Schmuggler, Händler und Taliban
Die uralte Handelsstraße wird genutzt von Händlern und Schmugglern, gesäumt von Märkten, auf denen die Waren der Schattenwirtschaft der Region umgeschlagen werden. Auch die NATO braucht sie für ihren Nachschub nach Afghanistan.
Peshawar, Nordwestpakistan – die letzte große Stadt vor den autonom regierten Stammesgebieten. Am Eingang zur Universität stehen Studenten, halten Transparente hoch und machen ihrem Ärger über die US-Armee Luft:
"Wir demonstrieren gegen die Angriffe der US-Drohnen. Die Menschen gehen inzwischen kaum noch auf die Straße, Kinder trauen sich nicht mehr in die Schulen. Das ist psychische Folter, das muss aufhören. Keine Drohnenattacken auf die Stammesgebiete mehr!"
"Wenn die NATO anfängt, Pakistan zu beschießen oder die Stammesgebiete zu bombardieren, hören wir auf, ein souveräner Staat zu sein. Wir wollen unsere politische Führung aufrütteln, dass sie endlich etwas dagegen unternimmt. Wir sind ein unabhängiger Staat. Wir akzeptieren keine Angriffe dieser Art mehr!"
Mit jedem geführten Luftschlag wächst im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet der Unmut über den großen Verbündeten USA. Wenn durch Bomben oder Drohnen besonders viele Menschen sterben, reagiert die Regierung in Islamabad und setzt das einzige Faustpfand ein, das sie gegenüber den Vereinigten Staaten besitzt: Sie sperrt die NATO-Nachschubroute zwischen Karachi und der afghanischen Grenze und öffnet sie erst nach einer gewissen Zeit wieder, so wie zuletzt Anfang Juli dieses Jahres. Ein hilflos wirkendes Ritual, meint Hamid Jan, ein junger Soziologe aus Peshawar. Denn Pakistan ist auf die Einnahmen aus den Transporten angewiesen und kann schon aus eigenem Interesse die Route nicht auf Dauer schließen. Für die Regierung allerdings sei die Machtgeste überlebenswichtig:
"Die Sperrung der NATO-Versorgungsroute ist eine Reaktion auf den gewaltigen öffentlichen Druck. Denn sollten die antiamerikanischen Gefühle außer Kontrolle geraten, könnte es eine islamische Revolution in Pakistan geben. In einem solchen Fall könnte die pakistanische Armee am Ende die Revolution unterstützen, unter der Führung eines Taliban-freundlichen Kommandeurs."
Waffen, Nahrung, Uniformen, Ersatzteile, Klimaanlagen – alles, was Militärs tagtäglich brauchen, pflegt die NATO über diese Straße zu transportieren. Die Transitstrecke ist die Lebensader der ausländischen Armeen in Afghanistan. Über sie wird auch all das Gerät wieder zurückrollen, wenn das Militär wie geplant bis 2014 aus Afghanistan abgezogen wird.
Die Route beginnt in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi, schlängelt sich durchs ganze Land gen Norden und führt mitten durch Peshawar, über den Khyber-Pass, die Grenzstadt Torkham bis nach Kabul. Der Soziologe Hamid Jan arbeitet an einem Hilfsprojekt in den Stammesgebieten. Auf dem Weg zu seinem Einsatzort benutzt er dieselbe Straße, auf der die NATO ihren Nachschub rollen lässt. Die erste wichtige Etappe auf dieser Strecke ist der Karkhano-Markt, etwa eine halbe Stunde Fahrt hinter Peshawar, im Volksmund auch Smuggler’s Bazaar genannt.
Hinter der langgezogenen Mauer öffnet sich eine Verkaufsfläche, auf der nichts improvisiert oder informell scheint. Alles sieht aus wie die pakistanische Variante eines deutschen Mega-Supermarktes auf der grünen Wiese. Dreistöckige Gebäude bilden einen riesengroßen Hof. Durchgänge geben den Blick auf eine Flucht von weiteren, ähnlich großen Höfen frei.
Was kann man hier kaufen? Ein junger Mann deutet mit einer Rundumbewegung auf die Geschäfte. Alles, sagt er, was in den NATO-Containern zu finden sei:
"Wenn zum Beispiel jemand amerikanische Militärartikel haben will, braucht er bloß einen der Leute in den oberen Etagen zu kontaktieren. Wir könnten so was jederzeit arrangieren."
An der Universität Peshawar beschäftigt sich Professor Sayed Shajahan seit Jahren mit der Transitroute. Der Politik- und Medienwissenschaftler hat in Deutschland studiert, bildet zukünftige Journalisten aus und nimmt selbst kein Blatt vor den Mund.
