Schlimme Plünderungen
Es ist der 6. Mai 1527 - ein Tag, der das Abendland tief verstörte und an den sich Italien bis heute mit Grauen erinnert. Die 'Ewige Stadt' erlebte eine der schlimmsten Plünderungen der europäischen Geschichte - den Sacco di Roma. Er setzte den Schlusspunkt unter eine Ära, die von der Herrschaft der Päpste geprägt war. Kulturwissenschaftlich markiert er das Ende der Renaissance.
Dem Schweizer Historiker Volker Reinhardt gelingt in seinem jetzt in einer Hör-Version vorliegenden Buch "Blutiger Karneval" eine plastische Rekonstruktion dieses wohl wildesten Kapitels jener Zeit.
Nachdem die von Illusionen und Selbstherrlichkeit geprägte Diplomatie Papst Clemens VII. gescheitert ist, erstürmt ein Heer Karls V. die Mauern Roms, und fortan regiert am Tiber der Terror. Die meisten der kaiserlichen Söldner sind lutherisch geprägte Landsknechte, die im Papst den Antichristen sehen – eine verhängnisvolle Konstellation, bei der es um mehr geht als um einen Feldzug:
"Verwüstet wird schließlich nicht eine Allerweltsstadt, sondern Rom, die vermeintlich 'ewige Stadt', einst Herrin eines Imperiums, jetzt Sitz des Papstes, der sich als Herr der Christenheit, und zwar in geistlicher, kirchlicher und politischer Hinsicht versteht."
Ja, er glaubt sogar daran, an einem sakrosankten, das heißt, unantastbaren Ort zu leben, einem geschützten Refugium inmitten einer heillosen Welt als sicherem, da von Engeln und Aposteln verteidigtem Hort unwandelbarer Wahrheit im unruhigen Meer der Geschichte. Doch 1527 brechen alle Dämme. Und eine Sturmflut dieser Art kann niemand gewollt oder gar verursacht haben.
Reinhard beschreibt eine äußerst komplizierte Gemengelage, er zeichnet eine böse Geschichts-Groteske nach, in der die Beteiligten manchmal dumm und kurzsichtig, manchmal gemein, mal im besten Glauben und mal völlig hilflos agieren.
"Karl V., erwählter Kaiser des heiligen römischen Reiches Deutscher Nation und König von Spanien wusch schon gleich danach die Hände in Unschuld. Selbst der Anführer der Landsknechte, die zusammen mit den Spaniern den Großteil der Beute einheimsten, beteuerte, Dergleichen nie getan zu haben. Wie sollte er auch?
Lag der doch in Ferrara auf dem Krankenbett. Seine Truppen sind ohne ihn weiter gezogen und haben ohne seine Billigung geplündert. Der Feldherr, der sie schließlich befehligte, kann sich nicht mehr äußern, denn er ist am Tag der Erstürmung an einer Verwundung gestorben."
Und so formt sich aus einer Mischung aus Zufällen und einer Fülle von Fehlern eine politische Katastrophe.
"Europa zeigt sich zwischen Februar 1525 und Mai 1527 von seiner absurdesten Seite - Geschichte wie aus dem Tollhaus. Die Welt ist aus den Fugen geraten, ja, ein Narrenschiff."
Das Ereignis ist mehr als ein blutiger Zwischenfall, es hat umwälzenden Charakter:
"Der Sacco di Roma spiegelt, einem Geschichtsbeben gleich, die Umbrüche und Bruchstellen der Zeit, die Kluft zwischen der Weltsicht der Elite und den Mentalitäten des Volkes, die die kaiserliche Armee unlenkbar machte. Die Labilität des politischen Gefüges in Italien, die fremde Mächte anziehen musste, die Probleme frühmoderner Staaten, die durch erhöhte Steuern zur Rebellion der Untertanen und durch Beschneidung von Mitregierungsansprüchen zum Abfall der Großen führt, aber trotzdem die benötigten Geldmittel gewinnen, die Entwicklung des Renaissance-Papsttums, das Politik und vor allem Nepotismus zur Hauptsache macht, den Beginn des konfessionellen Zeitalters, in dem jede Kirche zur Vernichtung der anderen aufruft, die Allgegenwart eines Krieges, den man weder bezahlen noch eingrenzen kann, den Widerspruch zwischen den Beschwörungen christlicher Einheit und des Friedens, die mit nackter Staatsraison und vehementem Nationalismus kontrastieren. Und eine weitere abgrundtiefe Kluft tut sich auf, die zwischen dem maßlosen Geiz eines Papstes, der das rettende Lösegeld nicht hergibt, und den Folgen der vermeintlichen Einsparung."
