Schlimmer als saurer Regen
Die Kurische Nehrung an der litauischen Ostsee ist ein einzigartiges Naturschutzgebiet: berühmt für die Wanderdünen und die dort lebenden Kormorane. Was die Vogelfreunde freut, sorgt die Naturschützer. Denn jeder Baum, den die Vögel bewohnen, stirbt über kurz oder lang.
Als hätte jemand einen langen schmalen Sandhaufen im Meer aufgeschüttet, ziemlich nah an der Küste - so liegt die Kurische Nehrung in der Ostsee. Am russischen Zipfel mit dem Kaliningrader, früher Königsberger, Gebiet verbunden, diente sie zu preußischen Zeiten von ein paar Fischerdörfern abgesehen nur als Postweg.
Einer, der die Postillione zur Verzweiflung trieb, präzisiert die litauische Historikerin Nijole Strakauskeite:
"Die Räder der Postkutsche waren halb im Wasser, halb im Sand, dazu pfiff den Boten ununterbrochen der Wind um die Ohren, dass sie davon halb verrückt wurden."
Derart schinden muss sich heute niemand mehr, nicht Mensch, nicht Tier. Letztere leben hier im Paradies, seitdem die Kurische Nehrung Naturschutzgebiet ist.
Aushra Feser: "Wissen Sie, die Menschen haben hier wirklich nicht so viel zu sagen."
Sagt ausgerechnet die oberste Wächterin des Naturschutzgebietes und wer Bedauern in ihrer Stimme raushört, liegt goldrichtig.
Aushra Feser, studierte Geografin, steht auf einer Plattform inmitten eines Waldstücks, das trostloser kaum aussehen könnte: abgestorbene, mit blaugrauer Masse überzogene Bäume, die kaum noch Äste haben. Das zerstörerische Werk derer, die hier besonders geschützt werden sollten: der Kormorane.
"Die Kormorane nisten ganz hoch oben in den Bäumen, deswegen ist diese Stelle für sie absolut optimal. Das Haff ist total flach, nur drei bis vier Meter tief. Der Kormoran kann bis zu zehn Meter tief tauchen. Deswegen kann er im Haff jede Ecke erreichen, jeden Fisch."
Das Haff, also das Gewässer zwischen der Halbinsel und der Küste, gehörte früher Fischreihern und Kormoranen gemeinsam, heute nur noch letzteren:
"Diese Population hier gab es seit Ewigkeiten. Einige Hundert Familien wurden gezählt. Es waren zwei Drittel Kormorane und ein Drittel Fischreiher. Schöne, hübsche, elegante Vögel. Die Kormorane haben sich explosionsartig vermehrt. Die Population steht unter Naturschutz. Niemand darf sie töten, und so haben die Kormorane die Fischreiher verdrängt. Heute gibt es hier mehr als 3000 Familien. Familien! In jeder Familie sind zwei Jungvögel, mindestens."
Jeder Kormoran vertilgt, bis er ausgewachsen ist, 80 Kilogramm Fisch, den er im Haff fängt, auf dem Weg zum Nest frisst und dann verdaut, auf einem Baum. Am liebsten auf starken großen Urwaldkiefern.
"Und der Baum ist irgendwann tot, weil der Kot den Baum vergiftet. Dann steht er kahl, ohne Äste. Zuerst fallen die Äste runter und dann fällt der Baum. Und dann braucht der Kormoran ein neues Zuhause. Katastrophe, schrecklich! Diese schönen Kiefern "
Einer, der die Postillione zur Verzweiflung trieb, präzisiert die litauische Historikerin Nijole Strakauskeite:
"Die Räder der Postkutsche waren halb im Wasser, halb im Sand, dazu pfiff den Boten ununterbrochen der Wind um die Ohren, dass sie davon halb verrückt wurden."
Derart schinden muss sich heute niemand mehr, nicht Mensch, nicht Tier. Letztere leben hier im Paradies, seitdem die Kurische Nehrung Naturschutzgebiet ist.
Aushra Feser: "Wissen Sie, die Menschen haben hier wirklich nicht so viel zu sagen."
Sagt ausgerechnet die oberste Wächterin des Naturschutzgebietes und wer Bedauern in ihrer Stimme raushört, liegt goldrichtig.
