Schlüsselroman aus den Zwanziger Jahren
Stéphane Hessel ist in aller Munde, sein Vater Franz (1880 - 1941) ist allerdings ein wenig in Vergessenheit geraten. 70 Jahre nach seinem Tod aber dürfen seine Bücher nun wieder verlegt werden - zum Beispiel "Heimliches Berlin", ein Szene-Roman aus dem Berlin der 20er-Jahre.
Plötzlich ist er wieder da: Franz Hessel (1880 – 1941), der Jules aus dem Truffaut-Film "Jules und Jim" (und dem Roman von Henri-Pierre Roché), Vater des empörten französischen Diplomaten und ehemaligen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel.
Franz Hessel starb 1941 an den Folgen der Internierung in einem französischen Lager. Nun, siebzig Jahren nach seinem Tod, sind die Rechte an seinem Werk frei geworden und ambitionierte kleine Verlage, wie Lilienfeld in Düsseldorf, bringen Teile davon neu heraus.
Das ist rundum erfreulich, denn Hessels elegante und kluge Erkundungen der Seelen und der Städte – namentlich Paris und Berlin – sind allemal eine Wiederentdeckung wert.
Der kleine Roman "Heimliches Berlin", erschienen 1927, ist so etwas wie ein Szene-Roman, der damals wohl auch als Schlüsselroman gelesen wurde. Er spielt kurz nach der Inflation, im Frühjahr 1924. Eine Clique von Freunden gruppiert sich um einen jungen Adeligen, Wendelin von Domrau, und eine kapriziöse verheiratete Frau, Karola Kestner, die viele Züge von Hessels Frau Helen Grund trägt (und der späteren Cathérine aus "Jules und Jim").
Diese beiden bewegen sich in einer nebulösen Verliebtheit durch Nachtlokale, Kabaretts, Bars und Salons, zwischen allerlei schrillen, tragischen, seltsamen Gestalten. Sie alle scheinen in einer beständigen fiebrigen Flucht begriffen, jede Grenzüberschreitung ist jederzeit möglich, Sex in allen Spielarten, lohnende Bekanntschaften tun sich auf oder schnelle Geschäfte oder beides; Reisen, großes Glück, die Revolution oder der Selbstmord.
Den narzisstisch-naiven Wendelin zeichnet Hessel als Wesen von perfekter Schönheit, mit der einnehmenden Dekadenz eines Geschöpfs von Oscar Wilde. Karola aber sehnt sich nach unbedingter, nach möglichst fataler Leidenschaft, die dem realen Leben fern sein soll. Ihr intellektueller Ehemann, der sie liebt mit dem Wissen, dass er ihr nie genügen wird, lässt ihr - den entsprechenden theoretischen Überbau hat er parat - alle Freiheit. Und allen Klischees zum Trotz ist er der am überzeugendsten Liebende in der Geschichte.
Man wundert sich - wie so oft beim Lesen der wirklich guten Erzählungen aus dieser Zeit – darüber, wie viele Möglichkeiten es damals zu geben schien, in dieser eruptiven Modernität, auch destruktive. Die Jahre danach haben das alles in einem tiefen Graben verschwinden lassen. Franz Hessel hat es geschafft, diesen Taumel der Freiheit in einem sehr, sehr schönen und präzisen Deutsch in Bilder, Szenen und Dialoge zu fassen. Es gibt viel zu entdecken in diesem dünnen Buch, viel mehr als die Anatomie einer Dreiecksbeziehung. Man sollte es zweimal lesen. Mindestens.
Besprochen von Katharina Döbler
Franz Hessel: Heimliches Berlin
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2011
150 Seiten, 18,90 Euro
Franz Hessel starb 1941 an den Folgen der Internierung in einem französischen Lager. Nun, siebzig Jahren nach seinem Tod, sind die Rechte an seinem Werk frei geworden und ambitionierte kleine Verlage, wie Lilienfeld in Düsseldorf, bringen Teile davon neu heraus.
Das ist rundum erfreulich, denn Hessels elegante und kluge Erkundungen der Seelen und der Städte – namentlich Paris und Berlin – sind allemal eine Wiederentdeckung wert.
Der kleine Roman "Heimliches Berlin", erschienen 1927, ist so etwas wie ein Szene-Roman, der damals wohl auch als Schlüsselroman gelesen wurde. Er spielt kurz nach der Inflation, im Frühjahr 1924. Eine Clique von Freunden gruppiert sich um einen jungen Adeligen, Wendelin von Domrau, und eine kapriziöse verheiratete Frau, Karola Kestner, die viele Züge von Hessels Frau Helen Grund trägt (und der späteren Cathérine aus "Jules und Jim").
Diese beiden bewegen sich in einer nebulösen Verliebtheit durch Nachtlokale, Kabaretts, Bars und Salons, zwischen allerlei schrillen, tragischen, seltsamen Gestalten. Sie alle scheinen in einer beständigen fiebrigen Flucht begriffen, jede Grenzüberschreitung ist jederzeit möglich, Sex in allen Spielarten, lohnende Bekanntschaften tun sich auf oder schnelle Geschäfte oder beides; Reisen, großes Glück, die Revolution oder der Selbstmord.
Den narzisstisch-naiven Wendelin zeichnet Hessel als Wesen von perfekter Schönheit, mit der einnehmenden Dekadenz eines Geschöpfs von Oscar Wilde. Karola aber sehnt sich nach unbedingter, nach möglichst fataler Leidenschaft, die dem realen Leben fern sein soll. Ihr intellektueller Ehemann, der sie liebt mit dem Wissen, dass er ihr nie genügen wird, lässt ihr - den entsprechenden theoretischen Überbau hat er parat - alle Freiheit. Und allen Klischees zum Trotz ist er der am überzeugendsten Liebende in der Geschichte.
Man wundert sich - wie so oft beim Lesen der wirklich guten Erzählungen aus dieser Zeit – darüber, wie viele Möglichkeiten es damals zu geben schien, in dieser eruptiven Modernität, auch destruktive. Die Jahre danach haben das alles in einem tiefen Graben verschwinden lassen. Franz Hessel hat es geschafft, diesen Taumel der Freiheit in einem sehr, sehr schönen und präzisen Deutsch in Bilder, Szenen und Dialoge zu fassen. Es gibt viel zu entdecken in diesem dünnen Buch, viel mehr als die Anatomie einer Dreiecksbeziehung. Man sollte es zweimal lesen. Mindestens.
Besprochen von Katharina Döbler
Franz Hessel: Heimliches Berlin
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2011
150 Seiten, 18,90 Euro