Schloss Reichenow in Brandenburg

Ein ganzes Dorf zählt auf die neuen Pächter

 Frontansicht von Schloss Reichenow in Brandenburg auf einer Wiese.
Jetzt weht hier wieder der Rote Adler über den Zinnen: Schloss Reichenow hat neue Pächter. © Deutschlandradio – Vanja Budde
Von Vanja Budde |
Eine wechselhafte Geschichte liegt hinter Schloss Reichenow: im Krieg schwer getroffen, zu DDR-Zeiten als Schule genutzt, dann Topadresse für Landhochzeiten. Zuletzt trieben windige Gesellen ihr Unheil in den alten Mauern. Doch nun besteht neue Hoffnung.
Fast 50 Jahre lang ist die Familie von August Freiherr von Eckardstein diese Holztreppe vom Foyer des Schlosses in den ersten Stock hinauf gestiegen. Bis die Tochter des Freiherrn 1945 vor den Russen floh. Erbaut wurde das mit Zinnen auf den Mauern bewehrte Herrenhaus von 1897 bis 1900, im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen, zu DDR-Zeiten unter anderem für die Grundschule genutzt. Heute weht wieder Brandenburgs Roter Adler auf dem Schlossturm, in zwei Tagen eröffnet hier das "Hotel Schloss Reichenow mit Restaurant: Ein verwunschenes Hideaway vor den Toren Berlins". So wirbt die neue Pächterfamilie Eilers auf der Homepage.
"Das ist der Balkon, der zum ehemaligen Elternschlafzimmer der Familie Eckardstein gehört, also hier haben tatsächlich früher die Hausherren geschlafen, dann konnte man hier wunderbar heraustreten und den Blick auf den See genießen."
Genießen sollen auch seine Gäste, wünscht sich der neue Betreiber, der 36 Jahre alte gelernte Koch und Hotelbetriebswirt Jan Henrik Eilers.
Die ruhige Brandenburger Landschaft lädt schon mal sehr zur trendigen Entschleunigung fern der hektischen Hauptstadt ein: Der Blick auf den Langen See fällt auch heute über den sanft abwärts geschwungenen Rasen des rückwärtigen Schlossparks. Große Bäume rauschen mild im Herbstwind, die Sonne glitzert golden auf dem Wasser. An der Badestelle am gegenüber liegenden Ufer tummeln sich die letzten Schwimmer. Im Schloss locken samtige Sofas und gemütliche Sessel, frech kombiniert mit abstrakten Gemälden und Designerlampen.

"Ich glaube, das ist eine gute Mischung aus etwas Modernem und auch dem Bezug zu der Tradition des Hauses. Wir haben das versucht sehr gemütlich einzurichten, sodass man sich wohlfühlen kann, und trotzdem so ein bisschen mehr die Transplantation ins Moderne rein. Ich glaube, das alles insgesamt ergibt ein ganz tolles Bild, was dem Haus gerecht wird."
Jan Henrik Eilers und dessen Eltern stehen mit dem restlichen Team vom Schlosshotel Reichenow auf einem Balkon.
Das Team um Jan Henrik Eilers (ganz rechts) und seine Eltern Ulrike und Hans (hinten) will Schloss Reichenow wieder zum Mittelpunkt des Dorfes machen.© Deutschlandradio – Vanja Budde

Die Dorfbewohner eingelullt

Anders als die Hinterlassenschaften der vorherigen Pächter: Monate lang schaffte Familie Eilers containerweise wackelige IKEA-Möbel und Hausrat ihrer Vorgänger weg. Die waren windige Gesellen, hatten auf den ersten Blick aber auch einen guten Eindruck gemacht, erinnert sich Wolf-Dieter Hickstein, der ehrenamtliche Bürgermeister von Reichenow. Zwei junge, dynamische Herren seien das gewesen, mit hochfliegenden Plänen. Die Dorfbewohner wurden eingelullt und packten mit an, wo sie konnten. Das Schloss ist den Menschen in Reichenow nämlich alles andere als egal. Früher arbeitete nahezu das gesamte Dorf im Herrenhaus oder auf den Feldern der von Eckardsteins. Die Herrschaft sei sozial gewesen und beliebt, erzählt Wolf-Dieter Hickstein.
"Also das Dorf fühlt sich schon mit dem Schloss nach wie vor eng verbunden und ist sehr interessiert, was mit dem Objekt passiert und wie das weitergeht und so."
Der Ärger war darum groß, als die Pächter sich immer mehr abschotteten, einen Zaun um den Schlosspark zogen, Veranstaltungen platzen ließen und schließlich auf Nimmerwiedersehen verschwanden.
"Man hatte Kunstgegenstände angemietet, und die Miete nicht bezahlt. Und dem folgt dann natürlich ein Strafverfahren, das ist klar."
Auch hatten sich die jungen, dynamischen Pächter, bevor sie sich aus dem Staub machten, offensichtlich in zwielichtigen Kreisen Geld geliehen, erzählt Hickstein auf einer Bank im Schlosspark sitzend. Diese Herren erschienen dann im Schloss, um die Schuld quasi abzuwohnen.
"Und hatten dann speziell ein Wochenende hier Party veranstaltet. Das waren schon recht auffällige Persönlichkeiten, son bisschen aus der Türsteherszene und der Richtung. Ohne mich da jetzt festzulegen."

