"Schlimmes haben nur die anderen getan"
Der Kroatienkenner Hans Koschnick hat auf der Buchmesse die Laudatio zum "Buchpreis zur europäischen Verständigung" gehalten. In ihrem preisgekrönten Buch "Keiner war dabei!" habe die kroatische Autorin Slavenka Drakulic deutlich Position zu Unrecht und Gewalt im Balkankrieg bezogen, so Koschnick.
Schlittenbauer: "Keiner war dabei", so heißt das Buch der kroatischen Autorin Slavenka Drakulic. Für das hat sie gestern Abend in Leipzig auf der Buchmesseneröffnung den Buchpreis zur europäischen Verständigung erhalten. In Ihrem Buch zeichnet Drakulic den Lebensweg kroatischer Kriegsverbrecher nach, zum Beispiel den von einem liebenswürdigen harmlosen Angler bis vor das Gericht in Den Haag. Der Jury des Buchpreises gefiel besonders, wie die Autorin das Banale im Bösen, also die Psychologie des Terrors analysiert. Die Laudatio zur Preisverleihung hielt der Politiker und Kroatienkenner Hans Koschnik, und den habe ich jetzt in Leipzig am Telefon. Herr Koschnik, was hat Sie an dem Buch ganz besonders fasziniert?
Koschnik: Die besondere Betroffenheit der Autorin, das, was geschehen ist, in einen Bezug zu setzen zu dem, was sie als jugendprägende Vorstellung über das Elternhaus früher erfahren hatte. Die Preisgabe all das, was an Humanem und Menschlichem eigentlich geleert war, und mit einer sehr deutlichen und bewussten Position, Unrecht Unrecht zu nennen, Gewalt Gewalt zu benennen und zur gleichen Zeit dafür zu sorgen, dass die Menschen endlich begreifen, sich nicht weiter von Nationalismen (…) verführen zu lassen.
Schlittenbauer: Frau Drakulic hat die Kriegsverbrecher vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag viele Monate beobachtet. "Keiner war dabei", so heißt der Titel ihres Buches. Würden Sie sagen, sie trifft damit ins Schwarze? Fühlt sich kein Kroate verantwortlich?
Koschnik: Zunächst einmal muss ich darauf aufmerksam machen, sie schreibt nicht nur über Kroaten. Sie schreibt über Serben, Bosnier weniger, und über Kroaten. Sie schreibt über ihr Kroatien. Sie schreibt auch, dass es eben sehr verschiedene Nationen sind, die praktisch am gleichen Prozess beteiligt waren.
Schlittenbauer: Würden Sie denn sagen, dass sie mit dem Titel "Keiner war dabei" ein bisschen das, was die Leute dort empfinden, oder wie sie sich fühlen, trifft, oder sie sich nicht verantwortlich fühlen für das, was geschehen ist?
Koschnik: Eindeutig. Es ist für mich nicht ganz ungewöhnlich, was dort passiert ist, die Art, wie sich die Menschen dort abschotten. Wenn etwas Schlimmes passiert ist, haben es die anderen getan, wir waren jedenfalls nie auf der falschen Seite. Tatsächlich war das die gleiche Position wie in Deutschland nach 1945.
Schlittenbauer: Die Europäische Union will ja nun Druck ausüben. Die Beitrittsgespräche mit Kroatien sind verschoben worden. Kroatien soll besser mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten, das möchte man erreichen. Glauben Sie, dass sich die Kroaten dazu zwingen lassen?
Koschnik: Hätten Sie geglaubt, dass man Herrn Milosevic aus Belgrad nach Den Haag bringen würde?
Schlittenbauer: Daraus schließe ich, Sie glauben, die Kroaten werden reagieren.
Koschnik: Sie werden wahrscheinlich aus materiellen Gründen reagieren. Was aber wesentlich ist, was wir manchmal hier nicht sehen, dadurch, dass sozusagen mit Druck von außen erzwungen wird, dass sie ihre Leute auszuliefern haben, produzieren wir zur gleichen Zeit im Inneren eine europäische Antihaltung.
Schlittenbauer: Sehen Sie die in Kroatien?
Koschnik: Ja.
Schlittenbauer: Sie haben gerade gesagt, wenn Kriegsverbrecher ausgeliefert werden durch Druck von außen, erzeugt das eine Antihaltung gegen Europa. Kroatien hat ja nun gerade seine Unabhängigkeit blutig erkämpft, muss man sagen, Wollen eigentlich die Kroaten, will die kroatische Bevölkerung wirklich in Europa aufgehen?
Koschnik: Nicht aufgehen, sondern sie möchten auch ein Teil von Europa sein. Das Problem des Balkans ist, dass alle Staaten, die dort jetzt sind, nach Europa wollen, aber nach dem Motto, ich will da rein, der Nachbar muss nicht rein. Wir haben noch keine integrative gesamteuropäische Position in dieser Region, und das ist das Problem nicht nur für Kroatien, sondern auch für Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro oder Mazedonien. Dies ist wirklich eine Grundstimmung, das unverhältnismäßige Abschottungsbewusstsein gegenüber den Nachbarn und die große Hoffnung, mit einem großen Sprung mit dem eigenen Land gleich nach Brüssel zu kommen.
