Schleswig-Holstein

Der SPD-Bürgermeistermacher

Die SPD in der Krise: Doch die echten Aktivisten in der Partei lassen nicht locker.
Die SPD in der Krise: Doch die echten Aktivisten in der Partei lassen nicht locker. © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Johannes Kulms |
Unermüdliche Genossen werben in Schleswig-Holstein um Sympathie für die SPD – mit Haustürbesuchen und Events. Um die SPD zu stärken, ist auch ein Wahlkampf-Guru im hohen Norden im Einsatz. Er berät jeden, der Bürgermeister für die SPD werden will.
Rausgehen. Schauen und hören, was die Leute bewegt. Das versuchen Özlem Ünsal und Marc Fricke an diesem kalten Samstagvormittag im Kieler Stadtteil Südfriedhof. Ünsal sitzt für die SPD seit 2017 im Landtag, Fricke ist Mitglied im Ortsverein Südfriedhof. Das Duo sucht das Gespräch an der Haustür.
Doof nur, dass zunächst erst mal mehrere Mieter entweder nicht da sind oder es gerade nicht für ein Gespräch passt. Dann öffnet ihnen ein Mann im gestreiften Pulli und sagt:
"Was brennt mir unter den Nägeln? Ich finde die ganze Politik der letzten Jahre einfach nur Grütze!"
Der Mann ist Hartz-IV-Empfänger und findet das ganze System ungerecht – genauso wie die Löhne, die für viele Jobs einfach zu niedrig seien. Solche Gespräche erlebten sie immer wieder an der Haustür, sagt die Sozialpolitikerin Ünsal:
"Natürlich berührt es uns, das ist natürlich nichts, was an uns vorbeizieht. Aber ich finde, die Konsequenz daraus ist doch zu sagen, okay, wir müssen hier gegebenenfalls nachsteuern und sehr genau hinhören. Ist das System, was man damals als sozusagen Antwort der Fragen der Gesellschaft initiiert hat, ist das noch aktuell?"
Was genau bewegt die Menschen? Eine wichtige Frage für eine Partei, die in Schleswig-Holstein in den letzten anderthalb Jahren kräftige Verluste hinnehmen musste. Bei der Landtagswahl, der Bundestagswahl und zuletzt bei den Kommunalwahlen.

SPD blickt in die Provinz

Gerade auf dem Land wählen viele Schleswig-Holsteiner weiterhin die CDU. Trotzdem lohnt sich für die SPD der Blick in die Provinz. Denn in vielen kleineren Städten konnten Sozialdemokraten in den letzten Jahren Rathäuser verteidigen oder erobern.
So wie in der Kreisstadt Heide. Hier konnte sich im Oktober Oliver Schmidt-Gutzat gegen den seit 16 Jahren amtierenden Amtsinhaber von der CDU durchsetzen:
"Mich hat überrascht, dass das für die Menschen hier so ein Thema war – die Wahlkampagne und die Bürgermeisterwahl."
Oliver Schmidt-Gutzat ist Bürgermeister der Kreisstadt Heide.
Oliver Schmidt-Gutzat ist Bürgermeister der Kreisstadt Heide.© Johannes Kulms
Am 1. Dezember hat Oliver Schmidt-Gutzat sein Amt angetreten. Der gebürtige Preetzer hat in den letzten 15 Jahren viel im Ausland gearbeitet. Zuletzt in Afghanistan im Rahmen der EU-Polizeimission EUPOL. Wie man sich auf internationalem Parkett bewegt, weiß der 49-Jährige. Doch wie macht man Wahlkampf in einer schleswig-holsteinischen 21.000-Einwohner-Stadt? Für diese Frage holte er sich Unterstützung bei einem Parteikollegen.
Thies Thiessen hat in den letzten Jahren schon vielen Kandidaten ins Amt verholfen. Der 70-Jährige setzt weniger auf soziale Netzwerke. Sondern ganz "old school" auf Haustürbesuche und den direkten Kontakt zu den Bürgern. Und: Die Persönlichkeit in den Vordergrund stellen. Und nicht die Partei!
In der Stichwahl konnte sich am Ende Oliver Schmidt-Gutzat mit 57 Prozent klar durchsetzen. Der neue Heider Bürgermeister führt den Erfolg auch auf das Coaching zurück:
"Zum Beispiel die Etikette. Also, wen besucht man zuerst, wo stellt man sich vor. Das hätte ich gar nicht gewusst. Die Tipps, die ich von ihm bekommen hab', waren eigentlich darauf ausgerichtet, mich mit dem Amtsinhaber auf Augenhöhe zu bringen. Also, den Nachteil auszugleichen, den er durch die 16 Jahre im Amt ja hat."

