Schockenhoff warnt vor "Hungeraufstand" in Ägypten
Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff sieht in Ägypten die größte Gefahr in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Die Menschen erwarteten von einem neuen Staat bessere Lebensverhältnisse, sagte der Vizevorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Jan-Christoph Kitzler: Nicht ganz einfach ist das zu verstehen, in welche Richtung sich Ägypten da gerade entwickelt. Etwas über ein Jahr ist der erzwungene Rücktritt von Stabschef Mubarak jetzt her, seitdem regiert das Militär. Schwer zu verstehen ist die Lage in Ägypten auch, weil zwar inzwischen die erste Kammer des Parlaments gewählt ist und gestern auch die letzte Runde der Wahl zur zweiten Kammer, dem Schura-Rat, abgeschlossen wurde, aber das Verfahren hat sich insgesamt in die Länge gezogen. Auf dem Papier ist die Lage klar, aber de facto noch immer ziemlich verworren. Ein neuer Präsident für Ägypten soll erst in ein paar Monaten gewählt werden. Ich bin jetzt verbunden mit einem, der sich in diesen Tagen ein direktes Bild machen konnte von der Lage in Ägypten, mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andreas Schockenhoff. Schönen guten Morgen!
Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Kitzler!
Kitzler: Zwei vollgepackte Tage hatten Sie in der Hauptstadt Kairo. Haben Sie da ein Land im Aufbruch erlebt oder überwiegen doch noch die Probleme und Bedenken?
Schockenhoff: Ein Land im Aufbruch, aber auf der anderen Seite ein Land mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und daher droht die größte Gefahr. Die Devisenreserven von Ägypten sind zu Ende, die Menschen erwarten von einer neuen Regierung, von einem neuen Staat, bessere Lebensverhältnisse. Und wenn in einigen Monaten Grundnahrungsmittel wie Zucker, Mehl, Brenngas, die hoch subventioniert sind, eingeführt werden müssen, knapp werden, dann droht ein Hungeraufstand. Die soziale Situation ist äußerst prekär. Politisch ist das Wichtigste in den nächsten Monaten die Erarbeitung einer neuen Verfassung. In der ersten Kammer des Parlamentes haben die islamistischen Staaten, die Muslimbruderschaft und die Salafisten, die Extremisten, die sehr stark aus den Golfstaaten, Katar, Saudi-Arabien finanziert werden, eine Mehrheit. Es soll nur ein hundertköpfiger Verfassungsrat gebildet werden aus dem Parlament, aber eben auch aus Vertretern aller möglichen gesellschaftlichen Kräfte. Und es wird ganz stark darauf ankommen, ob die muslimische, islamistische Mehrheit im Parlament eben auch durchsetzt, im Verfassungsrat die Mehrheit zu haben, oder ob es eine offene moderne ägyptische Verfassung wird.
Kitzler: Das heißt, schon allein wegen der Mehrheitsverhältnisse droht die Gefahr, dass sich Ägypten nicht unbedingt in die Richtung Demokratie entwickelt?
Schockenhoff: Ja, auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Muslimbruderschaft und der Salafisten aus einer demokratischen Wahl hervorgegangen. Deswegen müssen wir mit ihnen ins Gespräch kommen. Allerdings müssen wir dann auch die Voraussetzungen machen, dass demokratische Prozesse die Minderheitenrechte im Parlament, Grundfreiheiten, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit von Mann und Frau respektiert werden, dass die Rechte religiöser Minderheiten garantiert werden. Das ist nun die Frage, ob sich aus einer Mehrheit in der jetzigen Zusammensetzung des Parlamentes dann hinterher auch eine Mehrheit ergibt, die einen muslimischen Staat will. Ich habe den Eindruck, dass die Muslimbruderschaft verstanden hat, dass die Ägypter eine moderne Demokratie wollen, und sie betonen auch immer, es werde nicht in erster Linie eine islamische Verfassung geben, sondern eine nationale, ägyptische Verfassung, in der die Rechte der ägyptischen Staatsbürger im Vordergrund stehen.
Kitzler: Sie haben ja auch schon die Rolle der Minderheiten angesprochen. Eine Minderheit sind die koptischen Christen, die Sie auch getroffen haben, Vertreter von denen. Stimmt der Eindruck, den man hier manchmal hat, dass der Arabische Frühling für die eher eine Art Arabischer Winter war?
Schockenhoff: Die Kopten, die Oberschicht der Kopten, die auch die wirtschaftliche Führungsschicht sind, verstehen sich nicht in erster Linie als religiöse Minderheit, sondern auch sie verstehen sich als Ägypter. Die armen Kopten haben Armutsprobleme, prekäre, soziale Probleme. Es wird ganz stark darauf ankommen, wie in der praktischen Umsetzung von Politik dann eben Chancengleichheit, gerechter Zugang zu Bildung, zu sozialer Entwicklung für alle da ist. Man sieht im Straßenbild in Kairo fast kaum noch Muslime ohne Kopfbedeckung, auf dem Land schon gar nicht. Die Frage ist, inwiefern das im Alltag eine Stimmung erzeugt, die einfach Nichtmuslime in ihrer Entfaltung beeinträchtigt sehen.