Die Einnahmen, die der pakistanische Staat durch die Transportgebühren erwirtschaftet, meint er, seien das Eine. Das Andere aber sei der Schmuggel mit den Gütern, die aus den Containern abgezwackt werden. Auftraggeber und Profiteure seien im gesamten pakistanischen Establishment zu finden:
"Die sind sehr einflussreiche Leute, Korruption ist so, jeder weiß, wie das geht und wohin das Geld geht. Das macht nicht ein Mensch, das ist eine Kette. Und das ist immer von oben bis unten. Familien ... es können auch Beamte sein, auch Sicherheitsbeamte. Es können auch Regierungsbeamte sein, einflussreiche Persönlichkeiten."
Von Pakistan aus führt die Route nach Afghanistan über den Kyber-Pass, der die pakistanische Grenzstadt Peshawar mit der afghanischen Hauptstadt Kabul verbindet. Zur Zeit ist sie nicht passierbar. Denn beiderseits des Khyber Passes,, beobachten Taliban die Route – und westliche Ausländer gehören zu ihren bevorzugten Entführungsopfern. So bleibt nur der Direktflug nach Kabul. Von dort aus zurück auf die Route.
Dort, wo das Verkehrsgewimmel langsam verebbt, in den Randgebieten der afghanischen Hauptstadt, wo neben den Ausfallstraßen die ersten ländlichen Lehmgehöfte auftauchen, finden sich die Quartiere jener Speditionen, die für die NATO arbeiten.
Vor einer mit Stacheldraht bewehrten Mauer sitzt auf einem Hocker ein Wachtposten mit Maschinenpistole. Dahinter liegt hier ein großes leeres Areal, Platz für Lastwagen oder Ware: Der Sitz der Babarkarkhail Bihal Company, einer der Speditionen, die im Auftrag der NATO Material von Karachi nach Kabul befördern.
In einem ausgebauten, vollklimatisierten Container residiert in einer Polsterlandschaft Sher Mohammed Babakarkhail, der Chef des Unternehmens. Durch den Schmuggel geht regelmäßig hochsensible Ware verloren, bestätigt er:
"Unser Problem ist, dass viele Fahrer Kontakte zu Schmugglern unterhalten. Also: Die Ausrüstung trifft erst mal in Karachi ein, in Pakistan. Dort holen wir sie von den Schiffen. Die pakistanischen Lastwagen fahren sie dann weiter Richtung Norden.
Beim Grenzposten am Khyber-Pass werden unsere Container immer wieder aufgebrochen. Die Schmuggler holen heraus, was sie wollen, und versiegeln die Container anschließend so, dass man keine Spuren des Diebstahls erkennt. Wie kann ein normaler Mensch das hinkriegen? Das sind keine einfachen Räuber. Diese Leute verfügen über beste Kontakte zur Regierung, und zwar sowohl zu der in Pakistan wie in Afghanistan."
Zu den entwendeten Gütern, offenbart der Spediteur, gehören auch Waffen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von Gewehren und Munition, die für die NATO bestimmt sind, lande so auf dem freien Markt und irgendwann auch in den Händen der Aufständischen:
"Zwischen Peshawar und dem Bush-Basar in Kabul finden Sie dann überall Teile der NATO-Ausrüstung, selbst in kleinen afghanischen Dörfern fabrikneue US-amerikanische Waffen. Das sind alles keine Beutestücke, das ist Schmuggelgut."
Den Beweis dafür, dass NATO-Waffen aus den Containern überall in Umlauf sind, kann der Spediteur sofort antreten. Er winkt einem seiner Mitarbeiter:
"He! Bring mal das amerikanische MG-Magazin her! Hier, sehen Sie sich das an. Das ist ein gutes Beispiel. Als Transportunternehmer habe ich die Erlaubnis, mich mit Waffen zu schützen. Neulich beauftragte ich einen meiner Mitarbeiter, Gewehre und Munition zu beschaffen. Er kam mit zwei Modellen zurück. Das eine hier ist russisch. Aber das andere gehört zu einem fabrikneuen US-amerikanischen MG. Woher kommt es? Es kann nur geschmuggelt sein."
Wo genau kann das NATO-Material gekauft werden? Sind lange, versteckte Recherchen nötig, um daran zu kommen? Braucht es Strohmänner, die einen über Kontakte weiterleiten, viel Geld oder lange Palaver in obskuren Hinterzimmern? Nein, alles andere als das.
Am Stadtrand von Kabul liegt auch der so genannte Bush Bazaar, der für den Verkauf von Militärgütern bekannt ist. An einer langgezogenen Verbindungsstraße steht eine Ansammlung von Buden. So dicht nebeneinander, dass die Käufer Mühe haben, sich zwischen ihnen durchzuschieben.
