Schmidt: Sprache darf keine Barrieren bauen

Ulla Schmidt im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Bei Barrierefreiheit spiele nicht nur "die Frage der Rampen für die Rollstühle eine Rolle", betont die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt. Auch Sprache könne eine Barriere darstellen und deshalb setze sich die SPD für ein Recht auf leichte Sprache ein, um Behinderten die "Teilhabe an Informationen" zu ermöglichen.
Gabi Wuttke: Deutsch ist eine schwere Sprache. Wenn der Amtsschimmel sich einmischt, bekommt es babylonische Züge. Das soll sich ändern. Bevor wir mit einer Lehrerin für Sonderpädagogik und Rehabilitation lernbehinderter Kinder sprechen, einige Beispiele, warum die SPD gerne das Recht auf leichte Sprache gesetzlich verankert sähe - ein Antrag, den die Fraktion heute im Bundestag einbringen will.

Korbinian Frenzel stellt in Bericht von Korbinian Frenzel zum Thema leichte Sprache (MP3-Audio) seinem Bericht die Frage, was ist einfache Sprache? Und stellt zwei Varianten der einfachen Sprache vor, mit denen die Sozialdemokraten heute im Bundestag ihren Antrag auf das Recht für leichte Sprache einreichen wollen.

Am Telefon ist jetzt die gerade schon angekündigte einstige Lehrerin für Sonderpädagogik, die Sozialdemokratin Ulla Schmidt, die viele Jahre die Gesundheitspolitik in Deutschland als Bundesministerin verantwortet hat.

Ulla Schmidt: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Warum brauchen wir diese komplizierte Version Ihres Antrages, wenn wir ja gehört haben, doch alle froh sind über leicht Verständliches.

Schmidt: Ich glaube, man braucht beides. Wir brauchen ja diese genauen Formulierungen, weil das, was wir in Anträgen auch auf den Weg bringen, nachher auch in Recht umgesetzt werden muss. Und wenn Sie eine Beschreibung machen zum Beispiel, wo bei Vergabe von Fördermitteln immer die leichte Sprache oder die Barrierefreiheit Voraussetzung sein sollen, dann muss das sehr klar definiert werden. Aber manches, was klar definiert ist, ist eben nicht so, dass es sehr verständlich ist für Menschen, die vielleicht Lese- und Rechtschreibeschwäche haben oder die Konzentrationsstörungen haben, Lernschwierigkeiten oder eben die deutsche Sprache noch gar nicht so beherrschen. Und deswegen ist die einfache Sprache die Umsetzung eines Antrages, der auch Rechtsansprüche formuliert, dahingehend, dass die Menschen verstehen, was wir eigentlich damit wollen, und dass die Menschen besser Politik verstehen können und auch damit ihre politischen Rechte wahrnehmen können.

Wuttke: Hat sie denn ein konkretes Erlebnis auf diese Idee gebracht?

Schmidt: Ich arbeite ja sehr viel und sehr eng auch mit der Lebenshilfe zusammen und habe von dort immer wieder auch auf Veranstaltungen gesehen, wie mit leichter Sprache auch geistig behinderte Menschen Funktionen in Vorständen wahrnehmen, dass geistig behinderte Menschen Vorträge halten können und vieles andere mehr, wenn man versucht, auch die Sprache auf das zu reduzieren, was wirklich Inhalt ist und was rüberkommen muss.

Aber jetzt in der Diskussion über die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, wo es ja auch darum geht, dass ein Punkt ist, alle sollen an allen kulturellen Aktivitäten teilnehmen können, sollen Zugang haben zu den Medien, zu dem, was in dieser Gesellschaft auch geschrieben wird, dargestellt wird, da kam doch die Idee, dass eben bei Barrierefreiheit nicht nur immer die Frage der Rampen für die Rollstühle eine Rolle spielt oder die Frage, ob ich einen Kulturraum mit einem Aufzug erreichen kann, sondern die Barriere oft entsteht, weil die Sprache nicht verstanden wird.

Und in der Diskussion mit dem Behindertenverbänden haben sie gesagt, gerade dieser Punkt - Teilhabe an Kultur, Teilhabe an Informationen - braucht die einfache Sprache, und da ist dann draus entstanden, dass wir gesagt haben, okay, dann machen wir das einmal, und wir hoffen, dass das nicht nur einmal bleibt, sondern dass wir uns als Bundestag Gedanken machen, wie können wir denn das, was wir politisch machen, einfacher, genauer, präziser und verständlicher für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land auch aufbereiten.

Wuttke: Der SPD-Antrag beruft sich ja auf die Vereinten Nationen und beklagt, dass der nationale Aktionsplan der schwarzgelben Bundesregierung bislang kaum mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Inwiefern denn?

Schmidt: Na ja, weil immer gesagt wird, wir wollen, wir wollen versuchen, wir werden das machen. Ich glaube, dass wir ganz klare Ziele mal auf den Weg bringen müssen. Wenn zum Beispiel in der Filmförderung der Bund und der Steuerzahler Geld gibt für eine Filmförderung, dann kann der Bund sagen oder der Gesetzgeber sagen, wir wollen, dass die Vergabe von Fördermitteln für Filme daran gebunden wird, dass mindestens eine Version untertitelt wird oder auch Audiodeskription mit auf den Weg gebracht wird, damit blinde Menschen hören können, was dort geschieht, und da ist die Bundesregierung viel weicher, die sagen, wir wollen das mal prüfen, wir wollen einmal sehen.

