"Schlicht nicht spannend genug"
Es geht um Mord, Familienehre, Zwangsverheiratung und beinah inzestuöse Beziehungen. Und da die Protagonisten türkischer Herkunft sind, wurde der Tatort "Schatten der Angst" nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen im Februar verschoben. Das Stück hätte auch damals gezeigt werden können, meint Medienkritiker Bernd Gäbler.
Katrin Heise: "Schatten der Angst". Gestern Abend lief in der ARD ein "Tatort" zum Thema Ehre in türkischen Familien hier in Deutschland. Ein türkischer Geschäftsmann wurde getötet, aber, statt wie angenommen, hat man es eben nicht mit organisierter Kriminalität zu tun, sondern mit einer Familientragödie und mit Ehrverletzung und einer jungen Frau, die ausbrechen wollte aus dieser Familie. Der Krimi mit Kommissarin Lena Odenthal wurde Anfang Februar verschoben, man wollte diesen Stoff nicht direkt nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen zeigen. Gestern also lief er, und unser Medienkritiker Bernd Gäbler hat ihn sich angeschaut. Herr Gäbler, schönen guten Tag!
Bernd Gäbler: Einen wunderschönen guten Tag, Frau Heise!
Heise: Hat er Ihnen gefallen?
Gäbler: Mittelmäßig muss ich sagen. Er warf ja - der Name hieß "Schatten der Angst" - auch große Schatten voraus. Man sagte, endlich ein relevantes Thema, Herausforderung. Wir erleben, wie die verschiedenen Kulturen, also eine klassische türkische, autoritär geprägte Familie, aufeinanderprallen mit Integrationsansprüchen. Im Zentrum steht eine junge Frau türkischer Herkunft, die um ihre Selbstbestimmung kämpft, zwangsverheiratet wurde, jetzt einen jungen deutschen Geliebten hat. Das alles war zu sehen. Es war jetzt nicht irgendwie fürchterlich schlecht, aber ich fand es auch nicht so aufregend, einfach weil die filmischen Mittel sehr konventionell waren.
Es war sehr vieles so, wie man es erwartet hat. Vieles waren so Signalpunkte. Ich sage mal als Beispiel: Also, sobald eine Frau sich übergibt, ist sie schwanger. Sobald ein Sportstudio vorkommt, wird dort mit illegalen Dopingmitteln gehandelt. Der Vater greift zum Cognac, also ist der Patriarch der Familie Alkoholiker. Das ging mir alles ein bisschen zu klischeehaft ab. Es war eine sehr langsame Themenentwicklung, relativ konventionell gefilmt. Und am Ende ist es ja dann die fast inzestuöse beschützende Liebe des älteren Bruders schuld, weniger der Clash of Cultures. Also es ist ein Plädoyer für das Verstehen, ein Plädoyer für Integration. Wirkliche Härten, wirkliche Überraschungen, womöglich den Zuschauer vor den Kopf zu stoßen, hat man vermieden.
Heise: Auf der Internetseite der "Welt" ist man geradezu begeistert, einer der besten "Tatorte" sei es gewesen, und er zeige die verfehlte Integrationspolitik Deutschlands. Das haben Sie nicht erkennen können?
Gäbler: Na ja, natürlich ist es das Thema, wie geht man damit um, wie schafft man es, dieser jungen Frau zu helfen, kann sie sich lösen aus den Bindungen. Aber ich finde es doch eher normal. Also, ich fände es aufregender, wenn mal jemand wie Fatih Akin einen "Tatort" drehen dürfte, oder wenn etwas völlig gegen den Strich gebürstet wird, wie wir es in dem Fernsehfilm "Wut" erlebt haben. Insofern natürlich, "Tatort" ist immer die Möglichkeit, mit dem Mittel des Krimis auch gesellschaftlich relevante Themen zu erzählen. Das hat er versucht.
Wie man hört, hat sich ja auch Frau Folkerts persönlich dafür sehr engagiert. Ich bin nicht ganz so begeistert wie die Leute da auf der "Welt"-Seite. Ich fühle mich ein bisschen bestätigt auch durch das Forum, das der SWR ja auch im Internet eingerichtet hat. Glücklicherweise, muss man sagen, das ist eine gute Idee. Es sind Zigtausende von Beiträgen dort.
Heise: Sehr unterschiedlicher Meinungen?
Gäbler: Ja. Man kann feststellen, dass auch viele Schreiber offensichtlich türkischer Herkunft sich ein bisschen wehren und sagen, manches, was in Deutschland eine normale Familientragödie ist, wird bei uns immer dargestellt nach den Klischees dieser Abhängigkeiten von dem Patriarchen der Familie, von den Familienbindungen. Sie sagen auch, dass ihnen die Rollenbesetzung zu klischeehaft war. Man muss sagen, sehr hübsch war die Ausnahme, dass diesmal auch der BKA-Beamte, der reinkam, ein Türke war, ansonsten aber doch sehr nach Klischee besetzt. Vielen war es schlicht nicht spannend genug. Und ich muss gestehen, mir ging es ein wenig auch so.
Heise: Wurde auch die Verschiebung des Krimis nochmal diskutiert, von Anfang Februar auf jetzt?
Gäbler: Es gibt ein großes Forum "Selbstzensur der ARD", es gibt sehr viele Kritiker, die sagen, also die sind in die Knie gegangen, dass sie es verschoben haben. Ich muss nach der Ansicht dieses Stückes sagen, man hätte es meines Erachtens auch damals zeigen können. Ich habe aber viel Verständnis dafür. Man will eine große Debatte, man will eine Rezeptionsatmosphäre haben, die zu wirklicher Auseinandersetzung führt, und ich kann mir vorstellen, ich kann es nachvollziehen, dass man gesagt hat, damals war ein Klima. Wir erinnern uns daran, dass gerade türkische Medien geradezu gehetzt haben, aus der Brandkatastrophe einen Anschlag machen wollten, wenige Indizien dafür genutzt haben, dass man einfach gesagt hat, da ist die Rezeptionsatmosphäre nicht günstig genug …
Heise: Und jetzt war sie besser.