Eine explosive Lage ist entstanden, und die dramatischen Ereignisse nehmen ihren Lauf:
"Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über die ewige Stadt gesenkt – dann lang anhaltende Trommelwirbel. Sie waren das Zeichen, dass jetzt die Stunde der Söldner schlug. Sechs Monate extremer Strapazen lagen hinter ihnen. Und jetzt gehörte ihnen die reichste Stadt der Welt. Sie mussten nur noch zugreifen. Das Signal zur Plünderung markierte zugleich die Abdankung der Führung. Befehle wurden von jetzt an nicht mehr befolgt. Die Urangst der Mächtigen war Wirklichkeit geworden. Der gemeine Mann hatte die Herrschaft ergriffen. Für ihn war ein Märchen angebrochen – Schlaraffenland auf Söldnerart.
In ihrer Nacht der Nächte leitete die neuen Herren kein Plan, sondern der reine Instinkt. Gruppenweise durchzogen sie die Straßen auf der Suche nach Beute. Ihre ersten Ziele waren die Paläste der Reichen. In ihnen musste das sagenhafte Gold dieses Eldorados zu finden sein. Wo Widerstand geleistet wurde, blieb niemand am Leben. Diese Regel hatten die Sieger vom Schlachtfeld in die Plünderungszone übertragen. Und sie wurde eisern eingehalten. Doch auch, wer auf jede Gegenwehr verzichtete, war seines Lebens nicht sicher. Eine missverstandene Handbewegung, ein falsch gedeuteter Schritt konnte tödliche Folgen haben.
Zum Hunger nach Gold kam die sexuelle Gewalt. Schreckensberichte von Massenvergewaltigungen in Nonnenklöstern und anderswo machten die Runde. Böse Überraschungen erlebten auch diejenigen, die sich durch gute Dienste für den Kaiser geschützt glaubten. Schutzbriefe waren das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Gunst und Protektion waren in dieser Stunde Null fast ganz erloschen."
Die Gewaltexzesse trafen die Bevölkerung bis ins Mark, sie zerstörten schlagartig sämtliche bisher gekannten inneren Gewissheiten:
"Die Grunderfahrung der Sacco-Opfer ist der Verlust allen Vertrauens in die bergenden Qualitäten dieser Welt. Am Anfang und Ende ihrer Weltsicht steht jetzt das Misstrauen - und damit eine vorher so nicht gekannte Fähigkeit zur Demaskierung. Der Schein hat seinen Einzug in die Deutung des Lebens gehalten. Nach der Plünderung ist nichts mehr so wie vorher - oder genauer, wie es vorher zu sein schien."
Und auch für die Kirche hatte der Sacco einschneidende Folgen:
"Mit Clemens VII. undurchführbar wurden die aus der Erfahrung des Sacco abgeleiteten Reformen unter dem anschließenden Pontifikat Paul III. allmählich umgesetzt, und zwar mit dem Kardinal Sadoletto an führender Stelle. Sein Konzept der Erneuerung konnte zum offiziellen Programm werden, weil es die Rolle und damit auch die Machtfülle des Papsttums unangetastet ließ.
Das Papsttum wie die Kirche konnten nur überleben, wenn sie sich durch bessere Bildung, höhere Sittlichkeit und Rückbesinnung auf ihre wahren Aufgaben erneuerten. Wenn der Sacco dazu beitrug, dann hatte die Bestialität der entfesselten Söldner trotz aller beklagenswerten Zerstörung einen Sinn – der Sacco als eine Chance für die Christenheit, zur wahren Christlichkeit zurückzufinden."
Wir blicken hier auf ein singuläres Ereignis und zugleich auf ein Haupt- und Lehrstück der europäischen Erinnerung. Laut Reinhardt bietet eine solche Analyse für die Gegenwart auch ...
"... die Mahnung zur Vorsicht. Gerade weil sich die Geschichte aus unzähligen kleinen Kausalitäten zusammensetzt, deren Konsequenzen niemand abschätzen kann, da niemand die Ziele, Pläne und Ängste aller Akteure überblickt, gerade weil Geschichte also nicht rational planbar ist, gilt für die Mächtigen das Gesetz der Selbstzügelung, der Selbstkontrolle, ja des Misstrauens in eigener Sache."
