Erst Trash-Ecke, jetzt Museum
Christoph Schlingensief war nicht nur Filmemacher und Regisseur, laut Kuratorin Susanne Gaensheimer gehört er eindeutig auch in den Kanon der bildenden Kunst. Ausgewählte Werke sind ab Dezember zunächst in den Kunst-Werken Berlin und dann im New Yorker MoMa zu sehen.
Ulrike Timm: Christoph Schlingensief war Filmemacher, Theater- und Opernregisseur, Aktionskünstler, Maler, Musiker – seine Kunst balancierte über alle Grenzen und verband Aktion und Politik. Vielleicht war er vor allem ein Sichtbarmacher, einer, der Bilder fand für alles, was ihn und die Gesellschaft bewegte. 2010 ist er gestorben, er hatte Lungenkrebs. Und wie Schlingensief seine Krebskrankheit selbst künstlerisch inszenierte, das berührte und bewegte auch diejenigen, die ihn lange Jahre vor allen Dingen als den Provokateur, als den Künstler des sehr lauten Blödsinns wahrnahmen.
Allen seinen Werken ist eines gemeinsam: Die Person Christoph Schlingensief war immer mitten drin, ganz leiblich, und wenn man ihn nicht selber sah, so wusste man doch stets, dass die Bilder, die er schuf, mit ihm zu tun hatten. Fragt sich: Wie macht man eine Schlingensief-Ausstellung ohne Schlingensief? Am Wochenende wird in den Kunstwerken in Berlin eine Retrospektive mit Werken von Christoph Schlingensief zu sehen sein, die anschließend weiter ins Museum of Modern Art nach New York gehen wird. Was es bedeutet, den Künstler Christoph Schlingensief ins Museum zu packen, darüber spreche ich jetzt mit Susanne Gaensheimer, sie leitet das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main und kennt sein Werk wie kaum jemand sonst. Schönen guten Tag, Frau Gaensheimer!
Susanne Gaensheimer: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Sie haben das ja schon mal gemacht, Schlingensief ohne Schlingensief, vor zwei Jahren bei der Biennale in Venedig. Da sollte Schlingensief eigentlich den deutschen Pavillon gestalten – er war aber schon gestorben. Sie haben übernommen, sein Werk gezeigt und sind dafür ausgezeichnet worden. Er war damals aber in der breiten Öffentlichkeit noch viel präsenter als jetzt. Wenn man nun Schlingensief ins Museum steckt, hat das nicht was von Nachlassverwaltung?
Gaensheimer: Also, das ist eine grundsätzliche Frage, mit der man sich beschäftigen muss, denn früher oder später stirbt natürlich jede Künstlerin, jeder Künstler, und was macht man dann mit seinem Werk? Im musealen, im institutionellen Kontext, vor allem, wenn das Werk eben ein sehr performatives war und, wie bei Christoph Schlingensief ganz maßgeblich auch von seiner Aura, von seiner Persönlichkeit natürlich gelebt hat.
Christoph Schlingensief hatte ja vor seinem Tod schon eine ganze Menge Pläne entwickelt, was er im Pavillon machen wollte. Und wir hatten die Wahl, sollen wir versuchen, die Pläne von Christoph umzusetzen oder machen wir das nicht. Und wir haben, weil wir wussten, er hätte alles persönlich natürlich noch mal irgendwie ganz anders gemacht, als er es bis dahin geplant hatte, weil er ja immer auch bis zur letzten Minute noch mal die Dinge revidiert, hinterfragt, verändert hat, haben wir entschieden, wir werden nur Werke von ihm im Pavillon zeigen. Also, das war schon mal eine grundsätzliche Entscheidung, dass man sagte, man spielt nicht Christoph Schlingensief, sondern man zeigt nur das, was da ist.
Timm: Und heute? Wenn man das heute macht, was lässt sich denn ausstellen und was vielleicht auch nicht?
