Schock und Schönheit

Von Johannes Halder |
Mit provozierenden Aktaufnahmen aus der New Yorker Schwulenszene avancierte Robert Mapplethorpe (1946-1989) einst zum skandalträchtigen Kultfotografen. Das Düsseldorfer NRW-Forum zeigt 150 seiner Werke, von den frühen Polaroids und den Blumenbildern bis zu den letzten Selbstporträts.
Sie strotzen vor Schönheit und locken mit perfektem Wuchs, sie spreizen ihre zarten Hüllen und zeigen schamlos ihre Reize. Lustvoll recken sie die feuchten Stängel, schieben ihre Zungen aus Schalen und Gefäßen und lauern stolz und schwellend auf unsere Blicke: Tulpen, Lilien, Iris, Orchideen oder Hyazinthen, wie sie Robert Mapplethorpe immer wieder fotografiert hat.

Mit solchen Motiven ließe sich problemlos auch zum Muttertag gratulieren, doch zu Mapplethorpe geht niemand wegen der Blumen, auch wenn sich eines der beiden Ausstellungsplakate mit einem Strauß Papageientulpen in botanischer Unschuld gibt. Das andere Motiv wagt etwas mehr und zeigt den nackten Rücken eines schwarzen Mannes, und in der Ausstellung erst gerät der Hinweis zum ernsten Verbot: Minderjährige haben nur in Begleitung Erwachsener Zutritt zu der Schau.

Die Maßnahme ist reine Prophylaxe, denn selbst in der Weltstadt London nahm die staatlich geförderte Hayward Gallery auf Anraten der Polizei schon mal drei Mapplethorpe-Fotos von der Wand, die durchaus als etwas problematisch einzustufen waren.

In Düsseldorf hat man keine Angst vorm schwarzen Mann und zeigt das Werk des amerikanischen Tabubrechers ohne Zensur: Bilder von überwältigender Schönheit, nicht nur die Blumen.

Wir sehen makellos modellierte Männerkörper, wie aus Licht und Schatten gemeißelt, in kunstvoll komponierten Posen zu fleischlichen Fetischen stilisiert und im Studio von der störenden Schlacke der Alltagswelt isoliert; virile Narzissen, die ihre stattlichen Geschlechtswerkzeuge mit beiläufigem Stolz präsentieren und die Gesichter, Körper und Genitale der Betrachtung ausliefern.

Mapplethorpe war ein Nachtvogel, der in den Treffpunkten der New Yorker Schwulenszene verkehrte. Mit seiner Frisur und seiner schwarzen Lederjacke sah er aus wie ein Rockstar. Doch trotz seiner Kamera: Er war kein Eindringling, sondern einer von ihnen. Er machte mit, er war dabei, das schuf Vertrauen.

Schwule und Schwarze, die rauen Rituale der homosexuellen Subkultur, Sado-Maso-Praxis, Penispower und Körperkult, das waren verdrängte Realitäten, die Mapplethorpe mit seinen Fotos vor den Augen der amerikanischen Gesellschaft ästhetisch reinzuwaschen suchte.

Dass Blumen verwelken, dass auch körperliche Perfektion verfällt, macht die heroische Blüte seiner Motive fast vergessen. Doch längst sind die meisten seiner Modelle jung gestorben, an Aids, so wie er selbst. Mapplethorpe 1988, ein Jahr vor seinem Tod, über solche Bilder:

"Heute könnte ich die gar nicht mehr machen. Ich wollte es auch nicht. Es gibt für alles den richtigen Zeitpunkt. Die meisten der Leute auf den Fotos waren Freunde, sie vertrauten mir. Und ich fühlte fast so etwas wie eine Verpflichtung, diese Dinge aufzuzeichnen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, hier bin ich, und ich habe eine bestimmte Vorstellung, die ich umsetzen muss. Bilder zu machen, die zuvor noch niemand gesehen hat, und das auf eine Weise, die ästhetisch ist."

Eines ist sicher: Hätte Mapplethorpe nicht die schwulen Protagonisten der New Yorker Subkultur bei ihren sexuellen Praktiken abgelichtet, sondern gemischtgeschlechtliche Paare, er wäre ein verpönter Pornograph geworden.

Doch wie er selbst die schockierendsten Motive – etwa das berüchtigte Foto, das ihn selbst mit einer in den Anus eingeführten Bullenpeitsche zeigt –, wie er das Schauspiel kultisch geknebelter Fleischeslust auf dem Altar der Ästhetik zelebriert, wie er seine Modelle auf Sockeln platziert oder sich selbst zum Opfer unserer Blicke macht, als Peitschenmann und Sterbenskranker, als Tunte, Teufel oder Terrorist, das hat fast etwas von der Reinheit einer sakralen Handlung:

<im_11455>Robert Mapplethorpe , Selbstportrait</im_11455>"Als Junge war ich katholisch. Ich ging jeden Sonntag zur Kirche. Das ganze Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war von der Kirche bestimmt, das war für ein Kind von einem gewissen Zauber und Geheimnis. Ich glaube, die Art wie ich Dinge arrangiere, ist sehr katholisch. Sogar hier in diesem Raum sind die Gegenstände arrangiert wie auf kleinen Altären, das hab ich immer so gemacht, wenn ich Dinge zusammenbrachte, dann war es symmetrisch, das passierte ganz unbewusst. So gesehen ist das ziemlich wichtig und hat mein Leben beeinflusst, obwohl ich da nie drinsteckte. Ich meine, ich war kein religiöser Mensch."

Auf frappierende Weise gelingt es Mapplethorpe immer wieder, durch die pure Schönheit seiner Fotos die moralische Werteskala zu nivellieren. Es gibt kein Gut und Böse in Mapplethorpes schwarzweißem Paradies. Dafür spricht allein die lange Reihe der Porträts von Stars und Prominenten, die sich von ihm zu Ikonen verklären ließen: die Rocksängerin Patti Smith etwa – eine Selektion der ganz eigenen Art, zu der nicht nur Schönheit privilegiert, sondern auch Geld, Macht oder Charakter. Und das Geheimnis ihrer Genitalien dürfen diese Porträtierten für sich selbst behalten, sie geben sich nicht völlig preis.

"Ich hasse Voyeure", hat Mapplethorpe oft genug betont, und das war ganz ehrlich gemeint. Seine Fotos haben nichts Aufreizendes, sie zielen ins Auge und nicht auf den Bauch. Sie sind Himmel und Hölle, Feier der Vanitas und Memento Mori zugleich und führen in ein Labyrinth der Sinne, in dessen Schrecken man sich lustvoll verfängt. Und sie verschaffen dem Betrachter, wenn dieser das will, auch nicht zuletzt den Genuss der eigenen, schier grenzenlosen Liberalität.

Service:
Die Ausstellung mit Werken von Robert Mapplethorpe ist noch bis zum 15. August 2010 im Düsseldorfer NRW-Forum für Kultur und Wirtschaft zu sehen.