Aushra Feser, studierte Geografin, steht auf einer Plattform inmitten eines Waldstücks, das trostloser kaum aussehen könnte: abgestorbene, mit blaugrauer Masse überzogene Bäume, die kaum noch Äste haben. Das zerstörerische Werk derer, die hier besonders geschützt werden sollten: der Kormorane.
"Die Kormorane nisten ganz hoch oben in den Bäumen, deswegen ist diese Stelle für sie absolut optimal. Das Haff ist total flach, nur drei bis vier Meter tief. Der Kormoran kann bis zu zehn Meter tief tauchen. Deswegen kann er im Haff jede Ecke erreichen, jeden Fisch."
Das Haff, also das Gewässer zwischen der Halbinsel und der Küste, gehörte früher Fischreihern und Kormoranen gemeinsam, heute nur noch letzteren:
"Diese Population hier gab es seit Ewigkeiten. Einige Hundert Familien wurden gezählt. Es waren zwei Drittel Kormorane und ein Drittel Fischreiher. Schöne, hübsche, elegante Vögel. Die Kormorane haben sich explosionsartig vermehrt. Die Population steht unter Naturschutz. Niemand darf sie töten, und so haben die Kormorane die Fischreiher verdrängt. Heute gibt es hier mehr als 3000 Familien. Familien! In jeder Familie sind zwei Jungvögel, mindestens."
Jeder Kormoran vertilgt, bis er ausgewachsen ist, 80 Kilogramm Fisch, den er im Haff fängt, auf dem Weg zum Nest frisst und dann verdaut, auf einem Baum. Am liebsten auf starken großen Urwaldkiefern.
"Und der Baum ist irgendwann tot, weil der Kot den Baum vergiftet. Dann steht er kahl, ohne Äste. Zuerst fallen die Äste runter und dann fällt der Baum. Und dann braucht der Kormoran ein neues Zuhause. Katastrophe, schrecklich! Diese schönen Kiefern "
Fische fallen vom Himmel
Dass ausgerechnet die Chef-Naturschützerin Kormorane nicht besonders mag, dass sie froh ist, wenn sie im Herbst Richtung Iran fliegen, liegt vor allem an deren Überzahl. Kormorane und das, was sie hinten und manchmal auch vorn ausscheiden, wohin sie schaut:
"Ich war hier mit einer Wandergruppe unterwegs, plötzlich gehe ich und plötzlich fällt mir etwas Schweres direkt vor die Füße. Ich wurde bespritzt und da war ein etwa 30 Zentimeter langer Zander. Und wenn er fliegt von 30 Meter Höhe, dann ist er wie ein Stein. Wenn man den auf den Kopf bekommt, dann wird einem schwindelig. Also bei uns gibt es Plätze, wo die Fische vom Himmel fallen. Wenn sich die Kormorane erschrecken, dann spucken sie Fische aus und die sehen nicht besonders appetitlich aus. Hier gibt es Populationen von Füchsen. Wenn die Hunger haben, schreien sie, erschrecken damit die Kormorane, die spucken den Fisch aus und den fressen die Füchse."
Kormorane stehen auf der Kurischen Nehrung zwar nicht mehr unter Naturschutz, doch einfach töten darf sie auch niemand. Deswegen werden die brütenden Vögel im Frühjahr für mindestens 20 Minuten von ihren Nestern vertrieben:
"Und dann erfrieren die Eier und sie brüten sie nicht mehr."
Neben Kormoranen und Füchsen bevölkern Graureiher, Bunt-, Grau- und Schwarzspechte, Drosseln und Grasmücken, Wildschweine, Hirsche und sogar Elche die Kurische Nehrung. Insgesamt streifen durch die vor bis zu 300 Jahre alten Wälder aus Kiefern, Bergkiefern und Erlen 60 Elchkühe und -bullen. Eine stattliche Anzahl für das vergleichsweise kleine Gebiet. Eine Elchkuh war eine echte Berühmtheit:
"Es war eine Elchkuh in dem Dorf Smiltyne, die wurde "Mejle", "Liebe" genannt. Die kam immer auf den Hof, die war wie ein Haustier." Ich habe viele gesehen, Das schönste war, wie ein Elch eine Düne hochgeklettert ist, ich habe gesehen, wie ein Elch hoch auf eine Düne kommt. Das war ein Bild!"
