Schluss, Aus, Ende!
Am Jahresende ist bei der traditionsreichen Waggonbaufirma Bombardier in Ammendorf bei Halle Schluss. Die noch 400 Beschäftigten haben ihre Kündigung schon lange in der Tasche. Bei DaimlerChrysler in Bremen gehen heute und morgen rund 2500 Männer und Frauen zum letzten Mal zur Arbeit.
In beiden Städten sind Beschäftigungsalternativen nicht in Sicht. In der Saalestadt ist vom Aufschwung Ost wenig zu spüren. Bremen dümpelt wirtschaftlich seit langem vor sich hin und leidet unter hoher öffentlicher Verschuldung.
Mehr als 180 Jahre lang war das Waggonbauwerk Ammendorf so etwas wie das stählerne Herz der Stadt Halle. Das DDR-Kombinat, das einmal 4700 Menschen beschäftigte und nach der Wende als Teil der Deutschen Waggonbau AG weiterleben sollte, hatte keine Chance. Zweimal wurde das Werk verkauft - am Schluss blieben 400 Waggonbauer übrig. Vor vier Jahren schon hatte Bombardier über das Aus für Ammendorf entschieden. Alle Rettungsversuche waren umsonst. In der Nacht zum 31. Dezember geht nun in Ammendorf das Licht aus.
Collage: "Ich meine, ein Land wie Sachsen-Anhalt, das sowieso schon auf der letzten Schiene rangiert, dass dann so ein Werk, das letzte Große, auch noch stillgelegt wird. Das ist für die Leute, die hier stehen, für die Älteren, die vierzig Jahre sind, die Kinder und Familie haben, für die ist das ein Schock. Die bekommen hier keine Arbeit mehr. Die können nicht nach dem Westen rüber, die haben Häuser hier und Familie, die können nicht weg.
Beschissen, ich bin dreißig Jahre in der Firma und so schnell geben wir nicht auf, wir kämpfen weiter.
Was hier alles abwandert, das sind alles Leute, die hier mal gearbeitet haben, Leuna, Buna, Ammendorf und alles ist krachen gegangen. "
Die letzten 400 Waggonbauer aus Halle Ammendorf gehen schon lange nicht mehr auf die Straße. Von wegen: Das stählerne Herz von Halle muss weiter schlagen. Die Protestplakate sind verschwunden. Hinter der großen Tankstelle, an der Einfahrt zum Werksgelände von Bombardier, hatten sie sich vor Jahren zur Mahnwache versammelt. Ausharren in eisiger Kälte, tagelang. Autofahrer haben im vorbeifahren gehupt. Die Solidarität der Hallenser mit ihren Waggonbauern war schon immer etwas Besonderes. Die Männer und Frauen von der Mahnwache haben dann zufrieden genickt, sich an den lodernden Holzfeuern die Hände gewärmt. Doch längst sind die Flammen erloschen. Alle haben die Kündigung in der Tasche. Henry Hörholdt ist 44 Jahre alt. Mit siebzehn hat er als Anlagenmonteur im Waggonbau angefangen. Er hat den letzten Lohnschein gerade abgeholt, jetzt wird er nie wieder hingehen.
Die Wohnung liegt direkt an der dreispurigen Merseburger Straße, zum Werksgelände sind es nur fünfhundert Meter. Henry Hörholdt sitzt alleine im Wohnzimmer. Seine Frau arbeitet schon seit zehn Jahren nicht mehr in Ammendorf. Sie ist tagsüber für eine Reinigungsfirma unterwegs. Fast 70 Objekte, jeden Tag, für 800 Euro, das muss man sich mal vorstellen, sagt Henry Hörholdt und schüttelt den Kopf.
Er blättert in einem IG-Metall-Heft. Demonstrationen, Werksbesetzung, Politikerreden, Durchhalteparolen der Gewerkschaftsmänner, alles ist dokumentiert. Auch Zeitungsartikel hat Henry Hörholdt gesammelt. Ammendorf ist seine Familiengeschichte. Opa Karl, Vater Lothar und die beiden Brüder, einer aus der Familie ist immer auf einem der Fotos zu sehen.
