Initiative fordert einen Gottesbezug in der Verfassung
Gehört Gott in die Landesverfassung von Schleswig-Holstein? Darüber stimmt der Landtag diese Woche ab. Die Kieler Politologin Tine Stein sieht dabei kein Problem für die weltanschauliche Neutralität des Staates.
Diese Woche werden die Abgeordneten des Kieler Landtages darüber entscheiden, ob das Wort "Gott" in die Landesverfassung Schleswig-Holsteins kommt. Schon einmal hat das Parlament in Kiel 2014 über eine Reform der Landesverfassung abgestimmt. Ein Gottesbezug verfehlte damals die nötige Zweitdrittelmehrheit. Eine Initiative sammelte jetzt 42000 Unterschriften von Christen, Muslimen und Juden, die sich Gott in der Landesverfassung wünschen.
Intiative von Christen, Muslimen und Juden
Trotz der Säkularisierung der Gesellschaft schöpfe eine Mehrheit der Bevölkerung ihr Leben nicht allein aus dem Diesseitigen, sondern sich mit einer höheren Instanz verbunden fühle, sagte die Kieler Politologin Tine Stein im Deutschlandradio Kultur. Dies gelte für Christen, Muslime und Juden. "Ich denke, dass sich diese Menschen zusammengeschlossen haben in dieser Volksinitiative und möchten, dass das auch auf der politischen Ebene eine Anerkennung findet", sagte die Professorin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Kein Problem für Neutralität des Staates
Verfassungsrechtler betonten zu Recht, dass die Trennung von Staat und Religion werde durch den Gottesbezug in der Verfassung nicht in Frage gestellt werde. Entscheidend sei die religiös, weltanschauliche Neutralität des Staates. "Wenn ein Gottesbezug in die Verfassung aufgenommen wird, heißt das nicht, dass dann die weltliche Begründung der Politik damit in Frage gestellt ist", sagte Stein. Stattdessen fänden sich einige Bürger des Landes in ihren Entscheidungen auf die Gottesnennung verpflichtet.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Gehört Gott in die Verfassung – darüber wird immer mal wieder gestritten: Europaweit, als es darum ging, eine Verfassung für die EU zu schreiben, ganz aktuell im hohen Norden unseres Landes. Für Gott in Schleswig-Holstein – unter diese durchaus selbstbewusste Forderung haben seit einem guten Jahr mehr als 40.000 Menschen ihre Unterschrift gesetzt, Christen, Muslime und auch Juden, und sie haben damit erreicht, dass die Debatte um die Präambel der Landesverfassung von Schleswig-Holstein wieder aufgenommen wird.
Die Kieler Landesverfassung kennt einen solchen Bezug bisher nicht, wie übrigens die knappe Mehrheit der deutschen Länderverfassungen. In dieser Woche wird wohl der Landtag abstimmen, ob sich dies ändern soll oder nicht. Darüber spreche ich jetzt mit der Politikwissenschaftlerin Tine Stein, Professorin an der Kieler Universität. Guten Morgen!
Tine Stein: Ja, schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Frau Stein, zugegebenermaßen bin ich etwas verwirrt: Die Kirchen verlieren seit Jahren Mitglieder, wir stellen an allen Orten eine Säkularisierung fest und ausgerechnet im hohen Norden gibt es eine solch starke Bewegung für Gott. Wie passt das zusammen?
Stein: Ich würde sagen, dass immer noch, trotz der von Ihnen angesprochenen Säkularisierung, eine Mehrheit der Bevölkerung ihr Leben nicht allein aus dem Diesseitigen schöpft, sondern sich verbunden fühlt in einer höheren Instanz. Dies drückt sich ja nicht nur aus in der Zugehörigkeit zu den christlichen Glaubensgemeinschaften, sondern auch für Muslime und Juden ist das ein ganz wesentlicher Punkt in ihrer Existenz. Ich denke, dass sich diese Menschen zusammengeschlossen haben in dieser Volksinitiative und möchten, dass das auch auf der politischen Ebene eine Anerkennung findet.
Der Wunsch nach Gottesnennung
Frenzel: Eine Anerkennung finden, das ist das eine, aber was bedeutet das konkret für eine Landesverfassung. Warum soll es da hinein?
Stein: Ich würde sagen, die Verfassungsrechtler haben recht, die hier betonen, dass die Trennung von Staat und Religion durch den Gottesbezug in der Verfassung nicht infrage gestellt wird, denn die Trennung von Staat und Religion drückt sich wesentlich aus in der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Das bedeutet, dass der Staat sich in seinem Tun, in seiner Rechtfertigung, das, was er tut, nicht auf eine religiöse Grundlage beziehen kann. Wenn also ein Gottesbezug in die Verfassung aufgenommen wird, heißt das nicht, dass dann die weltliche Begründung der Politik damit infrage gestellt ist, sondern heißt – deswegen Anerkennung –, dass einige der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich in ihren Entscheidungen, in ihrem politischen Handeln auf die Gottesnennung verpflichtet fühlen.