Ein Paradebeispiel für Neogotik

Ein Fehlgriff war die Auswahl dieser Mieter, sagt Jürgen Klemisch von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Berlin. Doch vorher habe das frisch sanierte Denkmal 15 Jahre lang gut funktioniert, als Brandenburgs beliebtestes Hochzeitsschloss, geführt von zwei älteren Damen aus Berlin. Jürgen Klemisch sah es mit Wohlgefallen, hat er als Prokurist der Brandenburgischen Schlösser GmbH das Schicksal des Schlosses doch seit der Wende verfolgt. Diese Tochtergesellschaft der Stiftung Denkmalschutz hat Anfang der Neunzigerjahre die millionenteure Sanierung von insgesamt zehn Brandenburger Schlössern in Angriff genommen.
"Schloss Reichenow ist ein Paradebeispiel für die Neogotik, 1897 errichtet und insofern schon etwas Besonderes. Damals hat es Freiherr von Eckardstein im Tudor-Stil errichten lassen und es ist insofern eines der wertvollen Schlösser im Land Brandenburg und wurde deshalb an die Brandenburgische Schlössergesellschaft übergeben."
In einem traurigen Zustand, erinnert sich der Architekt Klemisch, Abteilungsleiter Liegenschaften, zuständig für alle Denkmale im Eigentum der Stiftung: Überall im Schloss hatte der Hausschwamm schon große Zerstörungen angerichtet. Sehr froh waren die Denkmalschützer, dass das Schloss zu DDR-Zeiten nicht dem Verfall überlassen, sondern genutzt worden war.
"Sodass wenigstens Schüsseln aufgestellt worden sind an den Stellen, wo das Dach undicht war. Ich zeige Ihnen ein Beispiel aus dem ersten Obergeschoss des Foyers. Wenn man die wunderbare Haupttreppe hinaufkommt, dann war dort in einem Teilbereich die Decke abgehangen und dort waren Toiletten eingebaut, in denen dann die Kinder vom Kindergarten zur Toilette geschickt worden sind. Und als wir den Rückbau vorgenommen haben, haben wir festgestellt, dass darunter die originalen Stuckdecken – zwar mit einigen Schäden – noch zu finden waren. Und wir konnten alles im Prinzip auspacken und dann restauratorisch aufarbeiten, sodass Sie heute wieder die ganze Pracht und die ganze glanzvolle Art dieses Foyers bewundern können."

Wo einst das Leben tobte

Zu DDR-Zeiten tobte im Schloss das Leben: Es beherbergte nämlich nicht nur den Dorf-Kindergarten und die Grundschule, erzählt Bürgermeister Wolf-Dieter Hickstein.
"Und dann waren noch ein Lebensmittelladen im Schloss, Konsum, Friseur über viele Jahre und dann auch noch zwei, drei kleine Wohnungen. Ja, so war Bewegung – und die Gaststätte darf man nicht vergessen. Also das Schloss war schon immer in irgendeiner Form doch ein Mittelpunkt im Ort, ja."
Maren Timm aus Eberswalde hat als Kind alle Ferien bei der Oma in Reichenow verbracht. Sie ist mit Freunden im verbotenen Schlosskeller herumgestromert, dort, wo demnächst eine Sauna den Gästen einheizen soll. Maren Timm erinnert sich noch gut an den Geruch des Kohleofens, den die Friseurin, Frau Pareit, im Winter immer erst anheizen musste.
"Und die Kneipe auf der anderen Seite, richtig verräuchert, und die Männer sind ja meistens von der Arbeit dann erst mal in die Kneipe mit Arbeitssachen und die dicken Gummistiefel – so muss man sich die Gerüche auch vorstellen. Ich war sieben, acht Jahre, da bin ich schon in die Kneipe reingekommen und durfte für meinen Großvater Bier mitbringen. Dann wussten die schon: Lubschek ihre kommt und darf für Willi die Tasche mit Bier mitbringen."
Ein paar Jahre später ging sie dann in der Kneipe im Schloss in die Disco, "Dorfbums" genannt.
"Zum Bums gehen hieß, mal die Sau rauslassen."
Hickstein: (lacht) "Die Sau rauslassen."
Frau: "So einfach mal unbeschwert Spaß haben."
Einer der DJs war damals niemand anderer als Wolf-Dieter Hickstein, heute beim Landeskriminalamt in Eberswalde und Reichenows ehrenamtlicher Bürgermeister.
"Mit einem alten Tonbandgerät, ich glaube ein Tesla, und alte Lautsprecher und dann haben wir hier dann halt ein bisschen Musik gemacht. Die Goldenen Siebziger."

