Schockbilder mit historischen Ungenauigkeiten
Der ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" zeigt das Schicksal fünf junger Deutscher während des Zweiten Weltkriegs. Zwar habe der Film unglaublich starke Bilder für die Verbrechen gefunden, sei aber an einigen Stellen historisch unglaubwürdig, kritisiert der Historiker Jürgen Busche.
André Hatting: Wichtigster TV-Film des Jahres, schreit der Boulevard, und selbst die seriöse "Frankfurter Allgemeine" kann kaum an sich halten, Zitat: "Die letzte Chance, über Generationen hinweg die Geschichte des Kriegs zu erzählen", schwärmt Frank Schirrmacher. Auslöser dieser Begeisterung ist der ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter". Die Serie zeigt, wie der Zweite Weltkrieg fünf Freunden alles nimmt – ihre Unbeschwertheit, Träume, Freundschaft und am Ende auch das Leben. Am Abend lief Teil eins, und den hat auch der Publizist und Historiker Jürgen Busche geschaut. Guten Morgen, Herr Busche!
Jürgen Busche: Guten Morgen!
Hatting: Teilen Sie diese Euphorie?
Busche: Die Euphorie teile ich auf keinen Fall, denn … darauf kann man später kommen. Zunächst mal muss ich sagen, ich habe natürlich jetzt nur den ersten Teil gesehen und kann nur über Eindrücke sprechen, nicht über den ganzen Film, wie die Kollegen in den Zeitungen, die aber alle das Gleiche schreiben, weshalb ihnen auch nicht zu trauen ist.
Hatting: Was ist denn Ihr Eindruck vom ersten Teil?
Busche: Ja, dass es unglaublich starke Bilder gibt, also ein Film, der davon lebt, dass er uns Szenen vorführt, bei denen man keinen schönen Fernsehabend verbringen kann und auch kein ruhiges Pils trinken kann, sondern die einen wirklich schockieren. Und man kann ja nicht von der Hand weisen, dass die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auch an der Front so gigantisch waren, dass man da nicht einfach sagen kann, die sind für den Film erfunden. Es war ein fürchterlicher, grausamer Krieg mit fürchterlichen Verbrechen, und das haben diese schockierenden Bilder deutlich gemacht.
Hatting: Und außer der Schockwirkung?
Busche: Ja, dann, wenn man den Film als Ganzes sieht, stellt man doch fest, dass manches gegen die historische Wirklichkeit konstruiert ist, und das ist einfach ärgerlich.
Hatting: Zum Beispiel?
Busche: Zum Beispiel, dass junge Menschen oder ein Leutnant, der von der Front kommt, im Jahr 1941 noch Euphorie und Lebenslust versprüht im Gedanken an den Krieg, das ist einfach Unfug. Die Deutschen haben schon 1939 den Krieg mit viel mehr Beklommenheit erwartet als 1914, und als es gegen Russland ging 1941, erst recht. Das hat – das ist alles bekannt aus Quellen, auch aus völlig offensichtlichen Quellen. Und die Goebbelsche Propaganda hat dagegen arbeiten müssen mit Macht. Und der Film von Nico Fried setzt sich, wie übrigens schon bei dem Rommel-Film, genau auf die Spur der Goebbelschen Propaganda und nimmt die für Tatsachen, und das geht einfach nicht.
Hatting: Sie meinten jetzt den Produzenten Nico Hofmann, nicht Fried.
Busche: Ja.
Hatting: Sie sprechen ein Glaubwürdigkeitsproblem an. Man könnte vielleicht noch ein anderes Beispiel nennen. Zu den fünf Freunden gehört ja auch ein Jude, wir sind immerhin im Jahr 1941, gleichzeitig hat nur wenig später einer aus der Clique überhaupt kein Problem damit, als Krankenschwester eine jüdische Assistentin zu denunzieren, und zwar ohne bestimmte Motivation. Ist das glaubwürdig?
Busche: Ja, das ist glaubwürdig, weil die natürlich an der Front und in den Schrecken, die sie erlebt im Lazarett, unter einer anderen Situation lebt, ja. Da kann man sich schon vorstellen – also das hat ja in der Diskussion von, die dankenswerterweise am späten Abend erfolgte, Daniel Cohn-Bendit richtig gesagt, dass derselbe Mensch sich völlig widersprüchlich in kurzer Zeit verhalten kann. Also da sehe ich jetzt nicht das Problem.
Für mich ist das Problem – liegt eher darin – das ist aber das Problem von historischen Filmen generell, dass die Soldaten wahrscheinlich eher den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan glichen als den Wehrmachtssoldaten. Also zum Beispiel, dass ein Soldat dem anderen ins Gesicht spuckt, das wäre in der Wehrmacht, und das wäre auch in der Bundeswehr der 60er-, 70er-Jahre undenkbar gewesen. Das passiert hier und bleibt folgenlos.