Schlittenbauer: Slavenka Drakulic, für die Sie ja gestern die Laudatio gehalten haben, hat beobachtet, dass die Kroaten Angst haben um ihre kroatische Identität. Sehen Sie diese Angst auch?
Koschnik: Wissen Sie, wenn Sie gedanklich einen Krieg vorbereitet haben - das haben sie ja getan -, eine Auseinandersetzung vorbereitet haben und als einziges Argument die nationale Identität und Kultur haben, wir waren die prägende Kraft des Raums, dann bleibt einiges haften. Ist bei uns nichts haften geblieben, was uns 1933 und 1945 beigebracht worden ist? Wann ist unsere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt? Doch nicht in Nürnberg. Sie ist erfolgt, als in den Prozessen in Frankfurt über Auschwitz klar wurde, was an Verbrechen begangen wurde, und das waren zehn, zwanzig Jahre später. Wie ist es heute im Balkan? Wir sind in einem Prozess der Veränderung, und das Problem ist, wie wirkt diese Veränderung dann auf die Menschen, wenn sie von draußen erzwungen wird oder wenn sie von innen kommt. Die Nürnberger Prozesse haben bei uns so gut wie gar nichts bewirkt, aber der eigene Klärungsprozess in Frankfurt war schon etwas anderes.
Schlittenbauer: Was würden Sie sagen, wo stehen die Intellektuellen in diesem Prozess im Moment in Kroatien? Wie versuchen sie vielleicht da eine Klärung voranzutreiben?
Koschnik: Die Intellektuellen brauchen die alte Begründung als Rechtfertigung für ihr eigenes Tun. Insofern setzen Sie nicht zu sehr darauf, dass viel von den Intellektuellen kommt, weder in Zagreb noch in Belgrad. Bedingt ist es in Sarajewo anders, aber auch nur bedingt. Da würde ich schon wieder sagen, Banja Luka oder Mostar ist schon wieder etwas anderes in der alten Form wie in Kroatien oder Serbien.
Schlittenbauer: Also wenn ich Sie richtig verstehe, die Ausarbeitung sehen Sie noch nicht sehr stark ausgeprägt. Wie kommt denn zum Beispiel eine Schriftstellerin wie Slavenka Drakulic in ihrer Heimat an, wenn sie eben solche Berichte abgibt vom normalen Mitbürger zum Kriegsverbrecher?
Koschnik : Sie ist Nestbeschmutzerin. Sie beleidigt in den Augen vieler ihre eigene Nation und will nicht wahrhaben, was ist. Dabei will sie gerade das Gegenteil. Sie möchte, dass die Menschen die Augen öffnen und nachdenken, was geschehen ist, damit es morgen nicht wieder passieren kann, aber das kennen wir. Ich habe die ersten Diskussionen um die Gruppe 48 in Erinnerung. Die sind auch nicht als große Meister der Zeit gesehen worden, sondern auch als diejenigen, die ohne nationale Verantwortung sich damit auseinander setzten.
Koschnik: Die besondere Betroffenheit der Autorin, das, was geschehen ist, in einen Bezug zu setzen zu dem, was sie als jugendprägende Vorstellung über das Elternhaus früher erfahren hatte. Die Preisgabe all das, was an Humanem und Menschlichem eigentlich geleert war, und mit einer sehr deutlichen und bewussten Position, Unrecht Unrecht zu nennen, Gewalt Gewalt zu benennen und zur gleichen Zeit dafür zu sorgen, dass die Menschen endlich begreifen, sich nicht weiter von Nationalismen (…) verführen zu lassen.
Schlittenbauer: Frau Drakulic hat die Kriegsverbrecher vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag viele Monate beobachtet. "Keiner war dabei", so heißt der Titel ihres Buches. Würden Sie sagen, sie trifft damit ins Schwarze? Fühlt sich kein Kroate verantwortlich?
Koschnik: Zunächst einmal muss ich darauf aufmerksam machen, sie schreibt nicht nur über Kroaten. Sie schreibt über Serben, Bosnier weniger, und über Kroaten. Sie schreibt über ihr Kroatien. Sie schreibt auch, dass es eben sehr verschiedene Nationen sind, die praktisch am gleichen Prozess beteiligt waren.
Schlittenbauer: Würden Sie denn sagen, dass sie mit dem Titel "Keiner war dabei" ein bisschen das, was die Leute dort empfinden, oder wie sie sich fühlen, trifft, oder sie sich nicht verantwortlich fühlen für das, was geschehen ist?
Koschnik: Eindeutig. Es ist für mich nicht ganz ungewöhnlich, was dort passiert ist, die Art, wie sich die Menschen dort abschotten. Wenn etwas Schlimmes passiert ist, haben es die anderen getan, wir waren jedenfalls nie auf der falschen Seite. Tatsächlich war das die gleiche Position wie in Deutschland nach 1945.
