"Schockwelle durch das System getrieben"
Es war der größte Betrugsskandal der Finanzgeschichte: Vor zwei Jahren verursachte ein Händler der französischen Großbank Société Générale einen Milliardenverlust und brachte seine Bank an den Rand des Zusammenbruchs. Nun hat der ehemalige Kommunikationschef des Unternehmens ein Buch über diese dramatischen Wochen geschrieben, heute erscheint die deutsche Übersetzung.
Joachim Scholl: "Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte", so hat Hugues Le Bret sein Buch über den größten Finanzskandal der Geschichte überschrieben. Wir haben diesen Insiderbericht einem anderen Insider zum Lesen gegeben. Wieslaw Jurczenko war selbst viele Jahre lang Chief Risk Officer bei einer internationalen Großbank, also verantwortlich für das Risikomanagement. Er ist jetzt im Studio, guten Tag, Herr Jurczenko!
Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Für den Laien ist ein solch gigantischer Betrug ja schwer vorstellbar. Wie ist Jérôme Kerviel vorgegangen, was hat er genau gemacht?
Jurczenko: Er hat mit Terminkontrakten auf verschiedene europäische Aktien, Indizes wie DAX, EuroStocks und Ähnliche gesetzt. Die hat er für 2008 auf den steigenden Markt gesetzt und wurde durch ein starkes Nachgeben des DAX kalt erwischt sozusagen. Als der Markt immer weiter gegen ihn lief, erhöhte er den Einsatz entsprechend, so kam es zu dieser riesigen Position. Normalerweise werden solche Transaktionen durch gegenläufige Termingeschäfte quasi versichert, und am Ende des Tages oder am Ende der Laufzeit bleibt nur die Differenz aus beiden, und die bildet das Handelsergebnis. Das ist dann natürlich wesentlich kleiner. Und diese Gegengeschäfte, die hierfür notwendig wären, hat Kerviel anscheinend nur in fiktiver Form vorgenommen, das heißt, es war möglich, dass die Systeme der Société Générale diese Transaktionen nicht gesehen haben. Offenbar haben diese Systeme Transaktionen nicht aufgezeichnet, sondern nur Verluste. Und da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Verluste gab, die noch nicht realisiert waren, haben diese Alarmglocken anscheinend nicht angeschlagen.
Scholl: Wie erklärt Hugues Le Bret, dass so etwas möglich war?
Jurczenko: Er hat es jetzt nicht ganz so genau erklärt, wie ich es jetzt versucht habe zu tun, er hat so einige Themen rausgelassen. Das mag aber daran liegen, dass Le Bret eben in der Kommunikationsabteilung tätig ist oder in der Öffentlichkeitsarbeit und da vielleicht nicht so viel Zugriff hatte, auch auf Konzernspitze man offensichtlich da die Details in dem Fall nicht so hatte oder man sie nicht bekanntgeben will.
Scholl: Ist es denn glaubhaft zum Beispiel, dass Kerviel allein gehandelt hat, was die Bank immer behauptet hat?
Jurczenko: Das glaube ich nicht, ein Mann allein kann in einem solchen Kontrollumfeld nicht so etwas begehen. Also es müssten mindestens mehrere Personen beteiligt sein. Solche Transaktionen laufen durch verschiedene Systeme, die im Grunde genommen verschiedene Seiten dieser Deals abbilden. Da werden Kreditabteilungen möglicherweise betroffen, Abwicklungsabteilungen und so weiter, das kann man praktisch ausschließen, das ist unmöglich. Es gab auch zumindest einen Bericht von PriceWaterhouseCoopers, der zumindest mal sagt, dass mindestens sein Assistent dort mitgewirkt haben muss.
Scholl: Zu seiner Verteidigung hat Jérôme Kerviel immer vorgebracht, dass er im Jahr zuvor der Bank einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro eingebracht hätte. Haben die Verantwortlichen der Bank also einfach nicht genau hingeschaut?