Kitzler: Eine andere aktuelle Streitfrage ist ja auch der Streit um politische Stiftung: Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo wurde durchsucht, die der CDU nahesteht. Diesen Einrichtungen, 17 waren es insgesamt, werden Verstöße gegen die Souveränität des ägyptischen Staates zur Last gelegt. Wie hat sich Ihnen die Sache vor Ort dargestellt?
Schockenhoff: Die Aktion richtet sich hauptsächlich gegen amerikanische Stiftungen, die ägyptische Partnerstiftungen unterstützt haben. Der Adenauer-Stiftung wird vorgeworfen, sie habe illegal gearbeitet und auch andere Stiftungen finanziert. Die Vorwürfe sind haltlos, die Adenauer-Stiftung ist seit über 30 Jahren in Ägypten tätig, hat mit ägyptischen Ministerien und Behörden auch Verträge geschlossen über gemeinsame Projekte und gemeinsame Initiativen, und die Adenauer-Stiftung hat immer nur einzelne Projekte und Seminare finanziert, aber nie direkt andere Parteien, also Gruppen, finanziert. Deswegen müssen wir das deutlich ansprechen, dass diese Vorwürfe inakzeptabel sind und dass beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, eines modernen Staates, die Angebote, die unsere politischen Stiftungen machen können, Ägypten nur helfen können, dass es falsch ist, hier eine unzulässige Einmischung von außen zu vermuten.
Kitzler: Ist eine der Schlüsselfragen für die ägyptische Entwicklung auch, welche Rolle das Militär in Zukunft spielt? Bisher ist das ja so eine Art Staat im Staat, das Militär tut sich schwer, Macht abzugeben. Wie sehen Sie das?
Schockenhoff: Das ist eine ganz wesentliche Frage. Das Militär ist auch nicht bereit, wirklich Macht abzugeben, und das Militär kontrolliert mindestens 20, manche sagen, 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft. Ob das Militär davon einfach zurücktritt und sich als Instrument eines demokratischen Staates sieht, der einfach von gewählten, demokratisch gewählten Politikern weisungsabhängig ist und sich auch dann vor allem in den ganzen finanziellen Aktivitäten eben, in der Umsetzung des Haushaltes von einem demokratischen Parlament kontrollieren wird, das ist die Frage. Man hat manchmal den Eindruck, als ob es so ein stilles Abkommen gibt zwischen den Militärs und der Muslimbruderschaft. Die Militärs behalten weitgehend ihre Privilegien und lassen die Muslimbruderschaft im Übrigen bei der Gestaltung des Rechtsstaates, der Verfassung, freie Hand. Allerdings sind die meisten Militärs aus der Zeit zum Teil noch von 52, also, das sind Leute, die über 70, teilweise über 80 sind. Deswegen kann man nur hoffen, dass es bald auch eine neue Generation von dem demokratischen Staat verpflichteten Streitkräften geben wird.
Kitzler: In jedem Fall hat Ägypten noch einen weiten Weg vor sich. Das war der CDU-Außenexperte und Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff über die Lage in Ägypten. Vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!
Schockenhoff: Schönen Tag, Herr Kitzler!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Kitzler!
Kitzler: Zwei vollgepackte Tage hatten Sie in der Hauptstadt Kairo. Haben Sie da ein Land im Aufbruch erlebt oder überwiegen doch noch die Probleme und Bedenken?
Schockenhoff: Ein Land im Aufbruch, aber auf der anderen Seite ein Land mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und daher droht die größte Gefahr. Die Devisenreserven von Ägypten sind zu Ende, die Menschen erwarten von einer neuen Regierung, von einem neuen Staat, bessere Lebensverhältnisse. Und wenn in einigen Monaten Grundnahrungsmittel wie Zucker, Mehl, Brenngas, die hoch subventioniert sind, eingeführt werden müssen, knapp werden, dann droht ein Hungeraufstand. Die soziale Situation ist äußerst prekär. Politisch ist das Wichtigste in den nächsten Monaten die Erarbeitung einer neuen Verfassung. In der ersten Kammer des Parlamentes haben die islamistischen Staaten, die Muslimbruderschaft und die Salafisten, die Extremisten, die sehr stark aus den Golfstaaten, Katar, Saudi-Arabien finanziert werden, eine Mehrheit. Es soll nur ein hundertköpfiger Verfassungsrat gebildet werden aus dem Parlament, aber eben auch aus Vertretern aller möglichen gesellschaftlichen Kräfte. Und es wird ganz stark darauf ankommen, ob die muslimische, islamistische Mehrheit im Parlament eben auch durchsetzt, im Verfassungsrat die Mehrheit zu haben, oder ob es eine offene moderne ägyptische Verfassung wird.
Kitzler: Das heißt, schon allein wegen der Mehrheitsverhältnisse droht die Gefahr, dass sich Ägypten nicht unbedingt in die Richtung Demokratie entwickelt?