Schlittenbauer: Die Europäische Union will ja nun Druck ausüben. Die Beitrittsgespräche mit Kroatien sind verschoben worden. Kroatien soll besser mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten, das möchte man erreichen. Glauben Sie, dass sich die Kroaten dazu zwingen lassen?
Koschnik: Hätten Sie geglaubt, dass man Herrn Milosevic aus Belgrad nach Den Haag bringen würde?
Schlittenbauer: Daraus schließe ich, Sie glauben, die Kroaten werden reagieren.
Koschnik: Sie werden wahrscheinlich aus materiellen Gründen reagieren. Was aber wesentlich ist, was wir manchmal hier nicht sehen, dadurch, dass sozusagen mit Druck von außen erzwungen wird, dass sie ihre Leute auszuliefern haben, produzieren wir zur gleichen Zeit im Inneren eine europäische Antihaltung.
Schlittenbauer: Sehen Sie die in Kroatien?
Koschnik: Ja.
Schlittenbauer: Sie haben gerade gesagt, wenn Kriegsverbrecher ausgeliefert werden durch Druck von außen, erzeugt das eine Antihaltung gegen Europa. Kroatien hat ja nun gerade seine Unabhängigkeit blutig erkämpft, muss man sagen, Wollen eigentlich die Kroaten, will die kroatische Bevölkerung wirklich in Europa aufgehen?
Koschnik: Nicht aufgehen, sondern sie möchten auch ein Teil von Europa sein. Das Problem des Balkans ist, dass alle Staaten, die dort jetzt sind, nach Europa wollen, aber nach dem Motto, ich will da rein, der Nachbar muss nicht rein. Wir haben noch keine integrative gesamteuropäische Position in dieser Region, und das ist das Problem nicht nur für Kroatien, sondern auch für Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro oder Mazedonien. Dies ist wirklich eine Grundstimmung, das unverhältnismäßige Abschottungsbewusstsein gegenüber den Nachbarn und die große Hoffnung, mit einem großen Sprung mit dem eigenen Land gleich nach Brüssel zu kommen.
Schlittenbauer: Slavenka Drakulic, für die Sie ja gestern die Laudatio gehalten haben, hat beobachtet, dass die Kroaten Angst haben um ihre kroatische Identität. Sehen Sie diese Angst auch?
Koschnik: Wissen Sie, wenn Sie gedanklich einen Krieg vorbereitet haben - das haben sie ja getan -, eine Auseinandersetzung vorbereitet haben und als einziges Argument die nationale Identität und Kultur haben, wir waren die prägende Kraft des Raums, dann bleibt einiges haften. Ist bei uns nichts haften geblieben, was uns 1933 und 1945 beigebracht worden ist? Wann ist unsere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt? Doch nicht in Nürnberg. Sie ist erfolgt, als in den Prozessen in Frankfurt über Auschwitz klar wurde, was an Verbrechen begangen wurde, und das waren zehn, zwanzig Jahre später. Wie ist es heute im Balkan? Wir sind in einem Prozess der Veränderung, und das Problem ist, wie wirkt diese Veränderung dann auf die Menschen, wenn sie von draußen erzwungen wird oder wenn sie von innen kommt. Die Nürnberger Prozesse haben bei uns so gut wie gar nichts bewirkt, aber der eigene Klärungsprozess in Frankfurt war schon etwas anderes.
Schlittenbauer: Was würden Sie sagen, wo stehen die Intellektuellen in diesem Prozess im Moment in Kroatien? Wie versuchen sie vielleicht da eine Klärung voranzutreiben?
Koschnik: Die Intellektuellen brauchen die alte Begründung als Rechtfertigung für ihr eigenes Tun. Insofern setzen Sie nicht zu sehr darauf, dass viel von den Intellektuellen kommt, weder in Zagreb noch in Belgrad. Bedingt ist es in Sarajewo anders, aber auch nur bedingt. Da würde ich schon wieder sagen, Banja Luka oder Mostar ist schon wieder etwas anderes in der alten Form wie in Kroatien oder Serbien.
Schlittenbauer: Also wenn ich Sie richtig verstehe, die Ausarbeitung sehen Sie noch nicht sehr stark ausgeprägt. Wie kommt denn zum Beispiel eine Schriftstellerin wie Slavenka Drakulic in ihrer Heimat an, wenn sie eben solche Berichte abgibt vom normalen Mitbürger zum Kriegsverbrecher?
Koschnik : Sie ist Nestbeschmutzerin. Sie beleidigt in den Augen vieler ihre eigene Nation und will nicht wahrhaben, was ist. Dabei will sie gerade das Gegenteil. Sie möchte, dass die Menschen die Augen öffnen und nachdenken, was geschehen ist, damit es morgen nicht wieder passieren kann, aber das kennen wir. Ich habe die ersten Diskussionen um die Gruppe 48 in Erinnerung. Die sind auch nicht als große Meister der Zeit gesehen worden, sondern auch als diejenigen, die ohne nationale Verantwortung sich damit auseinander setzten.