Schöne neue Konsumwelt
Im Dezember 1903 eröffneten die zwei jüdischen Kaufleute Abraham und Theodor Wertheim in Stralsund ein großes Warenhaus. Nach anfänglichem Misstrauen freuten sich die Bürger über das üppige Angebot. Es wurde nicht mehr gefeilscht und der Kunde war König.
An diesem Tag ist es in Stralsund kalt und regnerisch. Kaum jemand bleibt an den Schaufenstern der Geschäfte in der Fußgängerzone stehen. Schon gar nicht vor der Plakette, die an der Hauswand Ossenreyerstraße 8-12 angebracht ist. Nur Nadine Garling, Judaistin in Stralsund, trotzt dem Wetter.
"”Hier in Stralsund befindet sich eines der sehr wenigen noch deutschlandweit erhalten gebliebenen Warenhäuser der Familie Wertheim. Dieses Gebäude wurde 1903 errichtet und hat den Krieg recht gut überstanden. Es wurde zu DDR-Zeiten weiter als Kaufhaus benutzt und vor mehreren Jahren endlich aufwendig restauriert.""
Außen ist das Gebäude hellbraun, die Dächer sind mit roten Ziegeln gedeckt. Innen ist der historische Lichthof im oberen Bereich weiß, danach in einem Ockerton. In der Mitte türmen sich Jeans, Kleider, T-Shirts einer Billigwarenkette. Als am 15. April 1852 die Gebrüder Wertheim in der Stralsunder Wasserstraße ihr erstes "Manufactur- und Modewarengeschäft" eröffneten, war es von da aus nicht weit bis zu den revolutionären Verkaufskonditionen, die die Wertheims groß machten.
Garling: "Zum Beispiel Festpreise, zum Beispiel das Umtauschrecht...das sind sozusagen parallele Entwicklungen, die auch in Frankreich, in Großbritannien und auch in den USA abliefen. Die jüdischen Kaufmannsfamilien hat den Vorteil, dass sie sozusagen untereinander vernetzt waren und zum Beispiel die Wertheimkinder, Georg Wertheim, zu ihren Verwandten in die Lehre gegangen sind, dort die neuen Prinzipien kennen gelernt haben, in England und hier nach Stralsund zuerst gebracht haben."
Anders als bisher durfte der Kunde die Waren ausgiebig betrachten, ohne zum Kauf verpflichtet zu sein. Und was anderswo so gar nicht ging, ging bei Wertheims: die Rückgabe der Ware bei Nichtgefallen oder bei Mängel. Zudem herrschte bei den festen, ausgezeichneten Preisen ein Barzahlungsgebot und nicht wie früher das "Anschreibenlassen".
Garling: "Zuerst wurde das in der Stralsunder Bevölkerung sehr skeptisch aufgenommen. Man kannte es, dass man in die Läden ging, dass man feilschte um die Preise, dass man überredet wurde, etwas zu kaufen. Und es brauchte einige Zeit, bis sich das durchsetzte. Dann hat man aber auch die Vorteile gesehen."
Mehr noch: die Helligkeit, die klare Verkaufsstruktur, der Kunde war König. Wie es im Gegensatz dazu in den Einzelhandelsgeschäften zuging, schilderte Emile Zola in seinem 1884 erschienenen Roman "Au Bonheur des Dames"...
"...die offenstehende Tür schien in die feuchte Finsternis eines Kellers zu führen."
"”Hier in Stralsund befindet sich eines der sehr wenigen noch deutschlandweit erhalten gebliebenen Warenhäuser der Familie Wertheim. Dieses Gebäude wurde 1903 errichtet und hat den Krieg recht gut überstanden. Es wurde zu DDR-Zeiten weiter als Kaufhaus benutzt und vor mehreren Jahren endlich aufwendig restauriert.""
Außen ist das Gebäude hellbraun, die Dächer sind mit roten Ziegeln gedeckt. Innen ist der historische Lichthof im oberen Bereich weiß, danach in einem Ockerton. In der Mitte türmen sich Jeans, Kleider, T-Shirts einer Billigwarenkette. Als am 15. April 1852 die Gebrüder Wertheim in der Stralsunder Wasserstraße ihr erstes "Manufactur- und Modewarengeschäft" eröffneten, war es von da aus nicht weit bis zu den revolutionären Verkaufskonditionen, die die Wertheims groß machten.
Garling: "Zum Beispiel Festpreise, zum Beispiel das Umtauschrecht...das sind sozusagen parallele Entwicklungen, die auch in Frankreich, in Großbritannien und auch in den USA abliefen. Die jüdischen Kaufmannsfamilien hat den Vorteil, dass sie sozusagen untereinander vernetzt waren und zum Beispiel die Wertheimkinder, Georg Wertheim, zu ihren Verwandten in die Lehre gegangen sind, dort die neuen Prinzipien kennen gelernt haben, in England und hier nach Stralsund zuerst gebracht haben."
Anders als bisher durfte der Kunde die Waren ausgiebig betrachten, ohne zum Kauf verpflichtet zu sein. Und was anderswo so gar nicht ging, ging bei Wertheims: die Rückgabe der Ware bei Nichtgefallen oder bei Mängel. Zudem herrschte bei den festen, ausgezeichneten Preisen ein Barzahlungsgebot und nicht wie früher das "Anschreibenlassen".
