Schleswig-Holstein

Flaute in der Windkraftbranche

Der Husumer Hafen
Der Husumer Hafen © Johannes Kulms / Dlf Kultur
Von Johannes Kulms |
Husum war die Wiege der Windkraft. Schon in den 80er-Jahren wurden in der Werft neben Schiffen auch Windkraftanlagen gebaut. Jetzt schließt die Produktionsstätte – wegen "brutalen" Wettbewerbs und neuen Vergütungsregelungen.
Der Husumer Hafen liegt an diesem Vormittag etwas verschlafen da. Es herrscht Ebbe, und die wenigen vertäuten Schiffe an den Kaianlagen haben weitestgehend ihre Ruhe. Immerhin: Eine Touristengruppe zieht am Ufer entlang und lässt sich das bunte Ensemble erklären. Ein paar Meter weiter steht Jana Gellert. Die 36-Jährige stammt von der Nordseeinsel Pellworm und ist weniger fürs Sightseeing aufs Festland gekommen. Sondern…
"Um die Behörden alle einmal abzuklappern."
"Weil Husum für Sie zuständig ist."
"Genau."
"Was assoziieren Sie denn mit Husum?"
"Die nächste größere Stadt zum Einkaufen. Einfach nur `ne nette kleine Stadt."
Husum liegt an der strukturschwachen Schleswig-Holsteinischen Westküste. Die 22.000-Einwohner-Stadt vermarktet gerne ihren berühmtesten Sohn – Theodor Storm. Doch die Husumer wollen gerne mehr sein als nur Anlaufstätte für Touristen und Kauflustige. Die Stadt wirbt mit einem Slogan, der die Herzen von PR-Leuten höher lassen schlägt: Die Husumer sehen sich als "Wiege der Windkraft" in Deutschland.
"Das Zitat ‚Wiege der Windkraft‘ bezieht sich in erster Linie darauf, dass hier 1989 die erste Windmesse stattgefunden hat. Da sage ich mal augenzwinkernd, dass seinerzeit `ne Handvoll gefühlt spinnerter Jungingenieure zusammengekommen ist und bei uns in der Viehauktionshalle ausgestellt hat."
Uwe Schmitz ist der Bürgermeister von Husum. Von seinem Büro aus im ersten Stock des Rathauses kann er auf den Hafen schauen. Bereits in den 80er Jahren begann man bei der damaligen Husumer Schiffswerft, neben Schiffen auch Windanlagen zu bauen. Zuletzt wurden in dem Werk Turbinen gefertigt. Doch im Frühjahr gab der Werkseigentümer Senvion bekannt: Der Standort Husum soll geschlossen werden. Nicht nur für den Bürgermeister eine böse Überraschung. Was ihm durch den Kopf ging, als er von der Schließung erfuhr:
"Ich denke, dass sollte man nicht in Mikrofone sagen. Aber Mist natürlich! Also, an dem Standort sind `ne Menge Arbeitsplätze betroffen."

Kampf um den Standort am Deich

90 Mitarbeiter in Husum erhalten nun eine Abfindung – und verlieren dafür ihren Job. Monatelang hatten Politiker aus Husum und dem Landtag in Kiel zusammen mit der Belegschaft für einen Fortbestand des Werks gekämpft. Doch die Bemühungen wurden nicht belohnt. Das Management von Senvion blieb bei seiner Entscheidung. Ende August schloss die Produktionsstätte am Deich ihre Tore.
Helge Jürgensen war zuletzt Betriebsratsvorsitzender von Senvion Deutschland. Eigentlich hätte der 46-Jährige an diesem Samstag sein zwanzigjähriges Jubiläum als Facharbeiter in der Windkraftbranche feiern können. Wenn es denn das Werk noch gebe.
"Angefangen am 7. Oktober auf der Husumer Schiffswerft. Weil mir der damalige Betriebsleiter den dritten Oktober nicht bezahlen wollte. Also, war 'n sehr interessantes Unternehmen, hat viel Spaß gebracht."
1999 musste die schon in den letzten Jahren erheblich geschrumpfte Husumer Schiffswerft dann Insolvenz anmelden. Doch es ging weiter mit der Produktion von Windkraftanlagen. Denn die waren nicht nur in Husum, sondern bundesweit im Vormarsch.
"Nach den zwei Jahren wurde hier die Husumer Schiffswerft übernommen von Jacobs Energie. Und zu dem Zeitpunkt waren wir 45 Mitarbeiter insgesamt. Mit Jacobs Energie und Husumer Schiffswerft. Das hat sich in kürzester Zeit also aufgestockt mit Produktion, und ich meine, dann waren wir innerhalb von zwei, drei Jahren 150 Mitarbeiter."
Husumer Schiffswerft.
Die Husumer Schiffswerft schließt.© Johannes Kulms / Dlf Kultur
Das Unternehmen wuchs, Namen und Besitzerverhältnisse wechselten – das Geflecht ist nicht einfach zu überblicken. 2009 änderte sich jedoch etwas spürbar für die Belegschaft, erzählt Jürgensen. Von nun an sollten die Mitarbeiter plötzlich 3,5 Stunden mehr arbeiten. In der Woche. Und das ohne Lohnausgleich. Die damalige Unternehmensführung habe die beiden Standorte in Husum und im brandenburgischen Trampe gegeneinander ausgespielt, so er 46-Jährige.
"Also, wenn der eine nicht unterschreibt, wird der andere platt gemacht. Und demnach haben beide unterschrieben, die Mitarbeiter haben dreieinhalb Stunden mehr gearbeitet für zwei Jahre. Und da war eigentlich schon der erste Knackpunkt. Dann wurde vom damaligen Vorstand erzählt, dass wir das alles auf Heller und Pfennig zurückbekommen, was die Mitarbeiter in Trampe und Husum natürlich nicht bekommen haben. Und wir haben einmal unter die Nase gewischt. Das war’s dann."

