Schönheit ist kein Luxus

Von Michael Frantzen |
Der Libanon tauchte lange Jahre immer nur als Schauplatz von Kriegen und von politischer Instabilität in den Schlagzeilen auf. Die Antwort der Libanesen auf die vergangene Zeit des Bürgerkriegs und die permanente Unsicherheit ist heute ein Schönheitswahn, der selbst Psychologen überrascht: plastische Chirurgie gehört mittlerweile zum Alltag.
Seit Jahren schon sind Frauen mit Verbänden im Gesicht in Beirut ein normaler Anblick. Seit neuestem begeben sich auch immer mehr Männer unters Messer. Schönheitsoperationen gelten als Statussymbol. Die "First National Bank" bietet sogar als erste Bank weltweit "Schönheitsoperations-Kredite" an – jeder dritte Antragsteller ist ein Mann.

"Look better, feel younger!" Im Wartezimmer von Toni Nassar weiß man gleich, woran man ist. Der Slogan prangt in großen Lettern über der verspiegelten Rezeption seiner Schönheitspraxis im Herzen des Stadtteils Verdun, dem Eldorado der Schönen und Reichen in Beirut. Goldene Schrift auf schwarzem Grund - darunter geht es nicht.

"Sieh besser aus, fühl dich jünger" - dieses Motto beherzigen die meisten Patienten hier. Da sind die zwei gertenschlanken Möchtegern-Models, die fast identisch aussehen: Beide tragen Designerware von Adidas, dazu die passende Gucchi-Brille und reichlich Make-up.

Da ist die alterslose Dame ganz in Lila, deren faltenfreies Gesicht zu einer Maske erstarrt ist, und dann ist da noch Sarah Oleak. Die schwarzhaarige Business-Studentin ist heute Nachmittag extra aus dem 50 Kilometer entfernten Tripoli angereist, zur Audienz bei Doktor Nassar - ihrem "Schönheitsguru", wie sie lachend meint.

Oleak: "Ich bin hier, um das Fett an meinen Beinen verbrennen zu lassen. Das Ganze heißt Veep. Du wirst an eine Maschine angeschlossen, die dir kleine Stromstöße verpasst. Nicht gerade angenehm: Die Haut an den Beinen fühlt sich nachher wie betäubt an. Ich bin schon länger Kundin von Doktor Nassar. Letztes Jahr habe ich mir Fett am Bauch absaugen lassen. Ich habe mich vorher unwohl gefühlt in meiner Haut.

Irgendwann habe ich mir gedacht: Warum soll ich mich damit abfinden, wenn ich etwas dagegen tun kann? Jetzt ist mein Körper ungefähr so, wie es mir vorgestellt habe. Ich bekomme Komplimente: Die Leute sagen: Du siehst schlanker aus. Mir tut das gut."

Meint die Frau mit den funkelnden, braunen Augen. Nur um hinzuzufügen, zu verdanken habe sie das "ihrem Guru".

Der hört so etwas gar nicht gerne. "Guru" – das geht Toni Nassar dann doch zu weit - auch wenn der Anfang 40-Jährige zu einem der prominentesten Schönheitschirurgen des Landes zählt. Der Mann mit der sorgsam gescheitelten Frisur und dem Zahnpastalächeln hebt die Hände. Allein vier Praxen betreibt er im Libanon - plus einen Ableger in Damaskus, der syrischen Hauptstadt.

Bei "Doktor Nassar" ist nichts dem Zufall überlassen. In seinem Sprechzimmer flimmern die Bilder glücklicher, runderneuerter Patientinnen als Dauerschleife auf dem Bildschirm; geht ein monochromer Frauen-Torso auf Tuchfühlung mit einer pinken Schwanenskulptur aus Glas. Dazu angenehmes, warmes Licht. Frau soll sich wohl fühlen.

