Schmerzmittel als Droge

Westafrika wird von Opioiden überschwemmt

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Medikamentenangebotl auf dem Markt © Laura Salm-Reifferscheidt
Von Laura Salm-Reifferscheidt |
Nicht nur in den USA sind ganze Bevölkerungschichten von opioiden Schmerzmitteln abhängig. Auch in Togo und anderen afrikanischen Ländern sind die kleinen grünen Pillen längst eine Volksdroge. Die Folgen sind verheerend. Suchthilfe für die Betroffenen gibt es kaum.
"Lucien, hast du heute schon Tramadol genommen?"
"Ja, ich habe es heute morgen genommen, damit ich arbeiten kann. Gestern Abend habe ich keines genommen, deswegen konnte ich nicht schlafen. Also habe ich es heute gleich vor der Arbeit genommen. Jetzt fühl ich mich gut."
Es ist kurz vor zehn Uhr morgens. Die Sonne knallt auf das Dach von Luciens kleiner Motorradwerkstatt. Sie liegt an einer sandigen Straße in Lomé, der Hauptstadt von Togo. Die Werkstatt ist eine einfache Konstruktion aus ein paar Holzbalken, Pappkarton und Wellblech. Ölverschmiertes Werkzeug liegt rund um die Einzelteile von vier Motorrädern. Lucien macht sich gerade an der Elektronik einer der Maschinen zu schaffen. Er trägt rote Capri-Hosen und ein schwarzes ärmelloses Shirt. Seine Oberarme sind muskulös. Der 28-Jährige hat ein charmantes offenes Lächeln, das eine Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zeigt und seine Augen strahlen lässt. An guten Tagen wie heute verdient der Mechaniker bis zu 5000 westafrikanische Francs, umgerechnet keine acht Euro. Doch diese Tage sind selten. Meistens geht er mit weniger nach Hause.
"Ich nehme morgens drei Kapseln und dann geh ich zur Arbeit. Wenn es was zu tun gibt, arbeite ich richtig gut und denke auch über nichts anderes nach. Aber wenn es nichts zu tun gibt und ich mich langweile, dann verfalle ich ins Grübeln: Warum habe ich keine Arbeit? Warum kommen keine Kunden? Dann nehme ich bis zu acht Tramadol."
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Luciens Werkstatt© Laura Salm-Reifferscheidt

