Schöne neue Arbeitswelt

Von Norbert Bolz |
Mit Beginn der Moderne spalteten sich Arbeit und Heim. Heute dagegen arbeitet man zu Hause. Der Technomade geht nicht mehr ins Büro, sondern loggt sich ins Netz ein. Doch die Bequemlichkeit, zu Hause zu arbeiten, hat auch den Preis, immer verfügbar zu sein.
Für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ist Herbert Marshall McLuhans Vision Wirklichkeit geworden: das dezentrale elektronische Weltdorf, die geschrumpfte Welt der Satellitenkommunikation, in der räumliche Distanzen unwichtig sind, solange man ans Netzwerk angeschlossen ist. Globalisierung, Vernetzung, Weltkommunikation - alles scheint zusammenzuwachsen zur Einen Welt, zum digitalen Weltdorf.

In der Tat fallen ja allerorten die Grenzen: zwischen den Staaten Europas, zwischen den Geschmäckern der Klassen, zwischen den Ebenen der Unternehmen. Überall strahlen die Sterne von Hollywood, überall gibt es McDonalds, überall herrscht Microsoft. Und zumindest in der Chance, arbeitslos zu werden, sind wir fast alle gleich. Doch kann man auch recht deutlich neue Grenzen erkennen. Vor allem die Demarkationslinie zwischen den Angeschlossenen und den Ausgeschlossenen, den "linked" und "linked-nots".

Mit Beginn der Moderne spalteten sich Arbeit und Heim. Heute dagegen arbeitet man zu Hause. Und man ist überall zu Hause. Der Technomade geht nicht mehr ins Büro, sondern loggt sich ins Netz ein. Das ist natürlich nur deshalb möglich, weil menschliche Arbeit zunehmend Kommunikation und der Arbeiter zum Beobachter autonomer Prozesse wird. Doch die Bequemlichkeit, zu Hause arbeiten zu können, hat ihren Preis. Er bemisst sich an der arbeitsmoralischen Forderung, immer verfügbar zu sein. Availability nennen das die Amerikaner: der Stand-by-Modus der Existenz.

Der Arbeitsplatz ist überschaubarer als das moderne Leben - deshalb bleiben immer mehr Leute immer länger im Büro. Die Arbeit in der Firma ist einfacher als das Familienleben; man ist am Arbeitsplatz kompetenter als zu Hause - und man bekommt mehr Anerkennung. Je mehr Zeit man in die Arbeit investiert, umso größer ist der Erfolg; je größer der Erfolg, umso mehr Möglichkeiten eröffnen sich, die wiederum den Wunsch wecken, mehr Zeit für die Arbeit zu haben.

Hinzu kommen die produktivitätssteigernden Effekte der neuen Medientechnologien, die die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben verschwimmen lassen. Nichts wirkt hier mächtiger als das Handy. Denn mit der Mobiltelefonnummer emanzipiert sich die Adresse vom Ort. Es kann deshalb nicht überraschen, dass auch gute Hotels heute durchaus auf die Sauna verzichten, niemals aber auf den Internetanschluss in jedem Zimmer.
In dieser schönen neuen Arbeitswelt kann man natürlich nicht mehr sinnvoll zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden, jedenfalls nicht mehr so, dass Arbeit die Härte des Lebens und Freizeit den Spaß ausmachen könnte. Wer sich selbst zur Ich-AG und im Erfolgsfall zur Marke macht, versteht seine Arbeit als theatralische Inszenierung, als Spitzenleistung der Selbstdarstellung, als "hard fun". Wir haben es hier also weder mit einem Werk noch mit einem Beruf zu tun, sondern mit einem Flickenteppich des Arbeitens.

Es ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden, von Arbeitskräften Flexibilität zu fordern. Doch Flexibilität heißt immer auch Unsicherheit, denn sie bedeutet konkret die Bereitschaft zum Wechsel des Jobs, die Fähigkeit zum Wechsel des Könnens, die Tolerierung veränderter Arbeitszeiten, ein auch nach unten offenes marktabhängiges Einkommen und nahezu unbegrenzte Mobilität.

Der Job ist heute längst kein Beruf mehr, sondern ein Medium ständiger Anpassung an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Und dessen eigentliche Dramatik lässt sich nicht an den Arbeitslosenzahlen ablesen. Nicht nur die Jobs, sondern auch die Karrieren werden knapp.

Man kann Arbeit von Muße, Faulheit, Freizeit und Arbeitslosigkeit unterscheiden. Auch wenn Kapitalismuskritiker und neuerdings Globalisierungsgegner immer noch die polemischen Register der Unterscheidung arm / reich ziehen, so ist nüchternen Betrachtern der modernen Gesellschaft natürlich schon seit dem 19. Jahrhundert klar, dass sie von der Unterscheidung Arbeit / Kapital abgelöst worden ist. Aber auch diese Unterscheidung ist mittlerweile Geschichte geworden. In Zeiten hoher Sockelarbeitslosigkeit ist für die meisten Menschen nur noch eine Unterscheidung von Interesse, nämlich: mit oder ohne Arbeitsplatz.

Es wird den Politikern wohl nicht mehr lange gelingen, die harte Realität der neuen Arbeitsverhältnisse durch die Rhetorik der "sozialen Gerechtigkeit" zu verdecken, denn der Wohlfahrtsstaat ist schon Geschichte. Aus der Armenfürsorge wurde in der modernen Gesellschaft die Arbeitsbeschaffung. Zusammen mit der Sozialversicherungsgesetzgebung sorgte diese dafür, dass auch die Schwächeren einen "gerechten" Anteil am Wohlstand bekamen. Heute stößt der Wohlfahrtsstaat weltweit an die Grenze der Finanzierbarkeit und zwingt die Politik zu einer semantischen Anpassung. In den USA ist das schon gelungen. Dort wird der Begriff Welfare durch den Begriff Workfare verdrängt. In deutschem Klartext heißt das: Du hast die Verpflichtung, jeden Job anzunehmen.

Norbert Bolz: Professor für Kommunikationstheorie. Er wurde 1953 in Ludwigshafen geboren. Er studierte in Mannheim, Heidelberg und Berlin Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaften. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Ästhetik Adornos, in der Habilitationsschrift mit dem "Philosophischen Extremismus zwischen den Weltkriegen". Seit 1992 ist Bolz Professor für Kommunikationstheorie am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität Essen. Sein neuestes Buch trägt den Titel "Die Konformisten des Andersseins" (München 1999).