So was hätte es damals nicht gegeben, nicht, weil das bessere Menschen waren, sondern weil das Prinzip Disziplin so unglaublich hochgehalten wurde, dass man sich das überhaupt nicht zugetraut hätte, so was zu tun. Das ist heute, in der heutigen Bundeswehr reichlich anders, und die Filmemacher und offenkundig auch die sie beratenden Historiker kennen das nicht anders.
Hatting: Jetzt hat der Produzent Nico Hofmann bereits Filmporträts über Rommel, Hindenburg und Dutschke gemacht. Jetzt haben Sie Schwächen dieser dokumentarischen Fiktionen angesprochen – gibt es auch Stärken?
Busche: Ja, die Stärke liegt eben darin, dass sie Bilder produziert, und das haben sie wohl offenbar – würde ich jetzt mal vermuten – aus den amerikanischen Antikriegsfilmen in Erinnerung an Vietnam gelernt, dass sie Bilder produzieren, die sich den Menschen einbrennen. Und wenn die Bilder, die ja Details zeigen und Einzelfälle zeigen, aber übereinstimmen mit dem Bild, das man von der Gesamtgeschichte hat und völlig zu Recht hat, eben des Zweiten Weltkriegs mit seinen Verbrechen, dann ist das extrem eindrucksvoll und stark. Das ist unbedingt das Positive.
Das Negative besteht eben darin, ja – wenn man dabei doch Geschichte verfälscht … Ich will ein drittes Beispiel bringen, das ganz krass ist: Was der Produzent oder der Drehbuchautor, aus welchen Gründen auch immer, dort in den Russland-Feldzug reinschiebt, hätte man – wusste man, nicht hätte man – wusste man nach dem Polen-Feldzug, also zwei Jahre früher, alles genau so. Die Leute, die Soldaten, kamen in den Heimaturlaub zurück, dafür gibt es viele Beispiele, und erzählten, was dort an Verbrechen an der polnischen Bevölkerung, an den Juden, verübt wurden.
Das heißt also, dass der uns diesen unbeschwerten, lustigen Leutnant mit seinen fünf Freunden vorstellt, der im Grunde schon Polen hinter sich hat, wahrscheinlich, denn Polen war ja der erste Angriff, der wusste, was in Narvik passiert war, der wusste, was in der Luftschlacht von England passiert war. Dass der da so unbeschwert fröhlich sagt, und Weihnachten sind wir zu Hause, ist einfach Quatsch.
Hatting: Der Publizist und Historiker Jürgen Busche über "Unsere Mütter, unsere Väter". Ich danke Ihnen das Gespräch!
Busche: Bitte!
Hatting: Und wenn Sie sich selbst ein Bild machen wollen: Heute Abend folgt der zweite Teil, am Mittwoch dann der dritte und letzte, immer um 20:15 Uhr im ZDF.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jürgen Busche: Guten Morgen!
Hatting: Teilen Sie diese Euphorie?
Busche: Die Euphorie teile ich auf keinen Fall, denn … darauf kann man später kommen. Zunächst mal muss ich sagen, ich habe natürlich jetzt nur den ersten Teil gesehen und kann nur über Eindrücke sprechen, nicht über den ganzen Film, wie die Kollegen in den Zeitungen, die aber alle das Gleiche schreiben, weshalb ihnen auch nicht zu trauen ist.
Hatting: Was ist denn Ihr Eindruck vom ersten Teil?
Busche: Ja, dass es unglaublich starke Bilder gibt, also ein Film, der davon lebt, dass er uns Szenen vorführt, bei denen man keinen schönen Fernsehabend verbringen kann und auch kein ruhiges Pils trinken kann, sondern die einen wirklich schockieren. Und man kann ja nicht von der Hand weisen, dass die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auch an der Front so gigantisch waren, dass man da nicht einfach sagen kann, die sind für den Film erfunden. Es war ein fürchterlicher, grausamer Krieg mit fürchterlichen Verbrechen, und das haben diese schockierenden Bilder deutlich gemacht.
Hatting: Und außer der Schockwirkung?
Busche: Ja, dann, wenn man den Film als Ganzes sieht, stellt man doch fest, dass manches gegen die historische Wirklichkeit konstruiert ist, und das ist einfach ärgerlich.
Hatting: Zum Beispiel?
Busche: Zum Beispiel, dass junge Menschen oder ein Leutnant, der von der Front kommt, im Jahr 1941 noch Euphorie und Lebenslust versprüht im Gedanken an den Krieg, das ist einfach Unfug. Die Deutschen haben schon 1939 den Krieg mit viel mehr Beklommenheit erwartet als 1914, und als es gegen Russland ging 1941, erst recht. Das hat – das ist alles bekannt aus Quellen, auch aus völlig offensichtlichen Quellen. Und die Goebbelsche Propaganda hat dagegen arbeiten müssen mit Macht. Und der Film von Nico Fried setzt sich, wie übrigens schon bei dem Rommel-Film, genau auf die Spur der Goebbelschen Propaganda und nimmt die für Tatsachen, und das geht einfach nicht.