Auf den ersten Blick sieht dieser so genannte Bush Bazaar aus wie viele Märkte in der Region, auf denen Gemüse, Fleisch oder Textilien verkauft werden. Aber der zweite Blick offenbart das Angebot der etwas anderen Art.
Militärgürtel, Rucksäcke, Schuhe,
Messer ... Toilettenartikel für Soldaten. "Operation USO Care Package", Schlafsäcke
Klappstühle … Alles hier stammt von der Ausrüstung für die ISAF und die NATO.
Der afghanische Begleiter deutet auf die Waren, die sich in Regalen bis unter die Decke stapeln. Fabrikneue Militärausrüstung. In Plastikhüllen eingeschweißte beige T-Shirts mit dem Aufdruck Army, Hunderte noch unbenutzter US-Kampfanzüge mit dem bekannten grün-beigen Flecktarnmuster.
"Der Händler sagt, seine amerikanischen Kampfanzüge kämen ganz legal aus China, Chinesische Raubkopien, sagt er."
Aber die Palette der Artikel beschränkt sich nicht auf Uniformen oder Toilettenartikel.
"Das hier ist ein GPS-Gerät. Und hier ein Walkie-Talkie . (Stimme des Händlers: "200 Dollars".) – Verkauft er dir für 200 Dollar. Und hier: ein Pistolenhalfter. Und da: Ersatzteile für Gewehre."
Die Alternative zu dieser stör- und schmuggelanfälligen Südroute von Pakistan nach Kabul führt durch Russland und die zentralasiatischen Republiken nach Afghanistan. Doch dieser Weg ist weitaus länger und dadurch teurer. 100 Millionen Dollar Mehrkosten entstehen der NATO monatlich dadurch, wenn sie diesen Weg nutzt. Und sicher ist auch dieser Teile der Route nicht.
Dazu kommt das, was man als politischen Preis bezeichnen kann: Damit der Nachschub läuft und die NATO 2014 auch einen zweiten Abzugsweg aus Afghanistan erhält, darf sie die Beziehungen zu Moskau nicht übermäßig belasten – zum Beispiel nicht ohne Russlands Zustimmung in Syrien vorpreschen.
Um die Route vom logistischen Zentrum Kabul aus zu erkunden möchte, geht jetzt die Fahrt durch das Hindukusch-Gebirge. In der Provinz Kapisa, nordöstlich der afghanischen Hauptstadt sichert die französische Armee den Verbindungsweg. Noch – denn Ende des Jahres wird sie auf Drängen des französischen Präsidenten Hollande vorzeitig abgezogen. Wie wichtig diese Sicherung allerdings für die NATO ist, zeigt sich auf einer Patrouille mit der französischen Armee.
Auf Serpentinen geht es zu einem Hochplateau, von dem aus man einen freien Blick ins Tagab-Tal hat. Hier haben sich Taliban festgesetzt und registrieren aufmerksam alles, was auf den umliegenden Hügeln vorgeht. Bei den Menschen, die längs der Route leben, erklärt ein französischer Offizier, sei damit zu rechnen, dass sie mit den Aufständischen unter einer Decke steckten.
Von einem Felsvorsprung aus lässt sich die Tal-Oase überblicken. Malerisch zieht sich ein grüner Streifen durch eine karstige Felsenlandschaft. Die Franzosen nennen sie "Grüne Zone" in ironischer Anlehnung an die Sicherheitszone von Bagdad. Ein Feldwebel zeigt auf die Landschaft, die sich hinter einer Mauer aus aufgeschichteten Sandsäcken abzeichnet.
"Genau hinter der Grünen Zone erkennen Sie die Main Supply Road, die Versorgungsroute für die ISAF. Die ist für uns ebenso wichtig wie für die Aufständischen, weil sie ebenfalls ihren Nachschub über diese Strecke bekommen. Die ISAF-Konvois bringen alles, was wir auf unseren Basen benötigen. Manchmal wird die Route von amerikanischen Patrouillen gesichert. Als unser Kontingent hier eintraf, griffen die Aufständischen sie gleich an und erbeuteten ein paar Lastwagen. Bis heute attackieren sie regelmäßig Fahrzeuge, die auf der Straße fahren."
Wer es an diesem gefährlichen Punkt vorbei geschafft hat, muss als nächstes durch den Tunnel am Salang-Pass, einem wahren Nadelöhr auf der Weiterfahrt gen Norden. In den 1960er-Jahren von sowjetischen Technikern in die Felsen gesprengt, ist er heute eine Ruine seiner selbst: Zur Zeit der Schneeschmelze rinnt aus unzähligen Löchern Wasser auf die Straße, die mangels Wartung kaum noch etwas von Asphalt erkennen lässt und einer Schotterpiste gleicht.
