Wie Absturz-Opfer entschädigt werden
Der Staatstrauerakt für die Germanswings-Opfer ist der Versuch, dem Schmerz der Angehörigen Raum zu geben. Doch im deutschen Recht bleibt den Hinterbliebenen diese Anerkennung meist verwehrt. Anders als in den USA oder in europäischen Ländern wie Spanien und Frankreich erhalten Hinterbliebene hierzulande kein Schmerzensgeld.
In der Kölner Domsingschule ist der Männerchor zur letzten Probe zusammen gekommen. Unter der Leitung von Dom-Kapellmeister Eberhard Metternich bereiten sie sich auf die Trauerfeier für die Opfer des Germanwings-Absturzes vor. Sie singen ein Requiem von Gabriel Fauré.
"Dieses Fauré-Requiem bringt die Trauer zum Ausdruck - in einer Ruhe und nicht in einer großen Dramatik. Die Musik spricht ja eine sehr emotionale Seite an, und das, was mit Worten nicht gesagt werden kann - diese emotionale Seite, die auch ein bisschen aus zunächst der Fassungslosigkeit und dieser Hoffnungslosigkeit vielleicht dann doch ein wenig Trost und Zuversicht spenden kann, das kann die Musik dann doch auf eine andere Weise, als wenn man es nur in gesprochene Worte fasst", erklärt Eberhard Metternich seine Gedanken hinter dem musikalischen Programm.
Der Staatstrauerakt ist der Versuch, dem Schmerz der Opferangehörigen Raum zu geben, ihn anzuerkennen. Anerkennung, die die Hinterbliebenen des Germanwings-Absturzes im deutschen Recht vergeblich suchen.
"Für mich ist eine der schwierigsten Situationen vor die Hinterbliebenen zu treten und ihnen das deutsche Recht zu erklären. Das bringt man teilweise nicht über die Lippen."
Eltern erhalten kein Geld
Elmar Giemulla ist Honorarprofessor für Luftrecht an der TU Berlin und tätiger Jurist. Schon nach mehreren Flugzeugkatastrophen hat er als Opferanwalt gearbeitet, unter anderem im Fall des über der Ukraine abgeschossenen Fluges MH17. Auch zahlreiche Angehörige des Germanwings-Unglücks wird er vertreten. Die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Recht sind dabei nur schwer vermittelbar:
"Was schwer wiegt, gerade im Germanwings-Fall, ist, dass in Amerika der emotionale Schaden anerkannt ist als ersatzfähig, und zwar nicht nur der Schaden der Hinterbliebenen, denen ja die Familien zerrissen worden sind, die sich ja völlig neu orientieren müssen, sondern auch die emotionale Belastung, die die Opfer selbst die letzten schrecklichen acht Minuten vor dem Aufschlag durchleben mussten. Auch das wird ersetzt und das summiert sich in die Millionenbeträge, während das bei uns überhaupt nicht, nicht mit einem Cent ersatzfähig ist."
Denn das deutsche Recht orientiert sich ausschließlich an den unmittelbaren finanziellen und körperlichen Folgeschäden eines Unglücks. Wenn etwa ein Elternteil umkommt, müssen die Versicherungen für den Unterhalt der hinterbliebenen Kinder aufkommen. Wenn aber umgekehrt ein Kind oder Jugendlicher stirbt, fallen, so makaber es klingt, keine ersatzfähigen Kosten an. Die Eltern erhalten kein Geld.
"Derjenige, der ein Kind ermordet, kaltblütig niederschießt, ist den Eltern nach unserer Rechtsordnung nur verpflichtet die Beerdigungskosten zu bezahlen. Abgesehen davon, dass er sich strafbar gemacht hat, das ist wieder eine andere Sache. Aber die Genugtuung, die ja eine Schadensersatzzahlung auch beinhalten soll, ist ja gleich null. Und das ist etwas, was die Betroffenen natürlich als schreiende Ungerechtigkeit empfinden."
Entschädigung nach deutschem Recht
Anders als in den USA besitzt eine Entschädigungszahlung im deutschen Recht also weder die Funktion der Wiedergutmachung noch der Bestrafung. Damit unterscheidet es sich auch vom französischen und spanischen. Dort liegen die Zahlungen mit etwa 50.000 Euro zwar weit unter denen in Nordamerika. Trotzdem enthalten auch sie das Anliegen, den verursachten seelischen Schaden durch die Entschädigung anzuerkennen. Die aktuelle Rechtsprechung in Deutschland begründet die Gesetzeslage folgendermaßen:
"Zuletzt im Februar dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich noch mal darauf hingewiesen, dass für den Tod eines nahestehenden Angehörigen kein Schmerzensgeld gezahlt wird, weil wir, ich zitiere jetzt fast wörtlich, wir Menschen sind darauf eingerichtet, psychologisch, psychisch sind wir dafür ausgestattet, den Tod von Angehörigen miterleben und ihn auch verarbeiten zu müssen. Das ist das allgemeine Lebensrisiko, dem wir alle ausgesetzt sind."
Bundesregierung plant Gesetzesänderung
Diese Rechtslage widerspricht unserem ethischen Empfinden. Das hat auch die Große Koalition eingesehen. Im Anschluss an die Germanwings-Katastrophe möchte sie noch vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen. Der soll den erweiterten Anspruch auf Entschädigung für Angehörige von Unfallopfern rechtlich festschreiben. Professor Elmar Giemulla begrüßt das:
"Das ist eine ganz wichtige, fast rechtshistorische Entscheidung, die hier umgesetzt werden soll. Sie macht Schluss mit dieser unseligen Tradition, der Nichtanerkennung seelischen Schmerzes, die Tradition, die fast "deutsch" zu nennen ist, dass man seelischen Schmerz nicht zu haben hat, dass man sich gefälligst zusammen zu reißen hat. Es kann nicht sein, dass das Recht und die Mentalität, die Einstellung der Bevölkerung auseinanderbricht, dass die Leute also entsetzt sind, wenn sie in einer konkreten Situation erfahren, wie das Recht sich für sie auswirkt."
Die Angehörigen des Germanwings-Absturzes werden allerdings noch nicht von der geplanten Gesetzesänderung profitieren können. Elmar Giemulla ist aber zuversichtlich, dass die Lufthansa Wort halten und sich an den Entschädigungsansprüchen in Frankreich und Spanien orientieren wird.
Doch letztlich kann nichts, auch keine monetäre Kompensation, darüber hinwegtäuschen, dass das Unwiederbringliche nicht wieder gut zu machen ist.
Um so wichtiger ist es, dass es im Rahmen der Trauerfeier im Kölner Dom eine soziale Anerkennung des erlittenen Verlusts gibt, einen Raum, in dem das schwer in Worte Zufassende emotionalen Anklang findet.