Hatting: Sie meinten jetzt den Produzenten Nico Hofmann, nicht Fried.
Busche: Ja.
Hatting: Sie sprechen ein Glaubwürdigkeitsproblem an. Man könnte vielleicht noch ein anderes Beispiel nennen. Zu den fünf Freunden gehört ja auch ein Jude, wir sind immerhin im Jahr 1941, gleichzeitig hat nur wenig später einer aus der Clique überhaupt kein Problem damit, als Krankenschwester eine jüdische Assistentin zu denunzieren, und zwar ohne bestimmte Motivation. Ist das glaubwürdig?
Busche: Ja, das ist glaubwürdig, weil die natürlich an der Front und in den Schrecken, die sie erlebt im Lazarett, unter einer anderen Situation lebt, ja. Da kann man sich schon vorstellen – also das hat ja in der Diskussion von, die dankenswerterweise am späten Abend erfolgte, Daniel Cohn-Bendit richtig gesagt, dass derselbe Mensch sich völlig widersprüchlich in kurzer Zeit verhalten kann. Also da sehe ich jetzt nicht das Problem.
Für mich ist das Problem – liegt eher darin – das ist aber das Problem von historischen Filmen generell, dass die Soldaten wahrscheinlich eher den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan glichen als den Wehrmachtssoldaten. Also zum Beispiel, dass ein Soldat dem anderen ins Gesicht spuckt, das wäre in der Wehrmacht, und das wäre auch in der Bundeswehr der 60er-, 70er-Jahre undenkbar gewesen. Das passiert hier und bleibt folgenlos.
So was hätte es damals nicht gegeben, nicht, weil das bessere Menschen waren, sondern weil das Prinzip Disziplin so unglaublich hochgehalten wurde, dass man sich das überhaupt nicht zugetraut hätte, so was zu tun. Das ist heute, in der heutigen Bundeswehr reichlich anders, und die Filmemacher und offenkundig auch die sie beratenden Historiker kennen das nicht anders.
Hatting: Jetzt hat der Produzent Nico Hofmann bereits Filmporträts über Rommel, Hindenburg und Dutschke gemacht. Jetzt haben Sie Schwächen dieser dokumentarischen Fiktionen angesprochen – gibt es auch Stärken?
Busche: Ja, die Stärke liegt eben darin, dass sie Bilder produziert, und das haben sie wohl offenbar – würde ich jetzt mal vermuten – aus den amerikanischen Antikriegsfilmen in Erinnerung an Vietnam gelernt, dass sie Bilder produzieren, die sich den Menschen einbrennen. Und wenn die Bilder, die ja Details zeigen und Einzelfälle zeigen, aber übereinstimmen mit dem Bild, das man von der Gesamtgeschichte hat und völlig zu Recht hat, eben des Zweiten Weltkriegs mit seinen Verbrechen, dann ist das extrem eindrucksvoll und stark. Das ist unbedingt das Positive.
Das Negative besteht eben darin, ja – wenn man dabei doch Geschichte verfälscht … Ich will ein drittes Beispiel bringen, das ganz krass ist: Was der Produzent oder der Drehbuchautor, aus welchen Gründen auch immer, dort in den Russland-Feldzug reinschiebt, hätte man – wusste man, nicht hätte man – wusste man nach dem Polen-Feldzug, also zwei Jahre früher, alles genau so. Die Leute, die Soldaten, kamen in den Heimaturlaub zurück, dafür gibt es viele Beispiele, und erzählten, was dort an Verbrechen an der polnischen Bevölkerung, an den Juden, verübt wurden.
Das heißt also, dass der uns diesen unbeschwerten, lustigen Leutnant mit seinen fünf Freunden vorstellt, der im Grunde schon Polen hinter sich hat, wahrscheinlich, denn Polen war ja der erste Angriff, der wusste, was in Narvik passiert war, der wusste, was in der Luftschlacht von England passiert war. Dass der da so unbeschwert fröhlich sagt, und Weihnachten sind wir zu Hause, ist einfach Quatsch.
Hatting: Der Publizist und Historiker Jürgen Busche über "Unsere Mütter, unsere Väter". Ich danke Ihnen das Gespräch!
Busche: Bitte!
Hatting: Und wenn Sie sich selbst ein Bild machen wollen: Heute Abend folgt der zweite Teil, am Mittwoch dann der dritte und letzte, immer um 20:15 Uhr im ZDF.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.