Garling: "Zuerst wurde das in der Stralsunder Bevölkerung sehr skeptisch aufgenommen. Man kannte es, dass man in die Läden ging, dass man feilschte um die Preise, dass man überredet wurde, etwas zu kaufen. Und es brauchte einige Zeit, bis sich das durchsetzte. Dann hat man aber auch die Vorteile gesehen."
Mehr noch: die Helligkeit, die klare Verkaufsstruktur, der Kunde war König. Wie es im Gegensatz dazu in den Einzelhandelsgeschäften zuging, schilderte Emile Zola in seinem 1884 erschienenen Roman "Au Bonheur des Dames"...
"...die offenstehende Tür schien in die feuchte Finsternis eines Kellers zu führen."
Enteignung und Flucht nach Berlin
Als 1903 die Wertheims in Stralsund ihr Kaufhaus eröffneten, war dieses Haus in der Ossenreyerstraße ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Kaufhauskultur. Das Wertheimkaufhaus in der Berlin Kreuzberger Oranienstraße und später ein Weiteres in der Rosenthaler Straße, und natürlich das große Kaufhaus in der Leipziger Straße, für diese Häuser galt der saloppe Satz der Berliner: "Ick geh‘ Wertheims", wenn man einkaufen wollte. Besonders gern tat man das bei Wertheims in der Leipziger Straße, denn das Haus dort war mit 106.000 Quadratmetern Nutzfläche nicht nur drei Mal so groß wie das KaDeWe, sondern sogar das größte Warenhaus Europas.
Heute wird dort - nach vielen Jahren Brachflächendaseins - erneut ein "Mega-Shoppingcenter" gebaut. Das letzte Haus der Wertheims vor dem II. Weltkrieg wurde in Breslau eröffnet, 1930 auch in einer Größenordnung von ungefähr 30.000 Quadratmetern reiner Verkaufsfläche. Danach ging es mit den Nazis bergab.
Garling: "Hier in Stralsund war es so wie deutschlandweit auch, dass die Geschäfte enteignet wurden. Vor allem die Familie Wertheim, die dann zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr in Stralsund, sondern in Berlin lebte."
Als das Grauen vorbei war, die Enteignungen zum Teil rückgängig gemacht wurden, zahlte der Karstadt-Quelle-Konzern den jüdischen Erben der Kaufmannsfamilie Wertheim 88 Millionen Euro für die verlorenen wertvollen Grundstücke. Der damalige Konzernchef Thomas Middelhoff sagte:
"”Die Gelder, die der Claims Conference aufgrund des Abschluss der Vereinbarung zukommen, fließen in Projekte zur Unterstützung von Überlebenden des Holocaust weltweit und kommen natürlich auch der Familie Wertheim zugute.""
In Stralsund, sagt die Judaistin Nadine Garling, gibt es seit den Nazis bis heute keine jüdische Gemeinde mehr. In Schwerin ja, hier nicht. Aber es gibt jetzt einen Verein, der auf die jüdische Geschichte Stralsunds aufmerksam machen will. Das tut Not, nicht nur zum 110. Jubiläum der Wertheims, denn:
Garling: "”Gerade weil die Wiege oder der Ursprung der deutschen Warenhauskultur hier in Stralsund zu finden ist und eng mit der jüdischen Geschichte der Stadt verbunden ist, würde Stralsund definitiv gewinnen sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen und es präsenter im Stadtbild zu machen.""
Heute wird dort - nach vielen Jahren Brachflächendaseins - erneut ein "Mega-Shoppingcenter" gebaut. Das letzte Haus der Wertheims vor dem II. Weltkrieg wurde in Breslau eröffnet, 1930 auch in einer Größenordnung von ungefähr 30.000 Quadratmetern reiner Verkaufsfläche. Danach ging es mit den Nazis bergab.
Garling: "Hier in Stralsund war es so wie deutschlandweit auch, dass die Geschäfte enteignet wurden. Vor allem die Familie Wertheim, die dann zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr in Stralsund, sondern in Berlin lebte."
Als das Grauen vorbei war, die Enteignungen zum Teil rückgängig gemacht wurden, zahlte der Karstadt-Quelle-Konzern den jüdischen Erben der Kaufmannsfamilie Wertheim 88 Millionen Euro für die verlorenen wertvollen Grundstücke. Der damalige Konzernchef Thomas Middelhoff sagte:
"”Die Gelder, die der Claims Conference aufgrund des Abschluss der Vereinbarung zukommen, fließen in Projekte zur Unterstützung von Überlebenden des Holocaust weltweit und kommen natürlich auch der Familie Wertheim zugute.""
In Stralsund, sagt die Judaistin Nadine Garling, gibt es seit den Nazis bis heute keine jüdische Gemeinde mehr. In Schwerin ja, hier nicht. Aber es gibt jetzt einen Verein, der auf die jüdische Geschichte Stralsunds aufmerksam machen will. Das tut Not, nicht nur zum 110. Jubiläum der Wertheims, denn:
Garling: "”Gerade weil die Wiege oder der Ursprung der deutschen Warenhauskultur hier in Stralsund zu finden ist und eng mit der jüdischen Geschichte der Stadt verbunden ist, würde Stralsund definitiv gewinnen sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen und es präsenter im Stadtbild zu machen.""