Schnalke: Bei Herero-Schädeln liegt "Unrechtskontext" vor

Thomas Schnalke im Gespräch mit Susanne Führer |
Überreste anderer Völker sollten durchaus einen Platz in deutschen Museen haben dürfen, sagt Thomas Schnalke, Direktor des medizinhistorischen Museums der Charité. Fragwürdig würden diese Gegenstände, wenn ein Unrechtskontext nachgewiesen werden könne.
Susanne Führer: Noch lagern sie aber im medizinhistorischen Museum der Charité und dessen Direktor, Professor Thomas Schnalke ist nun bei uns im Studio. Herzlich willkommen, Herr Schnalke!

Thomas Schnalke: Hallo!

Führer: Ja, wann und wie werden denn diese 20 identifizierten Schädel zurückgegeben.

Schnalke: Bislang steht noch im Raum ein Termin Ende Mai, der ist allerdings inzwischen etwas unsicher geworden, weil es in Namibia selber noch Abstimmungsbedarf gibt zwischen den verschiedenen Vertretern der einzelnen Volksgruppen. Aber ich gehe davon aus, wenn es jetzt nicht Ende Mai wird, dass es dann zeitnah im Juni oder Anfang Juli passieren wird. Bislang haben wir mit der namibischen Regierung die Sache insoweit vorbesprochen, dass es wohl eine Art internes Ritual auch vor Ort an der Charité geben wird, und dann gibt es noch eine konkrete physische Übergabe der Schädel, die dann wohl verpackt sind und die dann zunächst einmal nach Namibia zurückgebracht werden. Und dort werden sie dann – so wäre unsere Hoffnung – an die Bevölkerungsgruppen weitergereicht, damit dort die Gebeine dann ehrenvoll bestattet werden können. Das ist allerdings tatsächlich Anliegen und Sache der Namibier selbst.

Führer: 2008 ist die Geschichte der Schädel ja öffentlich bekannt geworden und die Forderung nach Rückgabe sind gestellt worden. Warum hat – jetzt haben wir 2011 – warum hat das so lange gedauert?

Schnalke: Das ist ein Prozess, der eigentlich auch schon früher angesetzt hat, dass wir mit verschiedenen Regierungsvertretern – auch mit australischen – in Kontakt sind, um diese Schädel dereinst mal wieder zurückzugeben. Es dauert insofern länger, weil wir eine größere Sammlung anthropologischer Objekte haben, darunter sehr viele Schädel, von denen wir allerdings heute nicht mehr eins zu eins sagen können, wann sind sie von wem gefertigt worden? Und das ist eigentlich der Wunsch gerade der rückfordernden Bevölkerungsgruppen, möglichst genau bescheid zu wissen, welches Objekt sie da bekommen. Und dass es dann tatsächlich auch wirklich ein Schädel eines ehemaligen Angehörigen der eigenen Volksgruppe ist. Wir haben die Schwierigkeit, dass ursprünglich die Dokumentation, als man seinerzeit, 1904 bis 1908, gesammelt hat, nicht den Namen, nicht den familiären Background notiert hat. Damals waren ganz andere Sammlungsinteressen und Dokumentationsinteressen im Vordergrund gestanden, und wir haben dann das 20. Jahrhundert, in dem sehr viel Dokumentationsmittel – Karteikarten, Findbücher – durch Umlagerungen auch zerstört worden sind. Das heißt, wir haben tatsächlich viele Schädel, aber im Einzelfall ist es schwierig, konkret wirklich sicher nachzuweisen, um welches Objekt es sich hier handelt, um welches Individuum ...

Führer: Wie macht man das überhaupt? Wie geht das wissenschaftlich?

Schnalke: Das kann man heute auf zwei Wegen versuchen. Einmal, man nimmt sich die Objekte tatsächlich noch mal in die Hand, schaut drauf und dran, guckt: Gibt es hier Aufschriften etwa? Bei manchen steht tatsächlich Herero drauf, es steht ein Sammlername drauf. Dann ist es relativ leicht, dann muss die Anthropologin aber auch – oder ist auch noch mal gehalten, nach möglichen Krankheiten zu fahnden, zum Beispiel Skorbut, also Vitamin-C-Mangel war in der damaligen Zeit ausgeprägt. Oder man kann über den Zahnstatus auf bestimmte Essensgewohnheiten zurückschließen. Oder was sehr typisch für die Hereros war seinerzeit, dass sie sich selbst in einer Art kultischen Verstümmelung die Schneidezähne aus dem Ober- und Unterkiefer herausgebrochen haben, und das ist eine sehr typische Hererosignatur, die man natürlich am Schädel nachweisen kann. Das heißt, wir sind einmal über diesen physischen Befund gekommen, aber auch über die Aufzeichnungen.