Die kleinen grünen Kapseln halten bei Laune

Es sind kleine, grüne Kapseln, die Lucien bei Laune halten. Als der Mechaniker heute morgen aufgewacht ist, konnte er sich nicht einmal Wasser zum Duschen holen, so schwach war er. Also hat er ein paar Tramadol genommen, dann sah der Tag schon anders aus. Das opioide Schmerzmittel wird eigentlich nach Operationen, an Krebs-Patienten oder bei Rückenschmerzen verabreicht. In Togo und auch in anderen Ländern West- und Nordafrikas aber ist es DIE Volksdroge: Tramadol ist billig, leicht zu kriegen und in hohen Dosen extrem wirksam.
Das Schmerzmittel wurde ursprünglich von der deutschen Grünenthal GmbH entwickelt und kam 1977 unter dem Namen Tramal auf den Markt. Als dann der Patentschutz des Mittels in einigen Gebieten auslief, witterten Indiens Generika-Hersteller das große Geschäft. Und so kommen die Tramadol-Tabletten, die Lucien jeden Tag nimmt, überwiegend aus Indien, aber auch aus China und teilweise aus Nigeria und Ghana.
Lucien ist schon seit fast fünf Jahren von Tramadol abhängig. Als der Mechaniker anfing das Medikament zu nehmen, arbeitete er noch als Motorradtaxifahrer oder Zedman, wie sie in Togo genannt werden. Das sind meist junge Männer, die mit einem Motorrad durch die Gegend fahren und gegen ein paar Cent Kunden auf ihrem Rücksitz mitnehmen.
"Meine Freunde haben mir von diesem Medikament erzählt, das einem Kraft gibt. Damit könne man richtig gut arbeiten, ohne wütend zu werden. Als ich es das erste Mal genommen habe, fühlte ich mich unbesiegbar und stark. Hätte ich nachts jemanden, der gefährlich war, in eine dunkle Ecke der Stadt fahren sollen – ich hätte es gemacht. Ich habe vor nichts Angst gehabt. Am nächsten Tag nahm ich es also gleich wieder in höherer Dosis, weil es einfach zu gut war."
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Motorradtaxis warten auf Kundschaft© Laura Salm-Reifferscheidt
Gleich neben Luciens Werkstatt sitzt ein Dutzend Männer im Schatten von drei großen Bäumen. Es ist eine zusammengewürfelte Truppe von Zedman, Lastwagenfahrern und Bauarbeitern.
Einer der Männer schüttet den Inhalt von drei Tramadol-Kapseln in seinen Plastikbecher voller Nescafé und rührt um. Lachend streckt er mir die Mischung entgegen, ob ich denn auch probieren wolle. "Jeder nimmt das hier", fügt er hinzu.
"Ich nehme es zum Arbeiten. Wenn ich es nehme, macht es mich stark. Wenn nicht, werde ich krank. Mein Körper tut dann weh. Ich werde schwach. Es ist, als ob man eine Malaria hat. Wenn ich es nicht nehme, kann ich nicht arbeiten. Als ich gemerkt habe, wie schlecht es für mich ist, wollte ich damit aufhören. Ich nehme vier am Tag, je 120 mg. Wenn man vorher nichts isst oder es einem nicht gut geht, dann riskiert man, dass man zusammenbricht, so was wie einen epileptischen Anfall hat. Das ist mir aber noch nie passiert."
"Es gibt einige die es missbrauchen. Sie haben einen Zusammenbruch. Das ist das Schlechte daran und deshalb sprechen die Menschen auch schlecht darüber. Es verlangsamt den Kreislauf und man kann einen Herzschlag kriegen. Erst gestern ist das einem Freund von mir passiert, während der Fahrt. Er ist in den Abwasserkanal gefallen und hat sich das Bein gebrochen. Jetzt ist er im Krankenhaus. Er hatte einen Zusammenbruch während er sein Motorrad fuhr."

2280mg Tagesdosis statt 400mg

Neben Lucien sitzt ein stämmiger Mann. Um seinen Hals hängt ein großes silbernes Kreuz an einer Kette. Er stellt sich als Kparo vor. Seine pockennarbige Haut ist fahl, seine Augen starren ins Nichts.
"Hier in Afrika herrscht Armut. Wir leiden hier. Es gibt nicht viele Jobs. Wenn man also einen findet, ist das schon mal was. Man muss was nehmen, um richtig gut arbeiten zu können, sonst feuert dich dein Chef gleich nach dem ersten Tag. Du verlierst einfach deinen Job. Deswegen nehmen manche Tramadol, um hart arbeiten zu können, um den Job zu behalten."
Kparo ist 32 und Vater von zwei Kindern. Seit sechs Jahren nimmt er Tramadol. Sieben Kapseln am Morgen, sieben zu Mittag und fünf am Abend. Insgesamt sind das 2.280 mg jeden Tag. Die von Ärzten empfohlene maximale Tagesdosis liegt bei 400 mg.
Blisterpackung
Tramadol-Kapseln dunkler Herkunft© Laura Salm Reifferscheidt
Tramadol hat eine ähnlich euphorisierende Wirkung wie Heroin. Je nach Dosis kostet eine Kapsel oder Tablette aber nur 50 oder 100 Francs, das sind nur ein paar Euro-Cent. Und das Schmerzmittel ist nicht mit demselben Stigma behaftet. Schließlich sehen die Menschen es bloß als ein Medikament und nicht als Droge. Dabei darf Tramadol gar nicht ohne Rezept verkauft werden, sagt Psychiater Damega Wenkourama. Im Prinzip.
"Im Prinzip, ich sage extra, im Prinzip. Aber weil es der Mensch ist, der die Gesetze macht, ist es auch der Mensch, der sie umgeht. Deswegen kommt man auch leicht an Tramadol ran. Früher gab es nicht so viel Tramadol, weil man es nur in der Apotheke bekam und der Zugang schwerer war."
Tramadol steht im Gegensatz zu stärkeren Opiaten wie Morphium, Methadon und Fentanyl nicht auf der Liste der international kontrollierten Medikamente. Das bedeutet, jedes Land muss selber darüber bestimmen, wie viel Tramadol es herstellt, einführt und ausführt. Davon profitieren Indiens Generika-Hersteller, die Schiffsladungen voller Tramadol nach Nord- und Westafrika exportieren. Das kommt zwar Patienten zu Gute, die wirklich ein billiges Schmerzmittel brauchen, aber lässt auch Raum für Missbrauch.