Dadurch, dass die Südroute lange Zeit gesperrt war und sämtliche Transporte von Norden durch diesen Tunnel geleitet wurden, kommt es bis heute dort zu gigantischen Staus. Cirka Zwölf Tage sind die Lastwagen von der tadschikischen oder usbekischen Grenze nach Kabul unterwegs.
Hinter dem Salang-Pass führen Serpentinen hinab in die steppenartige Ebene vor Kunduz. Danach geht es zur Grenze nach Tadschikistan. Am Grenzübergangspunkt Sherkhan Bandar ist mithilfe deutscher Firmen eine funkenagelneue Abfertigungsstelle entstanden. Ein Ingenieur erklärt dort die für Afghanistan bahnbrechenden technischen Finessen:
"Wir befinden uns jetzt im Export-Bereich. Hier geht der gesamte Verkehr nach Tadschikistan raus und das ist die Import-Seite. Wobei der Zoll aus Kundus jetzt schon übersiedelt, wenn wir die Anlage übergeben haben. Das ist 'n Scanner-Gebäude. Damit kann ich 'n LKW, 'n geschlossenen Container durchleuchten und bis hin zur Zigarettenschachtel sehen, ob in der Zigarettenschachtel was drin ist oder nicht. Oder was drin ist, was nicht reingehört."
Doch auch hier hat der Schmuggel schon begonnen, lässt der Führer einer Bundeswehrpatrouille durchblicken, der mit seinen Leuten die Gegend zwischen tadschikischer Grenze und Kundus zu sichern versucht:
"Eine Kontrolle, was jetzt rein- oder rausgeht, wenn es denn überhaupt möglich sein wird, wird’s wahrscheinlich auch möglich sein, das mit entsprechenden Geldern, ich sag jetzt mal: zu legalisieren. Es gibt Gerüchte, dass der Bürgermeister am Tag allein 1000 Dollar verdienen soll. Dann wird auch mal kurzfristig der Bürgermeister ausgetauscht, weil der nicht so mitspielt, wie’s andere gern hätten, das ist vor kurzem jetzt gerade geschehen. Der vorherige Bürgermeister war cirka sechs Wochen nicht auffindbar. Wo er sich heute befindet, weiß man nicht. Jetzt ist ein neuer da. Der andere wurde massiv unter Druck gesetzt von der Border-Polizei. Entweder war sein Einfluss zu groß, wovon wir ausgehen ... dass er einfach einen zu großen Anteil haben wollte von dem, was da abfällt."
Nachdem sich die US-Regierung Anfang Juli 2012 h für die 24 versehentlich getöteten pakistanischen Soldaten entschuldigt hat, öffnete Islamabad auch die Route von Pakistan nach Kabul wieder für die NATO. Doch kaum rollten die ersten Lastwagen wieder von Karachi zur afghanischen Grenze, formierte sich im Land lautstarker Protest.
Prominente geistliche und Führer islamistischer Parteien gründeten ein "Komitee zur Verteidigung Pakistans" und organisieren seitdem Demonstrationen gegen die Öffnung der Südroute, an denen sich auch die Anhänger verbotener ultrareligiöser Parteien beteiligen. Die Protestierenden beschuldigen die Regierung, vor Washington in die Knie zu gehen und einen Ausverkauf pakistanischer Interessen zu betreiben.
Wir lehnen die pakistanische Regierung ab, sagen sie, weil hinter ihr die amerikanische Regierung stecke: "We are not in favour of the Government of Pakistan because in Pakistan the Government is not a Pakistani Government, it’s an American Government. We are also in favour of Islam!"
Um den Volkszorn zu beruhigen, hat Islamabad der NATO diesmal eine Auflage erteilt. In den Lastwagen dürfen keine lethalen Geräte, zu deutsch: Waffen, Richtung Afghanistan gefahren werden. Damit entfällt gleichzeitig ein Teil des Schmuggels – der sich, sollte die Vorschrift wirklich umgesetzt werden, auf andere Ausrüstungsteile beschränken dürfte. Lukrativ wäre aber auch das noch für die pakistanische Schattenwirtschaft. Und so bleibt: An der störungsfreien Verbindung hat eben nicht nur die NATO ein Interesse, sondern auch die pakistanische Regierung. Und vor allem die im Lande gut vernetzten Auftraggeber des Schmuggels.
