, sogenannte Lindenlauben. Ganz anders die Obstbaumquartiere, die Ende des 19. Jahrhunderts nördlich und südlich des barocken Gartens entstanden. Durch ein großes Holztor ist dieser Teil des Gartens zu erreichen – kniehoch steht hier das Gras zwischen den historischen Obstbäumen, es gibt keine akkurat angelegten Wege, dieser Bereich wirkt fast ein wenig verwildert.
"Es geht nicht um wirtschaftlichen Gewinn, sondern rein darum, alte Sorten wieder anzupflanzen – und zu ernten. Und ernten ist auch so gedacht, dass sich die Bewohner und auch die Gäste die Äpfel hier hohlen können – das ist uns wichtig. Es wird hier nur zweimal im Jahr gemäht diese Fläche – das ist ein Mittelding zwischen Streuobstwiese und historischer Bepflanzung."
Und natürlich sind die Obstbaumquartiere – wie alles in diesem Garten – eine Nummer größer, schöner und, ja – auch besser als anderswo, beteuert Hans-Georg Hostrup.
"Hier im Hochdorfer Garten hat es um die 100 Obstsorten gegeben – auf der Weltausstellung 1900 in Paris wurden von dem damaligen Besitzer Jacob Richardsen einige Äpfel hingeschickt – und es kam zurück der Grafensteiner Apfel mit Platz 1!"
Preisgekrönte Äpfel geerntet auf geschichtsträchtigem Boden – der Hochdorfer Garten samt großbäuerlichem Haubarg war während der dänischen Herrschaft über weite Teile Schleswig-Holsteins auch mehrmals Anlaufpunkt für royale Gäste.
"Zwischen 1842 und 1854 hat es dreimal dänischen Königsbesuch hier gegeben. Der König ist also in Tönning abgeholt worden von der Eskorte der Landsmannschaft Eiderstedt, ist zur einen Lindenallee reingefahren, hier vorgefahren, ausgestiegen, und in der Diele – die Diele ist übrigens 100 Quadratmeter groß, mein Vater hat immer gesagt: Da kannst du mit Pferd und Wagen umdrehen – da hat man gegessen, dann politische Gespräche im Garten, und später ist man eingestiegen und hier dann wieder raus gerauscht."
Zwei gusseiserne Kanonen auf Holzlafetten vor dem Eingang zum Haubarg erinnern noch heute an diese Zeit – mit denen wurde damals der Ehrensalut für den dänischen König geschossen, erzählt Hans-Georg Hostrup. Ein paar Schritte weiter nur verändert sich der Charakter des Hochdorfer Gartens vollständig – statt akkurat angelegter Kieswege gesäumt von schnurgeraden Alleen winden sich jetzt schmale Wege durch ein Gewirr alter, verwachsener Linden.
"Die sind teilweise hohl – aber die halten. Also, bevor Linden weggehen, da muss schon was passieren. Da ist mal ein Ast rausgebrochen – es ist knorrig, die Vogelwelt freut sich, es sind überall viele Vogelnester drin – es sieht verwunschen aus, vor allem wenn, sagen wir mal, es wird ein wenig schummrig abends…"
Der verwunschene Hexenwald
Dieser etwas verwilderte, überwiegend naturbelassene Teil des Hochdorfer Gartens hat seinen ganz eigenen Charme – und dafür hat er auch seinen eigenen Namen bekommen, berichtet Hans-Georg Hostrup.
"Er wird im Volksmund, im Dorf, immer Hexenwald genannt – als Kinder hatte man Angst, hier durchzugehen. Das waren so die 50er-, 60er-, 70er-Jahre – wie die Kinder größer wurden – da ist man hier im Park spazieren gegangen und im Schummrigen hat es wahrscheinlich dann auch öfter mal den ersten Kuss gegeben – und man hat sich hier verewigt, mit Herzchen und mit Namenszügen."