Nassar: "Wir haben heute doppelt so viele Patientinnen wie vor fünf Jahren. Das Geschäft brummt. Schönheitsoperationen sind im Libanon inzwischen etwas ganz normales. Hier in Verdun sind sie Gesprächsthema Nummer Eins. Die Leute reden ganz offen darüber.

Es ist fast schon ein Unding, zwei Frauen zu treffen, die nicht über kosmetische Eingriffe reden. Es ist eine richtige Mode. Schauen sie sich die Leute auf der Straße an! Es gibt Erhebungen, wonach mindestens jede dritte Frau im Libanon eine Schönheits-OP hatte. Es werden immer mehr."

"In kaum einem Land", schrieb vor kurzem "Die Welt", "boomt die kosmetische Chirurgie so stark wie ausgerechnet im krisengeschüttelten Libanon." Die libanesische Ärztekammer schätzt, dass im Vier-Millionen-Land Jahr für Jahr 1,5 Millionen kosmetische Operationen durchgeführt werden. Hinzu kommen zehn Millionen Botox- und Kollagenbehandlungen zur Hautstraffung - jährlich.

Die Schönen und Reichen von Beirut – sie tummeln sich nicht nur in Verdun, sondern auch im rund fünf Kilometer entfernten Stadtteil Hazmieh. Ruhig ist es. Und grün. Hier hat Elias Chammas seine Zelte aufgeschlagen. In libanesischen Medizinerkreisen gilt er als einer der Großen der plastischen Chirurgie.

Der grau melierte Anfang 60-Jährige ist seit über drei Jahrzehnten im Geschäft, seit zwölf Jahren leitet er das "International Medical Center" in Hazmieh. Von seinem Sprechzimmer voller Golf-Pokale geht der Blick bis zum Mittelmeer. Doch dafür hat Chammas keinen Sinn. Schließlich wollen seine 36 Schönheitschirurgen koordiniert werden; müssen Patienten beraten werden.

Chammas: "Früher waren unsere Kunden nur Frauen. Jetzt haben wir auch Männer. Sie lassen sich das Haar transplantieren, Fett absaugen oder die Nase richten. Das gab es früher nicht. Auf zehn Frauen kommen jetzt drei Männer.

Ich glaube, viele Männer machen das, um mit ihren Frauen mithalten zu können. Deine Frau sieht nach einer Schönheits-OP klasse aus?! Da willst du doch nicht nachstehen! Sie hat das für dich getan, also tu ihr auch den Gefallen! Männer sind die leichteren Patienten. Sie kommen zu dir und sagen: OK, ich will eine Haartransplantation. Oder den Buckel auf der Nase weghaben. Sie sagen nicht: Ich will aussehen wie Marlon Brando. Sie sind weniger anspruchsvoll als Frauen."

Gebran: "Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, mir die Nase richten zu lassen. Ich werde ja nicht jünger. Wenn du noch was tun willst - habe ich mir gedacht - dann wird es langsam Zeit. Jetzt oder nie! Man muss sich dafür doch nicht schämen, so eine OP ist etwas ganz normales. In meinem Freundeskreis beispielsweise: Was weiß ich: Du hast einen Freund mit einem kleinen Kinn. Sagen wir, er heißt John. Und du sagst: John, warum hast du so ein kleines Kinn? Geh zu einem Arzt, der wird das richten und du siehst viel besser aus. Warum nicht?! Ein kleine Nasen-OP, eine Kinn-Operation, ein bißchen Fettabsaugen. Solange du dich danach besser fühlst, ist doch alles in Ordnung. Hauptsache, du fühlst dich besser."

Yusuf Gebran fasst sich im Wartezimmer von Elias Chammas, das fast schon so groß ist wie ein Wartesaal, an die Nase. Vorsichtig, die Operation ist keine drei Tage her. Rund 1500 Euro hat er dafür gezahlt, in Deutschland würde eine vergleichbare OP das Zwei- oder Dreifache kosten.