Jurczenko: Sie haben offenbar auch diesen Gewinn nicht gesehen, denn den scheint er auch verschleiert zu haben, er hat ihn ja zunächst einmal nur behauptet. Wie auch immer, es hat verschiedene Berichte gegeben, wonach im Zuge seiner Tätigkeit zwischen 2006 und Januar 2008 75 sogenannte Red Flags aufgetaucht sind im Bezug auf seine Handelsaktivitäten, von verschiedenen Bereichen, von Produktcontrollern, Compliants, Risikomanagern und Ähnlichen und externen Counterparties. Also man im Grunde genommen hier schon Alarmzeichen gesehen, und wenn man … Ich sag mal, es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat man die 1,5 Milliarden gesehen, dann müsste der Spruch gelten "watch your biggest stars, watch your biggest losers" das heißt, jemand, der einen solchen Gewinn macht, das ist ein signifikanter Anteil des Ergebnisses der Société Générale von einem Mann in einer 160.000-Mitarbeiter-Bank, dann sollte man genau hingucken. Oder aber man hat diese Alarme gesehen, die da aufgekreuzt sind, dann hätte man zumindest auf der Loser-Seite gucken müssen, was da eigentlich los ist.
Scholl: Der größte Betrugsskandal der Finanzgeschichte, der Fall Kerviel. Wir sind im Gespräch mit dem Finanzexperten Wieslaw Jurczenko. Sie waren 2008 bei Ihrer Bank, Herr Jurczenko, für die Risikokontrolle zuständig. Hat der Betrug von Jérôme Kerviel eigentlich Konsequenzen gehabt, dass man also auch im eigenen Haus geschaut hat, ob ähnliche Schwachstellen existieren?
Jurczenko: Ich denke, alle Banken solcher Größenordnungen und auch kleinere schauen jährlich oder auch regelmäßig, sehr regelmäßig auf ihre Risikokontoll- oder Risikomanagementsysteme. In dem Fall gab es leider keinen Abschlussbericht, an dem man sich hätte orientieren können, anders als im Fall beispielsweise von Nick Leeson, der Barings da Mitte der 90er zum Einsturz gebracht hat. Da hätte man was draus lernen können. Diesen gab es in dem Fall nicht, insoweit blieb es also bei den ganz normalen Überprüfungen der Systeme.
Scholl: War die Lage, als der Betrug von Kerviel aufflog, eigentlich tatsächlich so dramatisch, wie Hugues Le Bret es beschreibt? Also 50 Milliarden betrug die Position, diese Summe hätte die Société Générale in Schieflage gebracht und damit auch das Finanzsystem vor den Kollaps gestellt?
Jurczenko: Nun, die Société Générale ist eine sehr bedeutende Bank mit einer Bilanzsumme von circa einer Billion Euro, das ist ein signifikantes Risiko für den Markt. Wir haben ja auch später im Jahr gesehen, was durch die Pleite von Lehman Brothers ausgelöst wurde. Insoweit hätte das durchaus passieren können, das vermag niemand zu sagen, aber ein solcher Vertrauensverlust, wenn eine solche bedeutende Bank von einem Tag auf den nächsten umfällt, hätte wahrscheinlich schon eine Schockwelle durch das System getrieben.
Scholl: Das Buch von Hugues Le Bret liest sich sehr spannend, der Mann kann schreiben, es ist ein Wirtschaftskrimi. Was kann denn der Laie eigentlich daraus lernen?
Jurczenko: Also man kann an drei Stellen im Grunde genommen in dem Buch sehr interessante Aspekte finden. Das eine ist, mal zu sehen, wie Krisenmanagement auf Konzernebene in einem solchen Konzern läuft, das beschreibt er sehr dicht, sehr spannend, muss ich sagen, und auch extrem realistisch. Kein Wunder, er war dabei. Der zweite Punkt für mich wäre die Art und Weise, wie moderne Kommunikationsabteilungen heute funktionieren, wie sehr genau man seine Fühler in die Öffentlichkeit streckt, wie man seine Interviewpartner wählt, wie man genau im Grunde genommen mit der Öffentlichkeit in solchen Situationen umgeht. Das macht er natürlich auch sehr, sehr gut. Der dritte Punkt, ein für mich sehr wichtiger, ist die politische Vernetzung der Bank. Der Elysée bekommt da eine ganz schöne Breitseite mit und er zeigt im Grunde, wie tief verwurzelt die Finanzwirtschaft und die Politik miteinander sind oder wie vernetzt sie sind. – Das ist in Deutschland übrigens nicht anders, aber man hat es glaube ich aus Frankreich nicht so detailliert mal gesehen, und das ist sicher wert, das mal zu lesen.