Wie hatte Professor Shajahan von der Universität Peshawar nach der Sperrung der Südroute vor einigen Wochen gesagt:
"Das bleibt nicht lange. In einigen Tagen wird das gelöst, weil Pakistan auch das eigene Interesse sieht, das sind die wirtschaftlichen Interessen. Für diesen illegalen Trade, diese Route bleibt. Diese Schattenwirtschaft wird weiter laufen, dieser illegale Trade, das geht weiter."
"Wir demonstrieren gegen die Angriffe der US-Drohnen. Die Menschen gehen inzwischen kaum noch auf die Straße, Kinder trauen sich nicht mehr in die Schulen. Das ist psychische Folter, das muss aufhören. Keine Drohnenattacken auf die Stammesgebiete mehr!"
"Wenn die NATO anfängt, Pakistan zu beschießen oder die Stammesgebiete zu bombardieren, hören wir auf, ein souveräner Staat zu sein. Wir wollen unsere politische Führung aufrütteln, dass sie endlich etwas dagegen unternimmt. Wir sind ein unabhängiger Staat. Wir akzeptieren keine Angriffe dieser Art mehr!"
Mit jedem geführten Luftschlag wächst im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet der Unmut über den großen Verbündeten USA. Wenn durch Bomben oder Drohnen besonders viele Menschen sterben, reagiert die Regierung in Islamabad und setzt das einzige Faustpfand ein, das sie gegenüber den Vereinigten Staaten besitzt: Sie sperrt die NATO-Nachschubroute zwischen Karachi und der afghanischen Grenze und öffnet sie erst nach einer gewissen Zeit wieder, so wie zuletzt Anfang Juli dieses Jahres. Ein hilflos wirkendes Ritual, meint Hamid Jan, ein junger Soziologe aus Peshawar. Denn Pakistan ist auf die Einnahmen aus den Transporten angewiesen und kann schon aus eigenem Interesse die Route nicht auf Dauer schließen. Für die Regierung allerdings sei die Machtgeste überlebenswichtig:
"Die Sperrung der NATO-Versorgungsroute ist eine Reaktion auf den gewaltigen öffentlichen Druck. Denn sollten die antiamerikanischen Gefühle außer Kontrolle geraten, könnte es eine islamische Revolution in Pakistan geben. In einem solchen Fall könnte die pakistanische Armee am Ende die Revolution unterstützen, unter der Führung eines Taliban-freundlichen Kommandeurs."
Waffen, Nahrung, Uniformen, Ersatzteile, Klimaanlagen – alles, was Militärs tagtäglich brauchen, pflegt die NATO über diese Straße zu transportieren. Die Transitstrecke ist die Lebensader der ausländischen Armeen in Afghanistan. Über sie wird auch all das Gerät wieder zurückrollen, wenn das Militär wie geplant bis 2014 aus Afghanistan abgezogen wird.
Die Route beginnt in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi, schlängelt sich durchs ganze Land gen Norden und führt mitten durch Peshawar, über den Khyber-Pass, die Grenzstadt Torkham bis nach Kabul. Der Soziologe Hamid Jan arbeitet an einem Hilfsprojekt in den Stammesgebieten. Auf dem Weg zu seinem Einsatzort benutzt er dieselbe Straße, auf der die NATO ihren Nachschub rollen lässt. Die erste wichtige Etappe auf dieser Strecke ist der Karkhano-Markt, etwa eine halbe Stunde Fahrt hinter Peshawar, im Volksmund auch Smuggler’s Bazaar genannt.
Hinter der langgezogenen Mauer öffnet sich eine Verkaufsfläche, auf der nichts improvisiert oder informell scheint. Alles sieht aus wie die pakistanische Variante eines deutschen Mega-Supermarktes auf der grünen Wiese. Dreistöckige Gebäude bilden einen riesengroßen Hof. Durchgänge geben den Blick auf eine Flucht von weiteren, ähnlich großen Höfen frei.
Was kann man hier kaufen? Ein junger Mann deutet mit einer Rundumbewegung auf die Geschäfte. Alles, sagt er, was in den NATO-Containern zu finden sei:
"Wenn zum Beispiel jemand amerikanische Militärartikel haben will, braucht er bloß einen der Leute in den oberen Etagen zu kontaktieren. Wir könnten so was jederzeit arrangieren."
An der Universität Peshawar beschäftigt sich Professor Sayed Shajahan seit Jahren mit der Transitroute. Der Politik- und Medienwissenschaftler hat in Deutschland studiert, bildet zukünftige Journalisten aus und nimmt selbst kein Blatt vor den Mund.