Gaensheimer: Es gibt viel, was sich ausstellen lässt. Allein das ganze filmische Werk. Es gibt ja wahnsinnig viel Video- und Filmmaterial von ihm. Das kann man sichten, da kann man Dinge von zeigen. Dann gibt es natürlich auch sehr viel Material zu den Theaterinszenierungen. Es gibt ja zum Teil noch die Bühnen, es gibt auch Kunstwerke – er hat ja in den letzten Jahren vor seinem Tod doch relativ häufig auch im Kunstkontext gearbeitet, also Ausstellungen richtig gemacht. Da gibt es auch noch fertige Rauminstallationen, Kunstwerke, skulpturale Arbeiten und so weiter. Es gibt einiges bei Sammlern, große Animatographen, zum Beispiel gibt es zwei riesige, wunderbare, komplette Animatographen in zwei bedeutenden Privatsammlungen. Also, es gibt echt viel, was man zeigen kann. Aber was auf jeden Fall immer fehlen wird, ist der Mensch selber, die Ausstrahlung, der Witz, die Provokation, die Kraft, der Charme, das Leben, das Lebendige – gerade bei jemandem wie Christoph Schlingensief, und das ist nicht mehr da.
Timm: Wird Schlingensief im Museum denn automatisch museal?
Gaensheimer: Ich weiß gar nicht genau, was museal eigentlich heißt. Museal bedeutet ja nicht einfach nur, ein Bild an die Wand hängen und damit hat sich's, sondern die Werke haben auch eine eigene Kraft. Gerade die Werke von Christoph Schlingensief, das filmische Werk, das ist so was von intensiv. Wenn Sie ihn im Museum ausstellen, heißt das noch lange nicht, dass es langweilig wird. Und es ist auch so, dass Christoph Schlingensief eine wahnsinnige Präsenz hat in vielen filmischen Materialien, Dokumentarmaterialien zum Beispiel aus Afrika. Also man kann ihn auch über diese Materialien schon in gewissem Sinne präsent machen, und, ja, das ist natürlich dann umso bewegender, eigentlich.
Timm: Christoph Schlingensief hat Museen sehr gemocht. Er mochte vielleicht auch die Ernsthaftigkeit dieses Ortes, hat selber viele Jahre drum gekämpft, ernst genommen zu werden, und war sehr stolz zum Beispiel auf die Einladung nach Venedig oder in Bayreuth Oper zu inszenieren. Warum war ihm die Wahrnehmung durch die Hochkultur so wichtig?
"Ein sehr selbstzweiflerischer Mensch"
Gaensheimer: Ein Grund liegt sicher in seiner Persönlichkeit, denn Christoph Schlingensief wirkte zwar immer so selbstbewusst und stark nach außen, man hat ja auch immer gesagt, es sei provokativ, was er machen würde, aber es war von ihm überhaupt nie als Provokation gemeint, sondern er war eigentlich auch ein sehr zweiflerischer, selbstzweiflerischer Mensch. Und das ist, glaube ich, auch die besondere Kraft seines Werkes, dass er immer sich selbst eigentlich fast als Erstes hinterfragt hat, sich und sein Handeln und seine Ideen hat er permanent hinterfragt. Und da war schon, glaube ich, auch eine wahnsinnige Selbstkritik, wahnsinnige Selbstzweifel auch da. So viel ich weiß, dass er zum Beispiel Kritik sich wahnsinnig zu Herzen genommen hat, wahnsinnig zu Herzen genommen.
Und natürlich war das für ihn auch überhaupt nicht nachvollziehbar – und ich finde, es ist bis heute auch nicht nachvollziehbar –, warum man immer gesagt hat, okay, er ist ein Filmemacher, er inszeniert Opern, Theaterstücke und so weiter. Aber man hat ihn als bildenden Künstler – man hat ihn in diese Kategorie nicht hineingesteckt. Und das ist eben ein Problem der Kunstwelt, der bildenden Kunst, dass die immer noch wahnsinnig stark in Kategorien denken und arbeiten, obwohl die Kunst selber schon seit den frühen Avantgarden des 20. Jahrhunderts eigentlich gezeigt hat, a) dass es diese Grenzen nicht gibt, und b) diese Grenzen selbst zu beschreiten. Und das hat ja Christoph in seinem Werk getan. Es war ein immanent grenzüberschreitendes Werk, auch was die Medien betrifft, und der muss in den Kanon der bildenden Kunst.
Timm: Meint Susanne Gaensheimer. Wir sprechen darüber, was es bedeutet, wenn ein Künstler wie Christoph Schlingensief gut drei Jahre nach seinem Tod im Museum landet. Und alles, was Sie beschrieben haben, Frau Gaensheimer, war auch sehr raumgreifend, sehr Grenzen überschreitend. Die Frage ist, wie tut man das an einen Ort, der ja irgendwie auch etwas festhält. Was möchten Sie denn in, sagen wir, 50 oder 100 Jahren an Schlingensief-Ideen und -Werken im kulturellen Gedächtnis verankert wissen und auch im Museum besuchen können.