Scholl: Weil Sie gerade sagen, die Arbeit mit der Presse: Es gibt da so eine schöne Geschichte, als Hugues Le Bret die erste Pressekonferenz beschreibt, die die Société Générale nach dem Betrug gibt, und da wird vom Vorstandsvorsitzenden berichtet, Daniel Bouton, der also versucht die Sache ein bisschen wegzureden, indem er sagt, ja, war nur ein kleiner Händler, der nicht mal 100.000 Euro im Jahr verdient und also nicht der Rede wert ist, und als er da sagt, wird der anwesende Kommunikationschef Hugues Le Bret auch blass, weil er weiß, dass die Mehrheit der anwesenden Journalisten nicht einmal die Hälfte von 100.000 verdient … Da merkt man ja schon, dass hier so zwei Welten existieren, und man muss sich auch immer klarmachen, also hier reden auch, hier wird von schwerreichen Leuten immer gesprochen!
Jurczenko: Ja, ja, das ist für mich so eine kleine Schlüsselszene im Grunde, wo man so ein bisschen diese Parallelwelten gegeneinander aufblitzen sieht, wo man einfach mal sieht, in welchen Dimensionen sich die eine Welt bewegt und wie wenig sie mit der anderen zu tun hat. Muss ich auch sagen, ja.
Scholl: Hugues Le Bret schreibt, die Hintergründe des Falles – und damit meint er das gesamte Finanzsystem, das solche Betrügereien dann doch ermöglicht – würden ihm eine Heidenangst machen. Ist diese Angst nach wie vor gerechtfertigt?
Jurczenko: Nun, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich komme selbst aus dem Risikomanagementgeschäft, da wäre ich mit Angst glaube ich relativ schlecht beraten. Aber ein gesundes Misstrauen in diese immer gigantischer werdenden globalen Banken und in diese potenziellen Gefahren, die von ihnen ausgehen, das sollte man schon haben. Die Finanzkrise hat gezeigt, in welche Abgründe wir sehen, wenn dieses System in Schwierigkeiten gerät, und man sollte auch nicht vergessen, dass die Finanzkrise gezwungenermaßen noch größere Banken erzeugt hat durch diese Zwangsfusionen, die es gegeben hat, als wir sie vorher hatten. Insoweit sagen wir mal, so ein bisschen misstrauisches Hingucken ist schon angebracht. Wenn Sie daran denken, Bank of America Marrill Lynch ist jetzt noch wesentlich größer als die Einzelnen vorher waren.
Scholl: Wieslaw Jurczenko, er ist Anwalt für Wertpapierrecht, früher war er Chief Risk Officer bei einer internationalen Großbank, und er hat für uns das Buch von Hugues Le Bret gelesen, "Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte". Heute erscheint es auf Deutsch im Antje Kunstmann Verlag mit 298 Seiten zum Preis von 18 Euro. Herr Jurczenko, vielen Dank für das Gespräch!
Jurczenko: Gerne!
Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Für den Laien ist ein solch gigantischer Betrug ja schwer vorstellbar. Wie ist Jérôme Kerviel vorgegangen, was hat er genau gemacht?
Jurczenko: Er hat mit Terminkontrakten auf verschiedene europäische Aktien, Indizes wie DAX, EuroStocks und Ähnliche gesetzt. Die hat er für 2008 auf den steigenden Markt gesetzt und wurde durch ein starkes Nachgeben des DAX kalt erwischt sozusagen. Als der Markt immer weiter gegen ihn lief, erhöhte er den Einsatz entsprechend, so kam es zu dieser riesigen Position. Normalerweise werden solche Transaktionen durch gegenläufige Termingeschäfte quasi versichert, und am Ende des Tages oder am Ende der Laufzeit bleibt nur die Differenz aus beiden, und die bildet das Handelsergebnis. Das ist dann natürlich wesentlich kleiner. Und diese Gegengeschäfte, die hierfür notwendig wären, hat Kerviel anscheinend nur in fiktiver Form vorgenommen, das heißt, es war möglich, dass die Systeme der Société Générale diese Transaktionen nicht gesehen haben. Offenbar haben diese Systeme Transaktionen nicht aufgezeichnet, sondern nur Verluste. Und da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Verluste gab, die noch nicht realisiert waren, haben diese Alarmglocken anscheinend nicht angeschlagen.
Scholl: Wie erklärt Hugues Le Bret, dass so etwas möglich war?
Jurczenko: Er hat es jetzt nicht ganz so genau erklärt, wie ich es jetzt versucht habe zu tun, er hat so einige Themen rausgelassen. Das mag aber daran liegen, dass Le Bret eben in der Kommunikationsabteilung tätig ist oder in der Öffentlichkeitsarbeit und da vielleicht nicht so viel Zugriff hatte, auch auf Konzernspitze man offensichtlich da die Details in dem Fall nicht so hatte oder man sie nicht bekanntgeben will.