Tramadol für Selbstmordattentäter

Erst Ende 2017 sprach das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung eine Warnung aus: Der stetig steigende Handel von Tramadol sei ein Sicherheitsrisiko für die Sahel-Zone und Nordafrika. Das Schmerzmittel aus Indien wird über die Häfen im Golf von Guinea von transnationalen Schmuggler- und Drogennetzwerken in die Sahel-Zone gebracht. Terroristische Gruppen wie der Islamische Staat in Libyen und Boko Haram in Nigeria finanzieren sich unter anderem mit dem Verkauf von Tramadol an die normale Bevölkerung und sie verabreichen das Schmerzmittel auch ihren Kämpfern und Selbstmordattentätern. Die Beschlagnahmung von Tramadol in Afrika südlich der Sahara ist in den letzten fünf Jahren von 300 Kilogramm auf drei Tonnen gestiegen. Damega Wenkourama:
"Tramadol wird über ein Netzwerk legal - in Anführungszeichen - ins Land eingeführt, aber auf illegale Weise. Diese Netzwerke sind sehr mächtig. Die meisten Medikamente werden über Nigeria eingeführt, aber ich weiss nicht, wie sie es machen. Über die Transit-Route weiss ich nichts. Wenn man zum Großen Markt hier geht und man sich das Angebot dort ansieht, wird man alles finden – Diazepam, alles, alles! Ich weiss nicht, wie sie es machen, aber sie haben alle Medikamente. Da kaufen dann die Motorradtaxifahrer und die anderen ihr Tramadol. Es kommt selten aus der Apotheke."
Der Große Markt von Lomé liegt im Süden der Stadt, nur ein paar Meter vom palmengesäumten Strand entfernt. Es sind unzählige Straßen voll von Geschäften und Ständen mit kunstvoll aufgetürmten Haarspangen und Perücken, farbenfrohen Stoffen, Unterwäsche und Schuhen, frischem Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch. Es herrscht dichtes Gedränge, die Händler preisen ihre Waren lautstark an, Frauen und Männer streiten um die Preise, Lieferanten pflügen mit vollbeladenen Handkarren durch die Menge und Motorräder hupen sich den Weg frei. In einer Straße reihen sich dicht an dicht die Medikamenten-Verkäufer: Es gibt alles: von Paracetamol und Tabletten gegen Osteoporose, Malaria-Prophylaxen, Naturprodukte gegen Akne über Vitamintabletten und Ingwer-Pulver bis hin zu Potenzmittel und Entzündungshemmern.