Jedes Jahr dürfen acht Elche geschossen werden. Durch Autounfälle sind in diesem Sommer allerdings schon zwei getötet worden. Als jemand vor wenigen Jahren auf die Idee kam, die Elche zu schonen, traten die Jäger in einen Generalstreik und zogen sich von der Kurischen Nehrung samt und sonders zurück.
Die Folge war eine Wildschweinplage. Anhand der Kotspuren im Wald wurde festgestellt, dass mindestens 160 Tiere zu viel waren. Sie wurden zur Jagd freigegeben. Erst recht, nachdem die Wildschweine so gut wie jede grüne Freifläche umgepflügt hatten, die es auf der Halbinsel gab. Auch den Fußballplatz der Schule. Seitdem sind die meisten Anlagen eingezäunt.
Nur die Historikerin Nijole Strakauskeite freute sich:
"Ich habe einen interessanten Fund bei mir am Haus gemacht. Nach einer Wildschwein-Invasion. Sie haben meinen ganzen Garten umgepflügt, aber dabei diese Blechmarke zu Tage gefördert. Eine Arbeitsmarke von der 16. Königlichen Bernstein-Werkstatt. Die trugen die Arbeiter an der Kleidung, wie einen Dienstausweis, das war üblich um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert."
Manches allerdings ist für immer verschüttet.
"Ich war hier mit einer Wandergruppe unterwegs, plötzlich gehe ich und plötzlich fällt mir etwas Schweres direkt vor die Füße. Ich wurde bespritzt und da war ein etwa 30 Zentimeter langer Zander. Und wenn er fliegt von 30 Meter Höhe, dann ist er wie ein Stein. Wenn man den auf den Kopf bekommt, dann wird einem schwindelig. Also bei uns gibt es Plätze, wo die Fische vom Himmel fallen. Wenn sich die Kormorane erschrecken, dann spucken sie Fische aus und die sehen nicht besonders appetitlich aus. Hier gibt es Populationen von Füchsen. Wenn die Hunger haben, schreien sie, erschrecken damit die Kormorane, die spucken den Fisch aus und den fressen die Füchse."
Kormorane stehen auf der Kurischen Nehrung zwar nicht mehr unter Naturschutz, doch einfach töten darf sie auch niemand. Deswegen werden die brütenden Vögel im Frühjahr für mindestens 20 Minuten von ihren Nestern vertrieben:
"Und dann erfrieren die Eier und sie brüten sie nicht mehr."
Neben Kormoranen und Füchsen bevölkern Graureiher, Bunt-, Grau- und Schwarzspechte, Drosseln und Grasmücken, Wildschweine, Hirsche und sogar Elche die Kurische Nehrung. Insgesamt streifen durch die vor bis zu 300 Jahre alten Wälder aus Kiefern, Bergkiefern und Erlen 60 Elchkühe und -bullen. Eine stattliche Anzahl für das vergleichsweise kleine Gebiet. Eine Elchkuh war eine echte Berühmtheit:
"Es war eine Elchkuh in dem Dorf Smiltyne, die wurde "Mejle", "Liebe" genannt. Die kam immer auf den Hof, die war wie ein Haustier." Ich habe viele gesehen, Das schönste war, wie ein Elch eine Düne hochgeklettert ist, ich habe gesehen, wie ein Elch hoch auf eine Düne kommt. Das war ein Bild!"
Jedes Jahr dürfen acht Elche geschossen werden. Durch Autounfälle sind in diesem Sommer allerdings schon zwei getötet worden. Als jemand vor wenigen Jahren auf die Idee kam, die Elche zu schonen, traten die Jäger in einen Generalstreik und zogen sich von der Kurischen Nehrung samt und sonders zurück.
Die Folge war eine Wildschweinplage. Anhand der Kotspuren im Wald wurde festgestellt, dass mindestens 160 Tiere zu viel waren. Sie wurden zur Jagd freigegeben. Erst recht, nachdem die Wildschweine so gut wie jede grüne Freifläche umgepflügt hatten, die es auf der Halbinsel gab. Auch den Fußballplatz der Schule. Seitdem sind die meisten Anlagen eingezäunt.