"Die Frau ist ja schon seit 1995 entlassen, die ist immer mit gekommen, die Kinder sind mitgekommen, meine Frau, dann die Eltern mal vorne. "
Waggonbau in Ammendorf, Tradition seit fast zwei Jahrhunderten. Eine spannende Arbeit, eben nichts vom Fließband.
"Mein Vati hat ja auch fast vierzig Jahre im Waggonbau gearbeitet. Das war die Vielfalt, was wir den ganzen Tag gearbeitet haben, an der S-Bahn oder jetzt am ICE, heute das und morgen das. Das war eben ein großer Komplex, was wir so montiert haben. "
ICE-Züge für die Deutsche Bahn, Waggons mit Neigetechnik, Wagen für die Berliner S-Bahn, das waren die letzten Züge, die im Waggonbau Ammendorf gebaut wurden.
Reisezugwagen für die Sowjetunion waren zu DDR-Zeiten Markenzeichen der Ammendorfer. Lohn und Brot für 4700 Menschen. Vergangenheit. Vor fast zehn Jahren hat die Treuhand das letzte große DDR-Kombinat verkauft. Verkauft an eine internationale Fondsgesellschaft. Und die hat zwei Jahre später weiter verkauft, an den kanadischen Weltkonzern Bombardier. Da waren noch fast tausend in Ammendorf beschäftigt. Doch im Winter vor vier Jahren sieht der Weltkonzern, dass die Rechnung nicht aufgeht. Die Werke in Europa sind nur zur Hälfte ausgelastet, 35 sollen geschlossen werden. Henry Hörholdt hat die Worte vom Betriebsrat noch im Ohr.
"Die haben gesagt, Bombardier ist in die roten Zahlen gerutscht und sie müssen eben wegen den Kapazitäten in Deutschland, weil nicht mehr so viele Schienenfahrzeuge gebraucht werden, muss eben ein Betrieb dran glauben und das war eben Waggonbau Ammendorf. "
2002 ist das Jahr der Landtags- und Bundestagswahlen. Die Ammendorfer demonstrieren und die Politiker kommen. In Sachsen-Anhalt steht die rot-rote Landesregierung vor dem Aus. In Berlin kämpft Kanzler Schröder um weitere vier Jahre für die SPD und die Grünen. Er wird zum Retter für Ammendorf. Der Deal mit Bombardier: Serviceleistungen und Instandsetzungen für die deutsche Bahn. Die Jubelpose, das war Wahlkampf, sagt Henry Hörholdt heute. Genützt hat es nichts.
"Vor einem Monat war ich dabei die ganzen Bühnen zu demontieren. Wissen sie, damals 1995 hat unser Abteilungsleiter gesagt, das ist die modernste Halle in Europa. Wissen sie, wie uns zumute war, vor einem Monat als wir alles rausgeräumt haben? Meine Frau sagt, sie zieht den Hut vor denen, die das gemacht haben, denn wir waren ja doch einige Jahre da. "
Im neuen Jahr wird der Familienvater die meisten Ammendorfer in einer Auffanggesellschaft wieder sehen. Abstellgleis mit Kurzarbeiterlohn für ein Jahr, mehr nicht. Viele Kollegen sind schon weg, arbeiten in der Schweiz, irgendwo in Europa, sagt er. Seit Jahren schon will die Familie umziehen, weg aus den winzigen drei Zimmern direkt an der Merseburger Straße. Aber so richtig weit weg, nach Österreich oder Bayern, das hat er sich früher nie vorstellen können. Jetzt ist klar, in Halle hat Familie Hörholdt keine Zukunft.
