Mach mir ein Panther-Gesicht!
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60 Prozent der Iranerinnen und Iraner haben sich Eingriffen wie einer Nasen-OP unterzogen. 80 Prozent nehmen Schönheitsbehandlungen wie Botoxspritzen regelmäßig in Anspruch. Eine Mode: das Panther-Gesicht mit hohen Wangenknochen und vollen Lippen.
"Möchtest du das Foto sehen?" – Die 33-jährige Setoreh, Hausfrau aus Teheran, ist heute ganz aufgeregt. Setorehs beste Freundin, die in Maschhad – einer Stadt im Nord-Westen Irans – wohnt, hat sich liften lassen.
Heute wurden ihre Verbände entfernt. Die Fotos landeten natürlich fast zeitgleich auf Instagram. "Schau, die hängende Haut wird abgeschnitten. Dann wird sie hinter den Ohren festgenäht. Ein oder zwei Monate ist das Gesicht etwas angeschwollen, aber danach wird es wieder normal."
Meine Freundin ist selbständig. Sie hat eine kleine Fabrik, die Ledertaschen produziert. Sie verdient gut. Ein bisschen Geld gibt sie für den Haushalt aus. Den Rest investiert sie in die eigene Schönheit. Sie sieht jetzt zehn oder sogar zwölf Jahre jünger aus."
Schönheitsoperationen sind Mode
Was man auf dem Foto erkennt, ist nur ein angeschwollenes, deformiertes Frauengesicht ohne Alter. Die Iraner, Frauen wie Männer, legen sich immer öfter für die Schönheit unter das Messer.
Trotz der strengen Kleidervorschriften im Land der Mullahs, wonach der Körper und die Haare der Frauen verdeckt werden müssen, sind Schönheitsoperationen eine Art Mode, mehr noch: eine Epidemie geworden.
"Und sieht es dann nicht wie eine Maske aus?" – "Nicht doch. Sehr natürlich, sehr schön. Das Ergebnis hängt vom Arzt ab. Der Preis ist manchmal sehr hoch, zwischen 30 und 40 Millionen manchmal sogar 50 Millionen Tuman. Man kann im Iran dafür 50 bis 60 Wintermäntel kaufen. Ich würde mir auch gerne die Lippen unterspritzen lassen, ich wäre dann viel hübscher. Die Lippen wären voller und schöner, aber okay, es lohnt sich nicht. Alle sechs Monate muss man das wiederholen und Geld bezahlen, dazu kommen die Nebenwirkungen. Das brauche ich nicht. Ich bin auch so zufrieden."
Die Sehnsucht nach Schönheit und der Koran
50 Millionen in der iranischen Währung Tuman sind etwa 1650 Euro. Setoreh kennt die Sehnsucht nach Schönheit auch. Doch ihre finanziellen Mittel ziehen potenziellen Eingriffen enge Grenzen. Ihre zwölfjährige Tochter Mahbub hat sowieso ihre ganz eigene Meinung darüber, was ihre Mutter mit ihrem Körper machen sollte: "Mama braucht eine Diät, nicht eine Operation!"
In der Islamischen Republik ist vieles, was Spaß macht, verboten – wie etwa das Tanzen oder der Alkohol. Frauen dürfen nicht ohne die Erlaubnis ihres Mannes verreisen und Fahrradfahren geht gar nicht.
Aber sie dürfen sich jederzeit unter das Messer legen – im Dienste der Schönheit oder was auch immer dann dabei herauskommt. Oder verbietet die islamische Lehre Schönheitsoperationen? Da muss Setoreh erst mal nachdenken.
"Damals, als der Koran entstand, gab es keine plastische Chirurgie. Ich denke nicht, dass es verboten ist, denn unsere Religion verbietet die Schönheit nicht. Sie sagt: Die Frauen sollen auf ihren Körper achten und sich pflegen. Aber im Zweifel kann man bei der Stelle für Religionsfragen oder im Büro vom Imam Khamenei selbst anrufen und nachfragen, etwa so: Ich möchte diese Operation machen lassen. Ist das haram – verboten – oder salohe – erlaubt? Er erteilt dann auch die Erlaubnis. Ein religiöser Mensch, der betet, würde so etwas tun. Aber diejenigen, für die es nicht wichtig ist, fragen erst gar nicht nach."
Ein Gesicht wie ein Panther
Auch die 42-jährige Sarah denkt über eine Schönheitsoperation nach. Ihre achtjährige Tochter Parvoneh ist noch nicht so eine harte Kritikerin wie Setorehs Teenager Mahbub.
Beim Frühstückvorbereiten in der geräumigen Küche ihres Hauses im Norden Teherans ist das wieder mal "das Thema", das sie schon mehrmals mit ihrer Freundin Behnoz durchgekaut hat.
"Ich war nie von mir begeistert, sodass ich sagen würde: Oh, ich bin schön! Aber das war bevor das Thema Busen aufgekommen ist. Der Busen hat sich ja nach der Stillzeit sehr verändert. Ich stehe immer noch unter Schock. Aber ich wage es einfach nicht, die Brüste machen zu lassen."
Das Finanzielle wäre hier kein Problem: Sarah hätte sich die besten Chirurgen leisten können, da ihr Mann eine kleine Fabrik besitzt. Es wäre ja auch nur ein kleiner Eingriff, eine Korrektur. Sarah findet ihre Sehnsucht nach einer straffen Oberweite nur natürlich.
Aber was den Schönheitswahn betrifft, der die Iraner fest im Griff hat, findet sie nur kritische Worte. Manche Frauen würden übertreiben, um wie ein Kunstwerk zu wirken, wie jemand jenseits des Menschlichen.
"Die Frauen mit den gemachten Lippen, mit Kieferknochenfüllungen und angehobenen Wangenknochen, nennt man im Iran die Panther." – "Die Frau sieht danach wie ein Panther aus?" – "Ja, die nennt man dann: der Panther. Es gibt zwei Trends: Manche Frauen wollen nicht, dass man es erkennt, dass sie sich operieren ließen, manche – ganz im Gegenteil. Die Panther legen sich unters Messer, damit jeder es mit Sicherheit erkennt. Eine Freundin von mir will es auch machen lassen und sie ist erst in ihren Zwanzigern. Sie braucht es definitiv nicht. Das ist nur eine reine Nachahmung. Sie sagt, eine Freundin hat es getan, also tue ich es auch."
"Wenn der Mensch keine andere Beschäftigung hat, das heißt, der Geist nicht beschäftigt wird, dann kommen solche Gedanken. Vielleicht wollen meine Landsleute einfach binnen eines Tages schlank, reich und hübsch werden. Jeder denkt hier irgendwie an eine Schönheitsoperation. Neunzig Prozent der Iraner machen das."
Schönheitsoperation gegen das Fremdgehen
Alle reden darüber, aber keiner will es getan haben. Mona aber, eine 28-jährige Psychologin aus Teheran, steht zu ihrem Schönheitseingriff. Vor vier Jahren hat sie sich ihre Nase operieren lassen.
Selbstbewusst, mit ihrem perfekten Stupsnäschen schaut sie sich in einem modernen, westlich eingerichteten Fast-Food-Restaurant eines Einkaufszentrums im Osten Teherans um. Ein paar Tische weiter sitzt ein junger Mann und am Fenster ein Mädchen, beide mit Pflastern auf den Nasen. Solch ein Pflaster ist ein unverkennbares Zeichen für eine Nasenoperation, so Mona.
"Meine Nase war nicht nur schief, sie hatte auch einen Buckel, deswegen habe ich sie operieren lassen. Ich bin sehr empfindlich, was das Bild meines Körpers angeht, und wollte unbedingt, dass meine Nase gerade wird. Dieses Problem war für mich so groß, dass ich mit mir komplett unzufrieden war. Ich war mit meinem Gesicht überhaupt nicht einverstanden."
Die junge Psychologin hat etwa ein Jahr lang in einer privaten Schönheitsklinik an einer Studie gearbeitet, die sich mit der Relation zwischen dem Körperbild und den daraus resultierenden Depressionen bei Frauen befasste. Sie hat diejenigen zwischen 20 und 40 Jahren interviewt, die entweder ihre Nasen oder ihre Brüste operieren lassen wollten.
"Einer der Gründe, weswegen Frauen sich operieren lassen, ist das Fremdgehen. Das nimmt im Iran zu. Viele Frauen lassen eine Schönheitsoperation machen, um die Beziehung zu schützen. Wir leben in einer geschlossenen Gesellschaft, in der es viele Persönlichkeitsstörungen gibt. Ich habe festgestellt, dass viele Männer die natürliche Schönheit bevorzugen. Aber es gibt auch durchaus solche, die operierte Frauen mögen: Die Brüste müssen vergrößert, die hohen Wangenknochen gemacht und die Lippen aufgespritzt werden. Die Menschen verschulden sich sogar, um eine Schönheitsoperation machen zu können."
Das Geschäft mit der Schönheit ist lukrativ
Viele Ärzte haben erkannt, dass das Geschäft mit der Schönheit im Iran sehr lukrativ geworden ist. Darunter auch Mahdije, eine 30-jährige Kinderärztin aus Buschher, einer Hafenstadt am Persischen Golf. Sie hat nach dem regulären Studium weitere zwei Jahre investiert, um sich zur plastischen Chirurgin umschulen zu lassen.
Jetzt besitzt sie eine kleine Schönheitsklinik im Speckgürtel der Stadt. Eigentlich sollte sie gerade in Teheran ein neues Ultraschallgerät für Hautbehandlungen erwerben, sagt sie am Telefon, aber die Coronaepidemie hat auch ihre Pläne durchkreuzt.