Die Einnahmen, die der pakistanische Staat durch die Transportgebühren erwirtschaftet, meint er, seien das Eine. Das Andere aber sei der Schmuggel mit den Gütern, die aus den Containern abgezwackt werden. Auftraggeber und Profiteure seien im gesamten pakistanischen Establishment zu finden:
"Die sind sehr einflussreiche Leute, Korruption ist so, jeder weiß, wie das geht und wohin das Geld geht. Das macht nicht ein Mensch, das ist eine Kette. Und das ist immer von oben bis unten. Familien ... es können auch Beamte sein, auch Sicherheitsbeamte. Es können auch Regierungsbeamte sein, einflussreiche Persönlichkeiten."
Von Pakistan aus führt die Route nach Afghanistan über den Kyber-Pass, der die pakistanische Grenzstadt Peshawar mit der afghanischen Hauptstadt Kabul verbindet. Zur Zeit ist sie nicht passierbar. Denn beiderseits des Khyber Passes,, beobachten Taliban die Route – und westliche Ausländer gehören zu ihren bevorzugten Entführungsopfern. So bleibt nur der Direktflug nach Kabul. Von dort aus zurück auf die Route.
Dort, wo das Verkehrsgewimmel langsam verebbt, in den Randgebieten der afghanischen Hauptstadt, wo neben den Ausfallstraßen die ersten ländlichen Lehmgehöfte auftauchen, finden sich die Quartiere jener Speditionen, die für die NATO arbeiten.
Vor einer mit Stacheldraht bewehrten Mauer sitzt auf einem Hocker ein Wachtposten mit Maschinenpistole. Dahinter liegt hier ein großes leeres Areal, Platz für Lastwagen oder Ware: Der Sitz der Babarkarkhail Bihal Company, einer der Speditionen, die im Auftrag der NATO Material von Karachi nach Kabul befördern.
In einem ausgebauten, vollklimatisierten Container residiert in einer Polsterlandschaft Sher Mohammed Babakarkhail, der Chef des Unternehmens. Durch den Schmuggel geht regelmäßig hochsensible Ware verloren, bestätigt er:
"Unser Problem ist, dass viele Fahrer Kontakte zu Schmugglern unterhalten. Also: Die Ausrüstung trifft erst mal in Karachi ein, in Pakistan. Dort holen wir sie von den Schiffen. Die pakistanischen Lastwagen fahren sie dann weiter Richtung Norden.
Beim Grenzposten am Khyber-Pass werden unsere Container immer wieder aufgebrochen. Die Schmuggler holen heraus, was sie wollen, und versiegeln die Container anschließend so, dass man keine Spuren des Diebstahls erkennt. Wie kann ein normaler Mensch das hinkriegen? Das sind keine einfachen Räuber. Diese Leute verfügen über beste Kontakte zur Regierung, und zwar sowohl zu der in Pakistan wie in Afghanistan."
Zu den entwendeten Gütern, offenbart der Spediteur, gehören auch Waffen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von Gewehren und Munition, die für die NATO bestimmt sind, lande so auf dem freien Markt und irgendwann auch in den Händen der Aufständischen:
"Zwischen Peshawar und dem Bush-Basar in Kabul finden Sie dann überall Teile der NATO-Ausrüstung, selbst in kleinen afghanischen Dörfern fabrikneue US-amerikanische Waffen. Das sind alles keine Beutestücke, das ist Schmuggelgut."
Den Beweis dafür, dass NATO-Waffen aus den Containern überall in Umlauf sind, kann der Spediteur sofort antreten. Er winkt einem seiner Mitarbeiter:
"He! Bring mal das amerikanische MG-Magazin her! Hier, sehen Sie sich das an. Das ist ein gutes Beispiel. Als Transportunternehmer habe ich die Erlaubnis, mich mit Waffen zu schützen. Neulich beauftragte ich einen meiner Mitarbeiter, Gewehre und Munition zu beschaffen. Er kam mit zwei Modellen zurück. Das eine hier ist russisch. Aber das andere gehört zu einem fabrikneuen US-amerikanischen MG. Woher kommt es? Es kann nur geschmuggelt sein."
Wo genau kann das NATO-Material gekauft werden? Sind lange, versteckte Recherchen nötig, um daran zu kommen? Braucht es Strohmänner, die einen über Kontakte weiterleiten, viel Geld oder lange Palaver in obskuren Hinterzimmern? Nein, alles andere als das.
Am Stadtrand von Kabul liegt auch der so genannte Bush Bazaar, der für den Verkauf von Militärgütern bekannt ist. An einer langgezogenen Verbindungsstraße steht eine Ansammlung von Buden. So dicht nebeneinander, dass die Käufer Mühe haben, sich zwischen ihnen durchzuschieben.
Auf den ersten Blick sieht dieser so genannte Bush Bazaar aus wie viele Märkte in der Region, auf denen Gemüse, Fleisch oder Textilien verkauft werden. Aber der zweite Blick offenbart das Angebot der etwas anderen Art.