Nur die Historikerin Nijole Strakauskeite freute sich:
"Ich habe einen interessanten Fund bei mir am Haus gemacht. Nach einer Wildschwein-Invasion. Sie haben meinen ganzen Garten umgepflügt, aber dabei diese Blechmarke zu Tage gefördert. Eine Arbeitsmarke von der 16. Königlichen Bernstein-Werkstatt. Die trugen die Arbeiter an der Kleidung, wie einen Dienstausweis, das war üblich um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert."
Manches allerdings ist für immer verschüttet.
Düne auf Wanderschaft
Oben auf der 60 Meter hohen Düne, die aussieht wie eine Mondlandschaft, weist die oberste Naturschützerin Aushra Feser mal in die eine, dann in die andere Richtung. Zu sehen ist jeweils: Sand.
Aushra Feser: "Das sind die versunkenen Dörfer, die die Düne begraben hat. Die Düne kam immer näher. Solange kein Wind ist, bleibt alles ruhig, da ist es sogar schön, eine Düne neben dem Haus zu haben. Und dann kommt der Sturm, der Garten wird zugeweht. Den kann man freischaufeln und weiterleben. Dann kommt noch ein Sturm und der Fischer kann die Tür nicht mehr aufmachen. Dann nimmt er die Säge, sägt seine Tür auf, springt raus und guckt: Soll er sich nur freischaufeln oder soll er alles auseinanderbauen und woanders wiederaufbauen. Diese Dörfer waren klein. Dieses Nidden ist Nummer drei."
Schon dreimal in seiner Geschichte wurde das Dorf Nidden neu errichtet.
Wer die Kurische Nehrung erhalten möchte, und daran sind Einheimische wie Touristen interessiert, unterschreibt zugleich das Todesurteil für die Wanderdüne. Die gesamte Kurische Nehrung ist eine Düne. Und es liegt in der Natur der Sache, dass eine Wanderdüne, die aus nichts als aus Sand besteht, vom Wind fortgetragen und woanders aufgeschüttet werden kann. Was unablässig geschieht, einen Meter pro Jahr wandert der Sand auf die Ostsee zu.
Wer diesen Vorgang aufhalten will, muss die Düne bepflanzen. Das geschah im 18. und im großen Stil Ende des 19. Jahrhunderts und aus den Dünen wurde ein Wald. Fällt man aber die Bäume, was die Menschen vor allem im 16. Jahrhundert taten, um Holz zu gewinnen, wird aus dem Wald wieder eine Düne.
Die Touristen sollen beides geboten bekommen, die Düne und den Wald. Im Moment allerdings ist vor lauter Bäumen die Düne nicht mehr zu sehen und auch nicht das Haff.
"Das, was hier so heilig ist, können wir nicht sehen, das Haff. Jetzt gibt es schon zuviel Wald. Jetzt demnächst werden wir die Wälder reduzieren und nicht mehr so dicht machen, damit diese Düne zu sehen ist."
Auf die Hilfe der Kormorane können die Förster dabei allerdings verzichten. Aushra Feser, die sich als Geografin mit Leib und Seele versteht, fände es am besten, wenn sich die Natur selbst überlassen bliebe und so wieder eine Dünenlandschaft entstehen könnte. Doch das wäre das Ende des Tourismus und der Besiedlung der Kurischen Nehrung:
"Der Westwind hat die Kurische Nehrung geschaffen, derselbe Westwind macht jetzt die Kurische Nehrung kaputt. Mit dem Pflanzen der Wälder haben wir das Todesurteil für die Düne gefällt. Die Düne hat zwei Möglichkeiten zu sterben: Entweder wächst sie zu oder sie wird ins Haff getragen. Anders geht es nicht."
Aushra Feser: "Das sind die versunkenen Dörfer, die die Düne begraben hat. Die Düne kam immer näher. Solange kein Wind ist, bleibt alles ruhig, da ist es sogar schön, eine Düne neben dem Haus zu haben. Und dann kommt der Sturm, der Garten wird zugeweht. Den kann man freischaufeln und weiterleben. Dann kommt noch ein Sturm und der Fischer kann die Tür nicht mehr aufmachen. Dann nimmt er die Säge, sägt seine Tür auf, springt raus und guckt: Soll er sich nur freischaufeln oder soll er alles auseinanderbauen und woanders wiederaufbauen. Diese Dörfer waren klein. Dieses Nidden ist Nummer drei."