Scholl: Ist es denn glaubhaft zum Beispiel, dass Kerviel allein gehandelt hat, was die Bank immer behauptet hat?
Jurczenko: Das glaube ich nicht, ein Mann allein kann in einem solchen Kontrollumfeld nicht so etwas begehen. Also es müssten mindestens mehrere Personen beteiligt sein. Solche Transaktionen laufen durch verschiedene Systeme, die im Grunde genommen verschiedene Seiten dieser Deals abbilden. Da werden Kreditabteilungen möglicherweise betroffen, Abwicklungsabteilungen und so weiter, das kann man praktisch ausschließen, das ist unmöglich. Es gab auch zumindest einen Bericht von PriceWaterhouseCoopers, der zumindest mal sagt, dass mindestens sein Assistent dort mitgewirkt haben muss.
Scholl: Zu seiner Verteidigung hat Jérôme Kerviel immer vorgebracht, dass er im Jahr zuvor der Bank einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro eingebracht hätte. Haben die Verantwortlichen der Bank also einfach nicht genau hingeschaut?
Jurczenko: Sie haben offenbar auch diesen Gewinn nicht gesehen, denn den scheint er auch verschleiert zu haben, er hat ihn ja zunächst einmal nur behauptet. Wie auch immer, es hat verschiedene Berichte gegeben, wonach im Zuge seiner Tätigkeit zwischen 2006 und Januar 2008 75 sogenannte Red Flags aufgetaucht sind im Bezug auf seine Handelsaktivitäten, von verschiedenen Bereichen, von Produktcontrollern, Compliants, Risikomanagern und Ähnlichen und externen Counterparties. Also man im Grunde genommen hier schon Alarmzeichen gesehen, und wenn man … Ich sag mal, es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat man die 1,5 Milliarden gesehen, dann müsste der Spruch gelten "watch your biggest stars, watch your biggest losers" das heißt, jemand, der einen solchen Gewinn macht, das ist ein signifikanter Anteil des Ergebnisses der Société Générale von einem Mann in einer 160.000-Mitarbeiter-Bank, dann sollte man genau hingucken. Oder aber man hat diese Alarme gesehen, die da aufgekreuzt sind, dann hätte man zumindest auf der Loser-Seite gucken müssen, was da eigentlich los ist.
Scholl: Der größte Betrugsskandal der Finanzgeschichte, der Fall Kerviel. Wir sind im Gespräch mit dem Finanzexperten Wieslaw Jurczenko. Sie waren 2008 bei Ihrer Bank, Herr Jurczenko, für die Risikokontrolle zuständig. Hat der Betrug von Jérôme Kerviel eigentlich Konsequenzen gehabt, dass man also auch im eigenen Haus geschaut hat, ob ähnliche Schwachstellen existieren?
Jurczenko: Ich denke, alle Banken solcher Größenordnungen und auch kleinere schauen jährlich oder auch regelmäßig, sehr regelmäßig auf ihre Risikokontoll- oder Risikomanagementsysteme. In dem Fall gab es leider keinen Abschlussbericht, an dem man sich hätte orientieren können, anders als im Fall beispielsweise von Nick Leeson, der Barings da Mitte der 90er zum Einsturz gebracht hat. Da hätte man was draus lernen können. Diesen gab es in dem Fall nicht, insoweit blieb es also bei den ganz normalen Überprüfungen der Systeme.
Scholl: War die Lage, als der Betrug von Kerviel aufflog, eigentlich tatsächlich so dramatisch, wie Hugues Le Bret es beschreibt? Also 50 Milliarden betrug die Position, diese Summe hätte die Société Générale in Schieflage gebracht und damit auch das Finanzsystem vor den Kollaps gestellt?
Jurczenko: Nun, die Société Générale ist eine sehr bedeutende Bank mit einer Bilanzsumme von circa einer Billion Euro, das ist ein signifikantes Risiko für den Markt. Wir haben ja auch später im Jahr gesehen, was durch die Pleite von Lehman Brothers ausgelöst wurde. Insoweit hätte das durchaus passieren können, das vermag niemand zu sagen, aber ein solcher Vertrauensverlust, wenn eine solche bedeutende Bank von einem Tag auf den nächsten umfällt, hätte wahrscheinlich schon eine Schockwelle durch das System getrieben.