Frenzel: Ich habe in den Kreisen der Unterstützer dieses Gottesbezugs immer wieder ein Argument gehört, dass man damit die Demut ausdrücken möchte vor der Fehlbarkeit des Menschen. Das ist ein sehr sympathischer Gedanke, aber ich stelle mir vor, da steht nun der Gottesbezug mit diesem Hintergrund am Anfang der Verfassung. Sagt der dann eigentlich nicht indirekt aus, alles, was jetzt folgt, könnte auch falsch sein?
Stein: Historisch gesehen ist das eine interessante Vorstellung, dass tatsächlich die Berufung auf Gott als nicht nur Symbolisierung, sondern eben für Christen, Muslime und Juden ja auch tatsächliche Repräsentanz einer anderen Welt, dass es noch eine andere Welt gibt, dass das gerade nicht zu einem besonderen politischen Handeln ermächtigt, sondern dieses Handeln relativiert, denn historisch gesehen ist die Bezugnahme auf Gott ja auch sehr oft missbraucht worden.
Also auf den Koppelschlössern der Soldaten im Ersten Weltkrieg stand "Für Gott mit uns", also das ist erst mal im 20. Jahrhundert, als das im parlamentarischen Rat im Grundgesetz eingebracht wurde, sozusagen eine Gegenbewegung, diese Relativierung und diese Demutsformel gegen diese im Grunde genommen frühere Ermächtigung, wo die Bezugnahme auf Gott, gerade die weltliche Politik, einer besonderen Legitimation noch einmal versehen werden sollte, aber ob man das heute als eine Demutsformel wahrnimmt, das liegt natürlich auch im Auge des Betrachters. Für die meisten Menschen, die sich für einen solchen Gottesbezug aussprechen, ist das allerdings so.
Vergleich zu Frankreich
Frenzel: Für mich stellt sich die Frage – Sie haben historische Beispiele genannt, aber wir sind ja auch in einer aktuellen Debatte, wo manche Menschen auf die Straße gehen zur Verteidigung des Abendlandes, also auch ganz klar mit der christlichen Konnotation –, ist das in einer solchen Situation nicht eigentlich grundverkehrt, mit diesem Gottesbegriff wieder zu agieren auf hoher staatlicher, auf verfassungsrechtlicher Ebene?
Stein: Denken wir mal an Frankreich: Frankreich hat eine ganz andere Interpretation der Trennung von Staat und Religion. Hier ist Religion nicht nur sozusagen von den staatlichen Institutionen im engeren Sinne getrennt, sondern sogar auch aus der politisch-republikanischen Sphäre sollen religiöse Bezüge ferngehalten werden, aber wie wir anhand der Auseinandersetzung in Frankreich sehen, führt dies nun auch nicht zu einer Befriedung der gegenwärtigen Lage.
Da ist die Variante der Interpretation der Trennung von Staat und Religion, wie sie in der Bundesrepublik der Fall ist, dass also auf der Ebene der staatlichen Institutionen der Staat sich nicht mit einer Religionsgemeinschaft sozusagen gemein macht und sich in seinem Handeln darauf nicht bezieht und vor allen Dingen Religionsgemeinschaften gleich behandeln muss, schon die meines Erachtens gerade bessere Variante, weil das eben bedeutet, dass religiöse Argumente im öffentlichen Raum durchaus als politische Argumente eingebracht werden können.
Integrationsfunktion der Präambel
Frenzel: Frau Stein, Gottesbezug in der Verfassung – wenn wir über frühere Zeiten sprechen, war klar, welcher Gott gemeint war, der Mehrheitsgott, der christliche Gott, heute – das sagen ja auch die Befürworter – kann es der Gott für alle sein, für Muslime, für Juden gleichermaßen. Macht ein Gottesbezug dann noch Sinn, wenn er im Prinzip offen lässt, welchen Gott wir meinen?
Stein: Also ein Christ hat in der gemeinsamen Verfassungskommission, die sich nach dem Fall der Mauer zusammengeschlossen hatte im Bundestag und Bundesrat, um eine Revision des Grundgesetzes zu besprechen, ein Abgeordneter dort, Wolfgang Ullmann, Theologe, hat gerade unter anderem aus diesem Grund dafür plädiert, eine neue Präambel ohne einen Gottesbezug auskommen zu lassen, weil diese unspezifische Rede von Gott gegen sein christliches Bekenntnis verstieße.
Das ist in der Tat ein Argument, was ich sehr gewichtig finde, würde aber doch auf der anderen Seite sagen, für viele religiöse Bürgerinnen und Bürger bedeutet dies viel, und wenn man eine Formulierung findet, die nicht religiöse, nicht gläubige Bürger dabei nicht ausschließt, ja dann ist diese Integrationsfunktion, die mit der Präambel einhergeht, eigentlich nicht geschädigt.
Frenzel: Sagt Tine Stein, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Kiel. Der schleswig-holsteinische Landtag diskutiert die Aufnahme Gottes in die Verfassung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.