Schon dreimal in seiner Geschichte wurde das Dorf Nidden neu errichtet.
Wer die Kurische Nehrung erhalten möchte, und daran sind Einheimische wie Touristen interessiert, unterschreibt zugleich das Todesurteil für die Wanderdüne. Die gesamte Kurische Nehrung ist eine Düne. Und es liegt in der Natur der Sache, dass eine Wanderdüne, die aus nichts als aus Sand besteht, vom Wind fortgetragen und woanders aufgeschüttet werden kann. Was unablässig geschieht, einen Meter pro Jahr wandert der Sand auf die Ostsee zu.
Wer diesen Vorgang aufhalten will, muss die Düne bepflanzen. Das geschah im 18. und im großen Stil Ende des 19. Jahrhunderts und aus den Dünen wurde ein Wald. Fällt man aber die Bäume, was die Menschen vor allem im 16. Jahrhundert taten, um Holz zu gewinnen, wird aus dem Wald wieder eine Düne.
Die Touristen sollen beides geboten bekommen, die Düne und den Wald. Im Moment allerdings ist vor lauter Bäumen die Düne nicht mehr zu sehen und auch nicht das Haff.
"Das, was hier so heilig ist, können wir nicht sehen, das Haff. Jetzt gibt es schon zuviel Wald. Jetzt demnächst werden wir die Wälder reduzieren und nicht mehr so dicht machen, damit diese Düne zu sehen ist."
Auf die Hilfe der Kormorane können die Förster dabei allerdings verzichten. Aushra Feser, die sich als Geografin mit Leib und Seele versteht, fände es am besten, wenn sich die Natur selbst überlassen bliebe und so wieder eine Dünenlandschaft entstehen könnte. Doch das wäre das Ende des Tourismus und der Besiedlung der Kurischen Nehrung:
"Der Westwind hat die Kurische Nehrung geschaffen, derselbe Westwind macht jetzt die Kurische Nehrung kaputt. Mit dem Pflanzen der Wälder haben wir das Todesurteil für die Düne gefällt. Die Düne hat zwei Möglichkeiten zu sterben: Entweder wächst sie zu oder sie wird ins Haff getragen. Anders geht es nicht."
Eine Hälfte litauisch, die andere russisch
Wer auf die Kurische Nehrung möchte, muss auf eine umständliche Anfahrt gefasst sein. Die Halbinsel, die das Haff von der Ostsee trennt, ist zur einen Hälfte russisches, zur anderen litauisches Territorium. Für den Transit durch das Kaliningrader, das russische Gebiet, ist für EU-Bürger ein Visum nötig. Von hier aus erreicht man die Nehrung auf dem Landweg. Für die Reise auf den litauischen Teil muss eine Fähre genommen werden. Allen Überlegungen, die Fähren durch eine Brücke zu ersetzen, wurde eine Abfuhr erteilt, aus Sorge, dass die Halbinsel vom Massentourismus überrannt werden könnte.
Sandra Vaisvilaite: "Wir wollen diejenigen hier haben, die verstehen, was das ist: Natur, Ruhe. Ruhe kann man nicht mitnehmen, nur hier genießen. Das ist das, weswegen die Leute kommen. Es gibt Stillezonen, wo keine Musik gemacht werden darf. Die, die nachts Musik machen, müssen soweit isoliert werden, dass sie die anderen nicht stören. In vielen Orten ist es bei uns Mode, das Auto zu öffnen und dann dröhnt die Musik: Tuff, tuff, tuff. Hier ist das absolut selten. Hierher kommen andere Menschen, die mögen keinen Lärm. Und diejenigen, die ihn vielleicht mögen, wagen nicht, ihn zu machen."
Können die Einheimischen die Lärm-Vorschriften noch ohne großes Murren akzeptieren, sehen sie das Bauverbot äußerst kritisch. Denn es mangelt an Wohnraum. Die Pressesprecherin der örtlichen Verwaltung hat selber erlebt, wie schwer es ist, als einfache Angestellte eine Wohnung finden. Sandra Vaisvilaite, noch keine 30 Jahre alt, war drei Jahre lang jeden Tag 60 Kilometer plus Fähre zwischen Arbeit und Wohnung unterwegs.