Scholl: Das Buch von Hugues Le Bret liest sich sehr spannend, der Mann kann schreiben, es ist ein Wirtschaftskrimi. Was kann denn der Laie eigentlich daraus lernen?
Jurczenko: Also man kann an drei Stellen im Grunde genommen in dem Buch sehr interessante Aspekte finden. Das eine ist, mal zu sehen, wie Krisenmanagement auf Konzernebene in einem solchen Konzern läuft, das beschreibt er sehr dicht, sehr spannend, muss ich sagen, und auch extrem realistisch. Kein Wunder, er war dabei. Der zweite Punkt für mich wäre die Art und Weise, wie moderne Kommunikationsabteilungen heute funktionieren, wie sehr genau man seine Fühler in die Öffentlichkeit streckt, wie man seine Interviewpartner wählt, wie man genau im Grunde genommen mit der Öffentlichkeit in solchen Situationen umgeht. Das macht er natürlich auch sehr, sehr gut. Der dritte Punkt, ein für mich sehr wichtiger, ist die politische Vernetzung der Bank. Der Elysée bekommt da eine ganz schöne Breitseite mit und er zeigt im Grunde, wie tief verwurzelt die Finanzwirtschaft und die Politik miteinander sind oder wie vernetzt sie sind. – Das ist in Deutschland übrigens nicht anders, aber man hat es glaube ich aus Frankreich nicht so detailliert mal gesehen, und das ist sicher wert, das mal zu lesen.
Scholl: Weil Sie gerade sagen, die Arbeit mit der Presse: Es gibt da so eine schöne Geschichte, als Hugues Le Bret die erste Pressekonferenz beschreibt, die die Société Générale nach dem Betrug gibt, und da wird vom Vorstandsvorsitzenden berichtet, Daniel Bouton, der also versucht die Sache ein bisschen wegzureden, indem er sagt, ja, war nur ein kleiner Händler, der nicht mal 100.000 Euro im Jahr verdient und also nicht der Rede wert ist, und als er da sagt, wird der anwesende Kommunikationschef Hugues Le Bret auch blass, weil er weiß, dass die Mehrheit der anwesenden Journalisten nicht einmal die Hälfte von 100.000 verdient … Da merkt man ja schon, dass hier so zwei Welten existieren, und man muss sich auch immer klarmachen, also hier reden auch, hier wird von schwerreichen Leuten immer gesprochen!
Jurczenko: Ja, ja, das ist für mich so eine kleine Schlüsselszene im Grunde, wo man so ein bisschen diese Parallelwelten gegeneinander aufblitzen sieht, wo man einfach mal sieht, in welchen Dimensionen sich die eine Welt bewegt und wie wenig sie mit der anderen zu tun hat. Muss ich auch sagen, ja.
Scholl: Hugues Le Bret schreibt, die Hintergründe des Falles – und damit meint er das gesamte Finanzsystem, das solche Betrügereien dann doch ermöglicht – würden ihm eine Heidenangst machen. Ist diese Angst nach wie vor gerechtfertigt?
Jurczenko: Nun, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich komme selbst aus dem Risikomanagementgeschäft, da wäre ich mit Angst glaube ich relativ schlecht beraten. Aber ein gesundes Misstrauen in diese immer gigantischer werdenden globalen Banken und in diese potenziellen Gefahren, die von ihnen ausgehen, das sollte man schon haben. Die Finanzkrise hat gezeigt, in welche Abgründe wir sehen, wenn dieses System in Schwierigkeiten gerät, und man sollte auch nicht vergessen, dass die Finanzkrise gezwungenermaßen noch größere Banken erzeugt hat durch diese Zwangsfusionen, die es gegeben hat, als wir sie vorher hatten. Insoweit sagen wir mal, so ein bisschen misstrauisches Hingucken ist schon angebracht. Wenn Sie daran denken, Bank of America Marrill Lynch ist jetzt noch wesentlich größer als die Einzelnen vorher waren.
Scholl: Wieslaw Jurczenko, er ist Anwalt für Wertpapierrecht, früher war er Chief Risk Officer bei einer internationalen Großbank, und er hat für uns das Buch von Hugues Le Bret gelesen, "Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte". Heute erscheint es auf Deutsch im Antje Kunstmann Verlag mit 298 Seiten zum Preis von 18 Euro. Herr Jurczenko, vielen Dank für das Gespräch!
Jurczenko: Gerne!