Eine Keimzelle wird dicht gemacht

2014 änderte der Eigentümer des Husumer Werks zum letzten Mal seinen Namen um in Senvion. Nun hat der Konzern ausgerechnet mit Husum so etwas wie seine Keimzelle dicht gemacht.
Das Management in Hamburg habe sich in den Wochen und Monaten nach den verkündeten Schließungsplänen alles andere als fair verhalten, findet Jürgensen. Die Husumer Belegschaft hatte ein Alternativkonzept ausgearbeitet. Das sah vor, in der "Grauen Stadt" an der Nordsee einen Servicestützpunkt zu errichten, um große Anlagen zu reparieren:
"Die haben zu uns gesagt, das Alternativkonzept ist `n schönes Konzept, wir werden das mal mitnehmen und woanders mal in Gebrauch nehmen. Aber nicht hier in Deutschland."
Tatsächlich hat das Senvion-Management nicht nur den Standort in Husum geschlossen. Sondern auch das Werk im brandenburgischen Trampe und die Rotoren-Fertigung bei der Tochterfirma Powerblades in Bremerhaven. 650 Arbeitsplätze fielen insgesamt weg. Allerdings habe es bisher noch keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben, erklärt Senvion. Dem früheren Betriebsrat Jürgensen kommt die Situation bekannt vor, er erinnert sich an das Jahr 1999.
"Das war zur Werftpleite wesentlich menschlicher. Da hat sich der Geschäftsführer hingestellt und gesagt, wenn ich den Auftrag nicht rankrieg', dann muss ich zum Insolvenzverwalter und dann muss ich Insolvenz anmelden. Und das fand ich fair und ehrlich. Und nicht so `ne hinterlistige Tour wie das hier gewesen ist."

"Brutaler" Wettbewerb

Ja, wir hätten die Mitarbeiter in Husum mehr einbeziehen können, räumt man heute in der Kommunikationsabteilung von Senvion ein. Aber am Ende sei eben das umgesetzt worden, was man geplant hatte. Senvion-Sprecher Immo von Fallois spricht von einem "Zukunftskonzept". Er verweist auf einen Markt, der sich dramatisch verändert habe. Und einen Wettbewerb, der immer "brutaler" werde.
Gleichzeitig macht von Fallois kein Geheimnis daraus, dass Senvion sich auf eine mögliche Übernahme durch einen anderen Konzern vorbereite. Die Braut werde hübsch gemacht, sagt der gerade auf einer Windmesse in Kanada weilende Unternehmenssprecher am Telefon.
Nicht nur Senvion macht sich gerade Gedanken darüber, ob und wie ausländische Märkte in Zukunft stärker erschlossen werden könnten. Tatsächlich haben auch andere große Hersteller von Windkraftanlagen in den letzten Monaten angekündigt, hunderte Stellen zu streichen – zum Beispiel der ebenfalls in Hamburg und Rostock ansässige Produzent Nordex.
Die unternehmensübergreifende Nervosität war vor wenigen Wochen auch bei der Messe HUSUM Wind zu spüren. Hermann Albers, der Vorsitzende des Bundesverbands Windenergie, sagte in seiner Eröffnungsrede:
"Wir haben viele Mitglieder, die uns in den vergangenen Tagen angerufen haben und gesagt haben, wir brauchen eine weitere Entwicklung im EEG, es ist handwerklich einiges zu tun."

