Schlüsselwerk der Nachkriegsmoderne

Kapelle der Gedächtniskirche nach Sanierung wieder offen

Der Turm der Gedächtniskirche ragt am Anfang Mai 2017 in Berlin über die Kapelle in den Himmel. Nach der denkmalgerechten Instandsetzung wird der Flachbau nun wieder eröffnet.
Der Turm der Gedächtniskirche ragt am Anfang Mai 2017 in Berlin über die Kapelle in den Himmel. Nach der denkmalgerechten Instandsetzung wird der Flachbau nun wieder eröffnet. © picture alliance / Paul Zinken/dpa
Von Christiane Habermalz |
Ein Traum in Waschbeton, aber schwer zu sanieren: Nach 16 Monaten Bauzeit wird die Kapelle der Berliner Gedächtniskirche wiedereröffnet. Das Werk des Architekten Egon Eiermann gilt als eines der Schlüsselwerke der Nachkriegsmoderne. Markenzeichen sind die Betonwaben mit den bunten Fenstern.
Als Egon Eiermann 1957 den Architekturwettbewerb zum Neubau der im Krieg zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gewann, wollte er die Ruine ursprünglich ganz abreißen. Doch dagegen regte sich heftiger Protest, so dass am Ende der Hauptturm der zerbombten Kirche stehenblieb.
Eiermann baute seine vier Betonwabenbauten darum herum – das 1961 eingeweihte Ensemble wurde zu einem der bedeutendsten modernen Kirchenbauten und ein bis heute eindrückliches Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung.

Eisenstäbe korrodieren, Betonwaben bröckeln

Jetzt wirken die Eiermann-Bauten in der aufstrebenden City-West, die sich gerade mit Wolkenkratzern wie dem gerade eröffneten "Upper-West-Hochhaus" städtebaulich aufmotzt, wie aus der Zeit gefallen. Und die 60er Jahre-Architektur ist längst selbst zum Sanierungsfall geworden. Die Betonwaben, in die die kleinen bunten Glasfenster eingesetzt sind, bröckeln, weil die darin versenkten Eisenstäbe korrodieren. Der 53 Meter hohe Turm ist seit drei Jahren zum Schutz der Passanten eingerüstet, nachdem Fassadenkletterer zwei Wäschekörbe voll loser Betonbuchstücke abgeklopft hatten.
Nun ist nach zweijähriger Bauzeit als erstes Bauwerk die niedrige viereckige Kirchenkapelle saniert worden. Von außen ähnelt sie den anderen Eiermann-Bauten des Ensembles, die gleiche hermetische, dunkle Betonwabenfassade. Innen ist sie ein architektonisches Kleinod.
Obermann: "Innen ist sie leicht und hell und sie lässt trotzdem Konzentration zu. Sie ermöglicht den Blick in den Himmel. Es ist ein leichter Stahl-Glasbau, er erinnert mich immer an die Nationalgalerie von Mies van der Rohe, auch eine schwarze Stahlkonstruktion, bodenhohe Fensterscheiben, also maximale Leichtigkeit und Luftigkeit."
Steffen Obermann war als Architekt mit der Sanierung betraut, bezahlt und durchgeführt wurde sie von der Wüstenroth-Stiftung. Kosten: 1,5 Millionen Euro. Für die anstehende Sanierung von Kirche, Glockenturm und Foyer werde noch einmal ein nicht kleiner "siebenstelliger Betrag" benötigt werden, schätzt Philipp Kurz von der Wüstenroth-Stiftung. Die Stiftung engagiert sich schwerpunktmäßig für die Denkmäler der 50er und 60er Jahre, die - auch aufgrund der verwendeten Stahlbetonbauweise - reihenweise verrotten. Doch anders als für ältere Bauwerke ist es oft schwierig, in der Öffentlichkeit Unterstützer und Förderer für deren Sanierung zu gewinnen, bedauert Kurz.
Kurz: "Die Fachwelt hat die 60er Jahre natürlich auf dem Schirm, man kann an manchen Stellen fast schon so was wie eine 60er-Jahre-Euphorie vor allem in Berlin erkennen, und trotzdem ist es auch heute noch so, dass weite Teile der Gesellschaft damit nicht so viel anfangen können."

Ein heller, klarer Raum mit etwa 100 Plätzen

Auch der Charme der Kirchenkapelle erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Hinter der Betonwabenfassade öffnet sich ein heller, klarer Raum mit etwa 100 Plätzen, der durch große Glasfenster von einem etwa zwei Meter breiten begrünten Umgang eingerahmt wird, quasi wie ein Kreuzgang der nicht innen, sondern außen angelegt ist.
Eiermann hat sich von japanischen Gärten inspirieren lassen. Lange wucherte hier Unkraut, jetzt buddeln Gärtner letzte Löcher, um die bauzeitliche Bepflanzung wieder herzustellen: Rasen, Rosen und wilder Wein. Auf dem Fußboden die Eiermann-typischen Rundfliesen aus Terrakotta, die Dickglasfenster leuchten hier bei einfallendem Sonnenlicht nicht blau wie in der Kirche, sondern grün, gelb und rot.

Sorgenkind der Sanierung aber waren und sind die Betonwaben, erläutert Architekt Obermann. Eiermann verwendete einen hellen Waschbeton, der in den 50er Jahren schwer in Mode kam - siehe in Berlin die Waschbetonfassaden der Deutschen Oper und der Akademie der Künste.
Obermann:"Das ist hier ganz ähnlich. Eiermann hat diesen weißen Beton verwendet - und hat dem weißen Quarzbruch zugemengt. Anders als Kiesel sind das eben keine glatten Steine sondern gebrochene Steine, die dann eben eine sehr splittrige Oberfläche haben."
Das macht es dem Regen besonders leicht einzudringen und die Eisen zum Korrodieren zu bringen, das Problem fiel schon wenige Jahre nach der Fertigstellung auf. Also wurden zum Schutz Beschichtungen aufgetragen, die ursprünglich helle Farbe der Waben ging durch immer neue Firnisse und Schmutz verloren. Bei der Kapelle ist es nach langem Experimentieren gelungen, die ursprüngliche Optik des Betons annähernd wieder herzustellen. Wichtige Grundlagenarbeit für den Glockenturm und die Kirche mit ihren berühmten blauen Glasbausteinen. Mindestens die Hälfte der Waben an den beiden Gebäuden sind stark beschädigt. Diese einfach auszutauschen verbietet der Respekt vor dem Original: Eiermann-Beton bleibt Eiermann-Beton.
Ein Forschungsprojekt soll nun Entscheidungshilfe bringen, wie mit dem Waschbetonerbe umzugehen ist. Richtig so: Schließlich handelt es sich nicht nur um ein Baudenkmal und Wahrzeichen, sondern by the way auch mit 1,3 Millionen Besuchern im Jahr die meistbesuchte Kirche Deutschlands. Davon sind allerdings die meisten Touristen.
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