Schnörkellos und funktional

Von Adolf Stock |
Was ist ein Materialvergewaltigung oder eine funktionelle Lüge? Antworten darauf gibt die Ausstellung "Böse Dinge", die sich auf die vor 100 Jahren von Gustav E. Pazaurek in Stuttgart eröffnete "Abteilung der Geschmacksverirrungen" bezieht.
"Im Moment habe ich 17 Maschinen also nicht Vernichtung, weil die Materie bleibt ja, sie wird einfach zerstückelt, zerhackt, zerbohrt, verbrannt oder irgendwas, aber eigentlich bleibt’s ja."

Vier Zertrümmerungsmaschinen hat der Schweizer Künstler Antoine Zgraggen mit nach Berlin gebracht. Wer seine scheußliche Perlmuttsammeltasse oder anderen Nippes endlich loswerden will, kann sie von den Maschinen zertrümmern lassen. Man darf sie aber auch zu den anderen bösen Dingen stellen, die im Werkbundarchiv zu sehen sind.

1909 hat Gustav Pazaurek seine Sammlung von Geschmacksverirrungen im Landes-Gewerbe-Museum Stuttgart erstmals gezeigt. Die leitende Kuratorin Renate Flagmeier:

"Als eine Chamber of Horrors, so dass man so am Negativbeispiel erkennen konnte und lernen konnte, was eben dem guten Geschmack, der guten Form nicht entspricht."

Von 900 Exponaten haben 700 in Stuttgart überlebt, einige von Ihnen werden jetzt im Museum der Dinge gezeigt. Eine Gruselkammer mit Breugelschen Dimensionen. Pazaurek hatte die Exponate mit kriminalistischem Eifer kategorisiert. Die wundersamsten Begriffe sind überliefert: Materialvergewaltigung, Dekorübergriff, Schmuckverschwendung oder funktionale Lüge.

Renate Flagmeier: "Wunderbar sind diese Material-Pimpeleien, also ein Porzellanteller, an dem Briefmarken aufgeklebt wurden und Geldscheinstücke, um ein Dekor zu erzeugen. Das ist einfach so ein schönes Wort Material-Pimpeleien."

Zu den langwierigen Freizeit-Basteleien gehört sicher auch das Fischschuppenbild aus dem Stuttgarter Depot. Die geschmacklosen Dinge waren für Pazaurek nicht nur hässlich, sondern auch verlogen und unmoralisch, und er setzte alles daran, den historistischen Schrott gründlich beiseite zu räumen. Leben ist Kampf, schrieb er 1912, auch auf ästhetischem Gebiete müssen wir kämpfen; schon der bloße Stillstand bedeutet den beginnenden Verfall unserer Kultur.

In Schränken, auf Sofakanten, im Schlaf- und Wohnzimmer, überall lauerte der Feind: Ein röhrender Hirsch überm Bett, eine falsche Marmorschale aus Kunststoff oder Perlenketten, die gar keine sind.

Ausstellungskuratorin Imke Volkers: "Mein Lieblings-Böses-Ding in der Kategorie Aktualitätskitsch sind die Kinderturnschuhe mit dem Porträt von dem neuen amerikanischen Präsidenten, von Obama."

Pazaurek hätte die Obama-Schuhe sicher unter Hurrakitsch verortet und sie neben das Sofakissen mit Kaiser Wilhelms Konterfei gestellt. Die Pazaurek-Sammlung wird in Berlin durch böse Dinge der Jetztzeit ergänzt. Umweltschädliche Handys, gefährliches Kinderspielzeug und ein ausgestopfter Frosch als Handtäschchen sind mit dabei.

In den letzten Jahrzehnten ist das Maß aller Dinge grün geworden. Statt in der Form werden die Kriterien für böse Dinge in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen gesucht, die auf den ersten Blick oft gar nicht sichtbar sind.

Wirklich böse Dinge heißen heute Analogkäse, Kinderarbeit oder Holz aus dem Regenwald. Artenschutzverbrechen, Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung stehen ganz oben auf der schwarzen Liste der Ausstellung. Die Geschmacksdiktatur ist indessen vorbei. Spätestens seit der Postmoderne gilt: anything goes. Auch deshalb sollen die Besucher persönliche Dinge mit ins Museum bringen, damit über Moral und Geschmack diskutiert werden kann.

Noch steht der Porzellan-Sarotti-Mohr auf meinem Schreibtisch. Er erinnert mich an meine Kindheit. Auch so ein böses Ding, politisch völlig unkorrekt und am Ende überflüssig. Kitsch in Reinkultur. Doch perfekte Gutmenschen mit antiseptisch weißer Weste habe ich noch nie leiden können. Allerdings könnte es durchaus sein, dass ich den Mohr eines Tages zu einer der siebzehn Zertrümmerungsmaschinen bringe.