Fast jede der alten Linden weist solche mehr oder weniger romantischen Schnitzereien in der Rinde auf – sie gehören einfach zum Hochdorfer Garten, genau wie die Burgruine. Ja – in diesem Garten thront eine "echte" Burgruine auf einem künstlich aufgeschütteten Erdhügel. Angeblich ist sie einem Gemälde Caspar David Friedrichs von der Burgruine auf dem Berg Oybin in Sachsen nachgebildet, auf jeden Fall ist sie ein Unikum in Schleswig-Holstein.
"Es ist absolut einmalig, was wir hier haben – das gibt es kein zweites Mal im Land. 1890 etwa erbaut, laut Überlieferung soll der damalige Besitzer diese Ruine seiner Frau zum Geburtstag geschenkt haben. Bei Führungen höre ich manchmal, gerade von Damen: Mensch, der Mann hatte noch Ideen – andere sagen natürlich auch: Was soll ich mit einer Ruine?"
Eine romantische Burgruine, ein verwunschener Hexenwald, der wunderschöne, klassisch angelegte Barockgarten, die alten Obstbäume – der Hochdorfer Garten in Tating auf Eiderstedt ist mit seiner Vielfalt ein wirklich herausragendes Denkmal bäuerlicher Gartenkultur in Schleswig-Holstein, auf das der Leiter der Richardsen-Bruchwitz-Stiftung, Hans-Georg Hostrup, zu Recht stolz ist.
"Er wird immer so ein bisschen vergessen ab und zu – aber wir haben hier ein Kleinod. Er ist öffentlich zugänglich, man kann alles betreten hier, man kann hier malen – oftmals sitzen hier Menschen zum Malen – die Kinder können hier spielen, es ist alles… ich denke, es ist etwas Einmaliges!"
Einmalig – aber eben doch nicht ganz perfekt. Dem Hochdorfer Garten fehlt ein Element, das die schleswig-holsteinischen Bauerngärten immer geprägt hat: Die opulente Vielfalt und Farbenpracht der Blumen- und Staudenbeete. Vor allem Rosen sind ein entscheidendes Kennzeichen der bäuerlichen Gärten – und denen hat sich das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsmuseum in der Stadt Meldorf, etwa 50 Kilometer weiter südlich an der Nordseeküste gelegen, angenommen. In diesem Museum ist ein Garten entstanden, der sich einzig und allein den alten Rosensorten widmet, die seit Jahrhunderten in den Gärten der Bauern im hohen Norden heimisch waren. Den Grundstein dafür legte die Journalistin und leidenschaftliche Gärtnerin Gerda Nissen – sie war durch Zufall in Dithmarschen auf fast vergessene historische Rosensorten gestoßen, berichtet die Museumsleiterin Jutta Müller.
"Ab Mitte der 70er-Jahre wurden diese alten Sorten von Gerda Nissen wieder entdeckt. Und sie hat dann überall auch Ableger genommen – die sind ja wurzelecht, die alten Rosen, in der Regel – und nach dem Bau des Landwirtschaftsmuseums hat man sich dann entschlossen, diese Schausammlung anzupflanzen. Und um die alten Rosen nicht allein für sich stehen zu lassen, sind sie dann zusammen gepflanzt worden mit klassischen Begleitstauden aus den Bauerngärten."
Auch dabei hat man sich strikt an die Regel gehalten: Keine Exoten, sondern Stauden, wie sie in den Gärten an der Westküste schon seit eh und je zu finden sind.
"Es gab dann einen Aufruf an die Landfrauen hier im Kreis Dithmarschen, doch aus ihrem Fundus, sage ich mal, zu spenden – und das war auf sehr erfolgreich. Und so sieht man hier jetzt eben Hasenglöckchen, Lupinen, Storchenschnabel, Frauenmantel, Hosta – also all diese gebräuchlichen Stauden, die sehr gut dann eben diese Rosen ergänzen."
Der Rosengarten im Meldorfer Landwirtschaftsmuseum ist also kein ganz klassischer Bauerngarten im engeren Sinn – aber er bietet ein ganz wesentliches Element dieser bäuerlichen Gartenkultur in sehr konzentrierter Form: Mehr als 50 historische Rosensorten gedeihen hier prächtig – sie alle sind an die Bedingungen in der Nähe der Nordsee bestens angepasst.