Schockenhoff: Ja, auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Muslimbruderschaft und der Salafisten aus einer demokratischen Wahl hervorgegangen. Deswegen müssen wir mit ihnen ins Gespräch kommen. Allerdings müssen wir dann auch die Voraussetzungen machen, dass demokratische Prozesse die Minderheitenrechte im Parlament, Grundfreiheiten, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit von Mann und Frau respektiert werden, dass die Rechte religiöser Minderheiten garantiert werden. Das ist nun die Frage, ob sich aus einer Mehrheit in der jetzigen Zusammensetzung des Parlamentes dann hinterher auch eine Mehrheit ergibt, die einen muslimischen Staat will. Ich habe den Eindruck, dass die Muslimbruderschaft verstanden hat, dass die Ägypter eine moderne Demokratie wollen, und sie betonen auch immer, es werde nicht in erster Linie eine islamische Verfassung geben, sondern eine nationale, ägyptische Verfassung, in der die Rechte der ägyptischen Staatsbürger im Vordergrund stehen.
Kitzler: Sie haben ja auch schon die Rolle der Minderheiten angesprochen. Eine Minderheit sind die koptischen Christen, die Sie auch getroffen haben, Vertreter von denen. Stimmt der Eindruck, den man hier manchmal hat, dass der Arabische Frühling für die eher eine Art Arabischer Winter war?
Schockenhoff: Die Kopten, die Oberschicht der Kopten, die auch die wirtschaftliche Führungsschicht sind, verstehen sich nicht in erster Linie als religiöse Minderheit, sondern auch sie verstehen sich als Ägypter. Die armen Kopten haben Armutsprobleme, prekäre, soziale Probleme. Es wird ganz stark darauf ankommen, wie in der praktischen Umsetzung von Politik dann eben Chancengleichheit, gerechter Zugang zu Bildung, zu sozialer Entwicklung für alle da ist. Man sieht im Straßenbild in Kairo fast kaum noch Muslime ohne Kopfbedeckung, auf dem Land schon gar nicht. Die Frage ist, inwiefern das im Alltag eine Stimmung erzeugt, die einfach Nichtmuslime in ihrer Entfaltung beeinträchtigt sehen.
Kitzler: Eine andere aktuelle Streitfrage ist ja auch der Streit um politische Stiftung: Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo wurde durchsucht, die der CDU nahesteht. Diesen Einrichtungen, 17 waren es insgesamt, werden Verstöße gegen die Souveränität des ägyptischen Staates zur Last gelegt. Wie hat sich Ihnen die Sache vor Ort dargestellt?
Schockenhoff: Die Aktion richtet sich hauptsächlich gegen amerikanische Stiftungen, die ägyptische Partnerstiftungen unterstützt haben. Der Adenauer-Stiftung wird vorgeworfen, sie habe illegal gearbeitet und auch andere Stiftungen finanziert. Die Vorwürfe sind haltlos, die Adenauer-Stiftung ist seit über 30 Jahren in Ägypten tätig, hat mit ägyptischen Ministerien und Behörden auch Verträge geschlossen über gemeinsame Projekte und gemeinsame Initiativen, und die Adenauer-Stiftung hat immer nur einzelne Projekte und Seminare finanziert, aber nie direkt andere Parteien, also Gruppen, finanziert. Deswegen müssen wir das deutlich ansprechen, dass diese Vorwürfe inakzeptabel sind und dass beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, eines modernen Staates, die Angebote, die unsere politischen Stiftungen machen können, Ägypten nur helfen können, dass es falsch ist, hier eine unzulässige Einmischung von außen zu vermuten.
Kitzler: Ist eine der Schlüsselfragen für die ägyptische Entwicklung auch, welche Rolle das Militär in Zukunft spielt? Bisher ist das ja so eine Art Staat im Staat, das Militär tut sich schwer, Macht abzugeben. Wie sehen Sie das?
Schockenhoff: Das ist eine ganz wesentliche Frage. Das Militär ist auch nicht bereit, wirklich Macht abzugeben, und das Militär kontrolliert mindestens 20, manche sagen, 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft. Ob das Militär davon einfach zurücktritt und sich als Instrument eines demokratischen Staates sieht, der einfach von gewählten, demokratisch gewählten Politikern weisungsabhängig ist und sich auch dann vor allem in den ganzen finanziellen Aktivitäten eben, in der Umsetzung des Haushaltes von einem demokratischen Parlament kontrollieren wird, das ist die Frage. Man hat manchmal den Eindruck, als ob es so ein stilles Abkommen gibt zwischen den Militärs und der Muslimbruderschaft. Die Militärs behalten weitgehend ihre Privilegien und lassen die Muslimbruderschaft im Übrigen bei der Gestaltung des Rechtsstaates, der Verfassung, freie Hand. Allerdings sind die meisten Militärs aus der Zeit zum Teil noch von 52, also, das sind Leute, die über 70, teilweise über 80 sind. Deswegen kann man nur hoffen, dass es bald auch eine neue Generation von dem demokratischen Staat verpflichteten Streitkräften geben wird.
Kitzler: In jedem Fall hat Ägypten noch einen weiten Weg vor sich. Das war der CDU-Außenexperte und Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff über die Lage in Ägypten. Vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!
Schockenhoff: Schönen Tag, Herr Kitzler!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.