"Das Traurige ist ja, erstens ist meine Schwiegermutter alleine, weil mein Schwager der ist auch vor fünf Jahren schon nach Hannover gezogen. Die Schwiegermutter hat schon gequäkt und gesagt, ihr könnt mich doch nicht verlassen. Aber ich sage: Oma, wir müssen weg, wir müssen ja noch mindestens 20 Jahre arbeiten. Das ist wirklich traurig. "
Auf dem Werksgelände von Bombardier ist alles ruhig, keiner kann mehr in die Hallen. Der Pförtner guckt aus dem Fenster, kaut an seiner letzten Stulle. Er sieht zum Parkplatz, kaum ein Auto. Kurz bevor die Werkstore schließen, ist niemand mehr unterwegs. Auch die Büros im Verwaltungsgebäude sind fast alle leer. Aber einer wie Rainer Knothe bleibt bis zuletzt. In seinem Büro stehen zusammengerollte Protestfahnen in der Ecke. Vor fast vier Jahrzehnten hat er als Lackierer angefangen. Seit Jahren ist er beim Betriebsrat. Seitdem sind dunkle Augenringe sein Markenzeichen.
"Ich werde, wie alle anderen Mitarbeiter auch, zum Jahresende bei Bombardier ausscheiden. Und ich weiß natürlich auch nicht, wie meine persönliche Zukunft aussieht. Nun bin ich Realist genug, dass ich weiß, dass ich als Betriebsratsvorsitzender eines solchen Werkes so gute Karten nicht habe. "
Die Stimme des Gewerkschaftsmannes ist von Ansprachen, Durchhalteparolen und Demonstrationen heiser. Seine Augen müde. Und trotzdem, Rainer Knothe hofft jeden Tag. Es heißt, dass die Stadtwerke mit Bombardier über den Kauf des Industriegeländes verhandeln. Es gibt außerdem Pläne für eine Nachfolgegesellschaft. Die Ammendorfer wollen Waggons für die Ukraine bauen, doch angeblich fürchtet Bombardier die Konkurrenz. Etwa 300 Arbeitsplätze auf dem Werksgelände, das ist die wohl allerletzte Option für den Standort.
" Hier geht’s nicht, dass Bombardier Millionen verlangt. Es geht um Verträge, die den Sinn und die Aufgabe haben, hier Nachfolgelösungen zu ermöglichen. Na und wenn’s nicht gelingt, dann hat Bombardier das Problem mit der so genannten Investruine. "
Im Rathaus in Halle sitzt Manfred Bartsch in einem winzigen Büro. Wirtschaftsförderung steht auf seinem Türschild, es klingt fast zynisch. Der Mann in dem blaugestreiften Hemd weiß, wie es um Halle steht. Seit der Wende sind 50.000 Menschen weg gezogen, auf der Suche nach Arbeit. Jeder fünfte in Halle ist arbeitslos. Es ist die Stadt im Osten mit den meisten Sozialhilfeempfängern. Das Aus für Ammendorf ist auch das Aus für mindestens 800 weitere Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie.
"Der ganze Dienstleistungsbereich ist betroffen, das ist Kaufkraft, die weg bricht, das sind Steuern, die weg brechen, das hat Auswirkungen, langfristig. Ein Wirtschaftsförderer kann immer nur eine Antwort geben. Wir müssen schauen, dass wir genügend industrielle Ansiedlungen in die Stadt bekommen, um einen Kompensationseffekt zu erreichen. "
Die Stadt Halle will Teile des riesigen Ammendorfer Werksgeländes in Gewerbefläche umwandeln. Große Teile liegen seit langem brach. Da sind ganze Areale wild bewachsen, alte Ziegelgebäude mit zerborstenen Scheiben, Bäume, die aus Mauern wachsen. Wege über holpriges Steinpflaster enden im Nichts, auf stillgelegten Betriebshöfen, vor rostigen Toren. Direkt an der Straße war einmal Werk I. Da suchen Landesregierung und Stadt seit Jahren Investoren, doch nur wenige Betriebe haben sich angesiedelt. Den Unternehmer Rene Wiedau wundert das nicht.