Soweit ist alles gut verheilt, in vier, fünf Tagen, hat ihm Doktor Chammas gesagt, kann er den Verband abnehmen. Der Mittfünfziger schaut von seinem schwarzen Ledersessel zu seiner Frau hoch. Auch sie hatte eine Schönheits-OP. Auch die Nase.

Die Gebrans kommen aus Syrien. Sie ist Hausfrau, er Geschäftsmann im "Banken- und Landwirtschaftssektor", was genau er macht, damit will Yusuf Gebran nicht herausrücken. Geld jedenfalls hat er: An seiner linken Hand funkelt ein Siegelring, die Kette dürfte echtes Gold sein.

Zahlungskräftige Kundschaft aus dem Ausland - bei Elias Chammas und seinem Kollegen Toni Nassar sind sie gerngesehene Kunden.

Nassar: "Der Libanon ist Marktführer bei der plastischen Chirurgie im Nahen Osten. Wir bekommen immer mehr Patienten aus dem Ausland. Nicht nur ausgewanderte Libanesen, die dort wohnen, sondern auch Araber und US-Amerikaner und Europäer. Wir schnüren ihnen ein maßgeschneidertes Paket. Sozusagen die Two-in-one Option. Sie können sich bei uns einer Schönheits-OP unterziehen und danach ein paar Tage Urlaub im Libanon machen. Das kommt dem Land sehr zu Gute."
Vier von zehn Patienten in der Praxis von Toni Nassar stammen aus dem Ausland, neben Exil-Libanesen hauptsächlich steinreiche Saudis und nicht minder wohlhabende Medizintouristen aus Bahrain und den anderen Scheichtümern am Golf.

Nicht viel anders sieht es im "International Medical Center" aus. Auch dort werden die ausländischen Patienten hofiert, der Chef höchst selbst kümmert sich regelmäßig um ihre Bedürfnisse. "Alles eine Frage des Vertrauens" - meint Elias Chammas milde lächelnd.

Mit dem Vertrauen ist es im Libanon allerdings so eine Sache. Der letzte Krieg liegt keine vier Jahre zurück, erst vor zwei Jahren flackerten in Beirut erneut Kämpfe zwischen verfeindeten schiitischen und sunitischen Milizen auf.
Chammas: "Das ist natürlich nicht gut für uns; dass viele Ausländer beim Libanon gleich an Krieg denken. Ich meine, schauen sie sich um: Es ist friedlich hier. Die Leute aus den arabischen Staaten verstehen das, aber viele US-Amerikaner und Europäer haben immer noch Angst.

Der letzte Krieg im Sommer 2006 hat uns sehr geschadet. Wir hatten danach viel weniger Patienten. Unsere Ersparnisse haben uns über Wasser gehalten. Jetzt machen wir wieder Gewinn. Im Libanon geht es immer rauf und runter. Es ist wie an der Börse. Wir sind das gewohnt."

Ein Großteil der Libanesen ist während des Bürgerkrieges aufgewachsen. Es gibt nicht wenige Experten, die sagen, das Land habe sich von dem Trauma bis heute nicht erholt. "Dem Gefühl der permanenten Unsicherheit", schreibt der angesehene Soziologe Samir Khalaf, "stellt gerade die Beiruter Oberschicht ihren Hedonismus entgegen und feiert jede Nacht, als könnte es die letzte sein." Dort, wo nur der Augenblick zähle, werde Schönheit zum absoluten Wert.

Brigitte Khoury dürfte das bekannt vorkommen. Die resolute Psychologie-Dozentin von der renommierten "American University of Beirut" betreibt seit über zehn Jahren nebenbei eine Praxis. Ihre Patienten sind ein Spiegelbild der libanesischen Gesellschaft: Ehemalige Soldaten, die durch die unzähligen Kriege traumatisiert sind; Bürgerkriegsopfer, die mit ansehen mussten, wie die eigenen Eltern im libanesischen Bürgerkrieg von 1975-1990 abgemetzelt wurden; und eben immer häufiger auch Frauen, denen eigentlich nichts fehlt, die aber trotzdem unglücklich sind. Weil sie sich hässlich fühlen.

