"Schlimmer ist das Verschweigen"
Dichter Oskar Pastior (1927-2006) war vor seiner Flucht nach Deutschland sieben Jahre Inoffizieller Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes. Richard Wagner, ebenfalls rumäniendeutscher Autor, kritisiert vor allem, dass Pastior diese Tätigkeit bis zu seinem Tod verschwieg.
Katrin Heise: Oskar Pastior, rumäniendeutscher Dichter, nutzte 1968 eine Reise nach Österreich, um in die Bundesrepublik zu fliehen. Da war er seit sieben Jahren IM Otto Stein für die rumänische Securitate gewesen. Er erleichterte sein Gewissen bei den Einreisebehörden, das wurde aber der Öffentlichkeit erst in diesen Tagen bekannt, denn danach schwieg Pastior dazu. 2006 ist Oskar Pastior gestorben, im selben Jahr wurde er posthum mit dem renommierten Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Pastiors Erfahrung im sowjetischen Arbeitslager hat die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in ihrem im vergangenen Jahr erschienenen Roman "Atemschaukel" verarbeitet. Sie war eine seiner engsten Freundinnen und wusste ebenfalls nichts von seiner Securitatetätigkeit. Ihre ersten öffentlichen Reaktionen waren Enttäuschung und Wut in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Ich begrüße jetzt den Schriftsteller Richard Wagner, der aus dem Banat stammt und 1987, nach Arbeits- und Publikationsverbot, nach Deutschland kam. Guten Tag, Herr Wagner!
Richard Wagner: Guten Tag!
Heise: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren, dass Oskar Pastior Spitzel war bei der Securitate?
Wagner: Ja, Oskar Pastior, muss man wissen, ist nicht nur einer der großen Schriftsteller unserer kleinen rumäniendeutschen Literatur gewesen und ist es auch heute und auch weiterhin, sondern er wurde von uns auch sehr geschätzt immer für seine literarischen Leistungen und – also ich war mit ihm nicht näher bekannt, aber andere Kollegen hatten ja auch enge Freundschaften zu ihm und so, das war eine der unangenehmsten Erlebnisse und Überraschungen, die wir hatten nach dem Öffnen der Securitateakte. Es ist eines, wenn man jemand, mit dem man nichts zu tun und den man nicht besonders schätzt und der auch sonst keine Rolle spielt, dann ist das nicht so schlimm, aber in solchen Fällen ist das dann sehr unangenehm.
Heise: Ist es das gewesen, dass er Spitzel war oder ist es sein Schweigen darüber?
Wagner: Ja, also für mich sind das zwei verschiedene Dinge, über die Akten muss man ja immer reden im Einzelnen, im Detail und auch in seinem Fall, das haben wir in allen Fällen abgewogen, was man da herauslesen muss oder leider feststellen muss oder auch nicht. Das ist sehr unterschiedlich. Schlimmer ist das andere, dieses Verschweigen, und das haben wir – diese Erfahrungen haben nicht nur ich, sondern alle meine Kollegen gemacht mit allen bisher enttarnten Leuten. Sie haben, egal in welcher Situation sie sich befunden haben, es sind 20 Jahre seit dem Ende des Kommunismus, und die Sachen liegen ja zum Teil noch weiter zurück, und die Leute leben noch länger im Westen zum Beispiel, Leute, die mit uns auch Kontakt hatten, sowie auch Oskar Pastior in seinen Freundschaften, die niemals ein Wort gesagt haben, obwohl wir darüber gesprochen haben mit diesen Leuten. Man sitzt mit Leuten am Küchentisch ...
Heise: Also es waren Themen?
Wagner: Ja, es war ein Thema, und auch mit Oskar Pastior, er saß bei solchen Diskussionen dabei. Und ich verstehe das einfach auch gar nicht, wie man so etwas auch aushält, dass man da nichts sagt, keine Andeutung, nichts macht, gar nichts.