"Wenn sie mal sehen, was hier belegt ist, da kann ich ihnen genau sagen, wie das da drüben aussieht. Es gibt so viele Industriegebiete rundum, die nur zu 60 Prozent belegt sind, da werden sie so ein großes in der Stadt auch nicht voll kriegen, wer soll da hier was machen. "
Es ist laut, die Maschinen schneiden Platten aus Stein und Glas. Wer außer uns braucht schon so riesige Hallen, sagt Rene Wiedau und lacht. Eigentlich könnte er ruhig sein. Nur zehn Prozent seiner Aufträge gehen auf das Konto von Bombardier. Seine Angst: Viele Handwerksbetriebe werden den Aderlass nicht überleben. Der Unternehmer Hans Weise wollte es lange nicht glauben. Aber nach dem endgültigen Aus für Ammendorf macht seine Elektrofirma 90 Prozent weniger Umsatz. Weise ist spezialisiert auf Waggonbau, er hat schon vor Monaten dicht gemacht, seine fünf Mitarbeiter entlassen. Ihm bleibt eine düstere Prognose.
"Damit ist der Industriestandort im Eimer, die Jugend wird in den Westen ziehen und Halle wird zu einer Rentnerstadt werden. "
Uwe Behrendt hat jahrelang für Hans Weise gearbeitet. Jetzt ist er arbeitslos. Er und seine Frau wohnen wie viele Waggonbauer ganz in der Nähe vom Werksgelände. Eine Plattenbausiedlung, eine winzige Wohnung, drei Zimmer, nicht einmal 50 Quadratmeter. Uwe Behrendt sitzt auf dem Sofa, im Rücken eine Fototapete. Es ist ein buntes Bild vom Paradies: weißer Strand, blaues Wasser, grüne Palmen. Uwe Behrendt ist 44 Jahre alt, spezialisiert auf Hubbockanlagen für Zugwaggons.
"Wir hoffen, wir haben immer noch einen ganz kleinen Funken, dass im Waggonbau was weiter geht, sonst gibt’s doch hier nichts mehr. Nur ganz kleine Betriebe, die nicht einstellen und wenn, dann nur für 'n Appel und ´n Ei. "
Kein Tag, an dem nicht wieder einer verschwindet. Manche haben Glück, arbeiten bei Bombardier in Prag, in München, in Wien. Uwe Behrendt will nicht gehen, noch nicht. Seine Frau schüttelt den Kopf. Wellensittich Rudi hüpft in seinem Käfig.
"Wir haben ja bloß 'ne Neubauwohnung, aber irgendwie hängt man ja doch an der Heimat, Freunde, Verwandte, aber wenn alle Stricke reißen, es muss ja weiter gehen. "
Mehr als 180 Jahre lang war das Waggonbauwerk Ammendorf so etwas wie das stählerne Herz der Stadt Halle. Das DDR-Kombinat, das einmal 4700 Menschen beschäftigte und nach der Wende als Teil der Deutschen Waggonbau AG weiterleben sollte, hatte keine Chance. Zweimal wurde das Werk verkauft - am Schluss blieben 400 Waggonbauer übrig. Vor vier Jahren schon hatte Bombardier über das Aus für Ammendorf entschieden. Alle Rettungsversuche waren umsonst. In der Nacht zum 31. Dezember geht nun in Ammendorf das Licht aus.
Collage: "Ich meine, ein Land wie Sachsen-Anhalt, das sowieso schon auf der letzten Schiene rangiert, dass dann so ein Werk, das letzte Große, auch noch stillgelegt wird. Das ist für die Leute, die hier stehen, für die Älteren, die vierzig Jahre sind, die Kinder und Familie haben, für die ist das ein Schock. Die bekommen hier keine Arbeit mehr. Die können nicht nach dem Westen rüber, die haben Häuser hier und Familie, die können nicht weg.
Beschissen, ich bin dreißig Jahre in der Firma und so schnell geben wir nicht auf, wir kämpfen weiter.