Gaensheimer: Also, was man im Museum besuchen kann, das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Auf jeden Fall wird man seine Video- und filmischen Arbeiten, man wird auch einige zum Beispiel fotografische Arbeiten, auch Rauminstallationen, auch Skulpturen sehen können, definitiv. Man wird Animatographen sehen können.
Timm: Sehen Sie was vor sich, was Sie uns beschreiben können, wo Sie sagen können, das muss ins Museum?
Gaensheimer: Na ja, die Animatographen sind ja riesige Drehbühnen, die er teilweise gar nicht für den Bühnenkontext geschaffen hat. Es sind riesige Rauminstallationen mit vielen Untergliederungen, in denen verschiedene Themen abgehandelt werden, wo man Raumsituationen hat, viele andere Elemente wie Plakate, Banner, Stoffe, kleine Utensilien. Also eigentlich wie Bühnen.
Timm: Er ist ja verehrt worden, und das hat schon einen besonderen Klang, er ist verehrt worden als sterbender Künstler. Die Installation "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", die ging allen nahe, auch denen, die es ein paar Jahre vorher fast kindisch fanden, mit 2000 Leuten den Wolfgangsee zum Überlaufen bringen zu wollen. Ist seine Krankheit die Gelenkstelle in der Wahrnehmung des Künstlers?
"Er hatte diese wirklich starke Dringlichkeit mit diesem Operndorf"
Gaensheimer: Nein, das würde ich überhaupt nicht so sehen. Christoph ist auch vor seiner Krankheit wahrgenommen. Er hat immer polarisiert, es gab immer die Leute, die ihn sehr bewundert haben, sehr geliebt haben. Der Tod, vor allem das Sterben, war ein wahnsinnig dominierendes Thema in den letzten drei, vier Jahren. Da hat sich auch sein Werk verändert, da hat er sich auch als Mensch, glaube ich, sehr stark verändert, ist auch anders in der Öffentlichkeit aufgetreten, wurde ruhiger, wurde reflektierter. Er hatte diese wirklich starke Dringlichkeit mit diesem Operndorf. Er wollte jetzt auch was geben, er wollte unbedingt ein soziales Kunstwerk schaffen, etwas anderen Menschen geben, was er da in Afrika geplant hat.
Timm: Dieses Operndorf in Burkina Faso, da sollten wir noch mal einhaken. Das ist sein letztes großes Projekt. Das dümpelt heute aber vor sich hin. Auch seine Lebensgefährtin Aino Laberenz, die das mit viel Herzblut weiterträgt, die meinte gerade, das sei ohne Schlingensief immer schwieriger geworden, dafür schlicht Geld aufzutreiben. Noch so ein Beispiel, dass Schlingensief ohne Schlingensief weniger möglich scheint als bei anderen Künstlern.
Gaensheimer: Ich meine, bei dem Operndorf ist es ganz klar, dass die Art und Weise, wie er die Leute dafür gewinnen konnte mit seiner authentischen, künstlerischen Kraft und Ausstrahlung, das ist klar, dass das eigentlich niemand ihm nachmachen kann. Vielleicht hätte er das gar nicht gedacht, also so ein wirklich langfristiges Projekt – ich weiß es nicht.
Timm: Sie kannten Schlingensief ziemlich gut. Was meinen Sie, wenn er wüsste, er kommt heute ins Museum, er wird im Museum ausgestellt – was sehen Sie vor Augen, hätte er unbedingt drin haben wollen, und worüber hätte er vielleicht auch gelacht?
Gaensheimer: Ich glaube, er hätte sich wahnsinnig gefreut, dass so viele Menschen an dieser Ausstellung gearbeitet haben, dass es diese tolle Publikation dazu gibt. Wahrscheinlich hätte er vieles erst mal gleich sofort verändert. Es ist ja ganz klar, wenn Sie als Institution, als Kurator, als Kuratorin so eine Ausstellung machen, Sie institutionalisieren natürlich die Werke. Und jemand wie Christoph hätte das wahrscheinlich versucht, überhaupt wieder auseinander zu nehmen. Aber diese Frage ist wirklich schwer zu beantworten.
Timm: Allen Schwierigkeiten zum Trotz wird es ab dem Wochenende wieder versucht, Schlingensief ohne Schlingensief zu zeigen. In den Kunstwerken in Berlin gibt es eine erste Retrospektive seines Werkes. Ich sprach darüber mit Susanne Gaensheimer. Sie leitet das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
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