Heise: Herta Müller äußerte sich am Samstag in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darüber, dass sie, dass ihr auch wieder so klar geworden ist, was er erlebt hat und war für einen Druck in ihm war – nur so kann sie sich sein Schweigen erklären, das heißt, man wird einem doch wieder so vor Augen geführt, welche Trauer, welches Leid so ein Terrorregime über die Bürger …
Wagner: Ja, das ist, vor allem ist das ein deutliches Ergebnis, wenn man so verharmlosend über die Diktatur in Osteuropa spricht gerne, dass man das übersieht, was an den Menschen hier gemacht wurde, was moralisch da zerbrochen ist und wie die Menschen kaputtgemacht worden sind, von diesem System, das ist wahr. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, das Verhalten der Menschen – und es ist ja nicht nur das Regime, sondern es ist Teil zwei der Problematik das Verhalten des Einzelnen innerhalb der Situation. Und da muss man auch sagen, auch um gerecht zu bleiben, dass es auch Leute gab, die den Widerstand und den Mut hatten, Nein zu sagen, und die darüber auch sprachen. Ich habe Freunde, die man anwerben wollte, die zu mir gekommen sind und gesagt haben, man wollte mich anwerben, wir haben dieses Problem gelöst schon damals in der Diktatur, also es gab alles Mögliche. Und ich bin dagegen, dass man so Sonderkonditionen schafft für Leute, dass man dann versucht sie zu erklären. Das ist richtig sie zu erklären, aber nicht zu rechtfertigen.
Heise: Also von schuldloser Schuld, dieses Stichwort gab es ...
Wagner: Das ist schon so gespreizt, wie es sich anhört, ist es auch im Inhalt nicht. Also davon halte ich überhaupt nichts.
Heise: Hat sich Ihr Bild von Oskar Pastior verändert?
Wagner: Nein, also ich schätzte ihn immer für seine verrückte Lyrik, und es ist ja so, das ist vielleicht auch eine Frage der Bewertung letzten Endes, eine solche Lyrik hat Bestand jenseits der moralischen Frage.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur ist der Schriftsteller Richard Wagner zu Gast. Anlass ist die Enthüllung oder die jetzt bekannt gewordene Enthüllung, der Schriftsteller Oskar Pastior war Securitatespitzel. Sie, Herr Wagner, gehörten in Rumänien – ich habe gesagt, Sie reisten 87 aus – Sie gehörten einem oppositionellen Kreis der Aktionsgruppe Banat an, und aus diesem Kreis, Sie haben es auch schon erwähnt, gab es Enttarnungen in den letzten Jahren. Letztes Jahr zum Beispiel der Lyriker Werner Söllner. Wie weit geht Verständnis, wenn es einem so nahe kommt?
Wagner: Ja, also die Sache ist nun mal so, man muss etwas klarstellen, zwischen Pastior und Söllner sind Welten, da ist ein ganz großer Unterschied. Also bei Söllner ist nachweisbar in der Akte gewesen, dass er Gedichte von uns, die ich ihm geschickt hatte zur Publikation, dass er die zur Securitate gebracht hat, übersetzt hat und interpretiert hat. Und das hat zu einer Verschärfung der Vorgangsweise der Securitate in den 70er-Jahren gegen die Aktionsgruppe geführt, das ist nachweisbar.
Heise: Bei Pastior ist im Moment noch nichts in der Akte ...
Wagner: Bei Pastior muss man sagen, ist gar nichts vorhanden. Es ist nicht so, dass man sagen kann, er hat nichts gemacht, man kann aber auch nicht sagen, was er gemacht hat. Die Recherche ist nicht abgeschlossen, und die Germanisten aus München sind damit zu früh an die Öffentlichkeit gegangen, würde ich sagen. Aber jetzt, was Söllner angeht – mein Erlebnis war so mit ihm: Also nachdem ich das in meiner Akte gefunden habe, habe ich mich an ihn gewandt und habe das ...
Heise: Er war vorher gar nicht auf Sie zugekommen?
Wagner: Nein, überhaupt nicht. In Jahrzehnten nicht, obwohl wir Kontakt zueinander hatten. Er hat das nicht gesagt, nicht erwähnt, und er hat es auch abgestritten, in dem Augenblick, als ich ihm das vorgehalten habe, und erst als ich ihm die Dokumente auf den Tisch gelegt habe, war er bereit darüber zu reden und hat aber bis heute nicht offen weder mit mir noch mit den anderen darüber gesprochen. Er hat dann eine Erklärung gemacht auf einer Tagung im Dezember vorigen Jahres in München, die Erklärung bestand darin, dass er einfach sich erklärt hat, dass er IM war, aber dadurch hat er nicht – überhaupt über die Sache nichts gesagt.
Heise: Vor zwei Jahren oder seit zwei Jahren kann man in Rumänien das in einer ähnlich vielleicht der deutschen Birthler-Behörde seine Akten einsehen. Sie haben es also gemacht, das haben Sie ja gerade gesagt, wie beurteilen Sie so insgesamt den Stand der Aufarbeitung?