"Was alle diese Rosen eben auszeichnet: Sie kommen mit dem rauen Klima hier an der Westküste klar, sie haben hier Jahrzehnte oder Jahrhunderte der Vernachlässigung überlebt – und insofern, man sieht es jetzt auch hier, sie kommen gut klar und sehen alle gesund und strotzend vor Knospen aus."
Der etwas zögerliche Sommeranfang hat die Rosenpracht in diesem Jahr ein wenig gehemmt – an vielen Pflanzen waren die Blüten deutlich länger als sonst noch in Knospen fest verschlossen. Andere wollten sich aber auch von der kühlen Witterung der vergangenen Wochen nicht aufhalten lassen, darunter eine der Lieblingsrosen von Jutta Müller.
"Man erkennt schon die Farbe, ein kaltes rosé/pink, das ist das sogenannte Zimtröschen. Das trägt seinen Namen weil das Holz des Rosenstrauches die Farbe von Kaneel, von Zimt hat. Hier sieht man das – gerade die jüngeren Triebe haben dann doch so eine klassische rot-braune Färbung wie Zimtholz. Und das ist eine Sorte, die ist schon im Mittelalter bekannt gewesen und steht so an der Grenze von Wildrose zur Gartenrose."
Eine rosige Duftwolke
Schmale Wege winden sich durch die üppigen Beete im Rosengarten des Landwirtschaftsmuseums – einer davon führt zu einem etwas abseits stehenden, rund 150 Jahre alten Bauernhaus.
"Jetzt gehen wir mal zu unserem historischen Bauernhaus rüber, weil wir da versucht haben zu zeigen, wie solchen alten Rosen denn klassischerweise auch verwendet wurden. Besonders schön macht sich an Gebäuden eben die große ´Weiße Rose`, die ´Rosa Alba Maxima`, eine Sorte, die über drei Meter hoch wächst, dann aber natürlich eine Stütze braucht – und deshalb wird sie gerne an Gebäuden angepflanzt."
In diesem Fall wächst sie an einem historischen Wagenschauer – heute würde man wohl Carport dazu sagen. Eigentlich sind Rosen ja echte Sonnenliebhaber, aber…
"Die gedeiht auch im Halbschatten – die Alba Maxima ist sehr vielseitig und sehr anpassungsfähig und kommt auch mit so einem halbschattigen Ort sehr gut zurecht. Sie hat nachher sehr schöne große halbgefüllte Blüten mit einem wirklich wunderbaren Rosenduft."
Apropos Duft – ein kräftiger Wind von der Nordsee her hat an diesem Tag dafür gesorgt, dass es damit im Rosengarten am Landwirtschaftsmuseum in Meldorf nicht sonderlich weit her war. Außerdem waren eben nicht alle der mehr als 50 Rosensorten schon voll aufgeblüht – aber das wird sich schon sehr bald ändern, verspricht Museumsleiterin Jutta Müller.
"Jetzt wird das irgendwann wirklich – wie man so schön sagt – Peng machen, und dann steht hier innerhalb kürzester Zeit alles in voller Blüte. Und das ist tatsächlich ein überwältigender Eindruck, gerade auch wenn man dann mal keinen Wind hat, dann hängt hier wirklich über dem ganzen Garten so eine Duftwolke und viele kommen gerade abends hierher, um das zu genießen."
Einer der größten Bauerngärten Norddeutschlands
Der Hochdorfer Garten in Tating und der Rosengarten im Schleswig-Holsteinischen Landwirtschaftsmuseum in Meldorf – zwei Beispiele für spezielle Aspekte der bäuerlichen Gartenkultur in Schleswig-Holstein. Sie zeigen beide Elemente, die richtig typisch sind für die Bauerngärten im hohen Norden – aber eben jeweils nur einzelne Elemente. Das große Ganze gibt es weiter südlich im sogenannten Hamburger Speckgürtel zu sehen, in der kleinen Gemeinde Ellerhoop bei Elmshorn. Auf dem rund 17 Hektar großen Gelände des Arboretums Ellerhoop-Thiensen befindet sich einer der wohl schönsten und größten Bauerngärten Norddeutschlands. Ein Schmuckstück bäuerlichen Kulturgutes nach der reinen Lehre, betont der Leiter des Arboretums, Hans-Dieter Warda.