Was hier alles abwandert, das sind alles Leute, die hier mal gearbeitet haben, Leuna, Buna, Ammendorf und alles ist krachen gegangen. "
Die letzten 400 Waggonbauer aus Halle Ammendorf gehen schon lange nicht mehr auf die Straße. Von wegen: Das stählerne Herz von Halle muss weiter schlagen. Die Protestplakate sind verschwunden. Hinter der großen Tankstelle, an der Einfahrt zum Werksgelände von Bombardier, hatten sie sich vor Jahren zur Mahnwache versammelt. Ausharren in eisiger Kälte, tagelang. Autofahrer haben im vorbeifahren gehupt. Die Solidarität der Hallenser mit ihren Waggonbauern war schon immer etwas Besonderes. Die Männer und Frauen von der Mahnwache haben dann zufrieden genickt, sich an den lodernden Holzfeuern die Hände gewärmt. Doch längst sind die Flammen erloschen. Alle haben die Kündigung in der Tasche. Henry Hörholdt ist 44 Jahre alt. Mit siebzehn hat er als Anlagenmonteur im Waggonbau angefangen. Er hat den letzten Lohnschein gerade abgeholt, jetzt wird er nie wieder hingehen.
Die Wohnung liegt direkt an der dreispurigen Merseburger Straße, zum Werksgelände sind es nur fünfhundert Meter. Henry Hörholdt sitzt alleine im Wohnzimmer. Seine Frau arbeitet schon seit zehn Jahren nicht mehr in Ammendorf. Sie ist tagsüber für eine Reinigungsfirma unterwegs. Fast 70 Objekte, jeden Tag, für 800 Euro, das muss man sich mal vorstellen, sagt Henry Hörholdt und schüttelt den Kopf.
Er blättert in einem IG-Metall-Heft. Demonstrationen, Werksbesetzung, Politikerreden, Durchhalteparolen der Gewerkschaftsmänner, alles ist dokumentiert. Auch Zeitungsartikel hat Henry Hörholdt gesammelt. Ammendorf ist seine Familiengeschichte. Opa Karl, Vater Lothar und die beiden Brüder, einer aus der Familie ist immer auf einem der Fotos zu sehen.
"Die Frau ist ja schon seit 1995 entlassen, die ist immer mit gekommen, die Kinder sind mitgekommen, meine Frau, dann die Eltern mal vorne. "
Waggonbau in Ammendorf, Tradition seit fast zwei Jahrhunderten. Eine spannende Arbeit, eben nichts vom Fließband.
"Mein Vati hat ja auch fast vierzig Jahre im Waggonbau gearbeitet. Das war die Vielfalt, was wir den ganzen Tag gearbeitet haben, an der S-Bahn oder jetzt am ICE, heute das und morgen das. Das war eben ein großer Komplex, was wir so montiert haben. "
ICE-Züge für die Deutsche Bahn, Waggons mit Neigetechnik, Wagen für die Berliner S-Bahn, das waren die letzten Züge, die im Waggonbau Ammendorf gebaut wurden.
Reisezugwagen für die Sowjetunion waren zu DDR-Zeiten Markenzeichen der Ammendorfer. Lohn und Brot für 4700 Menschen. Vergangenheit. Vor fast zehn Jahren hat die Treuhand das letzte große DDR-Kombinat verkauft. Verkauft an eine internationale Fondsgesellschaft. Und die hat zwei Jahre später weiter verkauft, an den kanadischen Weltkonzern Bombardier. Da waren noch fast tausend in Ammendorf beschäftigt. Doch im Winter vor vier Jahren sieht der Weltkonzern, dass die Rechnung nicht aufgeht. Die Werke in Europa sind nur zur Hälfte ausgelastet, 35 sollen geschlossen werden. Henry Hörholdt hat die Worte vom Betriebsrat noch im Ohr.
"Die haben gesagt, Bombardier ist in die roten Zahlen gerutscht und sie müssen eben wegen den Kapazitäten in Deutschland, weil nicht mehr so viele Schienenfahrzeuge gebraucht werden, muss eben ein Betrieb dran glauben und das war eben Waggonbau Ammendorf. "
2002 ist das Jahr der Landtags- und Bundestagswahlen. Die Ammendorfer demonstrieren und die Politiker kommen. In Sachsen-Anhalt steht die rot-rote Landesregierung vor dem Aus. In Berlin kämpft Kanzler Schröder um weitere vier Jahre für die SPD und die Grünen. Er wird zum Retter für Ammendorf. Der Deal mit Bombardier: Serviceleistungen und Instandsetzungen für die deutsche Bahn. Die Jubelpose, das war Wahlkampf, sagt Henry Hörholdt heute. Genützt hat es nichts.