Medikamentencocktail auf dem Markt

Laut den Aufschriften auf den Packungen kommen die Medikamente aus Indien, China oder Indonesien, auch aus Nigeria und Ghana. Manche sind Generika, andere minderwertig und abgelaufen, gefälscht oder illegal eingeführt. Mehr als 40 Prozent aller Medikamente, die in Ländern südlich der Sahara verkauft werden, sollen laut der Weltgesundheitsorganisation Fälschungen sein. Somit ist alles billiger als in der Apotheke und ohne Rezept erhältlich. In Togo muss man für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und Medikamente selbst aufkommen, kaum jemand ist versichert. Und so blüht das Geschäft der Straßen-Apotheker, ganz nach dem Motto "besser schlecht geheilt als gar nicht", wie einer von ihnen fabuliert.
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Motorradtaxi in Lomé © Laura Salm-Reifferscheidt
"Die Leute sind vorsichtiger geworden. Die, die es nehmen, machen komische Dinge. Sie legen sich während der Fahrt auf den Sitz und fallen einfach mit ihrem Motorrad um, und verletzen sich. Wenn sie dann im Krankenhaus sind und man ihnen Blut abnimmt, findet man keine Spur von Alkohol darin. So hat die Polizei herausgefunden, dass es etwas anderes sein muss und deswegen verfolgt die Polizei jetzt diejenigen, die Tramadol verkaufen."
Nestor ist ein Zwischenhändler, der bereit ist mit mir zu sprechen. Er verkauft Medikamente an die Frauen und Männer, die hier auf dem großen Markt von Lomé ihre Waren anpreisen, aber auch an jene, die mit ihren Bauchläden in der ganze Stadt ausschwärmen. Seit 12 Jahren ist Nestor schon im Geschäft. Damals begann er mit dem Verkauf von Tramadol. Nicht nur die Nachfrage ist seitdem stetig gestiegen, auch immer höhere Dosen werden verlangt. Darauf haben vor allem die indischen Tramadol-Hersteller reagiert und so bekommt man auf der Straße 120 bis 225 mg-Kapseln oder Tabletten, manchmal sogar bis zu 500mg. In Apotheken sind nur jene mit 50 oder 100 mg erhältlich.
"Ich mische auch andere Medikamente unter die Tramadol-Pillen. Wenn die Polizei dann kommt und mich fragt, was ich verkaufe, kann ich ihnen diese anderen Medikamente zeigen. Wenn sie entdecken würde, dass ich nur Tramadol verkaufe, dann würde ich Probleme bekommen. Man muss eben auch andere Medikamente wie Paracetamol, Flavoquin, Aspirin verkaufen. Diese sehen ein bisschen aus wie Tramadol. Sie können den Unterschied nicht so sehen und verschwinden wieder."

Schmuggel und Korruption an den Grenzen

Auch wenn die Behörden nun langsam auf den Missbrauch von Tramadol aufmerksam werden, finden Produzenten und Importeure Schlupflöcher. Die Grenzen in Westafrika sind durchlässig, die Zollbehörden häufig korrupt, die Schmuggler gut vernetzt. Und Togo ist nicht das einzige Land, in dem immer mehr Menschen von Tramadol abhängig sind. Nigeria, Ghana und Benin sind ebenfalls betroffen. Ägypten hat schon seit Jahren mit dem Schmerzmittel zu kämpfen. Fast 70 Prozent jener, die in einer staatlichen Suchtstelle behandelt werden, sind Tramadol-abhängig. In Gabun hat es unter dem Namen "Kobolo" die Schulen erreicht und in Kamerun nehmen es Bauern und verfüttern es auch an ihre Tiere, damit sie die harte Feldarbeit in der erbarmungslosen Sonne ertragen.
"Wenn ich Kaffee mit Tramadol haben möchte, was muss ich dann sagen?"
"Schwarzer Kaffee. Es gibt lauter Kennwörter. Schlag mir zwei Eier auf. Und es gibt auch Zeichen. Die Leute kommen und machen Zeichen mit ihren Händen, dass sie zwei oder drei wollen. Es ist geheim."
Nur jene, die spezielle Codewörter und Handzeichen kennen oder Stammkunden sind, kommen an ihre tägliche Dosis Tramadol, erklärt Eli. Rund um seinen Handkarren beladen mit Thermosflaschen voll heißem Wasser, Dosen mit Kondensmilch, Zucker, Teebeutel und löslichem Kaffee liegen ausgedrückte Blister-Packungen im Sand. Der hagere 27-Jährige verkauft Kaffee und Tee. Und je nach Tag zwischen 60 und 200 Tramadol-Tabletten.
"Ich kenne das schon seit langem, seit acht Jahren oder so. Es wird immer mehr. Jeden Tag tauchen hier neue Gesichter auf."
Seine Kunden sind bunt gemischt, Zedman und andere mit anstrengenden Jobs, aber auch Schüler, Prostituierte, Studenten. "Auch reiche Typen mit protzigen Autos kommen vorbei", sagt Eli. Sogar ein Fußballspieler und ein Pastor gehören zu seinen Stammkunden.
"Ich mag es, so Geschäfte zu machen. Obwohl es illegal ist. Aber es gibt keine Arbeit in Lomé. Als junger Mensch muss ich das schon mal sagen. Die Jugend leidet hier. Wenn wir damit also etwas Geld verdienen können, um zu essen und um zu überleben, dann verkaufen wir das Zeug, auch wenn es illegal ist. Das ist Lomé! Und die Menschen konsumieren es. So einfach ist das."
Auch Lucien, der Motorradmechaniker, kauft bei Eli ein, trinkt morgens dort seinen Kaffee mit Tramadol. Aus seiner Tasche zieht er ein paar einzelne Tabletten. Je nach Dosis haben sie unterschiedliche Wirkungen, werden auch nach ihrer Stärke oder Farbe benannt. Mittlerweile nimmt Lucien fast das Doppelte der empfohlenen Tagesdosis, obwohl er weiß, was das Medikament mit ihm machen kann. Drei Bekannte sind schon an einer Überdosis gestorben.