Sie wohnte auf dem Festland, in Klaipeda, wo die Mieten, anders als auf der Nehrung, für Durchschnittsverdiener noch bezahlbar sind. Das vertreibt junge Familien von der Nehrung und lässt Hochqualifizierte zögern zu kommen:
"Im Winter ist es einfach, eine gute Wohnung zu finden, aber im Sommer sind die Preise so hoch, das man aus dem Winterquartier raus muss. Das heißt, dass ich zwei Mal im Jahr umziehe. Die Einheimischen machen das genau so, sie vermieten ihre Wohnungen an die Touristen."
Sandra Vaisvilaite: "Wir wollen diejenigen hier haben, die verstehen, was das ist: Natur, Ruhe. Ruhe kann man nicht mitnehmen, nur hier genießen. Das ist das, weswegen die Leute kommen. Es gibt Stillezonen, wo keine Musik gemacht werden darf. Die, die nachts Musik machen, müssen soweit isoliert werden, dass sie die anderen nicht stören. In vielen Orten ist es bei uns Mode, das Auto zu öffnen und dann dröhnt die Musik: Tuff, tuff, tuff. Hier ist das absolut selten. Hierher kommen andere Menschen, die mögen keinen Lärm. Und diejenigen, die ihn vielleicht mögen, wagen nicht, ihn zu machen."
Können die Einheimischen die Lärm-Vorschriften noch ohne großes Murren akzeptieren, sehen sie das Bauverbot äußerst kritisch. Denn es mangelt an Wohnraum. Die Pressesprecherin der örtlichen Verwaltung hat selber erlebt, wie schwer es ist, als einfache Angestellte eine Wohnung finden. Sandra Vaisvilaite, noch keine 30 Jahre alt, war drei Jahre lang jeden Tag 60 Kilometer plus Fähre zwischen Arbeit und Wohnung unterwegs.
Sie wohnte auf dem Festland, in Klaipeda, wo die Mieten, anders als auf der Nehrung, für Durchschnittsverdiener noch bezahlbar sind. Das vertreibt junge Familien von der Nehrung und lässt Hochqualifizierte zögern zu kommen:
"Im Winter ist es einfach, eine gute Wohnung zu finden, aber im Sommer sind die Preise so hoch, das man aus dem Winterquartier raus muss. Das heißt, dass ich zwei Mal im Jahr umziehe. Die Einheimischen machen das genau so, sie vermieten ihre Wohnungen an die Touristen."
Baustopp auf der Nehrung
Die Verwaltung hält dennoch am Baustopp fest. Nur im Ausnahmefall wird eine Genehmigung erteilt, wie für das neue Internat des Marinegymnasiums. Neue Hotels oder Restaurants? Fehlanzeige. Lediglich bereits Vorhandene dürfen modernisiert und erhalten werden.
Aushra Feser verteidigt diese Strategie:
"Es gibt Druck, weil andere Badeorte wie Palanga viel bauen. Bei unseren Bewohnern kommt so ein Gefühl: Wir sind stehengeblieben. Sie verstehen nicht, dass diese schöne Natur und viel Ruhe bestimmte Leute locken. Wir brauchen nicht jeden."
In der früheren Sowjetunion verschwendete kaum jemand einen Gedanken an Umweltschutz. Es galt das Motto: Unser Land ist groß und weit. Und wenn uns ein Platz nicht mehr gefällt, weil wir ihn verschmutzt haben, suchen wir uns eben einen neuen. Inzwischen denken, vor allem verhalten sich die meisten anders, wenn auch nicht alle:
"Wir machen immer Frühjahrsputz an den wilden Stränden. Vor etwa fünf, sechs Jahren brauchten wir Traktoren, jetzt fällt viel weniger an."
Auf der Kurischen Nehrung, so sind die Bewohner überzeugt, begann vielleicht nicht die Umwelt- aber ganz sicher die litauische Freiheitsbewegung, der Aufstand gegen die Sowjetherrschaft.
Noch genauer: im Thomas-Mann-Haus. Dessen langjährige Leiterin und Chefin des gleichnamigen Kulturzentrums, Ruth Leiserowitz erklärt, wie alles anfing:
"Nachmittags saß man auf der Terrasse, fernab von den Überwachungsmechanismen des KGB und redete über Themen, über die man in den Hauptstädten der Sowjetrepubliken nicht reden konnte."