Militärgürtel, Rucksäcke, Schuhe,
Messer ... Toilettenartikel für Soldaten. "Operation USO Care Package", Schlafsäcke
Klappstühle … Alles hier stammt von der Ausrüstung für die ISAF und die NATO.
Der afghanische Begleiter deutet auf die Waren, die sich in Regalen bis unter die Decke stapeln. Fabrikneue Militärausrüstung. In Plastikhüllen eingeschweißte beige T-Shirts mit dem Aufdruck Army, Hunderte noch unbenutzter US-Kampfanzüge mit dem bekannten grün-beigen Flecktarnmuster.
"Der Händler sagt, seine amerikanischen Kampfanzüge kämen ganz legal aus China, Chinesische Raubkopien, sagt er."
Aber die Palette der Artikel beschränkt sich nicht auf Uniformen oder Toilettenartikel.
"Das hier ist ein GPS-Gerät. Und hier ein Walkie-Talkie . (Stimme des Händlers: "200 Dollars".) – Verkauft er dir für 200 Dollar. Und hier: ein Pistolenhalfter. Und da: Ersatzteile für Gewehre."
Die Alternative zu dieser stör- und schmuggelanfälligen Südroute von Pakistan nach Kabul führt durch Russland und die zentralasiatischen Republiken nach Afghanistan. Doch dieser Weg ist weitaus länger und dadurch teurer. 100 Millionen Dollar Mehrkosten entstehen der NATO monatlich dadurch, wenn sie diesen Weg nutzt. Und sicher ist auch dieser Teile der Route nicht.
Dazu kommt das, was man als politischen Preis bezeichnen kann: Damit der Nachschub läuft und die NATO 2014 auch einen zweiten Abzugsweg aus Afghanistan erhält, darf sie die Beziehungen zu Moskau nicht übermäßig belasten – zum Beispiel nicht ohne Russlands Zustimmung in Syrien vorpreschen.
Um die Route vom logistischen Zentrum Kabul aus zu erkunden möchte, geht jetzt die Fahrt durch das Hindukusch-Gebirge. In der Provinz Kapisa, nordöstlich der afghanischen Hauptstadt sichert die französische Armee den Verbindungsweg. Noch – denn Ende des Jahres wird sie auf Drängen des französischen Präsidenten Hollande vorzeitig abgezogen. Wie wichtig diese Sicherung allerdings für die NATO ist, zeigt sich auf einer Patrouille mit der französischen Armee.
Auf Serpentinen geht es zu einem Hochplateau, von dem aus man einen freien Blick ins Tagab-Tal hat. Hier haben sich Taliban festgesetzt und registrieren aufmerksam alles, was auf den umliegenden Hügeln vorgeht. Bei den Menschen, die längs der Route leben, erklärt ein französischer Offizier, sei damit zu rechnen, dass sie mit den Aufständischen unter einer Decke steckten.
Von einem Felsvorsprung aus lässt sich die Tal-Oase überblicken. Malerisch zieht sich ein grüner Streifen durch eine karstige Felsenlandschaft. Die Franzosen nennen sie "Grüne Zone" in ironischer Anlehnung an die Sicherheitszone von Bagdad. Ein Feldwebel zeigt auf die Landschaft, die sich hinter einer Mauer aus aufgeschichteten Sandsäcken abzeichnet.
"Genau hinter der Grünen Zone erkennen Sie die Main Supply Road, die Versorgungsroute für die ISAF. Die ist für uns ebenso wichtig wie für die Aufständischen, weil sie ebenfalls ihren Nachschub über diese Strecke bekommen. Die ISAF-Konvois bringen alles, was wir auf unseren Basen benötigen. Manchmal wird die Route von amerikanischen Patrouillen gesichert. Als unser Kontingent hier eintraf, griffen die Aufständischen sie gleich an und erbeuteten ein paar Lastwagen. Bis heute attackieren sie regelmäßig Fahrzeuge, die auf der Straße fahren."
Wer es an diesem gefährlichen Punkt vorbei geschafft hat, muss als nächstes durch den Tunnel am Salang-Pass, einem wahren Nadelöhr auf der Weiterfahrt gen Norden. In den 1960er-Jahren von sowjetischen Technikern in die Felsen gesprengt, ist er heute eine Ruine seiner selbst: Zur Zeit der Schneeschmelze rinnt aus unzähligen Löchern Wasser auf die Straße, die mangels Wartung kaum noch etwas von Asphalt erkennen lässt und einer Schotterpiste gleicht.