"Ein wirklich authentischer Bauerngarten unterscheidet sich ja von diesen sogenannten, nachgemachten Bauerngärten dadurch, dass er ein ganz formaler Garten ist. Zunächst erst einmal gab es eigentlich nur als Grundformat das Quadrat oder das Rechteck, jeweils durch einen Kreuzweg erschlossen – oder, wie bei uns, das haben die wohlhabenden Bauern früher eigentlich immer gemacht, die hatten einen großen Garten und einen Kreuzweg mit einem Mittelrondell. Die Wege wurden begrenzt mit Steinen aber auch mit Buxus – stammt wohl aus den Barockgärten wie wir glauben, und die Kreuzgänge aus den mittelalterlichen Klostergärten."
Vermutlich jedenfalls, ergänzt Hans-Dieter Warda noch – denn ganz sicher weiß man das nicht, wie so vieles im Zusammenhang mit den alten Bauerngärten. Das Wissen über Form und Gestaltung dieser Gärten reicht nicht allzu weit zurück in die Vergangenheit.
"Seit 200 Jahren wird über Bauerngärten und über den Pflanzenbestand und über ihre Formen berichtet – das wissen wir. Davor – es ist müßig, darüber zu reden, und ich weiß: Es werden viele Bücher geschrieben, aber alles das bringt es nicht. Wir kennen sie nicht, wir wissen es nicht – seit 200 Jahren gibt es tatsächlich gute Unterlagen, und über diese Gärten sprechen wir eigentlich. 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, dann auch zu Beginn 20. Jahrhundert vielleicht auch noch, wenn die Bauerngärten sich bis dahin noch gerettet haben."
Neben den formalen Kriterien für die Anlage eines authentischen Bauerngartens spielen natürlich die Pflanzen eine wesentliche Rolle – vor allem die bereits angesprochenen historischen Rosen. Ein absolutes Muss für jeden Bauerngarten, findet Hans-Dieter Warda. Die müssen sich nicht hinter modernen Züchtungen verstecken, betont er.
"Ich kenne einige – wie z.B. Rose de Rescht oder Louise Odier, oder Jaques Cartier – die genau so gesund sind wie die heutigen neuen Rosen, nur, sie haben viel, viel mehr: Es sind einmal lebende Antiquitäten, sie haben eine Blütenform, die man mit den neuen Rosen ja noch gar nicht erreicht, und sie haben etwas, was die neuen Züchtungen eigentlich dringend benötigen, nämlich den so unglaublich verführerischen Duft."
Hans-Dieter Warda gerät richtig ins Schwärmen, wenn er durch seinen Bauerngarten schlendert. Alle paar Meter bleibt er stehen, zupft ein wenig an der einen oder anderen Blume, prüft die Blüten, und versucht immer wieder zu erklären, was für ihn die Faszination Bauerngarten ausmacht.
"Einige Pflanzen, die wir hier aus den bäuerlichen Gärten kennen, die sind mindestens schon 800 Jahre in diesen Gärten. Und dazu gehört die Madonnenlilie, dazu gehört die Ringelblume, die echte Pfingstrose, jetzt zu dieser Zeit in roten, großen Bällen blühend. Auch die Nachtviole in den weißen Tönen, in den violetten Tönen, die dann abends herrlich duften. Oder, ein Bauerngarten ohne Duftwicken, die dann im Juli kommen – das ist für mich unverständlich. Wir haben hier die schönsten Duftrosen im Gelände, aber gegen diesen herrlichen, süß-herben Duft der echten Duftwicke, da kommen die alle nicht gegen an."
In der Welt der Heil- und Küchenkräuter
Die nächste beeindruckende Duftprobe wartet nur ein paar Schritte weiter – im Kräutergarten. Unter zahllosen typischen Heil- und Küchenkräutern fällt dort gerade ganz besonders ein gelb blühender Farn auf.