Bürgermeister ist ein Knochenjob

Eine Viertelstunde mit dem Auto dauert die Fahrt nach Meldorf. Dort, im Wohnzimmer von Thies Thiessen, steht ein runder antiker Tisch. Daran: Mehrere große bequeme Sessel.
"Hier werden in der Regel alle, die gerne Bürgermeister oder Bürgermeisterin werden wollen, das erste Mal empfangen und in Gesprächen, die zwischen anderthalb und fünf Stunden dauern; im Grunde erzähle ich ihnen, wie ich mir die Bürgermeisterwahl vorstelle und ob sie damit einverstanden sind."
Thies Thiessen berät Kommunalpolitiker der SPD und ohne Parteibuch in Schleswig-Holstein, die Bürgermeister werden wollen.
Thies Thiessen berät Kommunalpolitiker der SPD und ohne Parteibuch in Schleswig-Holstein, die Bürgermeister werden wollen.© Johannes Kulms
Anders als viele glauben, sei das Amt des Bürgermeisters ein Knochenjob, der viel abverlange, sagt der 70-Jährige. Thies Thiessen weiß, wovon er spricht. Der studierte Jurist war 11 Jahre lang Bürgermeister in seiner Heimatstadt Meldorf.
Seit vielen Jahren gibt er als einer von zwei Geschäftsführern der kommunalpolitischen Vereinigung der SPD in Schleswig-Holstein sein Know-How weiter. Vor allem an Frauen und Männer, die sich für ein Bürgermeisteramt bewerben. Von den 34 Kandidaten, die er coachte, waren 26 erfolgreich. Darunter auch Bewerber ohne SPD-Parteibuch:
"Ich benutze aus Amerika kommende Marktmechanismen, um jemanden erfolgreich zu positionieren. Bürgermeister, Bürgermeisterin werden diese Menschen dann selber. Der Bürgermeistermacher ist der Bürger. Nicht der Coach."

Kein SPD-Schild auf Plakaten

Doch eben weil es in der Kommunalpolitik sehr pragmatisch zugeht, rät Thies Thiessen seinen Schützlingen, das Thema Parteizugehörigkeit nicht zu verschweigen, aber kleinzuhalten:
"In unseren Kampagnen gibt es kein SPD-Schild auf den Plakaten oder in Flyern. Und das ist 'ne ganz klare Begründung. Denn die Bürgermeister, die ich begleite, die wollen alle Bürgermeister für alle Bürger werden."
Thiessens Schatz ist eine kleine Box, in denen er viele Zettel einsortiert hat mit Namen von Personen, die sich für ein Bürgermeisteramt interessieren – und die seinen Segen haben. Bei der auf dem schleswig-holsteinischen Land so starken CDU schaut man neidisch auf diese Sammlung. Thiessen habe sehr gute Kontakte aufgebaut, wisse zu organisieren und finde Personen, die frisch rüberkommen und trotzdem Verwaltungserfahrung haben, sagt jemand, der sich bei der Nord-CDU viel mit Kommunalpolitik beschäftigt. Einen solchen Mann gebe es in den Reihen der Konservativen zumindest bisher noch nicht.

Thema ist, "wie dieses Land vergammelt"

Auch in der 10.000-Einwohner-Stadt Bad Bramstedt hat Thiessen in diesem Jahr der parteilosen Kandidatin Verena Jeske ins Amt geholfen. Doch lässt sich von dem, was in der Provinz funktioniert, auch etwas auf die große Bühne in Berlin übertragen – dort, wo es bekanntlich gerade richtig düster aussieht für die Genossen? Etwas weniger Ideologie würde der SPD gut tun, meint Thies Thiessen:
"Ich sag' einfach mal, wenn die Partei sehen würde, dass nicht etwa die Flüchtlingsfrage das alles Beherrschende ist, sondern vielmehr, wie dieses Land vergammelt. Dass Klos in Schulen nicht in Ordnung sind, dass es durchregnet, dass Altenversorgung nicht funktioniert, dass viel zu wenig Kindergärtner da sind."
Der neue Heider Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat findet auf jeden Fall: Das Willy-Brandt-Haus in Berlin könnte durchaus noch vom Wahlkampfcoach Thies Thiessen lernen.
"Natürlich könnten sie das. Authentisch zu sein. Und zu einer Sache zu stehen und nicht nur vage zu bleiben."
In seinem neuen Job als Heider Bürgermeister hat Oliver Schmidt-Gutzat jetzt acht Jahre Zeit, um genau das zu beweisen.
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