Dadurch, dass die Südroute lange Zeit gesperrt war und sämtliche Transporte von Norden durch diesen Tunnel geleitet wurden, kommt es bis heute dort zu gigantischen Staus. Cirka Zwölf Tage sind die Lastwagen von der tadschikischen oder usbekischen Grenze nach Kabul unterwegs.
Hinter dem Salang-Pass führen Serpentinen hinab in die steppenartige Ebene vor Kunduz. Danach geht es zur Grenze nach Tadschikistan. Am Grenzübergangspunkt Sherkhan Bandar ist mithilfe deutscher Firmen eine funkenagelneue Abfertigungsstelle entstanden. Ein Ingenieur erklärt dort die für Afghanistan bahnbrechenden technischen Finessen:
"Wir befinden uns jetzt im Export-Bereich. Hier geht der gesamte Verkehr nach Tadschikistan raus und das ist die Import-Seite. Wobei der Zoll aus Kundus jetzt schon übersiedelt, wenn wir die Anlage übergeben haben. Das ist 'n Scanner-Gebäude. Damit kann ich 'n LKW, 'n geschlossenen Container durchleuchten und bis hin zur Zigarettenschachtel sehen, ob in der Zigarettenschachtel was drin ist oder nicht. Oder was drin ist, was nicht reingehört."
Doch auch hier hat der Schmuggel schon begonnen, lässt der Führer einer Bundeswehrpatrouille durchblicken, der mit seinen Leuten die Gegend zwischen tadschikischer Grenze und Kundus zu sichern versucht:
"Eine Kontrolle, was jetzt rein- oder rausgeht, wenn es denn überhaupt möglich sein wird, wird’s wahrscheinlich auch möglich sein, das mit entsprechenden Geldern, ich sag jetzt mal: zu legalisieren. Es gibt Gerüchte, dass der Bürgermeister am Tag allein 1000 Dollar verdienen soll. Dann wird auch mal kurzfristig der Bürgermeister ausgetauscht, weil der nicht so mitspielt, wie’s andere gern hätten, das ist vor kurzem jetzt gerade geschehen. Der vorherige Bürgermeister war cirka sechs Wochen nicht auffindbar. Wo er sich heute befindet, weiß man nicht. Jetzt ist ein neuer da. Der andere wurde massiv unter Druck gesetzt von der Border-Polizei. Entweder war sein Einfluss zu groß, wovon wir ausgehen ... dass er einfach einen zu großen Anteil haben wollte von dem, was da abfällt."
Nachdem sich die US-Regierung Anfang Juli 2012 h für die 24 versehentlich getöteten pakistanischen Soldaten entschuldigt hat, öffnete Islamabad auch die Route von Pakistan nach Kabul wieder für die NATO. Doch kaum rollten die ersten Lastwagen wieder von Karachi zur afghanischen Grenze, formierte sich im Land lautstarker Protest.
Prominente geistliche und Führer islamistischer Parteien gründeten ein "Komitee zur Verteidigung Pakistans" und organisieren seitdem Demonstrationen gegen die Öffnung der Südroute, an denen sich auch die Anhänger verbotener ultrareligiöser Parteien beteiligen. Die Protestierenden beschuldigen die Regierung, vor Washington in die Knie zu gehen und einen Ausverkauf pakistanischer Interessen zu betreiben.
Wir lehnen die pakistanische Regierung ab, sagen sie, weil hinter ihr die amerikanische Regierung stecke: "We are not in favour of the Government of Pakistan because in Pakistan the Government is not a Pakistani Government, it’s an American Government. We are also in favour of Islam!"
Um den Volkszorn zu beruhigen, hat Islamabad der NATO diesmal eine Auflage erteilt. In den Lastwagen dürfen keine lethalen Geräte, zu deutsch: Waffen, Richtung Afghanistan gefahren werden. Damit entfällt gleichzeitig ein Teil des Schmuggels – der sich, sollte die Vorschrift wirklich umgesetzt werden, auf andere Ausrüstungsteile beschränken dürfte. Lukrativ wäre aber auch das noch für die pakistanische Schattenwirtschaft. Und so bleibt: An der störungsfreien Verbindung hat eben nicht nur die NATO ein Interesse, sondern auch die pakistanische Regierung. Und vor allem die im Lande gut vernetzten Auftraggeber des Schmuggels.
Wie hatte Professor Shajahan von der Universität Peshawar nach der Sperrung der Südroute vor einigen Wochen gesagt:
"Das bleibt nicht lange. In einigen Tagen wird das gelöst, weil Pakistan auch das eigene Interesse sieht, das sind die wirtschaftlichen Interessen. Für diesen illegalen Trade, diese Route bleibt. Diese Schattenwirtschaft wird weiter laufen, dieser illegale Trade, das geht weiter."