Wagner: Ja, das ist eine komplexe Angelegenheit wie vieles in Rumänien selber. Also es ist nicht zurückzuführen auf den guten Willen der Behörden oder der Öffentlichkeit in Rumänien, sondern auf ...
Heise: Europäische Union?
Wagner:... auf den Druck von außen. Und so sieht es damit auch aus. Also man muss wissen, die Akten, die herausgegeben werden von der Behörde, sind Akten, die von einer gemischten Kommission geprüft werden, auf Aspekte, die die Sicherheit des Staates betreffen. Nun muss man sich vor Augen führen, eine Akte, eine Verfolgungsakte der Securitate, die mich in den 80er-Jahren betrifft, in Temeswar, in Rumänien, was für sicherheitsrelevante Probleme kann die haben, bei einem Schriftsteller wie mir hier in Berlin? Also so, als ob ich den rumänischen Staat, der EU-Mitglied ist, aus den Angeln heben könnte mit dem, was ich schreibe. Und da wird dann entschieden, was ich zu lesen bekomme und was nicht.
Heise: Das heißt, die vollständige Akte haben Sie auch gar nicht gehabt.
Wagner: Nein.
Heise: Wie stark ist das Thema eigentlich in der Öffentlichkeit, auch in der schriftstellerischen, also in der literarischen Öffentlichkeit vorhanden?
Wagner: Also wir sind ja in der Situation, mehrere Öffentlichkeiten zu haben, und das ist gut und schlecht gleichzeitig. Die rumäniendeutschen Autoren gehören ja dahin und dorthin und nirgends hin, und so haben wir drei Öffentlichkeiten: eine deutsche, eine rumänische und gar keine. Und die deutsche weiß nicht viel über uns und die rumänische weiß noch weniger über uns. Und es wird da viel geredet, in der einen oder anderen Weise, aber es ist letzten Endes dann verwirrend.
Heise: Sehen Sie denn in der Zukunft damit ein anderes Umgehen?
Wagner: Ja, das hängt vor allem von den rumänischen Kollegen ab, muss ich sagen, weil wir sind ja kein Machtfaktor in Rumänien. Die rumänischen Kollegen sind ein Machtfaktor, ein tatsächlicher, in Rumänien, aber sie haben ein geringes Interesse an der Öffnung der Akten, es gibt nur Ausnahmefälle, die von Kollegen, die meist im Exil leben interessanterweise, die ihre Akten lesen wollten. Viele meiner rumänischen Kollegen in Bukarest haben es abgelehnt, die Akten überhaupt einzusehen, weil sie angeblich, sagte eine Kollegin Nora Iuga, vor einiger Zeit, die auch ins Deutsche übersetzt ist, sagte, sie möchte nicht ihren Freundeskreis im Nachhinein sich verderben.
Heise: Richard Wagner, deutscher Schriftsteller, aus dem Banat stammend, Herr Wagner, vielen Dank für diese Einblicke, vielen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke!
Richard Wagner: Guten Tag!
Heise: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren, dass Oskar Pastior Spitzel war bei der Securitate?
Wagner: Ja, Oskar Pastior, muss man wissen, ist nicht nur einer der großen Schriftsteller unserer kleinen rumäniendeutschen Literatur gewesen und ist es auch heute und auch weiterhin, sondern er wurde von uns auch sehr geschätzt immer für seine literarischen Leistungen und – also ich war mit ihm nicht näher bekannt, aber andere Kollegen hatten ja auch enge Freundschaften zu ihm und so, das war eine der unangenehmsten Erlebnisse und Überraschungen, die wir hatten nach dem Öffnen der Securitateakte. Es ist eines, wenn man jemand, mit dem man nichts zu tun und den man nicht besonders schätzt und der auch sonst keine Rolle spielt, dann ist das nicht so schlimm, aber in solchen Fällen ist das dann sehr unangenehm.
Heise: Ist es das gewesen, dass er Spitzel war oder ist es sein Schweigen darüber?