Gäbler: Ich finde nicht, dass die ARD in die Knie gegangen ist.
Heise: "Schatten der Angst". Gestern Abend lief der Film. Ich danke dem Medienkritiker Bernd Gäbler.
Bernd Gäbler: Einen wunderschönen guten Tag, Frau Heise!
Heise: Hat er Ihnen gefallen?
Gäbler: Mittelmäßig muss ich sagen. Er warf ja - der Name hieß "Schatten der Angst" - auch große Schatten voraus. Man sagte, endlich ein relevantes Thema, Herausforderung. Wir erleben, wie die verschiedenen Kulturen, also eine klassische türkische, autoritär geprägte Familie, aufeinanderprallen mit Integrationsansprüchen. Im Zentrum steht eine junge Frau türkischer Herkunft, die um ihre Selbstbestimmung kämpft, zwangsverheiratet wurde, jetzt einen jungen deutschen Geliebten hat. Das alles war zu sehen. Es war jetzt nicht irgendwie fürchterlich schlecht, aber ich fand es auch nicht so aufregend, einfach weil die filmischen Mittel sehr konventionell waren.
Es war sehr vieles so, wie man es erwartet hat. Vieles waren so Signalpunkte. Ich sage mal als Beispiel: Also, sobald eine Frau sich übergibt, ist sie schwanger. Sobald ein Sportstudio vorkommt, wird dort mit illegalen Dopingmitteln gehandelt. Der Vater greift zum Cognac, also ist der Patriarch der Familie Alkoholiker. Das ging mir alles ein bisschen zu klischeehaft ab. Es war eine sehr langsame Themenentwicklung, relativ konventionell gefilmt. Und am Ende ist es ja dann die fast inzestuöse beschützende Liebe des älteren Bruders schuld, weniger der Clash of Cultures. Also es ist ein Plädoyer für das Verstehen, ein Plädoyer für Integration. Wirkliche Härten, wirkliche Überraschungen, womöglich den Zuschauer vor den Kopf zu stoßen, hat man vermieden.
Heise: Auf der Internetseite der "Welt" ist man geradezu begeistert, einer der besten "Tatorte" sei es gewesen, und er zeige die verfehlte Integrationspolitik Deutschlands. Das haben Sie nicht erkennen können?
Gäbler: Na ja, natürlich ist es das Thema, wie geht man damit um, wie schafft man es, dieser jungen Frau zu helfen, kann sie sich lösen aus den Bindungen. Aber ich finde es doch eher normal. Also, ich fände es aufregender, wenn mal jemand wie Fatih Akin einen "Tatort" drehen dürfte, oder wenn etwas völlig gegen den Strich gebürstet wird, wie wir es in dem Fernsehfilm "Wut" erlebt haben. Insofern natürlich, "Tatort" ist immer die Möglichkeit, mit dem Mittel des Krimis auch gesellschaftlich relevante Themen zu erzählen. Das hat er versucht.
Wie man hört, hat sich ja auch Frau Folkerts persönlich dafür sehr engagiert. Ich bin nicht ganz so begeistert wie die Leute da auf der "Welt"-Seite. Ich fühle mich ein bisschen bestätigt auch durch das Forum, das der SWR ja auch im Internet eingerichtet hat. Glücklicherweise, muss man sagen, das ist eine gute Idee. Es sind Zigtausende von Beiträgen dort.
Heise: Sehr unterschiedlicher Meinungen?
Gäbler: Ja. Man kann feststellen, dass auch viele Schreiber offensichtlich türkischer Herkunft sich ein bisschen wehren und sagen, manches, was in Deutschland eine normale Familientragödie ist, wird bei uns immer dargestellt nach den Klischees dieser Abhängigkeiten von dem Patriarchen der Familie, von den Familienbindungen. Sie sagen auch, dass ihnen die Rollenbesetzung zu klischeehaft war. Man muss sagen, sehr hübsch war die Ausnahme, dass diesmal auch der BKA-Beamte, der reinkam, ein Türke war, ansonsten aber doch sehr nach Klischee besetzt. Vielen war es schlicht nicht spannend genug. Und ich muss gestehen, mir ging es ein wenig auch so.
Heise: Wurde auch die Verschiebung des Krimis nochmal diskutiert, von Anfang Februar auf jetzt?
Gäbler: Es gibt ein großes Forum "Selbstzensur der ARD", es gibt sehr viele Kritiker, die sagen, also die sind in die Knie gegangen, dass sie es verschoben haben. Ich muss nach der Ansicht dieses Stückes sagen, man hätte es meines Erachtens auch damals zeigen können. Ich habe aber viel Verständnis dafür. Man will eine große Debatte, man will eine Rezeptionsatmosphäre haben, die zu wirklicher Auseinandersetzung führt, und ich kann mir vorstellen, ich kann es nachvollziehen, dass man gesagt hat, damals war ein Klima. Wir erinnern uns daran, dass gerade türkische Medien geradezu gehetzt haben, aus der Brandkatastrophe einen Anschlag machen wollten, wenige Indizien dafür genutzt haben, dass man einfach gesagt hat, da ist die Rezeptionsatmosphäre nicht günstig genug …
Heise: Und jetzt war sie besser.
Gäbler: Ich finde nicht, dass die ARD in die Knie gegangen ist.
Heise: "Schatten der Angst". Gestern Abend lief der Film. Ich danke dem Medienkritiker Bernd Gäbler.