Malaria-Symptome beim Entzug

Wenn er Tramadol genommen hat, spricht Lucien gehetzt, stottert und stolpert über seine Worte. Über die Jahre hat er drei Zusammenbrüche gehabt und landete im Krankenhaus oder bei einem Arzt. Das letzte Mal passierte es, als er gerade zu Besuch in seinem Dorf war:
"Ich war auf dem Weg in mein Dorf, also nahm ich ganz viel, bevor ich losfuhr, vier Tabletten. Da war es zehn Uhr abends. Im Dorf war ein Fest. Ich habe die ganze Nacht gefeiert und bis in den Morgen getrunken. Da hat das Tramadol aufgehört zu wirken und um sieben oder acht Uhr morgens spürte ich die Entzugserscheinungen. Bis ich irgendwohin fahren konnte, um neues zu kaufen, haben mich schon Symptome wie bei einer Malaria überrollt."
Luciens Vater, ein traditioneller Heiler und Voodoo-Priester, untersuchte ihn und kam zu dem Schluss, dass seine Krankheit keine spirituelle Ursache hatte. In Togo und vielen anderen Ländern Afrikas vermutet man hinter psychischen Krankheiten, aber auch hinter Alkohol- und Drogenproblemen böse Geister oder eine Verhexung. Aus diesem Glauben heraus, aber auch aus Mangel an Alternativen und an Aufklärungskampagnen über Drogen, schicken Familien ihre kranken Verwandten oft zu Heilern oder christlichen Priestern, um sie exorzieren zu lassen. In Togo gibt es nur eine staatliche Psychiatrie und ein paar regionale Krankenhäuser mit psychiatrischer Abteilung und einige private Kliniken für mehr als sieben Millionen Einwohner, erklärt der Psychiater Damega Wenkourama.
"Zur Zeit sind wir nur zwei Suchtexperten in Togo. In ganz Togo zwei Suchtexperten! Wir sind auch gleichzeitig Psychiater. Aber es gibt keine geeignete Infrastruktur für Suchtkrankheiten. Wir würden gerne in den kommenden Jahren eine Struktur aufbauen, die ausschließlich für Suchtkranke ist; wo wir nicht psychisch Kranke und Suchtkranke mischen müssen. Dann kommen die Suchtkranken nicht. Denn sie sagen, ich bin suchtkrank, aber nicht verrückt. Bisher behindert das die Entscheidung, sich behandeln zu lassen. Wenn wir die Mittel hätten, könnten wir eine Struktur ausschließlich für Suchtkranke aufbauen. Das würde uns sehr helfen."

