Schluss mit dem Homeoffice

Endlich gibt es wieder das "Wir"

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Illustration zweier Büroarbeiter, die sich mit Mund-Nase-Bedeckung an einem gemeinsam genutzten Schreibtisch gegenüber sitzen.
Endlich wieder bei den Kollegen! Sicher, die Maske stört noch. Aber immerhin ist nun der direkte Austausch wieder leichter möglich. © Imago/fStop Images/Malte Müller
Ein Kommentar von Susanne Gaschke |
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Seit Anfang des Monats ist die Pflicht zum Homeoffice offiziell beendet. Gut so, findet die Publizistin Susanne Gaschke: Im Homeoffice leidet die Kreativität zugunsten autoritärer Strukturen.
Kaum eine Innovation wurde in den vergangenen 18 Monaten so hochgelobt wie die Heimarbeit. Nur dass diese, was natürlich viel schicker klingt, nicht Heimarbeit, sondern "Homeoffice" genannt wird. Doch nach anfänglicher Begeisterung für flexiblere Arbeitszeiten wird es Zeit, die ganze Sache etwas nüchterner zu bilanzieren.
Da zeigt sich dann, dass die Trennung von Arbeit und Freizeit, von Wohnung und Arbeitsplatz doch eine ziemlich großartige kulturelle Errungenschaft war. Eine Errungenschaft, die durch die angeblichen Vorteile der digitalen Verbundenheit nicht annähernd aufgewogen wird.
Deshalb müssen wir aufpassen, dass aus der Gesetzesinitiative des sozialdemokratischen Arbeitsministers Hubertus Heil, die ein Recht auf Heimarbeit festschreiben soll, für Arbeitnehmer nicht schleichend ein Zwang zur Einzelhaft am häuslichen Küchenschreibtisch wird.
Wohlgemerkt: Es geht nicht um einzelne Tage, sondern um das Normalarbeitsverhältnis.

Arbeiten im Homeoffice bringt echte Nachteile

Einige Argumente gegen das Homeoffice sind so banal wie unhintergehbar: Nicht jede Wohnung hat Platz für ein oder gar zwei Arbeitszimmer. Nicht jeder Arbeitnehmer kann sich einen teuren ergonomischen Schreibtischstuhl leisten. Körperlich anwesende Kinder sind eine um Welten intensivere Ablenkung, als es kaffeetrinkende Kollegen je sein könnten.
Viel schlimmer ist aber, dass sich die Software der Arbeit verändert, wenn Teams und Kollegenkreise auseinandergerissen werden. Zu Anfang der Coronazeit funktionierte der Austausch noch leidlich, weil Pläne und Projektlisten abzuarbeiten waren.
Doch mit der Fortdauer des – teils mit beinahe religiösem Eifer zelebrierten – Homeoffice bemerkten die besseren Teamleiter, dass neue Ideen auszubleiben begannen. Irgendwie schien von den Mitarbeitern weniger kreativer Input zu kommen, während diese zeitgleich das Gefühl entwickelten, sie müssten sich mittlerweile alles, aber auch wirklich alles, ganz allein ausdenken.
Das Management reagierte nervös und versuchte, mehr Druck auszuüben – ohne sich zu fragen, ob es auch handfeste psychologische Gründe dafür geben könnte, dass den vereinzelten Kollegen weniger einfiel als sonst der ganzen Gruppe.

Nur Gruppen leisten gegen Autoritätsgehabe Widerstand

Das zwischenmenschliche Phänomen "Gruppe" hat offenbar einen erheblichen Einfluss auf die Kreativität und Ausdrucksfähigkeit des Individuums. Regisseure beschreiben, wie Schauspieler, die deprimiert zur Probe kommen, weil sie zu Hause allein mit ihrem Text gerungen haben, im Ensemble plötzlich aufblühen und alles richtig machen.
Körpersprache, Lachen, Zwinkern, Scherze, wüste Unterbrechungen, pampiger Widerspruch, allzu harsch vorgetragene Kritik oder schneidend formulierte Anweisungen – all dies entfaltet in der Anwesenheitskultur gruppendynamische Wirkungen, gute und schlechte, die über die tagesaktuelle Befindlichkeit und den Beitrag des einzelnen hinausreichen.
Erfolgreichen Widerstand gegen Autoritätsgehabe gibt es nur in Gruppen. Videokonferenzen und die zugehörige Chat- und E-Mail-Kultur: Das sind Chef-Strukturen. Da werden Befehle durchgestellt, die Vorgesetzte sehr viel höflicher formulieren würden, wenn sie ihren Untergebenen gegenüberständen.
Es fehlt das kollektive Augenrollen, das souveräne Chefs als interne Qualitätskontrolle für ihre Vorschläge nutzen könnten. Außerdem fehlt vollkommen: die gemeinsame Begeisterung für ein Projekt.

Das Wirgefühl geht durchs Homeoffice verloren

In der Welt des Homeoffice verliert der Arbeitgeber seine Beschäftigten, für deren Wohlergehen er durchaus mitverantwortlich ist, aus dem Blick: Geht es ihnen gut? Hat jemand Burnout? Wer hat angefangen zu trinken?
Arbeitnehmer verlieren im Homeoffice das Gefühl, an einem gemeinsamen Anliegen beteiligt zu sein: Die Arbeit ist nicht mehr "unsere". Sie besteht aus Komponenten, die zugeteilt werden.
Sie degradiert die Beschäftigten zu Knechten eines Systems, in dem ihre Meinung viel weniger als früher gefragt ist.

Susanne Gaschke schreibt für WELT, WELT am SONNTAG und NZZ. Von 1997 bis 2012 war sie Reporterin und Leitartiklerin bei der Hamburger Wochenzeitung 'Die Zeit'. Ende Dezember 2012 übernahm die Sozialdemokratin das Oberbürgermeisteramt in Kiel. Ende Oktober 2013 erklärte sie ihren Rücktritt. 2020 trat sie aus der SPD aus. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher. Zuletzt erschien von ihr: "SPD. Eine Partei zwischen Burnout und Euphorie." (2017). Im Sommer 2021 erscheint im Heyne Verlag ihre Biografie des Grünen Co-Vorsitzenden Robert Habeck. Susanne Gaschke lebt mit ihrem Ehemann in Berlin

Susanne Gaschke
© Deutschlandradio/Jessica Sturmberg
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