Führer: Sagt Professor Thomas Schnalke, der Direktor des medizinhistorischen Museums der Charité im Deutschlandradio Kultur. Herr Schnalke, diese Schädel sind ja Trophäen, die in einem grausamen Kolonialkrieg erbeutet wurden. Gibt es eigentlich noch andere Stücke in Ihrer Sammlung, die eine ähnliche Geschichte haben? Sie haben vorhin angedeutet, Sie sind in Gesprächen mit der australischen Regierung.

Schnalke: Mit der australischen Regierung führen wir tatsächlich auch Gespräche. Da haben wir auch einen Sammlungsbestand von etwa – ähnlich – 20, vielleicht etwas weniger, 18 Stücken, wo wir sagen können, die stammen mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem australischen Kulturraum, dort von verschiedenen Aborigine-Gruppen, und hier ist die Sachlage ein bisschen eine andere, weil wir nach unserem Verständnis heute dort nicht unbedingt gleich an einen Unrechtskontext denken. Dort obwalteten nicht – wie jetzt im Hererokrieg und Aufstand – Mord und Totschlag, sondern hier hat man seinerzeit anders gesammelt, und vielleicht etwas weniger aggressiv, insofern ist der Begriff des Unrechtskontextes da ein schwierigerer. Im Falle der Australier treffen eigentlich zwei Welten aufeinander: Das eine ist die Welt der Aborigines, und hier wollen die heutigen Aborigine-Vertreter quasi ihre Vorfahren ordnungsgemäß bestattet wissen, damit sie eine Ruhe finden in geweihtem Boden – das verstehen wir – und auf der anderen Seite gibt es die Forschung, die zu gewissen Zeiten ausgiebig gesammelt hat. Und hier haben wir bis heute nach wie vor das Sammeln per se als eine wissenschaftliche Praxis, die anerkannt ist.

Führer: Aber haben denn menschliche Überreste anderer Völker überhaupt einen Platz in deutschen Museen?

Schnalke: Oh ja, wenn Sie an die Naturkundemuseen denken, an das Neandertalmuseum, an diese Museen, die tatsächlich intensiv mit Gebeinen arbeiten, um die ganze Menschheitsgeschichte zu erklären, dann finden Sie natürlich dort eine ganze Reihe von menschlichen Überresten. Und die werden eigentlich auch nicht hinterfragt. Fragwürdig werden diese Gegenstände dann, wenn wir einen Unrechtskontext nachweisen können, beziehungsweise wenn es widerstreitende Wertesysteme gibt. Und da muss man auch eine Diskussion führen dürfen mit einem offenen Ausgang. Ich will nicht sagen, dass ich mich sträube gegen eine Rückgabe in jedweder Hinsicht, aber wenn es keinen eindeutigen Unrechtskontext gibt, sollten wir mit den Vertreterinnen und Vertretern heutiger Ethnien zusammensitzen, um uns zu erklären und um zu hören, was deren Begehr ist, um dann sich gegenseitig verständlich zu machen. Und dann kann es sein, dass man zurückgibt oder dass man auch hört: Ja, behaltet doch die Stücke, sie sind bei euch in guten Händen. Das kann auch passieren.

Führer: Also Sie fänden es nicht komisch, wenn jetzt im medizinhistorischen Museum von Aborigines – ich weiß nicht – Schädel, Skelette mit weiß ich nicht, welcher Absicht, ausgestellt werden? Mich erinnert das so ein bisschen so an die Zirkusvorstellungen früher mit Kleinwüchsigen Menschen oder ...

Schnalke: Im Moment sind diese Objekte noch nicht ausgestellt. Es ist sicherlich die größte Herausforderung, eine Ausstellung zu machen zur Geschichte der Anthropologie. Diese Objekte tatsächlich auszustellen, das ist noch etwas anderes, wie sie zu sammeln und zu beforschen. Sie auszustellen ist äußerst schwierig, gerade nach dem 20. Jahrhundert, das wir hinter uns haben. Dennoch, glaube ich, würde es gehen, wenn wir das auf eine würdige Weise versuchen und die Kontexte zeigen, sie auch wirklich ansprechen und offensichtlich machen. Aus welchen Gründen hat man gesammelt? Woher stammen die Stücke? Wer waren die Sammler, die Auftraggeber? Was wurde mit ihnen getan, und wie wurden sie auch öffentlich präsentiert? Das zu zeigen – heute – wäre vielleicht ein Skandal in mancher Leute Vorstellung, aber gehört mit zu unserem kulturellen Erbe, und da frage ich: Warum nicht, warum ist das nicht ein Thema, was auch in die Öffentlichkeit zurückgehört, damit man es diskutiert?

Führer: Der Direktor des medizinhistorischen Museums der Charité, Professor Thomas Schnalke, danke für Ihren Besuch im Deutschlandradio Kultur!

Schnalke: Danke auch!
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