Wagner: Ja, also für mich sind das zwei verschiedene Dinge, über die Akten muss man ja immer reden im Einzelnen, im Detail und auch in seinem Fall, das haben wir in allen Fällen abgewogen, was man da herauslesen muss oder leider feststellen muss oder auch nicht. Das ist sehr unterschiedlich. Schlimmer ist das andere, dieses Verschweigen, und das haben wir – diese Erfahrungen haben nicht nur ich, sondern alle meine Kollegen gemacht mit allen bisher enttarnten Leuten. Sie haben, egal in welcher Situation sie sich befunden haben, es sind 20 Jahre seit dem Ende des Kommunismus, und die Sachen liegen ja zum Teil noch weiter zurück, und die Leute leben noch länger im Westen zum Beispiel, Leute, die mit uns auch Kontakt hatten, sowie auch Oskar Pastior in seinen Freundschaften, die niemals ein Wort gesagt haben, obwohl wir darüber gesprochen haben mit diesen Leuten. Man sitzt mit Leuten am Küchentisch ...
Heise: Also es waren Themen?
Wagner: Ja, es war ein Thema, und auch mit Oskar Pastior, er saß bei solchen Diskussionen dabei. Und ich verstehe das einfach auch gar nicht, wie man so etwas auch aushält, dass man da nichts sagt, keine Andeutung, nichts macht, gar nichts.
Heise: Herta Müller äußerte sich am Samstag in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darüber, dass sie, dass ihr auch wieder so klar geworden ist, was er erlebt hat und war für einen Druck in ihm war – nur so kann sie sich sein Schweigen erklären, das heißt, man wird einem doch wieder so vor Augen geführt, welche Trauer, welches Leid so ein Terrorregime über die Bürger …
Wagner: Ja, das ist, vor allem ist das ein deutliches Ergebnis, wenn man so verharmlosend über die Diktatur in Osteuropa spricht gerne, dass man das übersieht, was an den Menschen hier gemacht wurde, was moralisch da zerbrochen ist und wie die Menschen kaputtgemacht worden sind, von diesem System, das ist wahr. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, das Verhalten der Menschen – und es ist ja nicht nur das Regime, sondern es ist Teil zwei der Problematik das Verhalten des Einzelnen innerhalb der Situation. Und da muss man auch sagen, auch um gerecht zu bleiben, dass es auch Leute gab, die den Widerstand und den Mut hatten, Nein zu sagen, und die darüber auch sprachen. Ich habe Freunde, die man anwerben wollte, die zu mir gekommen sind und gesagt haben, man wollte mich anwerben, wir haben dieses Problem gelöst schon damals in der Diktatur, also es gab alles Mögliche. Und ich bin dagegen, dass man so Sonderkonditionen schafft für Leute, dass man dann versucht sie zu erklären. Das ist richtig sie zu erklären, aber nicht zu rechtfertigen.
Heise: Also von schuldloser Schuld, dieses Stichwort gab es ...
Wagner: Das ist schon so gespreizt, wie es sich anhört, ist es auch im Inhalt nicht. Also davon halte ich überhaupt nichts.
Heise: Hat sich Ihr Bild von Oskar Pastior verändert?
Wagner: Nein, also ich schätzte ihn immer für seine verrückte Lyrik, und es ist ja so, das ist vielleicht auch eine Frage der Bewertung letzten Endes, eine solche Lyrik hat Bestand jenseits der moralischen Frage.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur ist der Schriftsteller Richard Wagner zu Gast. Anlass ist die Enthüllung oder die jetzt bekannt gewordene Enthüllung, der Schriftsteller Oskar Pastior war Securitatespitzel. Sie, Herr Wagner, gehörten in Rumänien – ich habe gesagt, Sie reisten 87 aus – Sie gehörten einem oppositionellen Kreis der Aktionsgruppe Banat an, und aus diesem Kreis, Sie haben es auch schon erwähnt, gab es Enttarnungen in den letzten Jahren. Letztes Jahr zum Beispiel der Lyriker Werner Söllner. Wie weit geht Verständnis, wenn es einem so nahe kommt?
Wagner: Ja, also die Sache ist nun mal so, man muss etwas klarstellen, zwischen Pastior und Söllner sind Welten, da ist ein ganz großer Unterschied. Also bei Söllner ist nachweisbar in der Akte gewesen, dass er Gedichte von uns, die ich ihm geschickt hatte zur Publikation, dass er die zur Securitate gebracht hat, übersetzt hat und interpretiert hat. Und das hat zu einer Verschärfung der Vorgangsweise der Securitate in den 70er-Jahren gegen die Aktionsgruppe geführt, das ist nachweisbar.
Heise: Bei Pastior ist im Moment noch nichts in der Akte ...