Vytautas Kernagis gab der Freiheitsbewegung seine Stimme, heute erinnert an der Uferpromenade ein Denkmal an den Sänger, Gitaristen und Kabarettisten. Die Litauer kämpften um ihre Unabhängigkeit. Die Freiheiten, die Michail Gorbatschow zugestand, genügten ihnen nicht.
Aushra Feser meint aber, dass das Regime heute in mancher Hinsicht strenger ist als zu Sowjetzeiten:
"Das Schlimmste aber war diese Wandlung. Während der sowjetischen Zeit hat niemand über den Schutz des Gebietes geredet und plötzlich gab es nur noch Verbote: Da darf man nicht gehen, das darf man nicht machen. Die Aufklärung hat gefehlt."
Wer auf die Kurische Nehrung kommt, darf sich jetzt nur auf ausgewiesenen Wegen bewegen. Dennoch kann sich wohl kaum jemand in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlen, denn die Halbinsel ist fast 100 Kilometer lang und mehrere hundert Meter breit.
Vorschriften hin oder her, sie sind kein Vergleich zu früher. Zu Sowjetzeiten konnten die Menschen nicht entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollten. Heute kommen sie freiwillig, ins EU-Land Litauen, denn soviel Wasser, Sand, Natur verspricht vor allem eins: Ruhe, sogar die Vögel halten manchmal die Schnäbel.
Aushra Feser verteidigt diese Strategie:
"Es gibt Druck, weil andere Badeorte wie Palanga viel bauen. Bei unseren Bewohnern kommt so ein Gefühl: Wir sind stehengeblieben. Sie verstehen nicht, dass diese schöne Natur und viel Ruhe bestimmte Leute locken. Wir brauchen nicht jeden."
In der früheren Sowjetunion verschwendete kaum jemand einen Gedanken an Umweltschutz. Es galt das Motto: Unser Land ist groß und weit. Und wenn uns ein Platz nicht mehr gefällt, weil wir ihn verschmutzt haben, suchen wir uns eben einen neuen. Inzwischen denken, vor allem verhalten sich die meisten anders, wenn auch nicht alle:
"Wir machen immer Frühjahrsputz an den wilden Stränden. Vor etwa fünf, sechs Jahren brauchten wir Traktoren, jetzt fällt viel weniger an."
Auf der Kurischen Nehrung, so sind die Bewohner überzeugt, begann vielleicht nicht die Umwelt- aber ganz sicher die litauische Freiheitsbewegung, der Aufstand gegen die Sowjetherrschaft.
Noch genauer: im Thomas-Mann-Haus. Dessen langjährige Leiterin und Chefin des gleichnamigen Kulturzentrums, Ruth Leiserowitz erklärt, wie alles anfing:
"Nachmittags saß man auf der Terrasse, fernab von den Überwachungsmechanismen des KGB und redete über Themen, über die man in den Hauptstädten der Sowjetrepubliken nicht reden konnte."
Vytautas Kernagis gab der Freiheitsbewegung seine Stimme, heute erinnert an der Uferpromenade ein Denkmal an den Sänger, Gitaristen und Kabarettisten. Die Litauer kämpften um ihre Unabhängigkeit. Die Freiheiten, die Michail Gorbatschow zugestand, genügten ihnen nicht.
Aushra Feser meint aber, dass das Regime heute in mancher Hinsicht strenger ist als zu Sowjetzeiten:
"Das Schlimmste aber war diese Wandlung. Während der sowjetischen Zeit hat niemand über den Schutz des Gebietes geredet und plötzlich gab es nur noch Verbote: Da darf man nicht gehen, das darf man nicht machen. Die Aufklärung hat gefehlt."
Wer auf die Kurische Nehrung kommt, darf sich jetzt nur auf ausgewiesenen Wegen bewegen. Dennoch kann sich wohl kaum jemand in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlen, denn die Halbinsel ist fast 100 Kilometer lang und mehrere hundert Meter breit.
Vorschriften hin oder her, sie sind kein Vergleich zu früher. Zu Sowjetzeiten konnten die Menschen nicht entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollten. Heute kommen sie freiwillig, ins EU-Land Litauen, denn soviel Wasser, Sand, Natur verspricht vor allem eins: Ruhe, sogar die Vögel halten manchmal die Schnäbel.