Khoury: "Äußerlichkeiten sind sehr wichtig in der libanesischen Gesellschaft. Du wirst nicht zuletzt nach deinem Äußeren bewertet. Welches Auto du fährst; was für ein Handy du hast; welches Haus; auf welche Schule deine Kinder gehen. Es herrscht ein richtiger Wettbewerb.

Immer mehr Frauen denken sich: Da muss ich aber mithalten. Indem ich mich unters Messer begebe. Und noch etwas spielt eine Rolle. Wir im Libanon sind viel stärker westlich geprägt als unsere Nachbarn in Syrien oder Jordanien. Bei uns laufen diese ganzen Hollywood-Filme und Shows.

Da wird natürlich ein gewisses Schönheitsideal propagiert, dem die libanesischen Frauen nacheifern. Selbst traditionelle, muslimische Frauen sind davor nicht gefeit. Ich hatte schon verschleierte Frauen in meiner Praxis, die Schönheits-OPs hatten."

Brigitte Khoury bereitet der Run auf die Schönheitspraxen zunehmend Bauchschmerzen. Der Druck auf die Frauen - findet die Psychologin, die selbst kein Problem damit hat, "nicht gerade Konfektionsgröße 38 zu haben", wie sie selbstbewusst sagt - der Druck sei in den letzten Jahren immer größer geworden. Nicht nur wegen der Normen, die in der libanesischen Gesellschaft herrschen.

Khoury: "Man darf etwas weiteres Wichtiges nicht vergessen: Durch die ganzen Kriege hat das Land viele Männer verloren. Ich meine jetzt nicht nur die, die gestorben sind. Viele sind ausgewandert oder arbeiten für längere Zeit im Ausland. Das führt dazu, dass wir viel mehr Frauen als Männer haben. Nach UNO-Angaben beträgt das Verhältnis fünf zu eins.

Das heißt, auf fünf Frauen kommt ein Mann - innerhalb des reproduktionsfähigen Alters von 25 bis 40. Das sind ganz schön viele Frauen für einen Mann. Da entsteht natürlich ein enormer Druck auf die Frauen. Einige denken sich dann: Na, da helfe ich mal ein bisschen nach – und lasse mich operieren. Ist ja die einfachste Lösung."

Welche Blüten der Schönheitskult im Libanon bisweilen treibt - davon kann Toni Nassar ein Lied singen. Der Arzt schaut auf den Haufen Silikonkissen auf seinem Schreibtisch. Erst vor kurzem saß ihm ein zwölfjähriges Mädchen gegenüber, das von seiner Mutter angeschleppt worden war. Ob er ihr nicht eine neue Nase verpassen könne?! Nassar schickte Mutter und Tochter postwendend nach Hause.

Nassar: "Manchmal müssen wir auch Nein sagen. Wir haben ja eine Verantwortung als plastische Chirurgen. Die Proportionen müssen stimmen. Man kann beispielsweise einer kleinen Frau mit schmalen Schultern keinen Atombusen verpassen. Ich versuche das meinen Patientinnen immer klar zu machen. Es ist ein Trugschluss zu denken: Größer ist immer besser. Manchmal ist kleiner besser. Weil es natürlicher aussieht."
"Natürlich ist besser?!" Yusuf Gebran runzelt die nicht mehr ganz faltenfreie Stirn. Jetzt soll erst mal seine Nase verheilen. Und danach? Will der Patient von Elias Chammas weiter sehen. So teuer, meint der syrische Geschäftsmann, sei ein Facelifting schließlich auch nicht.

Gebran: "Was ist mit Ihnen? Wollen Sie nicht auch etwas machen lassen? Ihre Nase! Oder ihr Haar! Das ist auch nicht mehr ganz voll! Überlegen sie es sich. Das Leben ist zu kurz. Genießen sie es! Seien sie glücklich! Sie fühlen sich einfach besser, wenn sie besser aussehen."