Wirbel um neue Vergütungsregeln

Der oberste Lobbyist der Windkraft in Deutschland meint damit neue Vergütungsregelungen für Windkraft. Diese werden in der Branche als Hauptursache für den mächtigen Wirbel gesehen. Schon jetzt sind die Aufträge deutlich zurückgegangen, bei Nordex zum Beispiel um 20 Prozent im ersten Halbjahr. Hersteller befürchten, dass die Auftragslage über mehrere Jahre äußerst dünn bleiben und der deutsche Markt zumindest in Teilen wegbrechen könnte.
Bisher wurde den Betreibern von Windparks eine feste Vergütung garantiert. Doch das ist seit diesem Jahr anders: Nun erhält der Bieter den Zuschlag, der die geringsten Fördersätze braucht – der also am günstigsten bauen kann. Das Bundeswirtschaftsministerium verspricht sich dadurch, den Wettbewerb zu beleben. Und das scheint aufzugehen, verzeichneten doch die ersten beiden Ausschreibungsrunden eine hohe Beteiligung. Allerdings hat die Sache einen Haken. Bei vielen Projekten ist höchst ungewiss, ob sie in den nächsten Jahren auch wirklich gebaut werden.
Das hat mit den besonderen Regelungen für sogenannte Bürgerenergiegesellschaften zu tun – also Windparks, die nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums von Bürgern und mittelständischen Unternehmen getragen werden sollen. Kritiker warnen, dass große Unternehmen Strohmänner vorschicken können, die dann den Zuschlag erhalten.
Doch das entscheidende Problem aus Sicht der Hersteller der Anlagen ist: Bürgergesellschaften können auch dann für Windparks einen Zuschlag erhalten, wenn sie noch keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung haben. Zudem haben sie deutlich längere Fristen, um die Parks zu bauen. Die großen Anlagenbauen warnen daher: Über mehrere Jahre könnte Ebbe herrschen in den Auftragsbüchern, der deutsche Markt könnte sich deutlich verkleinern und Firmen fusionieren, um dem gestiegenen Kostendruck zu begegnen. Immerhin: Für die nächsten beiden Ausschreibungsrunden brauchen die Bürgergesellschaften nun auch eine Genehmigung – aber was kommt danach?

Hoffen auf eine grüne Regierungsbeteiligung im Bund

Viele Unternehmen hoffen nun auf eine grüne Regierungsbeteiligung im Bund im Rahmen einer Jamaika-Koalition mit Union und FDP. So auch Jürgen Joos, kaufmännischer Leiter für den Bereich Wind bei der Firmengruppe Max Bögl:
"Man muss natürlich abwarten, was jetzt im Koalitionsvertrag steht. Grundsätzlich hofft man natürlich, dass hier auch positive Signale ausgehen werden für die Zukunft."
Das bayrische Bauunternehmen ist auch in Schleswig-Holstein aktiv. In Osterrönfeld nahe Rendsburg hat das Unternehmen vor drei Jahren viel Geld für ein neues Werk investiert, in dem Elemente für Hybrid-Windkrafttürme hergestellt werden – aus Beton.
Zugang zum Werk erhält man als Journalist derzeit nicht. Wohl aber ein Interview per Telefon mit Werksleiter Karsten Penner, der gerade zu Besuch ist in der Firmenzentrale. Auch im Werk am Nord-Ostsee-Kanal seien die Konsequenzen der neuen Vergütungsregelungen angekommen:
"Zur Zeit sind wir derart aufgestellt, dass wir eine Auftragsdelle haben und damit in eine Kurzarbeitsphase gerutscht sind. Im Augenblick keine Produktion haben, Stand jetzt, was sich bis Oktober durchziehen wird und wir dann planen, die Produktion wieder aufzunehmen, einschichtig."

Der Mischkonzern fängt Auftragseinbrüche ab

Immerhin: Der Mischkonzern kann trotz der Auftragseinbrüche die Situation etwas abfedern und versucht, seine Mitarbeiter interimsweise in andere Produktionsbereiche zu schicken. Weder sei der Standort Osterönfeld gefährdet noch müssten Mitarbeiter Entlassungen befürchten, verspricht der kaufmännische Leiter Jürgen Joos:
"Wir stehen zu den Geschäftsfeldern, wo wir tätig sind und vor allem zu unseren Mitarbeitern. Und dadurch, dass wir so vielschichtig aufgebaut sind, werden wir hier keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen."
Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung schaut besorgt auf das, was da gerade geschieht in der Windbranche. Kein Wunder: Das Land zwischen den Meeren sieht sich als Vorreiter der Energiewende. Zehntausende Jobs sind hier entstanden und die Windindustrie ist dabei die tragende Säule. Doch auch wenn die Fabrikanten von Windkraft ökologisch saubere Energie erzeugen, so folgen doch auch sie längst den Spielregeln des Turbokapitalismus.
Noch einmal zurück nach Husum, ins Büro von Bürgermeister Uwe Schmitz.
"Also, ich glaube, Wirtschaft funktioniert lange nicht so, wie ich mir das manchmal in meinem kleinen Beamtenkopf wünschen würde, wie Menschen miteinander umgehen. Und ich glaub‘, Staat ist auch vielfach mitverantwortlich, weil er in der Bundesrepublik die Rahmenbedingungen dafür schafft, im Positiven wie im Negativen. Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht bin ich immer noch getragen von eine grundsätzlichen Glauben in das gute und idealistische im Menschen. Aber naiv lass‘ ich gelten in dem Zusammenhang."
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