"Das ist der ganz normale Rainfarn, tanacetum vulgare, Wurmkrut – wir haben immer auch die niederdeutsche Bezeichnung angezeigt – er durftet ja sehr intensiv…"
…und zwar so intensiv, dass er nicht unbedingt jedermanns Sache ist: Man mag diesen Geruch – oder man findet ihn abstoßend. Hans-Dieter Warda hat ein paar Blätter abgerupft und zwischen den Fingern zerrieben… ihm scheint der Geruch sehr zu gefallen.
"Also – der Rainfarn hat einen ganz typischen, herben… süßlich-herben, ganz eigenartigen Geruch… das sind diese Dinge, die in den Bauerngarten gehören."
Genau wie der Gemüsegarten – fein säuberlich mit einer Buchsbaumhecke abgegrenzt findet der sich am anderen Ende des Gartens, direkt vor der Giebelseite des historischen Bauernhauses.
"Salat, Stangenbohnen sind angepflanzt, Rote Beete, Erdbeeren, Radieschen, Petersilie – das macht den Bauerngarten aus, vor allen Dingen dann, wenn hier diese langen Haselnussstöcke stehen und die Bohnen dann an dem Gerüst blühen und man schaut hier auf diesen herrlichen Giebel dieses Hauses, das aus dem Jahr 1664 stammt. Und im Hintergrund dann die großen Lanzenträger, die Malven, die Königskerzen, die werden ja weit über zwei Meter hoch, blühen lange in einem richtigen schönen Dottergelb. Diese herrliche Mischung aus den Nutzpflanzen und den Zierpflanzen – das ist echter Bauerngarten."
Besinnung auf alte Zeiten
Leider ist dieses Bild auch im sehr ländlich geprägten Schleswig-Holstein kaum noch anzutreffen – im Laufe des 20. Jahrhunderts sind die klassischen Bauerngärten nach und nach aus der Landschaft verschwunden, nicht zuletzt auch auf Grund des Strukturwandels in der Landwirtschaft, erläutert Hans-Dieter Warda.
"Die Mechanisierung der Landwirtschaft, die wahnsinnigen Rationalisierungsmaßnahmen auf dem Lande – da musste nachher die Bäuerin auf den Schlepper, die musste auf dem Trecker sitzen, und da gab es kaum noch Zeit, in den Bauerngarten zu gehen. Und dann wurden die Bauerngärten im Grunde umgewandelt, dann gab es nachher die Rasenflächen, dann wurden sie mit den Allerwelts-Koniferen bepflanzt und verloren ihr Gesicht. Und ich kenne hier in Schleswig-Holstein keine richtigen, authentischen, noch gut funktionierenden Bauerngärten, die auch immer noch in dieser Vielfalt bepflanzt sind."
Da sieht Hans-Dieter Warda vom Arboretum Ellerhoop-Thiensen allerdings ein bisschen zu schwarz – es gibt sie schon noch in Schleswig-Holstein, die "richtigen Bauerngärten". Wer intensiv sucht, sich nicht scheut, mal über die eine oder andere Gartenhecke zu schauen, der wird auch fündig. In Angeln an der Schlei z.B. – dort haben Heidi und Michael Chalupka in dem kleinen Dorf Hestoft eine wahre Oase geschaffen. Ein bisschen versteckt am Ortsrand liegt das alte Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert, das die beiden 1993 völlig zerfallen gekauft und dann Stück für Stück originalgetreu wieder hergerichtet haben. Ganz besonders stolz ist das Ehepaar auf den Bauerngarten, den sie hinter dem Haus wieder angelegt haben. Von der Hofauffahrt führt der Weg durch ein altes, rostiges schmiedeeisernes Tor in den Bereich hinter dem Haus, wo von einem Garten vor gut 20 Jahren noch nichts zu sehen war: Eine verwilderte Weide wucherte bis direkt ans Haus heran, anhand von Fachliteratur machte sich Michael Chalupka daran, den alten Bauerngarten wieder auferstehen zu lassen.
"Wir sind hergegangen und haben uns alte Fachbücher auch besorgt um zu sehen, einmal die Lage des Hauses ist entsprechend – Himmelsrichtung – und dann die Form eines klassischen Gartens, das heißt also in der typischen Barockform mit der Mittelachse und den Seitenwegen, begrenzt dann durch Bux. Und später immer wieder ein Zuwachs – ein Nutz-… also erst ein Gemüsegarten in der Längsachse angelegt und dann dazu Gewürzgarten, Duftgarten, alles in kleinen Bereichen dem Haus entsprechend angepasst."