Hörbuch Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527 von Volker Reinhardt wird gelesen von Axel Thielmann,
erschienen ist es bei auditorium maximum, dem Hörbuchverlag der Wissenschaftlichen Buchgemeinschaft, Darmstadt.
Nachdem die von Illusionen und Selbstherrlichkeit geprägte Diplomatie Papst Clemens VII. gescheitert ist, erstürmt ein Heer Karls V. die Mauern Roms, und fortan regiert am Tiber der Terror. Die meisten der kaiserlichen Söldner sind lutherisch geprägte Landsknechte, die im Papst den Antichristen sehen – eine verhängnisvolle Konstellation, bei der es um mehr geht als um einen Feldzug:
"Verwüstet wird schließlich nicht eine Allerweltsstadt, sondern Rom, die vermeintlich 'ewige Stadt', einst Herrin eines Imperiums, jetzt Sitz des Papstes, der sich als Herr der Christenheit, und zwar in geistlicher, kirchlicher und politischer Hinsicht versteht."
Ja, er glaubt sogar daran, an einem sakrosankten, das heißt, unantastbaren Ort zu leben, einem geschützten Refugium inmitten einer heillosen Welt als sicherem, da von Engeln und Aposteln verteidigtem Hort unwandelbarer Wahrheit im unruhigen Meer der Geschichte. Doch 1527 brechen alle Dämme. Und eine Sturmflut dieser Art kann niemand gewollt oder gar verursacht haben.
Reinhard beschreibt eine äußerst komplizierte Gemengelage, er zeichnet eine böse Geschichts-Groteske nach, in der die Beteiligten manchmal dumm und kurzsichtig, manchmal gemein, mal im besten Glauben und mal völlig hilflos agieren.
"Karl V., erwählter Kaiser des heiligen römischen Reiches Deutscher Nation und König von Spanien wusch schon gleich danach die Hände in Unschuld. Selbst der Anführer der Landsknechte, die zusammen mit den Spaniern den Großteil der Beute einheimsten, beteuerte, Dergleichen nie getan zu haben. Wie sollte er auch?
Lag der doch in Ferrara auf dem Krankenbett. Seine Truppen sind ohne ihn weiter gezogen und haben ohne seine Billigung geplündert. Der Feldherr, der sie schließlich befehligte, kann sich nicht mehr äußern, denn er ist am Tag der Erstürmung an einer Verwundung gestorben."
Und so formt sich aus einer Mischung aus Zufällen und einer Fülle von Fehlern eine politische Katastrophe.
"Europa zeigt sich zwischen Februar 1525 und Mai 1527 von seiner absurdesten Seite - Geschichte wie aus dem Tollhaus. Die Welt ist aus den Fugen geraten, ja, ein Narrenschiff."
Das Ereignis ist mehr als ein blutiger Zwischenfall, es hat umwälzenden Charakter:
"Der Sacco di Roma spiegelt, einem Geschichtsbeben gleich, die Umbrüche und Bruchstellen der Zeit, die Kluft zwischen der Weltsicht der Elite und den Mentalitäten des Volkes, die die kaiserliche Armee unlenkbar machte. Die Labilität des politischen Gefüges in Italien, die fremde Mächte anziehen musste, die Probleme frühmoderner Staaten, die durch erhöhte Steuern zur Rebellion der Untertanen und durch Beschneidung von Mitregierungsansprüchen zum Abfall der Großen führt, aber trotzdem die benötigten Geldmittel gewinnen, die Entwicklung des Renaissance-Papsttums, das Politik und vor allem Nepotismus zur Hauptsache macht, den Beginn des konfessionellen Zeitalters, in dem jede Kirche zur Vernichtung der anderen aufruft, die Allgegenwart eines Krieges, den man weder bezahlen noch eingrenzen kann, den Widerspruch zwischen den Beschwörungen christlicher Einheit und des Friedens, die mit nackter Staatsraison und vehementem Nationalismus kontrastieren. Und eine weitere abgrundtiefe Kluft tut sich auf, die zwischen dem maßlosen Geiz eines Papstes, der das rettende Lösegeld nicht hergibt, und den Folgen der vermeintlichen Einsparung."