Wieder Mittelpunkt des Dorflebens

Der neue Pächter Jan Henrik Eilers hat mit Hilfe seiner Familie und eines dänischen Innenarchitekten in den vergangenen Wochen fieberhaft die Wände in Erdfarben gestrichen, die 21 Zimmer hergerichtet, die Küche bestückt. Die Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmalschutz beschreibt er als freundlich und konstruktiv. Die Eilers haben Erfahrung, bereits zwei familieneigene Hotels geführt. Die Dorfbevölkerung sei erleichtert, dass das Schloss wieder lebt, meint Maren Timm.
"Und die meisten merken: ‚Huch – die Tür ist ja offen. Wir können rein.‘ Ja. Und dann waren in den ersten Wochen auch die Fragen mancher Bewohner hier so sinngemäß: ‚Ist das denn auch was für uns? Kann man sich denn das leisten?‘"
Jan Henrik Eilers will regionale Küche zu zivilen Preisen anbieten. Das Schloss soll wieder Mittelpunkt des Dorflebens werden, so wie früher. Gelernt hat der Vater von zwei Kindern beim Sternekoch Matthias Buchholz im Berliner Hotel Palace. Doch die Hauptstadt wurde ihm zu hektisch. Eilers will mehr Zeit mit seinen Gäste als mit Excel-Tabellen verbringen, Kochkurse anbieten, Lesungen veranstalten, im Keller eine Weinbar einrichten. Den ersten Gästen gefällt das Konzept.
"Sehr schön. Wir kommen wieder. Es ist unheimlich ruhig, nette Gastgeber, das Essen war toll, die Zimmer sind in Ordnung, bestens. Man muss nicht immer so weit weg fahren. Das Schöne liegt oft vor der Tür."

An Herzblut mangelt es nicht

Jan Henrik Eilers hatte gerade seinen Vertrag auf zehn Jahre unterschrieben, mit der Option auf Verlängerung, als die Schlösser GmbH jüngst ankündigte, sich womöglich von ihren zehn Brandenburger Schlössern zu trennen.
"Da sind wir sehr gelassen, weil wir haben ja wirklich einen langen Pachtvertrag mit der Stiftung geschlossen, und die Entwicklung tangiert uns in erster Linie nicht so sehr. Und insofern sind wir da sehr entspannt."
Zu Recht, betont die Sprecherin der Stiftung Denkmalschutz, Ursula Schirmer. Die Gespräche mit der Landesregierung hätten gerade erst begonnen, man werde auch nicht die Arbeit der vergangenen 25 Jahre in Frage stellen, in die 90 Millionen Euro geflossen sind. Nach wie vor werde eine langfristige, nachhaltige und denkmalgerechte Nutzung angestrebt, sagt Schirmer. Aber die Schlösser GmbH habe ihre Nachwende-Aufgabe erfüllt: Der drohende Verfall der Denkmale sei gestoppt. Nun müsse sich das Land als Mitgesellschafter deutlich mehr als bisher engagieren und die Schlösser übernehmen, fordert Schirmer. Reichenow nennt sie ein Paradebeispiel, ein Erfolgsmodell. Mit neuen Betreibern, die das Herzblut mitbrächten, die Pracht auch mit Leben zu füllen.
An Herzblut mangelt es den Neuen nicht, auch nicht an Familienzusammenhalt: Am Sonntagmorgen sitzt Jan Henriks Mutter Ulrike Eilers in einem Kellerraum des Schlosses an der Heißmangel.
Interviewerin: "Frau Eilers, was tun Sie hier am Sonntagmorgen?"
Frau Eilers: "Servietten mangeln, weil wir die immer sauber im Restaurant brauchen. Was muss, das muss. Ganz einfach."
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