Es ist ein kleiner aber feiner Bauerngarten – gut 20 Meter lang und etwa 15 Meter breit ist die ganze Pracht. Auch hier macht sich bemerkbar, dass der Sommer ein paar leichte Anlaufschwierigkeiten hatte – aber allmählich kommt die Sache in Schwung, und Heidi Chalupka freut sich über erste kräftige Farben im Garten.
"Im Moment der Staudenmohn, der rote – und die Sterndolden, und die Rosen fangen an. Akeleien sind überall in allen Farben zu sehen, Margeriten – ja, das ist im Moment so was blüht… und dominierend ist bei uns der gelbe Mohn, der Scheinmohn."
Sehr intensiv widmet Heidi Chalupka sich auch ihrem Kräutergarten – den sie übrigens nicht nur als Nutzgarten für Heil- und Küchenkräuter angelegt hat.
"Kräutergarten gehört einfach dazu – und ich finde es sehr wichtig auch für die Tierwelt, für Schmetterlinge und alles. Wir haben sehr viele Pflanzen drin, die von den Hummeln und Schmetterlingen angenommen werden. Und in der Mitte ist die Officinalis, die Apothekerrose, die also auch in der Medizin verwendet wurde – ich finde das einfach sehr schön."
Ein paar Schritte weiter öffnet sich der klassische Bauerngarten zu einer großen Wiese – kein akkurat gemähter englischer Rasen, sondern eine Naturwiese, die sich langsam zu einem Paradies für Insekten aller Art entwickeln darf, erläutert Michael Chalupka.
"Vorher liefen da Schafe, wir wollen aber jetzt diese Struktur der alten Bauernwiese wieder hervor holen. Über 15 Jahre ist also die Fläche nicht gedüngt worden und jetzt kommt Wiesenschaumkraut, die Dotterblume, dann Lichtnelke, Margeriten, Ferkelwurz... es kommen so viele Pflanzen wieder hoch, und da wir ja selbst auch Bienenhaltung betreiben, haben wir gesagt, wir wollen viel, viel Insektenvielfalt hier heran holen."
Mythen und Sagen, Hexen und Teufel
Am Übergang vom Bauerngarten zur Wiese steht das Bienenhaus – ein reetgedeckter Unterschlupf für die fleißigen Insekten, auf dessen Dachfirst eine uralte Heil- und Zauberpflanze als Schutz gegen Blitzschlag zu finden ist: Der Hauswurz, auch Steinwurz oder Donnerwurz genannt – eine Anlehnung an die alten Mythen um den germanischen Donnergott Donar.
"Auf dem First oben, auf dem Heidekraut, ist aufgesetzt dieser Donnerwurz. Es war ja der Aberglaube, dass dadurch Donar besänftigt wird und dass dadurch der Blitz nicht einschlägt. Karl der Große hatte ja das Götzentum verboten, das Göttertum – hat ihnen aber einen Ausweg gelassen über diese Pflanze auf dem Dach."
Und wenn wir schon bei Mythen und Sagen sind – auch die klassische Struktur des Bauerngartens mit seinen Buchsbaumhecken als Begrenzungen der Beete, der Kreuzweg mit dem Mittelrondell, hatte einen tieferen Sinn, zumal in Zeiten, in denen Hexen und Teufel noch hinter den Seelen der Sünder her waren.
"Das war auch bildlich gesehen dafür gedacht, dass die Hexe, oder der Teufel, der hinter einem her war… man rannte in diesen Kreis und verschwand in einem Seitenweg, dass er einen nicht verfolgen konnte."
Diese und andere spannende Geschichten kann man sich jederzeit ganz genüsslich im Garten des Ehepaares Chalupka anhören – oder man erfreut sich einfach nur auf einer der gemütlichen Bänke an dem Anblick, den dieser wunderbar verträumte Bauerngarten im tiefsten Angeln an der Schlei bietet.