"Vor einem Monat war ich dabei die ganzen Bühnen zu demontieren. Wissen sie, damals 1995 hat unser Abteilungsleiter gesagt, das ist die modernste Halle in Europa. Wissen sie, wie uns zumute war, vor einem Monat als wir alles rausgeräumt haben? Meine Frau sagt, sie zieht den Hut vor denen, die das gemacht haben, denn wir waren ja doch einige Jahre da. "
Im neuen Jahr wird der Familienvater die meisten Ammendorfer in einer Auffanggesellschaft wieder sehen. Abstellgleis mit Kurzarbeiterlohn für ein Jahr, mehr nicht. Viele Kollegen sind schon weg, arbeiten in der Schweiz, irgendwo in Europa, sagt er. Seit Jahren schon will die Familie umziehen, weg aus den winzigen drei Zimmern direkt an der Merseburger Straße. Aber so richtig weit weg, nach Österreich oder Bayern, das hat er sich früher nie vorstellen können. Jetzt ist klar, in Halle hat Familie Hörholdt keine Zukunft.
"Das Traurige ist ja, erstens ist meine Schwiegermutter alleine, weil mein Schwager der ist auch vor fünf Jahren schon nach Hannover gezogen. Die Schwiegermutter hat schon gequäkt und gesagt, ihr könnt mich doch nicht verlassen. Aber ich sage: Oma, wir müssen weg, wir müssen ja noch mindestens 20 Jahre arbeiten. Das ist wirklich traurig. "
Auf dem Werksgelände von Bombardier ist alles ruhig, keiner kann mehr in die Hallen. Der Pförtner guckt aus dem Fenster, kaut an seiner letzten Stulle. Er sieht zum Parkplatz, kaum ein Auto. Kurz bevor die Werkstore schließen, ist niemand mehr unterwegs. Auch die Büros im Verwaltungsgebäude sind fast alle leer. Aber einer wie Rainer Knothe bleibt bis zuletzt. In seinem Büro stehen zusammengerollte Protestfahnen in der Ecke. Vor fast vier Jahrzehnten hat er als Lackierer angefangen. Seit Jahren ist er beim Betriebsrat. Seitdem sind dunkle Augenringe sein Markenzeichen.
"Ich werde, wie alle anderen Mitarbeiter auch, zum Jahresende bei Bombardier ausscheiden. Und ich weiß natürlich auch nicht, wie meine persönliche Zukunft aussieht. Nun bin ich Realist genug, dass ich weiß, dass ich als Betriebsratsvorsitzender eines solchen Werkes so gute Karten nicht habe. "
Die Stimme des Gewerkschaftsmannes ist von Ansprachen, Durchhalteparolen und Demonstrationen heiser. Seine Augen müde. Und trotzdem, Rainer Knothe hofft jeden Tag. Es heißt, dass die Stadtwerke mit Bombardier über den Kauf des Industriegeländes verhandeln. Es gibt außerdem Pläne für eine Nachfolgegesellschaft. Die Ammendorfer wollen Waggons für die Ukraine bauen, doch angeblich fürchtet Bombardier die Konkurrenz. Etwa 300 Arbeitsplätze auf dem Werksgelände, das ist die wohl allerletzte Option für den Standort.
" Hier geht’s nicht, dass Bombardier Millionen verlangt. Es geht um Verträge, die den Sinn und die Aufgabe haben, hier Nachfolgelösungen zu ermöglichen. Na und wenn’s nicht gelingt, dann hat Bombardier das Problem mit der so genannten Investruine. "
Im Rathaus in Halle sitzt Manfred Bartsch in einem winzigen Büro. Wirtschaftsförderung steht auf seinem Türschild, es klingt fast zynisch. Der Mann in dem blaugestreiften Hemd weiß, wie es um Halle steht. Seit der Wende sind 50.000 Menschen weg gezogen, auf der Suche nach Arbeit. Jeder fünfte in Halle ist arbeitslos. Es ist die Stadt im Osten mit den meisten Sozialhilfeempfängern. Das Aus für Ammendorf ist auch das Aus für mindestens 800 weitere Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie.