Wagner: Bei Pastior muss man sagen, ist gar nichts vorhanden. Es ist nicht so, dass man sagen kann, er hat nichts gemacht, man kann aber auch nicht sagen, was er gemacht hat. Die Recherche ist nicht abgeschlossen, und die Germanisten aus München sind damit zu früh an die Öffentlichkeit gegangen, würde ich sagen. Aber jetzt, was Söllner angeht – mein Erlebnis war so mit ihm: Also nachdem ich das in meiner Akte gefunden habe, habe ich mich an ihn gewandt und habe das ...
Heise: Er war vorher gar nicht auf Sie zugekommen?
Wagner: Nein, überhaupt nicht. In Jahrzehnten nicht, obwohl wir Kontakt zueinander hatten. Er hat das nicht gesagt, nicht erwähnt, und er hat es auch abgestritten, in dem Augenblick, als ich ihm das vorgehalten habe, und erst als ich ihm die Dokumente auf den Tisch gelegt habe, war er bereit darüber zu reden und hat aber bis heute nicht offen weder mit mir noch mit den anderen darüber gesprochen. Er hat dann eine Erklärung gemacht auf einer Tagung im Dezember vorigen Jahres in München, die Erklärung bestand darin, dass er einfach sich erklärt hat, dass er IM war, aber dadurch hat er nicht – überhaupt über die Sache nichts gesagt.
Heise: Vor zwei Jahren oder seit zwei Jahren kann man in Rumänien das in einer ähnlich vielleicht der deutschen Birthler-Behörde seine Akten einsehen. Sie haben es also gemacht, das haben Sie ja gerade gesagt, wie beurteilen Sie so insgesamt den Stand der Aufarbeitung?
Wagner: Ja, das ist eine komplexe Angelegenheit wie vieles in Rumänien selber. Also es ist nicht zurückzuführen auf den guten Willen der Behörden oder der Öffentlichkeit in Rumänien, sondern auf ...
Heise: Europäische Union?
Wagner:... auf den Druck von außen. Und so sieht es damit auch aus. Also man muss wissen, die Akten, die herausgegeben werden von der Behörde, sind Akten, die von einer gemischten Kommission geprüft werden, auf Aspekte, die die Sicherheit des Staates betreffen. Nun muss man sich vor Augen führen, eine Akte, eine Verfolgungsakte der Securitate, die mich in den 80er-Jahren betrifft, in Temeswar, in Rumänien, was für sicherheitsrelevante Probleme kann die haben, bei einem Schriftsteller wie mir hier in Berlin? Also so, als ob ich den rumänischen Staat, der EU-Mitglied ist, aus den Angeln heben könnte mit dem, was ich schreibe. Und da wird dann entschieden, was ich zu lesen bekomme und was nicht.
Heise: Das heißt, die vollständige Akte haben Sie auch gar nicht gehabt.
Wagner: Nein.
Heise: Wie stark ist das Thema eigentlich in der Öffentlichkeit, auch in der schriftstellerischen, also in der literarischen Öffentlichkeit vorhanden?
Wagner: Also wir sind ja in der Situation, mehrere Öffentlichkeiten zu haben, und das ist gut und schlecht gleichzeitig. Die rumäniendeutschen Autoren gehören ja dahin und dorthin und nirgends hin, und so haben wir drei Öffentlichkeiten: eine deutsche, eine rumänische und gar keine. Und die deutsche weiß nicht viel über uns und die rumänische weiß noch weniger über uns. Und es wird da viel geredet, in der einen oder anderen Weise, aber es ist letzten Endes dann verwirrend.
Heise: Sehen Sie denn in der Zukunft damit ein anderes Umgehen?
Wagner: Ja, das hängt vor allem von den rumänischen Kollegen ab, muss ich sagen, weil wir sind ja kein Machtfaktor in Rumänien. Die rumänischen Kollegen sind ein Machtfaktor, ein tatsächlicher, in Rumänien, aber sie haben ein geringes Interesse an der Öffnung der Akten, es gibt nur Ausnahmefälle, die von Kollegen, die meist im Exil leben interessanterweise, die ihre Akten lesen wollten. Viele meiner rumänischen Kollegen in Bukarest haben es abgelehnt, die Akten überhaupt einzusehen, weil sie angeblich, sagte eine Kollegin Nora Iuga, vor einiger Zeit, die auch ins Deutsche übersetzt ist, sagte, sie möchte nicht ihren Freundeskreis im Nachhinein sich verderben.
Heise: Richard Wagner, deutscher Schriftsteller, aus dem Banat stammend, Herr Wagner, vielen Dank für diese Einblicke, vielen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke!