Scholz und die Ukraine-Politik

Die drei Dimensionen des Zögerns

04:49 Minuten
Porträt von Bundeskanzler Olaf Scholz mit schräg gehaltenem Kopf und leicht zusammengekniffenen Augen, 2022.
Olaf Scholz sei ein "Zauderer", so wurde ihm zuletzt in der Panzerdebatte unterstellt - aber ist das gut oder schlecht? Kommt auf die Art des Zögerns an, meint David Lauer. © imago / Eberhard Thonfeld
Ein Kommentar von David Lauer |
Audio herunterladen
Ist Scholz in der Leopard-Frage in die Knie gegangen oder ist ihm hinter den Kulissen ein diplomatisches Kunststück gelungen? Das Vorgehen des Kanzlers wird wieder als zögerlich kritisiert. Ist Zögern in der Politik Tugend oder Laster?
Das Zögern hat in der Politik keinen guten Namen. Zögerlichkeit verträgt sich nicht mit dem Nimbus der Führungsstärke, den politische Alphatiere gerne um sich verbreiten: entscheiden, anpacken, durchsetzen, abliefern. Gummistiefel first, Bedenken second. Einerseits.
Andererseits stimmen manche geradezu ein Loblied des Zögerns an: Ist die „ruhige Hand“ nicht Ausweis politischer Klugheit? Zeugt es nicht von Umsicht und Gewissenhaftigkeit, das Handeln aufzuschieben, bis alle Umstände bewertet und alle Optionen ausgelotet sind?
Ist Zögerlichkeit nun also Tugend oder Laster? Es könnte für Klarheit sorgen, hier begrifflich etwas genauer zu differenzieren.

Zögern als Zustand der Unsicherheit

Da ist einmal das Zögern als Ausdruck der Unentschlossenheit – des Zustands, in dem die Handelnde noch nicht zu erkennen vermag, was zu tun ist. Verteidigerinnen des Zögerns weisen darauf hin, dass es eine Form charakterlicher Stärke darstellt, solche Zustände der Unsicherheit zuzulassen. Nur dadurch werde umsichtige Reflexion möglich.
Und das ist wahr, wenn auch betont werden muss, dass zu zögern allein noch keine Tugend macht: das Zögern ist nicht die Besonnenheit, sondern schafft höchstens den Raum für jene.
Es bleibt aber unproduktiv, wenn nicht zugleich entschlossen Maßnahmen getroffen werden, um zu einer klugen Entscheidung zu gelangen.

Zögern als Feigheit

Die zweite Art des Zögerns ist ein Modus des Handelns selbst, und dieser Modus ist es, der häufig als Ausdruck eines charakterlichen Defekts kritisiert wird – als Laschheit, Feigheit oder Wankelmütigkeit. Die Tugendlehren der Antike betonen, dass man die wahrhaft tugendhafte Person an der Entschlossenheit und Standhaftigkeit erkennt, mit der sie das Gute konsequent verfolgt, ohne sich darin irre machen zu lassen.
Wo also eine Handelnde sich zu einem Beschluss bekennt, die erforderlichen Maßnahmen aber immer nur zögerlich und halbherzig umsetzt, da scheint der Verdacht berechtigt, dass sie das angeblich als richtig Erkannte im Innersten doch nicht will.

Zögern in strategischer Absicht

Die dritte Art des Zögerns zuletzt ist weder Zustand vor dem Handeln noch Modus des Handelns, sondern ist selbst eine Handlung, nämlich das bewusste und zielstrebige Hinauszögern.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Dessen klassisches Beispiel bietet uns der römische Feldherr Quintus Fabius: Im dritten Jahrhundert vor Christus zwang er das auf Rom vorstoßende karthagische Heer unter Hannibal zur Aufgabe, indem er die von Hannibal gesuchte Entscheidungsschlacht durch immer neue Ausweichbewegungen so lange hinauszögerte, bis es Rom gelungen war, in Hannibals Rücken ein zweites Heer auszuheben. Die Römer verpassten Fabius den Ehrennamen „Cunctator“ – der Zauderer.
Ersichtlich aber muss man das zielstrebige Hinauszögern des Cunctators unterscheiden vom Zögern im ersten und zweiten Sinne. Beispielsweise kann man lange zögern, bevor man sich entschließt, etwas hinauszuzögern, und dies dann zögerlich oder entschlossen tun, wie Fabius.

Von außen schwer zu erkennen

Lassen uns diese Unterscheidungen nun klar erkennen, ob das Zögern des „Zauderers“ Olaf Scholz in der Panzerfrage Handlungsschwäche oder vollendete Staatskunst war? Leider nein. Denn obwohl sich die drei Momente des Zögerns in ihrer internen Struktur klar voneinander unterscheiden, lässt sich von außen häufig nicht erkennen, mit welchem Moment wir es zu tun haben.
Was wir sehen, ist ein Mensch, der nicht zur Tat schreitet. Ob er dies aber tut, weil er schlicht noch unsicher ist, was zu tun ist, oder ob er in der Ausführung seines längst gefassten Entschlusses schwankt und hadert, oder ob er in Wahrheit zielstrebig eine Verzögerungsstrategie betreibt, das kann häufig nur der Handelnde selbst sagen – und in manchen Fällen wohl nicht einmal er.

David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes- und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

David Lauer im Porträt.
© Privat
Mehr zum Thema