"Der ganze Dienstleistungsbereich ist betroffen, das ist Kaufkraft, die weg bricht, das sind Steuern, die weg brechen, das hat Auswirkungen, langfristig. Ein Wirtschaftsförderer kann immer nur eine Antwort geben. Wir müssen schauen, dass wir genügend industrielle Ansiedlungen in die Stadt bekommen, um einen Kompensationseffekt zu erreichen. "
Die Stadt Halle will Teile des riesigen Ammendorfer Werksgeländes in Gewerbefläche umwandeln. Große Teile liegen seit langem brach. Da sind ganze Areale wild bewachsen, alte Ziegelgebäude mit zerborstenen Scheiben, Bäume, die aus Mauern wachsen. Wege über holpriges Steinpflaster enden im Nichts, auf stillgelegten Betriebshöfen, vor rostigen Toren. Direkt an der Straße war einmal Werk I. Da suchen Landesregierung und Stadt seit Jahren Investoren, doch nur wenige Betriebe haben sich angesiedelt. Den Unternehmer Rene Wiedau wundert das nicht.
"Wenn sie mal sehen, was hier belegt ist, da kann ich ihnen genau sagen, wie das da drüben aussieht. Es gibt so viele Industriegebiete rundum, die nur zu 60 Prozent belegt sind, da werden sie so ein großes in der Stadt auch nicht voll kriegen, wer soll da hier was machen. "
Es ist laut, die Maschinen schneiden Platten aus Stein und Glas. Wer außer uns braucht schon so riesige Hallen, sagt Rene Wiedau und lacht. Eigentlich könnte er ruhig sein. Nur zehn Prozent seiner Aufträge gehen auf das Konto von Bombardier. Seine Angst: Viele Handwerksbetriebe werden den Aderlass nicht überleben. Der Unternehmer Hans Weise wollte es lange nicht glauben. Aber nach dem endgültigen Aus für Ammendorf macht seine Elektrofirma 90 Prozent weniger Umsatz. Weise ist spezialisiert auf Waggonbau, er hat schon vor Monaten dicht gemacht, seine fünf Mitarbeiter entlassen. Ihm bleibt eine düstere Prognose.
"Damit ist der Industriestandort im Eimer, die Jugend wird in den Westen ziehen und Halle wird zu einer Rentnerstadt werden. "
Uwe Behrendt hat jahrelang für Hans Weise gearbeitet. Jetzt ist er arbeitslos. Er und seine Frau wohnen wie viele Waggonbauer ganz in der Nähe vom Werksgelände. Eine Plattenbausiedlung, eine winzige Wohnung, drei Zimmer, nicht einmal 50 Quadratmeter. Uwe Behrendt sitzt auf dem Sofa, im Rücken eine Fototapete. Es ist ein buntes Bild vom Paradies: weißer Strand, blaues Wasser, grüne Palmen. Uwe Behrendt ist 44 Jahre alt, spezialisiert auf Hubbockanlagen für Zugwaggons.
"Wir hoffen, wir haben immer noch einen ganz kleinen Funken, dass im Waggonbau was weiter geht, sonst gibt’s doch hier nichts mehr. Nur ganz kleine Betriebe, die nicht einstellen und wenn, dann nur für 'n Appel und ´n Ei. "
Kein Tag, an dem nicht wieder einer verschwindet. Manche haben Glück, arbeiten bei Bombardier in Prag, in München, in Wien. Uwe Behrendt will nicht gehen, noch nicht. Seine Frau schüttelt den Kopf. Wellensittich Rudi hüpft in seinem Käfig.
"Wir haben ja bloß 'ne Neubauwohnung, aber irgendwie hängt man ja doch an der Heimat, Freunde, Verwandte, aber wenn alle Stricke reißen, es muss ja weiter gehen. "