"Schlicht und einfach keine Kompetenz"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Wirtschaftspublizist Leo Müller hat schwere Vorwürfe gegen die Landesbank Sachsen erhoben. Die Bank habe sich an den Geschäften mit amerikanischen Hypothekenkrediten beteiligt und sei offenbar im Besitz einer großen Menge solcher "Wundertüten", sagte Müller. Es drohten enorme Folgekosten für die öffentlichen Haushalte.
Liane von Billerbeck: Wir sind jetzt in Zürich mit Leo Müller verbunden. Der Finanzautor hat sich als Rechercheur einen Namen gemacht. Von ihm ist im vorigen Jahr das Buch "Tatort Zürich" erschienen über die Machenschaften internationaler Finanzjongleure und er wird demnächst für die Zeitschrift "Kapital" schreiben. Guten Tag, Herr Müller!

Leo Müller: Guten Morgen, Frau Billerbeck!

Billerbeck: Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer, aber ab wann hätte man diese Krise sehen können, ab wann war Ihnen als Finanzmarktkenner klar, was da auf uns zurollt?

Müller: Na ja, es ist nicht immer die Frage, ob einem das wirklich klar ist. Aber diskutiert haben wir unter Finanzjournalisten schon vor einem Jahr. Ich erinnere mich, dass diese Diskussionen zum Teil sehr heftig waren, weil ich mit meinen Kollegen darüber gestritten habe, dass es mit diesen Hypothekargeschäften in den USA Folgen haben muss für den gesamten Finanzmarkt. Und der Streit ging darum, dass Kollegen gesagt haben, das Finanzsystem ist so stabil, so komplex aufgebaut und so groß und so robust, dass es das alles aushält, das verteilt sich irgendwie, dieses Risiko. Ich habe immer gesagt, nein, es verteilt sich nicht, es kann auch genauso gut, weil wir eben nicht genau wissen, wie dieses Finanzsystem in Wirklichkeit aufgebaut ist, es kann genauso gut dazu führen, dass es zu Dominoeffekten führt und zu großen Krisen. Und hier hat der schweizerische Nationalbankpräsident jetzt vor wenigen Tagen, der Jean-Pierre Roth, gesagt, die Krise hätte eigentlich schon vor einem Jahr passieren müssen, damit wir sie hätten besser auffangen können. Das kommt eigentlich viel zu spät.

Billerbeck: Als vor etwa drei Wochen hier in Deutschland die IKB-Bank ins trudeln kam, da wurde am Anfang, als da acht Milliarden reingepumpt werden mussten, der Vergleich zum Schwarzen Freitag 1929 gezogen. Stimmt dieser Vergleich? Gab es da Parallelen?

Müller: Der Schwarze Freitag hat ja eine wirklich globale große Wirtschaftskrise ausgelöst. Das ist natürlich etwas, was wir alle fürchten und was wir auch nicht hoffen, dass so etwas passiert. Aber es ist sehr interessant. An diesem Schwarzen Freitag ist die Krise ausgelöst worden – das ist heute wieder vergessen worden – nicht an der Börse, sondern mit Hypothekargeschäften. Es gab damals auch faule Kredite, sogar betrügerische, kriminelle Kredite, weil Betrüger in Florida zuhauf Grundstücke verkauft haben in den Sümpfen, die überhaupt nicht bebaubar waren. Und das wurde auf einmal ein großer Boom. Jeder kaufte Grundstücke in Florida, weil die enorme Preissteigerungen erfahren hatten. Und irgendwann platzte die Blase und hat dann auch die Börse erreicht.

Billerbeck: Aber der Vergleich zur Gegenwart, dass da also 10.000-fach, 100.000-fach Kredite an Menschen vergeben werden, die Häuser bauen wollten, die die gar nicht zurückzahlen konnten, dann der ganze Prozess, den wir gerade beschrieben haben – stimmt dieser Vergleich zur Gegenwart?

Müller: Diese Vergleiche stimmen natürlich nie korrekt und sehr exakt, weil jede Krise irgendwie sich anders entwickelt. Aber es ist wichtig, dass wir versuchen, das historisch zu verstehen. Und wenn man mit sehr erfahrenen Menschen im Bankenleben spricht, sagen wir mal mit 70-, 80- oder 90-jährigen Bankern, dann hörte man schon vor ein oder zwei Jahren zwei Problemfälle, die sie betonen und von denen sie sagen, dass sie nicht verstehen, wie sie mit Krisen umgehen können. Das waren einmal die Hedge-Fonds und zum zweiten die Hausmarktkrise oder Hausmarktprobleme in Amerika. Es ist einfach so, es sind Kredite in sehr hohen Mengen an Menschen ausgegeben worden, die keine Einkommen hatten und kein Vermögen hatten. Dann wurden diese Darlehen zusammengeschnürt in Paketen, so wie wir das kennen bei den Briefmarkenpäckchen, da kommen ein paar hübsche Briefmarken obendrauf, eine Folie drüber. Dann wurden diese Pakete als Wundertüten weitergereicht im System. Und irgendwann in diesem System haben natürlich am Ende die zugegriffen, die vielleicht nicht gemerkt haben oder nicht merken wollten, dass sie schon riechen, diese Wundertüten, dass sie schon anfangen zu stinken, weil dort schlicht und einfach nur faule Kredite drinstecken. Und jetzt haben wir Banken, wie die Landesbank Sachsen, die schlicht und einfach keine Kompetenz hat im Umgang mit diesen Dingen, und besitzt große Mengen von solchen Wundertüten und geht natürlich auf diese Art und Weise im Grunde genommen Pleite, wenn nicht andere helfen würden.