Rat bei der Hebamme statt beim Suchtexperten

Auch Lucien weiß nicht, wie er mit seiner Sucht umgehen soll; wo er Hilfe bekommen kann. Als er in seinem Dorf den Zusammenbruch hatte, schickte sein Vater ihn zu einer Hebamme – die einzige Person mit medizinischen Kenntnissen in der Nähe. Der junge Mann war nicht ihr erster Patient, der Probleme mit Tramadol hatte. Auch die Jugendlichen und Bauern auf dem Land nehmen das Schmerzmittel. Doch wirklich helfen konnte sie ihm auch nicht.
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Hebamme im Gesundheitszentrum mit Lucien© Laura Salm-Reifferscheidt
"Sie hat zu mir gesagt, ich muss die Dosis reduzieren, erst auf drei bis vier, dann auf eins oder zwei, um es dann ganz zu lassen. Aber als ich dann wieder zuhause war und ich es nicht nahm, konnte ich nicht schlafen. Ich musste also mindestens eines nehmen vorm Schlafen. Ich habe versucht, es bleiben zu lassen, aber ich konnte es nicht. Ich will es aufhören, ich will etwas haben, dass ich nehmen kann, damit ich mit Tramadol aufhören kann."
Als Lucien seinen letzten Zusammenbruch hatte, fand auch seine Frau heraus, dass er von Tramadol abhängig ist.
"Ich erzähle ihr immer, dass ich es nicht mehr nehme, aber sie sieht, wie ich bin, wie ich reagiere. Sie glaubt mir nicht und sagt, ich verstecke es vor ihr. Sie weiß, ich verhalte mich so wegen Tramadol. Also, auch wenn ich ihr sage, ich nehme es nicht mehr, glaubt sie mir nicht. Manchmal vergesse ich Tabletten in meiner Hosentasche und sie findet die. Dann kriege ich zuhause Probleme. Um sie zu beruhigen, sage ich ihr dann, dass ich die für jemanden anderen gekauft habe, aber sie glaubt es mir nicht. Also schmeißt sie die Tabletten in den Ausguss."
Lucien mietet ein kleines Zimmer in einem Außenbezirk von Lomé. Es passen gerade ein Bett, ein Sofa und ein Fernseher, der immerfort läuft, hinein. Er sitzt an einem Ende des Bettes, seine Frau Elli, eine hübsche 27-Jährige Friseuse, am anderen Ende, neben ihr die gemeinsame Tochter Rubertine, sieben Jahre alt. Lucien und Elli kennen sich schon seit mehr als 15 Jahren. Sie kommen aus demselben Dorf, sind dort miteinander in die Schule gegangen.
"Wenn er es nimmt, ist er nicht mehr er selbst. Dann denkt er nicht nach, bevor er irgendwas macht und er benimmt sich daneben."
Lucien sei auch aggressiver geworden, sagt Elli. Er sei ungeduldig und hyperaktiv, tauche nur noch selten zu Hause auf. Die beiden streiten sich häufig, meistens wegen Tramadol. Das Schmerzmittel hat ihre Beziehung vergiftet. Er kann ohne das Medikament auch keinen Sex mehr haben.

Familie und Freunde verlieren die Geduld

Auch Luciens Freunde verlieren langsam die Geduld mit ihm. Sein Partner Kofi, mit dem er zusammen die Werkstatt betreibt, musste ihn schon einmal ins Krankenhaus bringen. Als er damals erfuhr, dass Lucien eine Überdosis Tramadol genommen hatte, ließ er ihn vor Wut alleine zurück und kam erst nach einem Tag wieder.
"Lucien nimmt es, obwohl ich ihm immer wieder sage, er soll es lassen. So oft! Wenn mein Freund es also das nächste Mal nimmt und einen Unfall baut und ich an ihm vorbeifahre, werde ich NICHT stehen bleiben, um ihm zu helfen. Ich tue dann so, als ob ich ihn nicht kenne. Weil ich ihm so oft gesagt habe, er soll es lassen, und er macht doch nur weiter. Die, die es nehmen, verhalten sich wie Geisteskranke. Sie machen verrückte Sachen. Es ist einfach nicht gut für die Menschen, gar nicht gut."
Immer öfter überlegt Lucien, wie er von Tramadol wegkommen könnte. Mit Gottes Hilfe, wie er sagt, findet er vielleicht jemanden, der ihm ein Medikament gibt, das ihm dabei hilft, seine Sucht zu bändigen. Oder er könnte ein wenig Geld sparen, eine Auszeit nehmen, in sein Dorf zu seiner Familie gehen und dort einen Entzug machen.
All das sagt er, ohne große Überzeugung. Luciens sonst so strahlendes Gesicht, fällt in sich zusammen. In Momenten wie diesen, wenn er zu viel nachdenkt, wird ihm klar: Er ist suchtkrank, er ruiniert gerade sein Leben und das seiner Familie. Und er kann nicht auf Hilfe hoffen, weil es keine Hilfe gibt. Alles liegt in seiner Hand.
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