Eine explosive Lage ist entstanden, und die dramatischen Ereignisse nehmen ihren Lauf:
"Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über die ewige Stadt gesenkt – dann lang anhaltende Trommelwirbel. Sie waren das Zeichen, dass jetzt die Stunde der Söldner schlug. Sechs Monate extremer Strapazen lagen hinter ihnen. Und jetzt gehörte ihnen die reichste Stadt der Welt. Sie mussten nur noch zugreifen. Das Signal zur Plünderung markierte zugleich die Abdankung der Führung. Befehle wurden von jetzt an nicht mehr befolgt. Die Urangst der Mächtigen war Wirklichkeit geworden. Der gemeine Mann hatte die Herrschaft ergriffen. Für ihn war ein Märchen angebrochen – Schlaraffenland auf Söldnerart.
In ihrer Nacht der Nächte leitete die neuen Herren kein Plan, sondern der reine Instinkt. Gruppenweise durchzogen sie die Straßen auf der Suche nach Beute. Ihre ersten Ziele waren die Paläste der Reichen. In ihnen musste das sagenhafte Gold dieses Eldorados zu finden sein. Wo Widerstand geleistet wurde, blieb niemand am Leben. Diese Regel hatten die Sieger vom Schlachtfeld in die Plünderungszone übertragen. Und sie wurde eisern eingehalten. Doch auch, wer auf jede Gegenwehr verzichtete, war seines Lebens nicht sicher. Eine missverstandene Handbewegung, ein falsch gedeuteter Schritt konnte tödliche Folgen haben.
Zum Hunger nach Gold kam die sexuelle Gewalt. Schreckensberichte von Massenvergewaltigungen in Nonnenklöstern und anderswo machten die Runde. Böse Überraschungen erlebten auch diejenigen, die sich durch gute Dienste für den Kaiser geschützt glaubten. Schutzbriefe waren das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Gunst und Protektion waren in dieser Stunde Null fast ganz erloschen."
Die Gewaltexzesse trafen die Bevölkerung bis ins Mark, sie zerstörten schlagartig sämtliche bisher gekannten inneren Gewissheiten:
"Die Grunderfahrung der Sacco-Opfer ist der Verlust allen Vertrauens in die bergenden Qualitäten dieser Welt. Am Anfang und Ende ihrer Weltsicht steht jetzt das Misstrauen - und damit eine vorher so nicht gekannte Fähigkeit zur Demaskierung. Der Schein hat seinen Einzug in die Deutung des Lebens gehalten. Nach der Plünderung ist nichts mehr so wie vorher - oder genauer, wie es vorher zu sein schien."
Und auch für die Kirche hatte der Sacco einschneidende Folgen:
"Mit Clemens VII. undurchführbar wurden die aus der Erfahrung des Sacco abgeleiteten Reformen unter dem anschließenden Pontifikat Paul III. allmählich umgesetzt, und zwar mit dem Kardinal Sadoletto an führender Stelle. Sein Konzept der Erneuerung konnte zum offiziellen Programm werden, weil es die Rolle und damit auch die Machtfülle des Papsttums unangetastet ließ.
Das Papsttum wie die Kirche konnten nur überleben, wenn sie sich durch bessere Bildung, höhere Sittlichkeit und Rückbesinnung auf ihre wahren Aufgaben erneuerten. Wenn der Sacco dazu beitrug, dann hatte die Bestialität der entfesselten Söldner trotz aller beklagenswerten Zerstörung einen Sinn – der Sacco als eine Chance für die Christenheit, zur wahren Christlichkeit zurückzufinden."
Wir blicken hier auf ein singuläres Ereignis und zugleich auf ein Haupt- und Lehrstück der europäischen Erinnerung. Laut Reinhardt bietet eine solche Analyse für die Gegenwart auch ...
"... die Mahnung zur Vorsicht. Gerade weil sich die Geschichte aus unzähligen kleinen Kausalitäten zusammensetzt, deren Konsequenzen niemand abschätzen kann, da niemand die Ziele, Pläne und Ängste aller Akteure überblickt, gerade weil Geschichte also nicht rational planbar ist, gilt für die Mächtigen das Gesetz der Selbstzügelung, der Selbstkontrolle, ja des Misstrauens in eigener Sache."
Hörbuch Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527 von Volker Reinhardt wird gelesen von Axel Thielmann,
erschienen ist es bei auditorium maximum, dem Hörbuchverlag der Wissenschaftlichen Buchgemeinschaft, Darmstadt.