Und wenn man die Behindertenrechtskonvention unterschrieben hat, was wir gemacht haben als deutsche Bundesregierung und als Parlament, dann muss man sagen, jetzt müssen wir alles tun, denn das sind rechtsverbindliche Ansprüche, dass alle Menschen teilhaben können, und dann müssen wir Schritt für Schritt in einem Prozess zwar, aber sehr genau definieren, was kann der Gesetzgeber dazu beitragen, dass die Inklusion von behinderten Menschen - nicht die Integration, sondern Teilhabe behinderter Menschen - und aller, die in diesem Land leben, auch wirklich in Recht umgesetzt wird und in gelebte Realität.

Wuttke: Aber dieser Aktionsplan muss man sagen, ist ja erst vor einem halben Jahr vom Bundeskabinett verabschiedet worden - Sie sind also schon doch ein wenig ungeduldig.

Schmidt: Nein, ich bin nicht ungeduldig, sondern ich möchte gerne klare Formulierungen daraus haben. Wir haben das für den Bereich der Kultur hier gemacht, die SPD hat auch einen Aktionsplan, der sehr viel genauer geht. Alle Wünsche - ich bin sehr lange in der Behindertenpolitik, und Gott sei Dank gibt es auch einen großen Konsens, auch im Parlament, dass wir sagen, wir möchten voranschreiten.

Aber bitte, irgendwann ist der Punkt, wo wir sagen, wir müssen dann jetzt ganz konkret die Vergabe von Städtebau-Fördermitteln immer an die Barrierefreiheit bindet. Der Gesetzgeber kann ja einen Privaten nicht vorschreiben, was er machen muss. Aber wenn es öffentliches Geld gibt, gibt es kein Geld mehr, wenn die Barrierefreiheit nicht umgesetzt wird. Und wenn es bei Restaurationen so ist, bei denkmalgeschützten Gebäuden, dass das nicht geht. Man kann nicht überall Gleichheit ausfahren …

Wuttke: Um noch mal auf die leichte ...

Schmidt: ... dann muss man das begründen.

Wuttke: Frau Schmidt, um noch mal auf die leichte Sprache zu kommen, ist das denn auch von Ihrer Seite beziehungsweise vonseiten der SPD-Fraktion eine prinzipielle Kritik an der Sprache Ihrer eigenen Zunft, nämlich der Politiker, der Behörden, aber auch womöglich der Medien?

Schmidt: Also, ich glaube, dass da auch eine Kritik ganz angemessen ist. Wir sollten schon überlegen, wie wir die Dinge, die wir auch beraten, jenseits der juristisch festen Formulierungen, die man in Anträgen und Gesetzen braucht, wie wir sie eigentlich so aufbereiten, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr gerne da zuhören oder auch sagen, ich habe das verstanden. Manche der großen Ungetüme an Wörtern, die verbergen auch oder verhindern, dass Menschen teilhaben können.

Wuttke: Ja, verbergen ist ja doch durchaus auch richtig.

Schmidt: Verbergen auch - ich denke ja immer, wie oft ich als Gesundheitsministerin den mobilitätsorientierten Risikostrukturausgleich ...

Wuttke: Super!

Schmidt: ... erklären musste, weil das niemand versteht. Aber es ist in der Fachsprache und in dem, was es im Gesetz bedeutet, natürlich ein feststehender Begriff, aber das sind so Beispiele, wo man sagt, Leute, damit kann ich eine Versammlung oder auch Bürgerinnen und Bürger totschlagen, aber ich kann sie nicht dafür gewinnen, dass sie einen Sinn darin sehen, was wir machen.

Und ich glaube, wenn man so vorgeht und sagt, lasst uns das bei der Sprache überlegen und lasst uns jetzt auch diesen Antrag in leichter Sprache nicht nur heute eine Eintagsfliege sein, sondern habe mit den Kollegen auch aus anderen Fraktionen gesprochen, lasst uns uns jetzt mal zusammensetzen und überlegen, wie kann der Deutsche Bundestag das, was wir beraten wirklich mindestens zu beginnen jetzt, dass man sagt, die wichtigsten Debatten sind Debatten in unseren Publikationen - heute im Bundestag, oder das Parlament -, auch immer einen Teil in einfacher Sprache so zusammenfassen, dass auch Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die vielleicht gerade erst Deutsch lernen, Menschen mit anderen Lernschwierigkeiten, ältere Menschen, dass die auch Zugang zu den Informationen haben, weil wir ihnen den Weg über die leichte Sprache erleichtern.

Wuttke: Sie werden viele Interessenten finden. Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur: Ulla Schmidt, die ehemalige Bundesgesundheitsministerin, bringt mit ihrer SPD-Fraktion heute den Antrag für das Recht auf leichte Sprache in den Bundestag ein. Frau Schmidt, besten Dank und schönen Tag!

Schmidt: Ihnen auch und den Hörerinnen und Hörern auch!

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