Billerbeck: Nun fragt man sich natürlich tief besorgt, Sie sagen, da gab es keine Kenntnis, aber warum wird so was nicht kontrolliert?

Müller: Es gab ein internes Kontrollsystem der Banken, das sind die Raitingagenturen. Das ist sozusagen ein selbstorganisiertes, privatwirtschaftliches Kontrollsystem der Banken. Diese Raitingagenturen, was haben sie gemacht? Sie haben auf diese Wundertüten ein Gütesiegel draufgeklebt, haben aber auch nicht genau hineingeschaut – offensichtlich, das merken wir jetzt. Mit diesem Gütesiegel sind die Pakete wertvoller geworden, habe eine Preissteigerung erfahren und sind dann von anderen gekauft worden, die gemeint haben, sie würden hier etwas völlig Korrektes und Gutes kaufen. Und niemand ist mehr hingegangen und hat sich angeschaut, was ist am Anfang investiert worden. Und das ist eine Grundregel im ganzen Wirtschaftsleben. Ich muss wissen, wenn ich mein Geld hernehme, in irgendetwas investiere, ob das Darlehenspakete sind oder was auch immer das ist, ich muss wissen, was das ist.

Billerbeck: Nun erleben wir ja derzeit, Herr Müller, dass Milliarden, also unglaublich viel Geld, in diese Banken gepumpt wird, um die Banken und damit also diese faulen Kredite abzusichern. Das Geld kommt ja aber nicht vom Himmel, es ist öffentliches Geld, mit dem die Banken stabilisiert werden. Also diese Risiken werden sozialisiert. Welche Konsequenzen wird das haben für die nationalen Haushalte, für uns alle also?

Müller: Das wird natürlich gravierende Konsequenzen haben. Wir dürfen uns als Bürger doch nicht dümmer stellen, als wir sind. Wenn wir hören, dass bei der Sachsen Landesbank, deren Garant ja am Ende wir Bürger mit unseren Steuergeldern sind, wenn diese Sachsenbank 17 Milliarden – das muss man verstehen, 17 Milliarden, das sind 2 Milliarden mehr als der Jahresetat des Landes Sachsen – wenn diese 17 Milliarden kritisch werden, also nicht nur jetzt kurzfristig gedeckt werden, sondern wenn man allmählich beginnt nachzurechnen und feststellt, der größte Teil dessen, was dort investiert worden ist, war faul – und wir wissen ja, dass sehr viele faule Kredite dahinterstecken – dann muss irgendwann dieses Geld auch bezahlt werden. Es wird am Ende jemand dort stehen und dafür bezahlen. Und das werden natürlich die Bürger dann sein bei den Sparkassen. Es ist sehr sträflich, dass Sparkassenorganisationen und Landesbanken in solchen Geschäften tätig sind, weil es nicht ihre Aufgabe ist und letztendlich weil sie auch nichts davon verstehen.

Billerbeck: Fragt sich natürlich, wie lässt sich eine solche Krise künftig verhindern, welche Mittel zum Gegensteuern gibt es abgesehen von Kompetenz bei Banken?

Müller: Als Allererstes, so weit sind wir noch gar nicht, als Allererstes müssen wir gründlich untersuchen, wissenschaftlich und gründlich und auch politisch untersuchen, zum Beispiel mit Untersuchungsausschüssen und so weiter, was ist hier passiert, wer hat wie gehandelt, wer hat kontrolliert, wie sind die Risiken untersucht worden und wie kann man das verbessern? Aber wenn wir das nicht ordentlich untersuchen, verstehen wir gar nicht, was passiert ist, und können wir auch keine anständigen Instrumente entwickeln, um das zu kontrollieren.

Billerbeck: Über die Folgen der Finanzkrise für die öffentlichen Haushalte sprachen wir mit dem Finanzautor und Reporter von "Kapital", mit Leo Müller. Danke nach Zürich!

Müller: Danke schön!
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