"Aus finanzieller Sicht, habe ich alles richtig gemacht. Meine berufliche Zukunft wird, denke ich, auch nicht schlecht sein. Hyaluron- und Botoxspritzen sind im Iran zur Normalität geworden. Das ist wie eine Mode, wie eine Epidemie. Alle machen mit. Aber alles hat seine Zeit. Vor ein paar Jahren, gab es viel mehr Panther-Gesichter auf der Straße. Jetzt werden die Ergebnisse natürlicher. Man konzentriert sich auf die Behandlung der Haut. Trotzdem: Es gibt immer noch Frauen, die besonders künstlich aussehen wollen. Die Menschen die sich operieren lassen, müssen schon wohlhabend sein. Die Operationen sind teuer und nicht jeder kann sie sich leisten."
Die Gefahr: Pfusch an der Gesundheit
Viele der weniger vermögenden Iraner greifen zu günstigeren Alternativen und nicht selten schädigen sie dadurch ihre Gesundheit. Ja, tragen sogar irreversible Schäden davon. Nach einer verpfuschten Operation wenden sie sich dann in ihrer Not an zugelassene Ärzte wie Mahdije.
"Es gibt viele Kosmetikstudios, die gesetzeswidrig und ohne Zulassung des Gesundheitsministeriums arbeiten. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, welchen Schaden sie nach einer verpfuschten Behandlung davontragen können. In den Studios wird nicht selten eine Botox-Spritze aufs Geratewohl gesetzt. Bei einem Patienten hat ein Quacksalber Hyaluron gespritzt, dabei eine Arterie getroffen und Bakterien injiziert. Das passiert oft. Auch einfache Krankenschwestern führen Schönheitseingriffe durch – und zwar bei sich zu Hause."
Im Iran gibt es zwar eine "Vereinigung für Plastische Chirurgie", aber keine anerkannte Ärztekammer, die die Pfuscher zur Verantwortung ziehen oder ihnen Arbeitsverbot erteilen könnte. Dafür gibt es viel Korruption: So schmieren Ärzte zum Beispiel die Gerichte und kommen mit nur geringen Geldstrafen davon – so Mahdije.
"Eine Beschwerde kann man nur erheben, wenn der behandelnde Arzt eine Zulassung hat. Dann kann man im Fall von Pfusch klagen. Aber bei einer Behandlung in einem Kosmetikstudio oder bei einer Krankenschwester zu Hause führt eine Klage nirgendwohin."
"Alle sind scharf auf die Schönheitsbehandlungen"
60 Prozent der Iraner haben sich gravierenden chirurgischen Eingriffen – wie zum Beispiel einer Nasenoperation – unterzogen. 80 Prozent nehmen Schönheitsbehandlungen – wie Hyaluron- und Botoxspritzen – regelmäßig in Anspruch.
"Alle sind scharf auf die Schönheitsbehandlungen. Auch Männer gehören zu meinen Kunden. Sie lassen sich Botox spritzen, um den Falten vorzubeugen. Andere machen eine Hyaluron-Langzeittherapie oder Kieferkorrekturen."
Der 50-jährige Behruz, ein schmächtiger Ingenieur aus Teheran, überspielt gerade alte Platten von Googoosh auf einen USB-Stick. Googoosh ist eine iranische Sängerin – berühmt nicht nur für ihr Gesangstalent, sondern auch für ihre Schönheit.
Sie ist der Star schlechthin im Iran und es ranken sich viele Spekulationen um ihre Person. So unter anderem die, dass sie auch etwas an sich habe machen lassen. Behruz, ihr eingefleischter Fan, behauptet gar, dass ihre Nase ganze sechs Mal operiert worden sei. Dichtung oder Wahrheit? – Das weiß nur Googooosh selbst.
"Wenn eine Frau durch eine Schönheitsoperation hübscher wird, wo ist dann das Problem? Manchmal hat eine Frau eine Nase wie eine Birne. Das muss man doch offen sagen. Dann sollte sie die korrigieren lassen. Alle, nicht nur sie selbst, werden sich daran erfreuen. Manchmal ist aber eine Frau schön und trotzdem lässt sie sich operieren, nur um später sagen zu können, dass sie es getan hat. Das ist wirklich ein Fehler. Auch Männer: Manchmal haben sie wirklich ein Problem. Viele haben kaputte Zähne und trotzdem lassen sie sich die Nase operieren, damit sie schön ist. Die Zähne dagegen müssen nicht schön sein. Der Mund ist ja zu. Sie kaufen nicht einmal für 20.000 Tuman ein Buch, um es zu lesen, aber sie lassen sich operieren für 40 Millionen."
"Und wenn deine eigene Frau sagen würde, ich möchte wie Miss Italia aussehen, was würdest du sagen?"
"Tue es. Na klar! Geld würde ich ihr auch dafür geben, weil ich möchte, dass sie sich an ihrem Leben erfreut."
Aber auch der selbstbewusste und bodenständige Behruz ist nicht frei von Verschönerungsträumen.
"Ich selbst möchte größer werden."
Behruz' Lachen mag ironisch klingen, doch an seinem Blick merkt man, dass auch er anfällig ist für den Schönheitswahn, der die Islamische Republik Iran befallen hat.